Gerhardt Optik & Feinmechanik GmbH: Wie, kennen Sie nicht? Und ob, denn dahinter stehen zwei alteingesessene deutsche Zielfernrohr-Hersteller: Nickel und Hertel & Reuss.
Im Handumdrehen: Der Rohrkörper wird in der CNC-Maschine vollautomatisch gefertigt |
von Sascha Numßen
Der Weg führt an Deutschlands Optik-Stadt Nr. 1, dem hessischen Wetzlar, vorbei, immer weiter in den Norden hinauf. In der Nähe von Kassel liegt es, das Städtchen Naumburg, mitten im Habichtswald. Und genau hier ist der Sitz der Gerhardt Optik & Feinmechanik GmbH.
Eigentlich ein alter Betrieb, liegt doch die Firmengründung schon fast 65 Jahre zurück. Am 1. April 1936 wurde der Grundstein durch Julius Gerhardt gelegt. Seine ersten Produkte: Kreuztische für Mikroskope. Gleichzeitig begann man bereits mit der Zulieferung von Komponenten für die optische Industrie, speziell nach Kassel.
Erste Kompetenz konnte Gerhardt durch die Herstellung des Dienstfernglases 6×30 während des Zweiten Weltkriegs aufbauen und beweisen. Anfang 1943, nach der Bombardierung Kassels, wurde der Firmengründer zum Militärdienst eingezogen. Erst Ende 1948 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft zurück.
In den Nachkriegsjahren stand die Herstellung von kompletten Mikroskopen unter dem Namen Gerhardt im Mittelpunkt. In dieser Zeit wurde für diese Produkte ein eigenes Vertriebsnetz aufgebaut und Anfang der 50er Jahre die Zulieferung an die optische Industrie weiter forciert. Genau in diesem Zeitraum entstanden auch die Geschäftsbeziehungen zu Hertel & Reuss in Kassel und Nickel in Marburg.
Ein besonderer Kontakt verband Bernhard Nickel und Julius Gerhardt – beide saßen im Meisterprüfungsausschuss für das Feinmechanikerhandwerk im Regierungsbezirk Kassel. Während der meist über mehrere Tage stattfindenden Prüfungen übernachtete Nickel daher häufiger in Naumburg, erinnert sich Wolfram Gerhardt, der heute den Familienbetrieb leitet. Und im Rahmen der abendlichen Fachgespräche wurde bei ihm, dem ältesten Sohn Gerhardts, der Grundstein für das Interesse an Optik und Feinmechanik geweckt.
Nach dem überraschenden Tod Nickels ebbte der Kontakt zwischen den Familien ab. Die Tochter führte das Unternehmen zwar weiter, doch irgendwann stand die Firma vor dem Aus.
Und so kam es, dass Hertel & Reuss den Marburger Betrieb schluckte, ohne dass es Gerhardt gemerkt hatte. “Wir wären natürlich damals eingestiegen”, erklärt Wolfram Gerhardt heute, “nur wir hätten es eben wissen müssen.”
Trotzdem ging es auch ohne Nickel weiter bergauf. Und schon acht Jahre nach Kriegsende mussten die Werksgebäude erstmals erweitert werden.
Investitionen in die Zukunft
Nach seiner Ausbildung zum Feinmechaniker-Meister trat 1961 Wolfram Gerhardt in den elterlichen Betrieb ein. “Eine schwere Zeit”, erinnert sich der heute 57-Jährige. Denn ab Mitte der Sechziger Jahre war das Marktumfeld der Feinmechanik in der Bundesrepublik geprägt durch Wettbewerber aus Fernost. Um dem starken Druck standhalten zu können, setzte man bei Gerhardt frühzeitig auf die Investition in erste automatische Fertigungsmaschinen.
