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Höhen-Rausch

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Gamsjagd unterliegt eigenen Regeln: zuerst die körperliche Anstrengung beim Aufstieg, dann der weite Schuss und schließlich die Plackerei beim Abstieg mit dem Gams im Kreuz.
Wie man das alles meistert, um die Bergjagd in vollen Zügen genießen zu können, sagt Ihnen Wolfram Osgyan.

 

Jetzt nur keine Hast: In diesem Scharl ein passendes Stück auszumachen und dem GAst anzusagen, ist allein Aufgabe des Berufsjägers

Stundenlanger Aufstieg, der Schweiß fließt in Bächen, die Augen flimmern, der Puls rast. Endlich, weit droben ein kleiner roter oder schwarzer Punkt: der Gams. Hingeworfen, Waffe auf den Rucksack, unterm Rücken angehalten, Schuss, der Gams kugelt. Hinkraxeln zu ihm, versorgen, rein in den Rucksack und dann der lange Abstieg auf schlüpfrigem Steig zwischen Wand und Abgrund einen halben Zentner Last im Kreuz. Wer kennt sie nicht, die Schilderungen am Stammtisch, wenn die erste Gamsjagd erfolgreich absolviert wurde, wer heischt nicht die bewundernden Blicke, bei welchem Zuhörer laufen nicht Schauer über den Rücken oder trüben Sorgen über eigene Unzulänglichkeiten die Vorfreude?

Erfolgreiche Gamsjagd beginnt mit der Planung

Muss ich meinen Gams vor dem vierzigsten Lebensjahr erlegen? Bin ich als wohlstandsbeleibter Flachländer jenseits der 50 überhaupt den Strapazen gewachsen? Reichen meine Schießkünste aus? Fragen über Fragen. Wenngleich Gamsjagden häufig nach dem selben Schema ablaufen, haben sie dennoch ihr eigenes Profil. Sommergams oder Wintergams, Gais oder Bock, Waldgams oder Gratgams, Sanierungsgebiet oder Touristen-Ranch, Jagdhütte oder Pension, Forststraße oder Steig, Urgestein oder Kalk, die Wilddichte, das Wetter und allen voran die eigene Fitness heißen die wichtigen Eckpfeiler, die den Ablauf der Jagd wesentlich bestimmen. Vieles davon lässt sich im Vorfeld klären oder arrangieren. Die erfolgreiche Gamsjagd beginnt also mit der Planung.

Dass der Bartbock Ende November, Anfang Dezember in seiner rabenschwarzen Decke mehr hermacht als im rotbraunen Sommerhaar, ist unbestritten. Desgleichen erhöht der Brunftbetrieb den Erlebniswert. In der Brunft freilich sind die Tage kurz, das Wetter unbeständig, der Zeitdruck höher, die Strapazen größer und die Risiken unberechenbarer. Wen genau diese Umstände reizen, der hat seine Entscheidung praktisch schon getroffen. Im August, September dagegen ist der ältere Bock (Klasse I) sehr standorttreu. Er besetzt ein Habitat, bewegt sich nicht viel und lässt sich, erst einmal bestätigt, ziemlich sicher kriegen. Meistens findet man ihn nicht so weit vom Ausgangspunkt der Pirsch entfernt wie das Scharwild. Gaisen wiederum stehen im Hochsommer vorzugsweise in den Karen, im Bereich der Schneefelder oder der Grate, je nach Hitze wechselweise auf der Sonn- und der Schattseite. Vom Tal aus steht einem da ein langer Anstieg bevor.

Hautnaher Kontakt mit der Gams

Waldgams wollen üblicherweise eher erhockt als erpirscht sein. Ein strategisch günstiger Platz und viel Sitzfleisch bringen hier mehr Erfolg als das Abpirschen steiler Hänge mit wenig Sichtfeld. In Sanierungsgebieten wiederum hat hoher Jagddruck die Wilddichte auf ein Minimum gedrückt und das Wild sehr scheu und störempfindlich gemacht. Unverhoffte Begegnungen sollten daher zügig und ohne Federlesens bezüglich Alter und Trophäenqualität genutzt werden. Genau entgegengesetzt verhält es sich dort, wo Touristen häufig die Gams-Einstände durchqueren und im Sommer weitgehend Jagdruhe herrscht. Hier hat der jagende Gast Muße und alle Zeit der Welt, im Rahmen des Machbaren das zu erjagen, was ihm vorschwebt.

