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Weder Neubürger noch Verfälscher

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HERKUNFT UND ABSTAMMUNG DES MUFFELWILDES

Ein stets sehr widersprüchlich und oft ideologisiert diskutiertes Thema ist die Einordnung des Muffelwildes in Deutschland. Doch das Bundesjagdgesetz schreibt es als heimische Wildart fest. Damit ist der rechtliche Status eigentlich schon dargestellt. Wie aber erfolgte die Besiedelung Mitteleuropas mit Mufflons, und wo kommen sie her?

Dr. Holger Piegert

Der Ursprung der Wildschafe liegt in Zentralasien, wo sie bereits vor 15 Millionen Jahren auftraten. Hier leben auch heute noch die größten Wildschafe, die Argalis. Von dort aus breiteten sie sich west- und ostwärts aus, eroberten den gesamten holarktischen Raum und besiedelten vor etwa zwei Millionen Jahren ein Gebiet, das sich von China bis Südfrankreich erstreckte (VILLE-NEUVE 1927).

Klimaveränderungen führten dann zum Aussterben der großen Wildschafe in Europa. Eine Neubesiedelung dieses Raumes mit nunmehr mufflonartigen Wildschafen erfolgte im mittleren Pleistozän, vor rund 500 000 Jahren. Nur wenige paläontologische Funde belegen ihre Verbreitung, die vor allem aus Mähren, Ungarn und Südfrankreich stammen (POPLIN u. VIGNE 1983). Bereits im Jungpleistozän scheinen die Wildschafe aber wieder ausgestorben zu sein. Die westlichsten Vorkommen lagen nunmehr im vorderasiatischen Raum zwischen Kaspischem Meer, Persischem Golf und dem Mittelmeer. Dort kommen heute noch die nächsten Verwandten unseres Muffelwildes vor – der Anatolische-, der Isfahan- und der Laristan-Mufflon. Angenommen wird, dass die Ursprungsform des Europäischen Mufflons in bewaldeten Gebieten an der Levanteküste (östlicher Mittelmeerraum) lebte und bereits in vorhistorischer Zeit ausgerottet wurde (BRIEDERMANN 1993). Die Mufflons der Inseln Korsika und Sardinien sind also keine endemische Art, sondern durch den Menschen vor etwa 10 000 Jahren dorthin gebracht worden. Dazu gibt es drei Hypothesen: Die Jungsteinzeitmenschen begannen, Keramik herzustellen und Vieh zu halten. Aus dem Land des fruchtbaren Halbmondes brachen die Menschen auf, das Mittelmeer in Richtung Westen zu erobern.

Auf steinzeitlichen Schilfbooten erreichten sie auch die heutigen Inseln Korsika und Sardinien, die damals noch eine Landverbindung aufwiesen. Auf den Booten führten sie Schafe mit, die ihnen als Nahrung dienten, aber auch zu Kultzwecken an Bord waren. Der Schafkult spielte im Mittelmeerraum eine bedeutende Rolle. Eine andere Möglichkeit der Besiedelung der Inseln mit Schafen könnte auch über die westwärts gerichtete Ausbreitung der Steinzeitmenschen entlang der nördlichen Mittelmeerküste erfolgt sein (MASSETI 1997).
TOMICZEK (1993 und 1995) hingegen nimmt an, dass die Besiedelung der Inseln mit Mufflons über Nordafrika erfolgte. Von hier aus ist es über das Mittelmeer bis zur Insel Korsika nicht weit. Er stützt seine These auf die in der Sahara gefundenen Felsgravuren. Ein „Muffelfries“ im Fezzangebirge (Libyen) aus der Rundkopfperiode (Jungsteinzeit) stützt seine These. MASSETI weist diese jedoch zurück, da nach seiner Ansicht Schafe zu dieser Zeit maximal Ägypten erreicht hatten. Unabhängig davon, wie die Mufflons die Inseln erreicht hatten, bleibt die Frage offen, ob es sich um verwilderte, primitive Hausschafe handelte, die die Menschen vor allem zu Nahrungszwecken mitgeführt hatten, oder ob es sich noch um Wildschafe handelte, die Kultzwecken dienten. Die mitgebrachten Tiere verwilderten auf den Inseln und behaupteten sich auf Grund des Fehlens großer Landraubtiere dort auch. Sie besiedelten vor allem die montanen bis subalpinen Regionen der Inseln. Seit nunmehr 10 000 Jahren leben die Mufflons in freier Wildbahn, und die Befürchtung, dass sich an den Tieren Domestikationserscheinungen nachweisen lassen, wurde durch BRIEDERMANN (1993) ausgeschlossen. Selbst wenn zu dieser Zeit erste Domestikationserscheinungen bei den Tieren vorhanden waren, haben sich diese zurückgebildet. Auch LUDWIG & BENECKE (2003), die zwar eine genetische Distanz zu den asiatischen Wildschafformen nachweisen, fassen den Mufflon als Wildtierart auf. Von den thyrrenischen Inseln wurde der Mufflon über fast ganz Europa verbreitet. Die Besiedlungsgeschichte reicht bis in das 16. Jahrhundert zurück. Erste Einbürgerungen in die freie Wildbahn datieren jedoch erst aus dem 18. und 19. Jahrhundert. In Deutschland begann die Verbreitung im Jahre 1902 im Eulengebirge (Schlesien), 1903 in der Göhrde und 1906 im Ostharz. Viele weitere Auswilderungen sollten folgen. Heute gibt es in Deutschland mehr als 20 000 Mufflons in etwa 200 isoliert voneinander lebenden Populationen.

