Einmal im Jahr versammeln sich in der Rhön Brackenjäger aus der gesamten Republik. Dann klingt vielfaches Hundegeläut im Berg, der seinen Namen zu Recht trägt.
Von Heiko Hornung.
Es ist still. Sonnenlicht bricht durch die Kronen der Buchen, Kiefern und Fichten. Strahlen stehen auf dem Boden, als fielen sie durch große Domfenster. In die frostklare Luft piepst nur ein Wintergoldhähnchen, schimpft ein Blaumeischen auf einen Hund, der am Fuß eines Drückjagdbockes in seinem Jagdzeug sitzt und zitternd darauf wartet, dass dieser Feiertag beginnt. Heute ist Schweinbergjagd. Ein Termin, den viele Brackenjäger schon zu Beginn des Jagdjahres in ihren Kalender schreiben.
Meistens findet er am zweiten Januarwochenende statt. Die Chancen, an viele Sauen zu kommen, stehen dann am besten. In den Hochlagen der Rhön ist es entweder bestialisch kalt oder der Schnee drückt die Sauen an diesen 450 Hektar großen Berg. Wer das kleine Mittelgebirge im Herzen Deutschlands kennt, weiß, dass es hier oben immer eine Jacke braucht. Auch die Sauen lieben es nicht, wenn der kalte Ost- oder Westwind ihnen in die Schwarte bläst, und schieben sich in warme, sonnige und geschützte Hänge der tieferen Lagen. Diese Wohnstuben hat der Schweinberg zur Genüge. Noch vor 100 Jahren standen für die Rhön fast untypisch auf dem Bergrücken nahezu ausschließlich Kiefern. In ihrem lückigen Bestand mit üppiger Krautvegetation und Heidelbeeren lebte noch bis ins vergangene Jahrhundert das letzte Auerwild der Region.
Eine Kopov-Bracke mit Schutzweste am Keiler.Foto: Gerd Dreyer |
Nur einige Kilometer entfernt, in der Kernzone des Biosphärenreservates, kämpfen derzeit die Birkhühner ums Überleben. Der Staat und die Jägerschaft mühen sich, den kleinen schwarzen Ritter als Wappenvogel im Land der offenen Fernen zu halten. Ein Berufsjäger stellt unter anderem intensiv dem Raubwild nach. Es wundert dann schon, wenn der Bayerische Staatsforst auf seinen Jagden keine Füchse mehr freigibt, denkt der Schütze, dem noch vor Beginn des Treibens heimlich der Rote zusteht.
Der Schlaumeier hat bemerkt, dass heute zu viel Bewegung auf dem Berg herrscht. Rund vier Wochen lang war es herrlich ruhig. Kein Einschlag, keine Maschine, gelegentlich nur ein Fußgänger. Für Revierförster Josef Rieken ist das Teil des Plans. Nur einmal wird der Schweinberg im Jahr bejagt, dann aber intensiv. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass viele kleine Jagden zusammen aufwendiger, aber nicht ertragreicher sind. So konzentriert sich alles auf den einen Tag. Die Stände sind über Jahre angelegt, immer wieder ergänzt, verschoben und repariert worden. 78 Böcke stehen zur Verfügung. Fast so viele Schützen werden dann auch im Revier verteilt, jeder zweite hat einen solo jagenden, spurlauten Hund dabei, der vom Stand aus geschnallt wird. Dabei sind Beagel, Deutsche Bracken, Brandlbracken, Steirische Rauhhaarbracken und Montenegrinische Gebirgslaufhunde. Einige junge Hunde geben unter den Augen erfahrener Führer heute ihr Debüt. Jedem Jäger geht an diesem Morgen das Herz auf, wenn das Geläut der jagenden Hunde zum vereinbarten Zeitpunkt anhebt und 35 verschiedene Stimmen jubelnd ankünden, dass ihre feinen Nasen Wild verfolgen.
Flurkarte vom Schweinberg mit Standmarkierungen. In dem Waldgebiet stehen 78 Drückjagdböcke. Einmal im Jahr werden die 450 Hektar mit Hunden bejagt.Foto: Willi Rolfes |
Seit 1995 findet diese Jagdart hier statt, sammeln sich am Morgen Brackenjäger am Schweinberghaus – einem kleinen Fachwerkbau aus dem 19. Jahrhundert, der einst für die berittenen Förster als Unterkunft diente. Jagdleiter Rieken ist selbst Brackenführer. Seit 1988 hat er einen schwarz-roten Hund an der Seite. Noch lange bevor er daran dachte, selbst einmal den Deutschen Brackenverein anzuführen, feilte er mit dessen damaligen Vorsitzenden, Georg Henning, an dem Jagdkonzept.
Zuvor in den 1980er-Jahren war es der weiße Leithund, der die Jagden am Schweinberg führte. Kreiser gingen nach einer Neuen den großen Rundweg um den Höhenzug ab. Danach wurde eilig eine Schützentruppe, der sogenannte „Schweinberg-Express“, zusammengerufen. Die alten Rhön-Jäger, die heute auch noch dabei sind, berichten, dass bei diesen Aktionen eine bis zehn Schwarzkittel erlegt wurden. Ab fünf Stück gab es einen Grund für ein mehrstündiges Gelage. Denn Sauen waren lange nicht die Hauptwildart, auch wenn das der Name des Waldgebietes vielleicht vermuten lässt. Noch bis in die 1970er-Jahre wurden in den angrenzenden Tälern, die lange von der Flurbereinigung verschont blieben, Hunderte von Hasen geschossen. Mit der Wende und dem Wegfall des Stacheldrahtzaunes, der das Gesicht der Rhön wie eine hässlich Narbe entstellte, kamen die Schwarzkittel.
