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Schilfsauen – DRÜCKJAGD AM PEENESTROM

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DRÜCKJAGD AM PEENESTROM
Meterhohes Reet, pfeilschnelle Sauen, Flinten laufgeschosse – wenn vorpommersche Jäger Waffe und Freischneider schultern, geht es auf Schwarzkittel im Rohr.
Markus Deutsch

Motorsensen zerreißen mit ihrem Gejaule die bis dahin friedliche Stille der Großen Heide an diesem frostig-klaren Morgen. Entlang des Peenestroms dringt aus verschiedenen Ecken des goldbraunen Schilfgürtels das regelmäßige an- und abschwellende Brummen. Die nächste Siedlung in der zu den dünn besiedeltsten Gegenden Vorpommerns zählenden
Ecke liegt etwas entfernt. Deshalb dürften sich lediglich die „Untermieter“ im Reet durch die ungewohnte, hektische Betriebsamkeit gestört fühlen: Sauen. Ihnen gilt auch der heutige Arbeitseifer der vorpommerschen Jägerschar mit den dröhnenden Schneidgeräten.
Um den Schwarzkitteln in ihrem bis dahin blickdichten und sicheren Einstand effektiv nachzustellen, haben sich die Jäger um René Würfel etwas Besonderes einfallen lassen. Mit Freischneidern legen sie im Rohr Schneisen von vier bis fünf Metern Breite an. Diese bieten den teilnehmenden Waidmännern Schussfeld, wenn auch kein besonders großes.

Denn die schwarzbraunen Bewohner scheinen teilweise schon aus den Vorjahren zu wissen, dass das Überqueren der im nächsten Frühjahr wieder zuwachsenden Mähflächen Gefahren birgt. „Oft verhoffen die anwechselnden Stücke direkt vor der Schneise, um dann, wenn die Hunde oder Treiber direkt dran sind, blitzschnell über die Freifläche zu wechseln“, erklärt Jagdleiter Würfel den 32 Jagdteilnehmern die Herausforderung an die Schneisenschützen.
„Deshalb ist zügiges Ansprechen und schnelles, aber sicheres Schießen vonnöten.“ Mittlerweile sind auch die Mäher am Sammelplatz angekommen. Einer von ihnen ist Jan Rebe. Der 38-Jährige unterstützt Würfel von Zeit zu Zeit, wenn dieser als Jagdaufseher größere Jagden für das Unternehmen „Jagen am Peenestrom“ veranstaltet. Heute wird Rebe als Treiberschütze mit durchgehen. „Jede Menge Wechsel im Rohr“, berichtet er vom morgendlichen schweißtreibenden Mähen.

„Vielleicht haben wir Glück, und die Schwarzkittel stecken heute im Reet.“ Dass die Vorpommern die Schneisen erst am Morgen des Drückjagdtages mähen, ohne die Stände vorher zu besetzen, mag verwunderlich klingen. Die Erfahrung der Vorjahre hat sie jedoch gelehrt, dass die Sauen das Knattern der Freischneider und die Wittrung der Jäger aushalten. Sie verdrücken sich dann in die unberührten Areale des Schilfmeeres und warten ab, was passiert. „Wenn wir aber ein oder zwei Tage vorher mähen, wechselt
das Schwarzwild über Nacht aus, und wir gehen leer aus“, weiß Jagdleiter Würfel von früheren Rohrjagden zu berichten. Nachdem die Freigabe gemacht wurde und letzte Fragen geklärt sind, teilt sich die Jagdgesellschaft in drei orange-grüne Karawanenstränge:
Der eine, bestehend aus den Treibern, nimmt am Rand des Reetfeldes Aufstellung. Die anderen beiden schlängeln sich entlang der Drückjagdbockreihe rund um das 40 Hektar große Schilfgebiet, das heute durchgedrückt wird. René Würfel bezieht seinen Stand
am Ende des Treibens, vor sich zwei v-förmig angelegte Schneisen. Hinter ihm erstreckt sich eine gemulchte Wiese. So hat er die Möglichkeit, aus dem Nachbarrevier anwechselnde Sauen frühzeitig zu sehen und gegebenenfalls zu schießen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn im angrenzenden Revier wird heute auch gejagt. Auf der anderen Seite des Treibens hat Würfels Jagdkamerad Dirk Appelhagen mit Blick auf den Peenestrom Posten bezogen. Nachdem er seine Rotte angestellt hat, stopft er die Flinte mit Flintenlaufgeschossen und richtet sich an seiner Schneise ein. Die vorpommerschen Jäger führen an diesem Tag fast alle Flinten, während die Jagdgäste meist mit Repetierern angerückt sind. „Bei den Flintenlaufgeschossen haben wir keine Splitterwirkung, falls doch mal Halme im Weg sind“, erläutert Würfel die Waffenwahl, während er seine Bockflinte
lädt. „Und die Wirkung auf die geringe Distanz ist durchschlagend.“ Die flach stehende Wintersonne taucht das wogende Schilf in angenehm warmes Licht. Mit einem motivierten „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ setzt sich die Treiberwehr in Bewegung und wird sogleich vom Reet verschluckt. Es dauert nicht lang, und schon dringt das erste „Jiff-Jiff“ der eingesetzten Hunde bis zum Stand von René Würfel. Noch spielt sich das Ganze am anderen Ende des Treibens ab. Die dort postierten Schützen packen ihre Waffen fester, schauen angestrengt in die Halmwogen. Jetzt ist das Geläut in immer kürzeren Abständen
und aus verschiedenen Ecken zu hören. Aber immer wieder verstummt es für kurze Zeit, wenn die Hunde im dichten Reet den Anschluss verlieren. Der Jagdleiter schaut in Richtung der unsichtbar anrückenden Treiberwehr. „An diesem Stand habe ich schon mal fünf
Sauen hintereinander gestreckt“, flüstert der 36-Jährige, als mit einem Mal ein leises
Rascheln seine Aufmerksamkeit erregt. Angestrengt lauscht er in die Richtung, aus der das verdächtige Geräusch kam. Nichts. Nur Treiber und Hunde sind zu hören. Plötzlich erneutes Knistern, diesmal ein ganzes Ende näher. Würfel steht vom Sitzbrett auf, macht sich bereit. Alle Sinne sind gespannt. Mit kaum merklicher Kopfbewegung mustert er den Schneisenrand.