Alle heute lebenden Schafe lassen sich fruchtbar miteinander kreuzen, was zu einem Meinungsstreit bei der Einteilung in Arten, Unterarten etc. führt. Da aber auch während der Mufflonhaltungen in Tiergärten bereits im 19. Jahrhundert in Hernstein, Niederösterreich, solche Kreuzungen vorgenommen wurden, wird mitunter verbreitet, dass unsere Mufflons verwilderte Hausschafherden seien. Dem kann energisch widersprochen werden. Die Blendlinge von Hernstein sind zwar nach Zinkau in Böhmen gekommen, wo jedoch eine zielgerichtete Verdrängungszucht betrieben wurde, so dass die Hausschafmerkmale schnell eliminiert wurden. Das in Deutschland eingebürgerte Muffelwild geht nicht auf die Zinkauer Linie zurück, sondern lässt sich recht eindeutig den mediterranen Inselpopulationen zuordnen. Ich habe mich selbst ausgiebig mit der Kreuzung von Mufflons mit Hausschafen beschäftigt und dabei festgestellt, dass die Wildfarbe bei Blendlingen der ersten und zweiten Generation niemals erreicht wurde. Auch in der Literatur sind nur ganz wenige Fälle bekannt, bei denen die Wildfarbe in der ersten oder zweiten Generation auftrat. Somit wird niemand Blendlinge gezogen haben, um Tiere für die Aussetzung bereitzustellen. Spontane Kreuzungen zwischen wild lebenden Muffelwiddern und Hausschafen lassen sich vielfach nachweisen. Die von den Hausschafen gesetzten Lämmer blieben aber in der Obhut des Menschen und spielten für die Muffelwildpopulationen in freier Wildbahn niemals eine Rolle. Die Kreuzungsprodukte wären auch für jeden Jäger deutlich erkennbar gewesen. Der umgekehrte Fall, dass Hausschafböcke zu wildlebenden Mufflons gelangten und diese beschlugen, dürfte nicht vorkommen sein. Es gibt eine einzige belegte Beobachtung, dass ein Muffelschaf, das allein im Wald lebte, sich während der Brunftzeit einer kleinen Hausschaf-Schwarzkopfherde anschloss und von dem dort stehenden Bock beschlagen wurde. Auch dieser Fall hat für die Populationen der freien Wildbahn aber keinerlei Bedeutung. Die Mufflons haben seit nunmehr über 100 Jahren in deutschen Revieren eine Heimat gefunden. Mit einer Jahresjagdstrecke von etwa 6 000 Stück nehmen sie nur 0,3 Prozent des Schalenwildabschusses in Deutschland ein. Die Diskussionen um das Muffelwild, die diese interessante Wildart als Neubürger, Faunenverfälscher oder gar als verwilderte Hausschafherden deklarieren, nehmen aber Größenordnungen ein, als stehe hinter jedem Baum ein Stück Muffelwild.

Seine Einbürgerung war eine jagdkulturelle Leistung, die der Erhaltung einer auf den Heimatinseln Kosika und Sardinien gefährdeten Tierart diente. Auf Grund ihrer Tagaktivität erhöhen sie zudem den Erholungswert der Landschaft und bieten eine reizvolle Jagd. Die Gefahren für die Muffelwildpopulationen bestehen in ungünstig ausgewählten Revieren und ihrer inselartigen Verbreitung, die zu genetischer Verarmung führen können. Bestände mit geringen Stückzahlen sollten deshalb in Abständen Blutauffrischung erfahren. Der Europäische Mufflon ist eine Wildart, die seit mehr als 100 Jahren in Deutschland heimisch ist, hier sich seit
mehr als 25 Muffelgenerationen erfolgreich fortpflanzt und berechtigter Weise als heimische Wildart bezeichnet wird, genau so wie das Damwild, der Hase, das Kaninchen oder der Fasan.

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