Am Anfang waren es noch Treiber und Terrier, die das Wild auf die Läufe brachten. Doch oft gingen die Vierläufer gesammelt mit dem ersten Wild aus dem Jagen und konnten so in der üppigen Buchenverjüngung nicht mehr helfen. Seit 30 Jahren baut der Förster die einstigen, fast reinen Kiefernbestände zum Laubmischwald um. Der Hauptbestand war nach dem Krieg durch Reparationshiebe
gefallen. Der Waldumbau, der mit nur wenig Zaun erfolgte, erforderte laut Rieken eine verstärkte Jagd auf das Rehwild.
gefallen. Der Waldumbau, der mit nur wenig Zaun erfolgte, erforderte laut Rieken eine verstärkte Jagd auf das Rehwild.
Rekordstrecke – im Januar 2013 lagen am Schweinberghaus über 90 Sauen.Foto: Solveig Beuschel |
Den Laubwald am Anfang hochzubringen, sei nicht einfach gewesen, so der Forstmann. Den umliegenden Pächtern gefällt dieser starke Druck auf den Rehbestand nicht, was schon zu Auseinandersetzungen mit der Unteren Jagdbehörde geführt hat. Doch Rieken, der ein ruhiges nordisches Gemüt hat, ist nicht die Figur, an der sich lange Streit entzündet.
Heute werden die Nachbarn verständigt, wenn die Schweinbergjagd läuft, und der Förster hofft, dass die Grenzen mit abgesetzt werden, damit auch dort Sauen fallen, die versuchen, das Einstandsgebiet zu verlassen. Nicht selten wundern sich die Anrainer über den Erfolg der Schweinbergjagd. In den vergangenen Jahren gab es öfter Strecken zwischen 60 und 80 Stück Schalenwild.
Jagdleiter und Brackenmann Josef RiekenFotos: Heiko Hornung |
Doch das Erfolgsrezept ist für Förster Rieken einfach: „Eine erfolgreiche Jagd kann es nicht geben, wenn ich den Bestand alle 14 Tage mit 50 bis 60 Mann beunruhige“, sagt er und kaut auf seiner Pfeife. Ruhe tut jedem Wild gut. Auch Rotwild steht am Schweinberg. Der Forstmann gibt zu, dass sein Bestand in den vergangenen Jahren stark zur Ader gelassen wurde. Heute ist keines frei – der Abschuss wurde bereits auf der Einzeljagd erfüllt.
Die Bracke am Fuß des Drückjagdbockes ist inzwischen unterwegs und stöbert. Ihr Führer und Schütze lauscht aufmerksam ihrem und dem Laut der jagenden Gefährten. Zahlreiche Schüsse sind schon gefallen. Waren es 20 oder 30? Rauschen im gefrorenen Laub lässt ihn von seiner Sitzbank und seinen Puls in die Höhe schnellen. Rund 20 Schwarzkittel halten direkt den Wechsel, auf dem auch schon Reineke vor einer Stunde zustand. In einer Fichten-Buchenverjüngung sammelt sich die Rotte. Die ersten Starken passieren Lücken, dann peitscht der Schuss. Die Rotte beschleunigt, noch ein zweites und ein drittes Mal rollt das Echo den Hang hinunter. Zwei Sauen folgen der Rotte nicht mehr.
Das Schuss-Treffer-Verhältnis zeichnet der Jagdleiter penibel auf. „Als wir mit der Jagd anfingen, war es noch ein Verhältnis von eins zu vier. Bei den jüngeren Jagden war das Verhältnis bei rund eins zu zwei. Man spürt, dass die Brackenführer immer besser werden. Viele von den Eingeladenen machen im Jahr zig Drückjagden mit, stehen regelmäßig im Schießkino. Auch das ist einer der Erfolgsgaranten“, sagt der Forstmann. Nach einer Stunde Jagd lässt das Geläut der Hunde nach, doch immer wieder fallen bis zum Ende des Treibens einzelne Schüsse.
Ende eines Jagdtages – nach gutem Futter auf der warmen Decke in der Wirtsstube.Foto: Solveig Beuschel |
Am Schweinberghaus, dem zentralen Treffpunkt, ist die Stimmung gut. Sehr viele Sauen seien im Treiben gewesen. Und was anfänglich noch eine Vermutung war, wird zur Gewissheit. 90 Sauen liegen am späten Nachmittag auf dem Hof. Viele Hundeführer hören am Berg das muntere „Sau tot“ der Hörner. Noch während das Wild geliefert wurde, schwärmten sie zu Kontroll- und Nachsuchen aus. Jeder Schütze erhält schnell einen Hundemann zur Seite gestellt, der mit zum Anschuss fährt. Spätestens zum Schüsseltreiben in Burgwallbach, um das sich legendäre Geschichten ranken, sind alle wieder beieinander. Die Nachsuchen des nächsten Tages werden besprochen, Jagderlebnisse ausgetauscht. Es gibt fränkisches Schäufele und Kraut, frisches Bier und viel Gesang bis tief in die Nacht.