Trophäenjäger wissen zudem, dass die Vegetation des Kalkgebirges erfahrungsgemäß bessere Krucken liefert als die des Urgesteins. Böcke warten hier im Schnitt mit größeren Schlauchumfängen auf und „punkten“ somit kräftig. Gaisen dagegen können auch im Urgestein beachtlich hohe Schläuche schieben, wenn sie alt genug werden. Weil die Auslese in der Jugend-(III) und Mittelklasse (II) nicht die besten, sondern die schwächsten Individuen erfasst, zählt hier primär das Erlebnis. Und das liefern beide Wuchsgebiete. Vom landschaftlichen Reiz und der Flora her bietet das in der Regel schroffere Kalkgebirge mit seinen Latschenbändern, Schotterreißen und Geröllfeldern mehr Abwechslung, mehr Dekkung und bei ordentlicher Wilddichte auch öfter hautnahen Kontakt mit Gams als das in vielen Revieren der Zentralalpen mit ihren langgezogenen begrasten sowie bebuschten Hängen der Fall ist. Die Anstiege sind zudem in erstgenanntem eher steiler, dafür auch kürzer.

Jedes Pfund wiegt doppelt

Dem geschenkten Gaul schaut man bekanntlich nicht ins Maul. Wem daher eine Einladung ins Haus schneit, der soll sich darüber freuen und das dankbar nehmen, was er kriegt. Der zahlende Gast dagegen prüfe genau, wo er sein Geld lässt. Erfolgsabhängiges Entgelt ist hier allemal besser als Fixkosten ohne Erfolgsgarantie. Wer beispielsweise beim Bayerischen Staatsforst einen Abschuss bucht, zahlt derzeit bereits für die erste Minute einer geführten Jagd 90 Euro (da drei Stunden Mindestführung) und maximal 240 Euro Führungskosten pro Tag. Das macht bei eingeräumten drei Jagdtagen im ungünstigsten Fall 720 Euro ohne Anblick oder Abschuss.

Das ist ohne Zweifel eine ganze Menge Geld für die Betrachtung von Naturschönheiten wie Baum, Strauch und Kraut, die es ansonsten gratis gibt oder aber eine ausgemachte Abzocke, wenn bewaffnete Spaziergänge in Sanierungsgebieten arrangiert werden. Bei schnellem Erfolg dagegen halten sich aufgrund der moderaten Abschussgebühren die Gesamtkosten durchaus in Grenzen und unterbieten nicht selten diejenigen der Privatanbieter im In- und Ausland.

Schwieriges Gelände und lange Anstiege beziehungsweise steile Abstiege setzen ein Mindestmaß an körperlicher Ausdauer sowie Trittsicherheit voraus. Bringt sie der Gast nicht mit, tut er keinem der auf der Jagd Beteiligten einen Gefallen. Als ausreichend fit wiederum darf sich fühlen, wer in der Lage ist, mit Gepäck 500 Höhenmeter in einer Stunde zurückzulegen und noch Kraft für weitere 500 Höhenmeter besitzt.

Weil am Berg bekanntlich jedes Pfund doppelt wiegt, muss der Übergewichtige von Haus aus schon viele Kilo den Berg hochwuchten. Dazu gesellen sich noch die Pfunde für Waffe sowie Rucksack – und das in geneigtem Gelände. In solchen Fällen tut der Gast gut daran, seine Fühler nach leicht begehbaren Revieren auszustrecken. Diese gibt es. Und wenn Forststraßen oder Almwege bis in die Gamsregionen führen, muss keiner von vornherein die Flinte ins Korn werfen. Dennoch gilt: Je belastbarer sich der Gast erweist, desto größer sind seine Erfolgschancen.

Wissen um die ideale Vorbereitung

Zwanzig Kniebeugen nach dem Aufstehen, vor den Mahlzeiten und vor der Bettruhe, eine Stunde Joggen, zwei Stunden am Tag flott in die Pedale treten verbessern ohne Zweifel die Kondition. Tägliches, vielmaliges Treppensteigen, möglichst unter Last, bewirkt sogar noch mehr. Das Wissen um die ideale Vorbereitung nützt freilich demjenigen nichts mehr, der sie vor dem Tag X unterlassen hat. Und diesbezüglich weiß ich recht wohl, wovon ich spreche: Die Einladung zu meiner ersten Gamspirsch vor 20 Jahren flatterte so kurzfristig ins Haus, dass ich gerade noch Zeit zum Packen fand. So wanderte in den normalen Jagdrucksack all das, was mir für eine Dezemberjagd im Hochgebirge notwendig erschien: Munition, Handschuhe, Wäsche zum Wechseln, belegte Brote, ein Daunenmantel, falls wir uns ansetzen würden, Kamera, Spektiv, Messer sowie Lodenkotze. Derart vollgestopft glich das Behältnis fast einer Kugel.

