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Oktoberfest

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NORDISCHE BOCKJAGD

NORDISCHE BOCKJAGD

Ganz Dänemark jagt Böcke vom 16. Mai bis zum 15. Juli und vom 1. Oktober bis Ende Dezember. Ganz Dänemark? Auf einer kleinen Insel herrschen völlig andere Regeln.

Troels Romby Larsen

Noch schläft die Insel Endelave. Eigentlich nicht das gesamte Eiland, denn jeder, der einen Jagdschein hat, ist auf den Läufen. Auf 13,2 Quadratkilometern herrscht der jagdliche Ausnahmezustand. Auch den Mittdreißiger Claus hat nichts in den Federn gehalten. Leise pirscht er dem neuen Tag entgegen. Langsam bewegt er sich vorwärts. Immer wieder gleitet das Glas an die Augen, und der schlanke Däne leuchtet die Wiesen ab. Bei besserem Licht nähert er sich einem kleinen Hof mit Garten. An einem Zaunpfahl hängt wieder einer der „Steck briefe“, wie er sie scherzhaft nennt. Das alles auf Jagd eingestellt ist, merkt man auch an diesen Zetteln, die man in der ersten Oktoberwoche auf der ganzen Insel findet. Neben dem Bild eines stattlichen Rehbocks finden sich dort die Sonnenauf- und -untergangszeiten. Die „Insel-Waidmänner“ wollen umfassend informiert sein. Plötzlich springt eine Ricke über die Hecke des Grundstücks, das der Jäger gerade passieren will. Ungläubig starren sich beide an. Mit einem knappen „Böh“ quittiert das Reh die ungewohnte Störung und ist mit einem Satz im Garten des Gehöfts verschwunden. Claus lächelt: „Die sind hier keine Eindringlinge gewohnt. So früh erwarten sie das ganze Jahr über niemanden in ihrem Revier.“ Als hätte das Stück diese Aussage mitbekommen, springt es kurz nach der Ausführung des Jägers wieder zurück über die Hecke. 30 Meter vor ihm nässt die Ricke und würdigt ihn keine weitere Sekunde. Der Däne grinst.

Flüchtige Rehe sind auf der Insel die Ausnahme. Da sie übers Jahr Ruhe haben, ist der Stress der einen Jagdwoche nicht so hoch, dass die Stücke heimlich würden.
Was nach Steckbrief aussieht, sind die Sonnenzeiten der „Erntewoche“.

Der Tag hat nun die Insel zurückerobert. Um Klaus herum sind einige Schüsse gefallen. Bei ihm will sich bisher noch kein Waidmannsheil einstellen. Bei einer Pause am Inselrand mit Blick auf das offene
Meer, gerät er ins Erzählen. „Während die anderen Dänen ihre Böcke bereits im Mai jagen dürfen, haben wir eine andere Regelung gefunden. Mit Sondergenehmigung schießen wir unser männliches Rehwild nur in der Zeit vom ersten bis zum siebten Oktober. Für die weiblichen Stücke und Kitze gibt es sogar nur einen Tag, den achten Oktober. Dann herrscht wieder Ruhe.“ Wieder ist ein Schuss zu hören. „Das war wahrscheinlich Knut. Ich denke, er hat den abnormen Gabler gekriegt. Auf dieser Insel kennt nicht nur jeder jeden, sondern auch jeder jedes Reh“, fügt er lachend hinzu. Die Pirschpause ist zu Ende, und die Jagd geht weiter. Auf den teils winzigen Grundstücken ist es eine Besonderheit, dass überhaupt jemand pirscht. „Die meisten Waidmänner

der Insel haben Hochsitze aufgestellt. Das ist zwar keine Pflicht, wird aber aus Sicherheitsgründen so gehandhabt.“ Zwar ist jeder Jäger auf Endelave nur auf seinem Stück Land, ob gepachtet oder Eigentum, zur Jagd berechtigt. Das heißt aber auch, dass es durchaus sein kann, dass der Nachbar nur ein paar hundert Meter entfernt jagt. Manche Flächen sind kaum größer als zwei bis drei Fußballfelder.

