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Im Auge des Gejagten

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WIE ÄUGT WILD
Über die ideale Jägertarnung wird viel diskutiert. Die grundsätzliche Frage dabei: Wie nimmt das Wild den Waidmann wahr? Falk Kern

Der Atem geht flach, Schritt für Schritt nähert sich der Jäger dem begehrten Rehbock. Das Tarnmuster seines Anzuges ist perfekt auf die Umgebung abgestimmt. Nicht mehr weit und
der Schuss wäre möglich. Auf einmal wirft der Bock auf. Äugt genau in Richtung des Pirschenden. „Er kann mich unmöglich eräugen!“, denkt der Waidmann. Oder doch? Vom Grundprinzip ist der Aufbau der Augen bei allen Wirbeltieren gleich. Sie verfügen über Linsenaugen, bestehend aus Hornhaut, Regenbogenhaut (Iris), Linse und Netzhaut. Bilder,
eigentlich nichts anderes, als vom Auge aufgenommene Lichtstrahlen, werden durch Lichtrezeptoren in der Netzhaut für das Gehirn verständlich „übersetzt“. Unterschieden werden bei den Rezeptoren Zapfen und Stäbchen. Erstere sind für das Tages- und Farbsehen zuständig, zweitere für das Dämmerungs- und Nachtsehen. Diese Grundstruktur hat sich im Rahmen der Evolution der Lebensweise der verschiedenen Arten angepasst. Bei Raubtieren, wie auch beim Menschen, entwickelte sich ein auf Tag- und Nachtsehen sowie
räumliches Sehen spezialisiertes Auge. Bei Beutetieren, wie unseren Schalenwildarten, ist ein möglichst weitreichender Rundblick das Ergebnis der Entwicklung. Das weite Sehfeld hat zur Folge, dass bei Beutetierarten das räumliche Sehen schlechter ist. Ein  verschwommenes Bild ist der Preis für den Überblick. Professor Leo Peichl vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt sagt: „Es ist davon auszugehen, dass viele  Schalenwildarten ein dem Menschen ähnliches Bild sehen.“ Abweichend sind jedoch Schärfe und das Farbsehen. Ging die Forschung früher von einer generellen Farbenblindheit des
Schalenwildes aus, so weiß man heute, dank neuerer Erkenntnisse, dass Schalenwild, Raubwild und Nager zwei Zapfentypen auf der Netzhaut besitzen.
Einen für den ultravioletten bis blauen Farbbereich, den anderen für den Bereich von Grün bis Rot. So sieht also Schalenwild Blautöne gut, wohingegen Grün, Gelb und Rot nicht unterschieden werden können. Das Verhältnis von Stäbchen zu Zapfen ist zugunsten der Stäbchen verschoben, was bedeutet, dass die Lichter des Schalenwildes eher auf das
Sehen in der Dämmerung als auf farbliches Sehen ausgerichtet sind. Des Weiteren
verbessert eine lichtreflektierende Schicht (Tapetum lucidum) in der Netzhaut des Schalen wildes das Äugen in der Dämmerung. Lediglich beim Schwarzwild kommt diese nicht vor.
Schon lange wird den Schwarzkitteln der Geruchsinn als wichtigster vor dem Gehör
attestiert. Landläufig unterstellt man den Sauen einen schlechten Sehsinn. Zwar sind
laut Wissenschaft Riechen und Hören dominant, aber die vermutete Kurzsichtigkeit
ist nicht vorhanden. Die Schwarzkittel sehen besser als gedacht. Grund hierfür ist das
Sichtfeld der Wildschweine. Anders als bei anderen Schalenwildarten überlappt es bei
ihnen. Dadurch können sie schärfer sehen. Dies erklärt auch das schnelle und sichere
Fluchtverhalten über Hindernisse in mittlerer Entfernung. Die früher vorhandene Tagaktivität und die sehr guten Erfolgschancen der Pirsch bei Nacht auf die Schwarzkittel
verifizieren diese Erkenntnisse.