Entsprechend schnitten die Tragriemen ein, und zu allem Überfluss drückte während des steilen Aufstiegs das Spektiv schmerzhaft ins Kreuz. Mit Rollkragenpullover und regendichter Jacke viel zu warm angezogen, taumelte ich bald dem Führer hinterher, der mit gleichmäßigem Schritt voranzog. Erst ging die Luft aus, dann ließ die Kraft nach, und irgendwann war ich klatschnass geschwitzt, aber viel zu stolz, um eine Pause zu erbitten. Zum Glück konnten wir am Abend die Pirsch erfolgreich beenden. Zum Glück deshalb, weil anderntags die Knochen, Muskeln und Bänder derart schmerzten, dass eine Wiederholung nur unter Qualen möglich gewesen wäre. Seinerzeit trug ich jedoch nicht ein Pfund zuviel auf den Rippen und war ansonsten auch noch recht gut in Schuss. Beides sollte sich im Laufe der nächsten beiden Jahrzehnte sukzessive zu meinem Nachteil ändern. Ungeachtet dessen konnte mich nichts von meinen Vorhaben abbringen, jährlich mehrere Gamspirschen in die verschiedensten Regionen der bayerischen und österreichischen Alpen zu unternehmen. Ich verhehle nicht, dass mich die Jagden von Jahr zu Jahr stärker forderten und ich mir einiges einfallen lassen musste, den Strapazen einigermaßen wirksam vorzubeugen.

Leicht

Mein „Gebirgsrucksack“ stammt aus dem Trekkingbereich, fasst nur 30 Liter, hat breite gepolsterte Träger und ein integriertes Gestell. Ihn beschicke ich mit einem Funktions-Unterhemd, einem Paar Funktions-Socken und bei nasskalter Witterung mit einer Fleecejacke. Damit die Wäsche nicht durchfeuchtet, kommt sie in einen Plastikbeutel. Zu den ständigen Requisiten zählt ferner die federleichte, zusammenknüllbare Regen-Überjacke. Sie fungiert nämlich auch als Windstopper. Falls mit Niederschlag zu rechnen ist, packe ich den vielfach bewährten Regenumhang von Baleno aus Flexothane (leicht, reißfest, wasserdicht, winddicht) sowie eine Überhose vom selben Hersteller aus gleichem Material mit hinein. Darin lässt sich auch stundenlanger Dauerregen trocken überstehen. Außerdem nimmt das Kleidungsstück im Gegensatz zur Lodenkotze keine Feuchtigkeit auf, wird somit auch nicht schwer und braucht keine Trocknungszeit.

Nachvollziehbare Prophylaxe

Wurst und Brot ersetze ich durch Müsli- sowie Power-Riegel. Die sind leicht, lange haltbar und führen dem Körper schnell Energie zu. Weil am Berg der Durst die größte Qual bereitet, sind bei mir zwei Liter isotonischen Getränks mit von der Partie, dazu ein paar Magnesium-Brausetabletten, zwei Päckchen Kaugummi und ein Röhrchen Magnesium-Traubenzucker. Ferner dürfen Heftpflaster, Wundcreme, Sportgel sowie Toilettenpapier nicht fehlen. Wer sich einmal wundgelaufen hat, wessen Blasen mit Schnaps desinfiziert wurden, wer einmal in der Felsregion ohne Papier seine Notdurft verrichten und voller Verzweiflung sinnieren musste, welches Kleidungsstück er zum Abwischen entbehren kann, wird diese Prophylaxe nachvollziehen. Ein Stück Corduraband oder eine sehr reißfeste Schnur im Gepäck dienen manchmal als Helfer in der Not, wenn sich zum Beispiel ein Trageriemen des Rucksacks oder der Gewehrriemen respektive seine Halterung selbständig machen.