Zusätzlich erfolgte eine Ausweitung der Fertigung auch auf andere Industriezweige, der optische Bereich gehörte jedoch weiterhin zu den Kernkompetenzen des Unternehmens, hierbei vor allem die Fertigung von mechanischen Komponenten für Hertel & Reuss sowie Nickel.
Flankierend zur Automatisierung wurden ebenfalls Investitionen im Bereich der Qualitätssicherung getätigt, um sich bereits frühzeitig am Markt durch Präzision und Zuverlässigkeit von den Mitbewerbern abheben zu können.
In den 70er Jahren folgte dann die Anschaffung der ersten NC-Maschinen. Der Kundenstamm wurde sukzessive auch auf Länder im europäischen Ausland
ausgeweitet. Das machte 1977 den Bau einer neuen Fertigungshalle erforderlich.
Wiederum sehr frühzeitig erfolgte in den Achtzigern die nachhaltige Investition in CNC-Technik und somit der stetige Ausbau der vollautomatischen Fertigung.
Übernahme von Hertel & Reuss
Einschneidend waren die Veränderungen im Jahr 1995. Denn nun erfolgte mit der Übernahme von Produktion und Vertrieb von Hertel & Reuss auch die gleichzeitige Übernahme von Nickel durch die Firma Gerhardt.
Damit kam es zu einer Geschäftsfelderweiterung durch die Integration von bisher nachgelagerten Schritten der Prozesskette. Neben der Komponentenfertigung wurden nun auch die gesamte Montage sowie das Marketing- und Vertriebsmanagement auf den Standort Naumburg konzentriert. Damit konnte auch die gesamte Einzelteilfertigung auf modernste CNC-Technik umgestellt werden.
Kein einfacher Prozess, denn es galt eine Symbiose aus beiden Zielfernrohr-Typen zu entwickeln. “Und das heißt für uns, Nickel als den qualitativ höher angesiedelten Namen zu forcieren”, bestätigt Wolfram Gerhardt. So tragen die Neuen oben auf dem Okular den Namen Nickel Supra und rechts den Schriftzug Gerhardt sowie das Firmenlogo auf den Turmkappen.
Der Name Hertel & Reuss wird zukünftig nur noch bei der Mikroskop-Fertigung Verwendung finden.
Produktionsschwerpunkte
Den Schwerpunkt legen die Naumburger eindeutig auf die Produktion der Nickel Supra Serie. Insgesamt rund 40 verschiedene Ausführungen im Leichtmetallgehäuse mit und ohne Schiene. Vom Zielfernrohr mit fixer Vergrößerung über variable Ausführungen bis hin zu speziellen Longrange- und Sportmodellen.
Charakteristisch die traditionelle Bauart, die grundsolide Mechanik und das hochbrechende optische Glas. Damit sind die Zielfernrohre von Gerhardt zwar schwerer als die neusten Entwicklungen von Zeiss oder Swarovski, dafür schnitten sie aber auch beim großen WILD UND HUND Vergleichstest “Zielfernrohre mit Leuchtabsehen” im Februar-Heft 1999 mit den besten Transmissionswerten ab und erwiesen sich genauso wie das Zeiss-Glas als absolut schussfest.
Allerdings offenbarte der DEVA-Test damals auch eine undichte Stelle an den Sockeln von Höhenverstellung und Leuchteinheit. Doch das hat man jetzt im Griff: “Kein Problem mehr, aus solchen Fehlern kann man lernen. Man muss eben drauf reagieren, und das haben wir gemacht”, kommentiert Wolfram Gerhardt den Test von damals.
Der Rohrkörper mit früher angeklebtem Turm ist heute aus einem Stück. Und alle Zielfernrohre werden vor der Auslieferung mit 0,4 bar einem Druck- und Sogtest unterzogen.
Schritt für Schritt, das ist das Motto in Naumburg. Trotz der 50 Mitarbeiter und vollautomatischer Fertigung können gerade in der Aufbauphase Lieferunzuverlässigkeiten oder Fehler im Produkt schnell den erfolgreichen Markteinstieg verhindern.