Je mehr die Gesichtsfelder überlappen, desto schärfer kann Wild sehen (zweiäugiges Gesichtsfeld). Links: Bei Raubtieren, wie hier beim Luchs, ist das Gesichtsfeld auf räumliches und Tag- und Nachtsehen ausgerichtet. Mitte: Beutetiere (Beispiel Rehwild) haben einen relativ guten Rundblick, der aber mit weniger Sehschärfe einhergeht. Scharfsichtige Punkte (hohe Rezeptorendichte) finden sich auf und an den Rändern der Netzhaut. Rechts: Beim Schwarzwild überlappt das Gesichtsfeld. Die Sauen sehen also schärfer, als bisher angenommen.

Für den passionierten Pirschjäger stellt sich nun die Frage, wie er sich adäquat tarnen kann, um möglichst erfolgreich ans Wild zu gelangen. Neben den angeführten Sehfähigkeiten der verschiedenen Wildarten ist zu beachten, dass Hirsch- und Ziegenartige besonders im Augenzentrum und im Randbereich der Netzhaut sehr scharfsichtig sind (hohe Rezeptorendichte). Muffel- und Gamswild können Fremdkörper dank ihrer  querovalen Pupille bereits auf einen Kilometer am Horizont eräugen. Zu der Frage der Tarnung muss sich der Jäger entsprechend auch die Frage stellen: „Wie nähere ich mich dem Wild?“ Das weiß auch Markus Groß, begeisterter Pirschjäger und Vorstandsmitglied der Auslandsbogen jäger. „Das klassische Jägergrün ist passé. Wir brauchen Muster, die unseren gesamten Körperblock auflösen. Diese, gepaart mit lansamen Bewegungsabläufen,
bringen den Erfolg“, äußerte er im Gespräch mit WILD UND HUND. Aus dieser Anforderung heraus werden immer mehr Tarnmuster entwickelt, die den wissenschaftlichen Erkenntnissen gerecht werden sollen. Die am weitesten verbreiteten Muster sind
die, die auf zwei Bildebenen basieren. Meist wird hier als Untergrund ein Braun- oder Grauton gewählt. Dieser ist großflächig und bei den sogenannten Realtree-Camouflage-Mustern

(Mimicry Camouflage) mit originalgetreuen Ast-, Blatt- und Baumstrukturen überlagert.
Die groben Hintergrundelemente gepaart mit den Strukturen lösen den Jäger vor der ihn umgebenden Vegetation für die Lichter des Wildes auf. Maßgeblich entscheidend ist nicht das Muster (welche Baum- oder Gräserart), sondern das Verschmelzen des Jägers mit der Landschaft. Auch klassische Firmen, wie Beretta („GoreTex Optifade“), Chevalier („Optifade
Action“), Härkila („Stealth“) oder Swedteam („GoreTex Optifade“), setzen vermehrt auf neue Tarnstrukturen. Dabei handelt es sich bei dem sogenannten „Optifade“ um ein auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Sichtweise des Schalenwildes angepasstes Muster. Entgegen dem Mimikry-Effekt bildet man hier digital wirkende Verbindungen aus
Mikro- und Makromustern. Der Mikroanteil nutzt hierbei die Art, wie Wild Farben,
Räume und Gegenstände wahrnimmt. Effekt: Der Jäger verschwimmt mit den ihn umgebenden Flächen. Beim Makroanteil soll die Symmetrie des menschlichen Körpers aufgelöst werden, sodass ein Identifizieren des „Feindes“ trotz Erkennens unmöglich ist. Das findet bei Pirsch- und Bogenjägern großen Anklang. Das „Asat“-Tarnmuster. Dort schlängeln sich beispielsweise schwarze Strichmuster auf sandfarbenem Grund.
„Auf den ersten Blick wirken beide Muster ungewohnt, der Erfolg gibt ihnen jedoch
recht“, weiß Jäger Markus Groß. Auch dreidimensionaler Flattertarn (Blattmuster) kann funktionieren und den Pirschenden mit der Umgebung eins werden lassen.

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