Auf die Kamera zu verzichten, heißt Erinnerungsfotos preiszugeben. Das für die Gamsjagd unentbehrliche Spektiv mitzunehmen, überlasse ich aber dem Pirschführer. Das Ansprechen obliegt nämlich ihm allein, und ich spare mir drei Pfund Ballast. Auf die Dienste eines handlichen Entfernungsmessers möchte ich dagegen nicht mehr verzichten. Nicht selten setzt er nämlich Spekulationen über „geht noch“ oder „geht nicht mehr“ ein Ende und erleichtert das Finden des Anschusses im unübersichtlichen Terrain ungemein. Immer vorausgesetzt, man hat vor dem Schuss die Entfernung zum Wild gemessen. In die Seitentasche des Rucksacks stecke ich zudem ein handliches Sandsäckchen, das als Gewehrauflage dient.

Funktionelle Outdoor-Kleidung bevorzugt

Ist ein Hütten-Aufenthalt geplant und der Aufstieg nur zu Fuß machbar, dann bleibt einem nichts anderes übrig, als die benötigten Vorräte und sonstiges „Equipment“ wie beispielsweise eine kleine Taschenlampe mitzuschleppen. Und schließlich kann ein ansonsten bei der Jagd eher störendes Handy nützlich sein, mitunter sogar Leben retten.

Bei langen Anstiegen hindert die umgehängte Büchse sehr. Mittig und senkrecht auf den Rucksack geschnallt dagegen lässt sie sich ganz passabel transportieren. Man stößt nirgends an und bleibt selbst beim Durchkriechen von Latschenfeldern nicht leicht hängen. Als Halterung dienen hier drei vom Sattler auf den Rucksack genähte Cordurabänder. Auch einen stabilen Mündungsschoner aus Leder betrachte ich für die Bergjagd als Muss.

Nichts gegen Schusspflaster oder Tesa, doch abgestreift, durchstoßen oder gerissen nützen diese ansonsten probaten Hilfen wenig. Und genau das passiert am Berg immer wieder. Wer seinen Mündungsschoner mit Hilfe eines Stücks Leder- oder Maurerschnur am Riemenbügel befestigt, läuft zudem kaum Gefahr, ihn zu verlieren.

Weil Gams tagsüber gejagt werden, ist ein leichtes, regendichtes Fernglas mit sieben bis zehnfacher Vergrößerung und 30 oder 32 Millimeter Objektivdurchmesser optimal, wie es Zeiss, Swarovski, Leica und in einem ausgezeichneten Preis-Leistungsverhältnis Minox anbieten.

Nichts gegen Wolle, Leder oder Loden als Bekleidung, doch der Outdoor-Boom hat Funktionelleres auf den Markt gebracht, und wir Jäger sollten davon profitieren. Hosen mit Membrane sind für den Berg eine feine Sache, doch nur, wenn der Oberstoff nicht schon beim ersten Kontakt mit Stein oder Strauch Fäden zieht oder Triangeln einreißen lässt. Ähnliches gilt auch für die Jacke: Mehrere, gut verschließbare Taschen sind dabei wichtig, damit unentbehrliche Klein-Utensilien wie Autoschlüssel oder Ausweis nicht versehentlich auf dem Berg bleiben.

Besonderes Augenmerk gilt den Absätzen

Gute Bergstiefel sind eine Lebensversicherung, deshalb wäre es geradezu leichtsinnig, hier zu sparen. Nicht umsonst investieren professionelle Bergjäger überproportional viel in ihr Schuhwerk. Wasserfestigkeit, guter Seitenhalt sowie ein stabiler Bodenaufbau mit einer grob profilierten Laufsohle sind dabei wichtiger als Schafthöhe und Leichtgewicht. Besonderes Augenmerk verdienen die Absätze: Ist deren Profil abgelaufen, fehlt gerade bergab der Griff, und auf schmierigem Steig geht dann die Post schneller ab, als einem lieb ist. An Regentagen und im Schnee bewähren sich auch leichte Bergsteiger-Gamaschen, denn sie halten Waden sowie den Stiefelschaft trocken.

Als drittes Bein des Bergjägers gilt nach wie vor der Bergstock mit Eisenspitze, doch es spricht Bände, dass gerade bei jüngeren Berufsjägern Bergwanderstöcke auf dem Vormarsch sind. Nach meiner Erfahrung geht es sich bergab mit der Doppelstütze leichter als mit der einfachen, und was das Schießen vom Bergstock in seinem Metier anbetrifft, musste ich es bis dato zu selten praktizieren, um daraus einen Vorteil des längeren Haselnuss-Steckens abzuleiten.

