BRUNFTSTRATEGIEN BEI GAMSBÖCKEN
Je nach ihrem bevorzugten Lebensraum haben Gamsböcke unterschiedliche Brunftstrategien. Dr. Hubert Zeiler beschreibt, welche bei Böcken im Wald, auf Almflächen oder den baumfreien Hochlagen zum Tragen kommen.
… sind in der Regel allein – möglich ist auch, dass da und dort zwei Kumpane zusammen ziehen oder ihre Einstände aneinander grenzen. Es kommt vor, dass ein älterer Bock einen Jüngling dabei hat. Die beiden kennen sich meist vom Wintereinstand. In der Regel sind junge Böcke, die sich einem älteren anschließen, nicht über drei Jahre alt. Ein solches Gespann harmoniert nur solange sich der junge unterordnet und der alte Bock ihn ohne viel Reibereien dominiert. Inwieweit die Böcke im Wald Territorialverhalten zeigen, ist mir nicht bekannt. Natürlich wird markiert, aber zumeist fehlt dort der Nachbar, an den bestimmte Verhaltensweisen adressiert sind. „Reviere“ von Waldgamsböcken grenzen in der Regel nicht direkt aneinander, sondern sind durch ungeeignete Lebensraumpartien voneinander getrennt. Gibt es zur Brunft keine Geißen in ihrem Umfeld, verlassen diese Böcke die Sommereinstände und wandern zumeist über die Waldgrenze, dorthin wo die größeren Rudel stehen. Erfahrene Gamsjäger berichten dazu immer wieder, dass sich so ein alter Laub-, Latschen- oder Waldbock nach und nach Foto: Stefan Meyers eine brunftige Geiß holt und mit ihr in aller Ruhe allein in einem Graben oder im Wald bleibt. Diese Beobachtungen sind sicher nicht falsch. Fraglich ist nur, ob sich der Bock tatsächlich eine Geiß „holt“, oder ob ein Teil des weiblichen Wildes den Bock aufsucht – so wie wir es für Rehwild bei einem unserer Projekte feststellen konnten. Dazu ein Hinweis auf die in Nordamerika vorkommenden Gabelböcke: Mit der Brunft bricht deren Territorialsystem zusammen. Territoriale Böcke verschwinden, und auch junge Böcke ziehen nun zu den Weibchenherden. Die reifen Territorialböcke halten sich mit paarungsbereiten Weibchen versteckt – oft in tiefen Schluchten, wo sich diese Antilopenart ansonsten gar nicht aufhält. Dort kann sich der Bock mit der Geiß paaren, ohne von Rivalen gestört zu werden. Bei ihren Revieren scheint es also mehr um ruhige Verstecke zu gehen, die nur der Revierbesitzer kennt. Je überlegener ein Bock, desto mehr Paarungsverstecke hat er. Wer weiß, ob es vielleicht beim Gams Parallelen gibt. Jedenfalls dienen Territorien bei vielen Arten tatsächlich dazu, dass die Paarung ungestört verlaufen kann. Für die Böcke scheint es am besten zu sein, früh genug klare Verhältnisse zu schaffen, um sich in der Brunft mit der Geiß und nicht mit Rivalen auseinandersetzen zu müssen.
… bilden teils ein ausgeprägtes Territorialsystem. Bei ausreichend Platz und einem hohen Anteil an reifen Böcken entsteht dadurch ein Mosaik aus aneinandergereihten Territorien. Günstig für dieses Reviersystem ist ein Wechsel aus Freiflächen mit hochwertiger Äsung und Deckung in Form von Latschen, Grünerlen oder kleinen Waldinseln. Der Lebensraum ist halboffen, es gibt einzelne gute Aussichts warten, die von den Böcken gerne bezogen werden. Auch bestimmte Markierstellen werden immer wieder aufgesucht. Hier zeigen Gamsböcke bereits im Frühjahr ein deutliches Territorialverhalten. Wenn Reviere direkt aneinander grenzen, kann es in Einzelfällen auch zu sehr ernsten Kämpfen zwischen einzelnen Gams böcken kommen. Jedenfalls sind auf solchen Almgebieten die Grenzen eindeutig festgelegt. Die Böcke kennen ihre Reviere sehr genau. Sie beziehen diese, je nach Witterung, schon etwa ab Mitte April und halten sie über den Sommer bis zur Brunftzeit im Herbst. In manchen Gegenden verlassen die Böcke über den Sommer auch ihre Reviere und kehren im Herbst wieder dorthin zurück. Große Geiß-Kitz-Rudel kommen in dem Lebensraum kaum vor. Allenfalls können einzelne Setzeinstände an dessen Rand liegen, besonders dort, wo es Fels als Fluchtterrain gibt. Kleinere Scharwildrudel halten sich dort ebenfalls im Randbereich oder bei schlechter Witterung auf. Gibt es Salzlecken, werden sie regelmäßig angenommen.
Lebensraum Almen: Das Mosaik aus Latschen- und Weideflächen bietet Böcken ideale Einstände und Äsung.
Mit ihnen kommt der jeweilige Gamsbock dafür aber umso häufiger in Kontakt. Gibt es ausreichend reife Stücke, sollte ein solches Reviersystem dazu beitragen, Auseinandersetzungen zu vermeiden und den Status der Böcke festzulegen. Gibt es diese Reifen nicht, kommt man sich entweder nicht in die Quere, oder man muss eben von Fall zu Fall entscheiden, wer der Stärkere ist. Der Ausgang einer Begegnung ist also über einen bestimmten Platz schon vorhersagbar, und Auseinandersetzungen können damit vermieden werden. Gibt es einen hohen Anteil reifer Böcke, so haben zwei- bis sechsjährige noch keine Chance auf ein eigenes Revier. Sie werden von den Platzböcken ganz besonders energisch vertrieben. Auch Junggesellentrupps, die sich aus Zwei- bis Vierjährigen zusammensetzen, tun sich im Frühjahr manchmal schwer, wenn sie zwischen den Revieren der Platzböcke durchkommen wollen. Im Herbst zeigt sich der Vorteil des Reviersystems: Die Verhältnisse sind klar geregelt, es gibt kaum mehr Kämpfe und Hetzjagden, jeder Bock kommt nur auf ein paar wenige Geißen. In der Folge ist die Brunft kurz, und die Böcke verausgaben sich wenig.