Flexibilität
Zudem möchte man dem Kunden durch größtmögliche Flexibilität entgegenkommen. “So können wir in vielen Fällen Sonderwünsche, beispielsweise spezielle Absehen, ohne Mehrpreis liefern”, wirft Alexander Gerhardt, seit 1997 im Familienbetrieb tätig und damit die dritte Generation, ein. Er arbeitet derzeit mit Hochdruck am hauseigenen Internet-Auftritt und der Optimierung der Produktionsabläufe innerhalb des Betriebes.
Die weltweite Markenpflege und -profilierung standen im Focus der Marketing- und Vertriebsaktivitäten. In diesen Bereich fallen auch die groß angelegten Sponsoring-Aktivitäten, denn Gerhardt ist offizieller Ausrüster der Nationalmannschaft “Laufende Scheibe” des Deutschen Schützenbunds (DSB).
Diese Zusammenarbeit bietet eine hervorragende Basis zur stetigen Weiter- und vor allem Neuentwicklung von Zielfernrohren unter aktiver Einbindung der Erfahrungen und Bedürfnisse der Sportschützen.
Zu den Erfolgen zählt die Neuentwicklung des 4×36 EDQ Zielfernrohrs. Bei seinem ersten Einsatz im Rahmen eines Weltcups hat Manfred Kurzer einen neuen Weltrekord mit 587 von 600 möglichen Ringen in der Disziplin “Laufende Scheibe” geschossen. Und natürlich werden Gerhardt-Zielfernrohre auch bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney am Start sein.
Aufbau des Vertriebsnetzes
Mit Peter Fischer stieß am 1. April 2000 ein Profi von Leica als Vertriebsleiter zu Gerhardt Optik. Und der ist momentan damit beschäftigt, ein selektives Vertriebssystem aufzubauen.
“An den Marktführer Zeiss ranzukommen, wird schwierig, doch das haben wir eigentlich gar nicht im Auge”, gestehen die drei Naumburger freimütig. Man habe eine ganz andere Klientel im Visier. “Kunden, die gezielt ins Geschäft laufen und ein Zeiss haben wollen, werden wir nicht erreichen. Die, die aber etwas rechnen müssen, das sind unsere potentiellen Käufer”, erklärt Fischer selbstbewusst weiter.
Deshalb sei es so wichtig, einen attraktiven und vor allem stabilen Preis zu haben. Ein beleuchtetes Absehen bietet Gerhardt gegen einen Aufpreis von 549 DM an, der Gesamtpreis für ein großes, variables Zielfernrohr mit 56er Objektiv und Leuchtabsehen erhöht sich damit auf etwa 2200 DM. Gerhardt liegt so rund 600 bis 800 DM unter dem Preis der “Großen” wie Zeiss und Swarovski.
Diesen Preis könne man allerdings nur halten, wenn der Großhandel außen vor bleibe, argumentiert Peter Fischer. Entscheidend sei für ihn, ein Vertriebsnetz von 300 bis 400 anerkannten Händlern über Deutschland verteilt aufzubauen. Denen könne man dann eine Handelsmarge an die Hand geben, so dass sie an Gerhardt-Optik eigentlich gar nicht mehr vorbeikommen.
Und dass die Zeichen gut stehen, zeigte schon die Resonanz auf der IWA 2000 in Nürnberg. Wichtig ist nun jedoch, dass in der Jägerschaft bekannt wird, wer hinter Gerhardt steht beziehungsweise dass Nickel-Zielfernrohre unter Gerhardt weiterlaufen.
Und darüber entscheidet neben der Pressearbeit vor allem die heute so wichtige Internet-Präsentation. Ein 3-12×49 mit Leuchtabsehen befindet sich deshalb gerade im WuH-Test, und unter www.gerhardt-optik.de finden Interessenten bald alles über die Zielfernrohre aus dem Hause Gerhardt.