Lieber 19 zu viel

Dass Insider den Gams gelegentlich als „Patronenbettler“ bezeichnen, hat weniger mit seiner Schusshärte als mit der Tatsache zu tun, dass Fehlschüsse aus den verschiedensten Gründen an der Tagesordnung sind. Eine Schachtel Patronen im Rucksack mitzuführen, ist daher nicht ehrenrührig und findet bei allen Pirschführern Zustimmung. Dabei gilt das Motto: Lieber 19 zu viel als eine zu wenig. Die Kugel im Leben lässt beim Gams keine langen Fluchtstrecken erwarten. Zwar zählt ihn der Gesetzgeber zum Hochwild, doch gewichtsmäßig liegt er nur geringfügig über dem Rehwild. Die Energie einer guten Rehwildpatrone würde demnach völlig ausreichen. Weil aber nicht ist, was nicht sein darf, suchen wir die idealen Gamspatronen in den Hochwildlaborierungen mit geringen Geschossgewichten: 6,5×57(R), 6,5×65 sowie 6,5×68. Aber auch .308 oder die

.30-06 reichen für die Belange der Gamsjagd völlig aus. Wer mit einem Schuss trifft, mag sein Glück mit Bockbüchsflinte oder Drilling versuchen. Kipplaufbüchse und Blockbüchse erlauben ferner Folgeschüsse ohne wärmebedingte Treffpunktabweichungen. Doch als ideale Waffe für den Gastjäger sehe ich immer noch die präzise schießenden Repetierbüchse an.

Falls nachgeschossen werden muss, ist man damit am schnellsten. Kickende Kaliber indes fordern beim Liegendschießen ihren Tribut. Kopf und Schulter können nämlich nicht wie beim sitzenden oder stehenden Anschlag ausweichen und kriegen voll ab, was zurückkommt. Ist dann der Augenabstand zu kurz, bleibt das nicht ohne Folgen für Augenbraue oder Nasenrücken. Ein derart Gezeichneter aber wird künftig nicht mehr so unbefangen schießen und im Unterbewusstein Abwehrmechanismen freisetzen: Mucken und Reißen sind somit programmiert.

Sicheres Trefen bedingt einer guten Auflage

Dass eine schwere Waffe auch ruhiger liegt als ein Fliegengewicht, sei an dieser Stelle ebenfalls eingeflochten. Eine Büchse eigens für die Gamsjagd über die Günstigste-Einschieß-Entferung (GEE) hinaus einzuschießen, wie gelegentlich empfohlen, halte ich für nicht sinnvoll. Schießt die Waffe auf 180 oder gar 200 Meter Fleck und liegt der Hochschuss auf 100 Meter nicht über vier Zentimeter, dann stimmt die Grundvoraussetzung für sicheres Treffen im Gebirge.

Ich habe mir angewöhnt, vor jeder Gamsjagd einen Kontrollschuss auf 200 Meter abzugeben. Sitzt die Kugel im Bierfilz, dann „kugelt“ auch der Gams, es sei denn, mir würden Fehler beim Zielen oder Abziehen unterlaufen. Erfahrungsgemäß werden die Boviden eher über- als unterschossen. Beim Winkelschuss, der in liegender Position stets moderat ausfällt, sollte daher der Haltepunkt immer unter der Mitte des Rumpfes gesucht werden. Weil der Gams aufgrund seines höheren Brustkorbes mehr Trefferfläche als ein Reh bietet, darf auch die Schussentfernung ein wenig größer sein, ohne dass gleich vom Kunstschuss gesprochen werden muss.

Wer Rehe nämlich sitzend aufgelegt auf 100 Meter sauber trifft, sollte liegend aufgelegt auch den Gams auf 150 Meter nicht verfehlen. Und damit wären wir bei einer Distanz, auf die Gams durchschnittlich beschossen werden. Sicheres Treffen bedingt eine gute Auflage. Das Sandsäckchen unter dem Vorderschaft und das Fernglas hinter dem Pistolengriff (oder umgekehrt) sorgen für eine ideale Zweipunktauflage und vermögen die aufgelegte Waffe so zu stabilisieren, dass sich beim Zielen weder Puls noch Atmung störend bemerkbar machen. Den eher schwammigen Rucksack benütze ich dagegen nur dann als Auflage, wenn der Schusswinkel keine andere Wahl lässt oder die Entfernung moderat ausfällt. Wer jetzt noch sauber abzieht und den richtigen Haltepunkt wählt, kann eigentlich bis 200 Meter kaum fehlen. Die besonderen Umstände bei der Gamsjagd lassen einem in der Regel genügend Zeit, sich perfekt einzurichten, und die sollte man nutzen. Hast und Hektik dagegen haben manchem Bock den Bart gerettet. Dann ließ der „G’schwinder den Gams g’sünder“.