Aus einer Hecke wird ein Bock aufgeschreckt und springt in leichter Flucht über die Wiese. Der Gehörnte ist stark im Wildbret und hat einen wuchtigen Träger. In den sonst so ruhigen Claus kommt plötzlich hektische Schnelligkeit. Ein lauter Pfiff holt den Bock aus seiner Flucht. Er verhofft kurz – lang genug. Die 6,5 x 55 reißt ihn von den Läufen. Der Schütze strahlt.

„Das war auch kein Unbekannter“, sagt er, als er den Bock betrachtet. „Der Kämpe ist immer zwischen meiner Jagdparzelle und der meines Nachbarn gependelt. Der wird Augen machen! Wir haben schon Wetten abgeschlossen, wer von uns ihn strecken wird.“ Er streicht über die dicken, geperlten Stangen des Sechsers. Es ist auffällig, dass hier auf Endelave die Böcke überdurchschnittliche Gehörne ausbilden. Sehr oft weitaus stärker, als im Rest Dänemarks.

Zahnkunde: Auf der Insel sind die meisten Böcke „alte“ Bekannte.
Einen braven, knuffigen Sechser durfte Claus an diesem Jagdmorgen erlegen.

Seit in den 1960er-Jahren Rehwild auf der kleinen Insel eingeführt wurde, hat es sich massiv vermehrt. In den ersten Jahren wurde es überhaupt nicht bejagt. Dann wurde klar, dass es reguliert werden muss. Außer ein paar Füchsen gibt es hier nämlich keine natürlichen Feinde. Die Regelung, nur eine Woche auf die Cerviden Jagd zu machen, wurde recht schnell beschlossen. Eine hohe Anzahl an Jägern auf einer relativ kleinen Fläche schrie danach. Gab es in der Anfangszeit noch leichte Querelen, da ein Nachbar dem anderen sein Waidmannsheil nicht gönnte, so erkannten die Jäger schnell, dass die neuen Regeln praktikabel und gerecht waren und auch dem Wild zunutze kamen.

Probleme mit verschwundenen Trophäenträgern kennt man auf der Insel nicht, und auch der Eindruck von Jagdneid wird nicht erweckt. Zu eingeschworen ist die Jägertruppe. „Das würde nicht passen“, erläutert Claus. „Wir haben auf Endelave 177 Einwohner, von denen mehr als 30 an der Jagd beteiligt sind. Das geht nur, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht.“

Da lacht nicht nur die Sonne. Die Strecke des ersten Jagdtages kann sich sehen lassen.
Streckenbild aus dem Hubschrauber. Kleine Insel – große Mannschaft.

Diesen Zusammenhalt kann man bereits am Vorabend der Jagdwoche merklich spüren. In der Ortskneipe versammelt sich alles, was auch nur im Geringsten Sinn für die Jagd hat. Einige, die schon lange auf‘s Festland gezogen sind, haben sich auch, wie in jedem Jahr, eingefunden, um ihr Glück auf ihrem Grund und Boden zu versuchen. Sicher wäre es möglich, Jägern von außerhalb die Möglichkeit zu bieten, auf dem Land von einem der Inselbewohner zu jagen. Dafür sind die meisten Endelaver jedoch zu passioniert und mittlerweile auch zu stolz auf ihre seltene Tradition. Nach dem ersten erfolgreichen Jagdtag treffen sich die Waidmänner vor dem Hof eines Mitjägers. Die Trophäen werden geschätzt, bestaunt und die Jagderlebnisse ausgetauscht. Einer der Männer, Erik Petersen, fragt spontan, ob ich mir das Ganze noch aus der Luft anschauen möchte. Was für eine Frage. Nach kurzer Zeit sitzen wir im Helikopter. Die ohnehin schon kleine Insel wird noch winziger. Unten zeigen sich hier und da noch Rehe, die in der Ruhe nach dem ersten Sturm friedlich auf den Wiesen äsen. Nach einer schneidigen Kurve geht der Hubschrauber runter. Genau da, wo die Endelaver Jäger Strecke gelegt haben. Sie winken und prosten uns zu. Es ist klar, sie genießen die Eröffnung ihres Oktoberfests.

Bei den kurzen Wegen reicht zum Transport der Beute der Roller.

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