Da! Einige Halme zittern. Auf ein kurzes Knacken folgt leises Rauschen. Das Stück muss unmittelbar an der Kante sein. Da bricht ein Schuss. Auf der anderen Seite des Treibens hat ihn Ansteller Dirk Appelhagen in unmittelbarer Nähe auch gehört. Mit Blick auf den Peenestrom gerichtet, nimmt er seine Flinte hoch. Von links nähert sich der Laut eines Terriers. Unmittelbar am Ufer tut sich etwas. Durch die Reethalme sieht Appelhagen ein Stück Schwarte. Ansprechen kann er allerdings noch nicht. Jetzt steuert ein mutiger Terrier auf die Sau zu. Kurzes Rascheln, und mit einem riesigen Satz saust der Schwarzkittel auf die Schneise. Ein Überläufer! Blitzschnell zieht der erfahrene Vorpommer die Flinte in die Schulter. Schuss! Die Schneise ist leer. Es dauert keine fünf Sekunden, und der Terrier stürmt jiffend über die Freifläche. Er ist kaum auf der anderen Schneisenseite verschwunden, als der Laut verstummt. Rascheln und kurze Knurrer lassen den Schützen ahnen, dass das Stück liegt. Der bald zurücktrottende vierläufige Jagdhelfer bestärkt die Annahme noch. Appelhagen lädt nach. Nachdem das letzte Rascheln an der Rohrkante zu hören war, sind vielleicht fünf Minuten vergangen. Jagdleiter Würfel kommen sie vor wie Stunden. Die Treiber sind etwas weiter vorgerückt. Hunde hat Würfel in unmittelbarer Nähe nicht gehört. Langsam lässt er die Flinte sinken. Hat sich das Stück klammheimlich verdrückt? War es doch nur eine Bö, die die Reethalme zittern ließ? Ein kurzes „Jiff“ reißt den 36-jährigen aus seinen Gedanken. Rund dreißig Meter entfernt meldet sich aufgeregt einer der Hunde. In immer kürzeren Abständen tut er seine Freude über eine frische Fährte
kund. Das Bellen des Vierläufers kommt direkt auf Würfels Stand zu. Sofort durchfährt
es den Jagdleiter. Gebannt visiert er den Schilfrand an. Der Hund arbeitet sich vor. Urplötzlich kommt Bewegung in die Reetkante. Ein Knacken, Halme wedeln, für den Bruchteil einer Sekunde ist ein dunkler Schatten zu erkennen. Würfel backt an. Ein Rascheln. Das Geräusch wird leiser. Bellend entfernt sich auch der Vierläufer. „Mist! Das Stück hat Lunte gerochen“, entfährt es dem Jagdleiter. „Aber noch ist nicht aller Tage Abend.“ Die Treiberwehr rückt näher. Mittlerweile sind schon mehrere Schüsse gefallen.
Eine Bewegung im Augenwinkel lässt Würfel herumfahren: Über die gemulchte Wiese wechselt eine Bache unbeschossen ins Schilf. Freigegeben sind heute lediglich Frischlinge, Überläufer und Keiler. Plötzlich ist großer Tumult aus Richtung der Treiber zu hören. Wieder knistert etwas auf Würfels Stand zu, entfernt sich aber wie beim ersten Mal. Bis zum Ende der Jagd tut sich bei ihm nichts mehr. Am Sammelplatz angekommen sind bereits einige Waidmänner beim Streckelegen. Nach und nach trudeln die übrigen Jagdteilnehmer ein. Nun klärt sich auch die Unruhe in der Treiberwehr auf: Ein mittelalter Rothirsch hatte einen Treiber fast umgerannt. Reflexartig hatte dieser seinen Treiberstock hochgenommen.
Der verfing sich im Geweih des Hirsches und fiel erst nach einigen Metern herunter. Als alle versammelt sind, liegen sieben Sauen, vier Rehe und ein Fuchs auf der Strecke. „Nicht gerade üppig, aber immerhin“, kommentiert René Würfel die Ausbeute des Tages. „Aber das macht es spannend. Man weiß nie, was im Schilfmeer steckt.“


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