Falscher Stolz ist fehl am Platz

An heißen Sommertagen will der Pirschführer noch vor Sonnenaufgang an den Gams sein. Bei längerem Anstieg heißt das zur Unzeit aufstehen und noch bei völliger Dunkelheit abmarschieren. Brennt nämlich die Sonne erst einmal in die Hänge, ziehen sich die Gams in die Latschen oder auf die Schattseite des Berges zurück. Bevor es losgeht massiere ich Sportgel in Oberschenkel, Knie und Waden und creme die reibungsempfindlichen Partien des Schritts mit Wundsalbe ein. Der Kaugummi im Mund beugt beim Aufstieg dem Austrocknen und dem Durstgefühl wirksam vor. Und wenn ich merke, dass die Kräfte nachlassen, dann gibt’s einen Energiestoß in Form von Traubenzucker. Zwischendurch dosiert zugeführtes Magnesium wiederum hilft gegen Übersäuerung der Muskeln und unterbindet den sonst unvermeidlichen Muskelkater schon im Ansatz. Bänderreizungen im Knie lassen sich dagegen schwer verhindern, durch wiederholtes Eincremen mit Sportgel jedoch lindern. Sich am Tag vor der Jagd bei einer Bergtour einzugehen, halte ich daher bei einem untrainierten Körper für Russisch-Roulette. Zu groß ist die Gefahr, dass man tags darauf keinen Fuß mehr vor den anderen setzen kann.

Angegebene Gehzeiten gelten in der Regel für eingelaufene Bergwanderer. Es schadet daher nicht, die doppelte Zeit einzuplanen, wenn man nicht so fit ist. Natürlich testet der Pirschführer seinen Gast und merkt schnell, wie es um dessen Kondition bestellt ist. Umgekehrt kennt der Gast die Signale seines Körpers am besten und sollte Pause machen, wenn es ihm notwendig erscheint. Das Angebot des Pirschführers, Waffe oder Rucksack zu tragen, kann sehr hilfreich sein und darf keinesfalls aus Gründen falschen Stolzes abgeschlagen werden. Ist nämlich der Körper erst einmal ausgepowert, bringen mögliche Erleichterungen nicht mehr den vollen Effekt.

Ansprechen und Freigabe übernimmt der Pirschführer. Der Gast hat aber das Recht, sich erklären zu lassen, warum anstelle eines Bockes eine Gais erlegt oder ein Stück aus einer niedrigeren Altersklasse als gebucht gestreckt werden soll. Und er hat das Recht, den Schuss zu versagen, wenn die Vorgaben den Erwartungen nicht entsprechen, ihm die Entfernung zu weit ist oder die Schussposition ungünstig erscheint. Vom Moment der Schussabgabe an trägt nämlich allein er die Verantwortung, und mit Krank- oder Fehlschüssen macht man sich genauso wenig Freunde wie mit nachträglichem Meckern.

Versorgen und Liefern wiederum gehören zum Job des Pirschführers. Falls es der Gast übernehmen will, wird ihm das niemand abschlagen, doch er muss wissen, worauf er sich einlässt, wenn er mit schwerer Last im schwierigen Terrain absteigt. Und der Berufsjäger muss sich bewusst sein, dass seine Verantwortung für seinen Gast erst bei der Wildkammer endet.

Gamsjagd fordert den Körper und treibt somit Schweiß. Beim einen weniger, beim anderen mehr, aber bei überlegter Vorbereitung muss das erfolgreiche Waidwerk auf das urige Bergwild nicht das Privileg jüngerer Semester sein. Denn unabhängig vom Alter wird das einmalige Erlebnis der Pirsch auf den Gams jeden Jäger in seinen Bann ziehen.

Nach dem Schuss ist noch nicht Schluss: Das Bergen des Gams und der Transport im Rucksack zu Tal sind eine Plackerei, die nur topfitte Jäger auf sich nehmen sollten

 


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