Jahrhundertelang war er einsam, abgelegen und schwer zugänglich: der Darß im Norden Vorpommerns zwischen Ostseewogen und Boddenwasser. Aus jener Zeit rührt sein Mythos für Jäger und Forstleute. Für die, die seine Geschichte kennen, ist es ein lebendiger Mythos. Aber auch Unwissende, die nur zur Stranderholung kommen, ahnen bald, dass diese prächtige Landschaft etwas Besonderes ist.
Die Kräfte des Meeres und der Winde haben im Laufe vieler Jahrhunderte den urigen Darßer Weststrand geprägt. |
Von Til Thomas Radevagen
Von Til Thomas Radevagen
Heute wächst mit vielen Besuchern auch die Gefährdung dieses einmaligen Naturdenkmals. Der 1990 gegründete Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft, in dessen Kernzone große Teile des Waldes einbezogen sind, soll die Gefahren für die Natur verringern, Wald und Wild schützen. Kann er sie aber ganz bannen? Groß ist der Druck von außen. Doch wie war es früher?
Ursprung
Der Darßer Wald entstand vor etwa 7000 Jahren. Und er verändert seine Fläche und Form bis heute. Diese Küsten-Dynamik ist ein Teil seiner Einmaligkeit: Die Ostsee trägt am Fischland und am urig wilden Darßer Weststrand Sandmassen ab. Die Strömung verfrachtet den Sand und lagert ihn im Norden, bei Darßer Ort, wieder an. Jährlich nimmt das Land dort wenigstens um einen Meter zu.
Zwar wurden in historisch kurzer Zeit der Westküste drei- bis fünfhundert Meter Land geraubt, dafür wuchs im Norden der Neudarß seit 1700 um etwa drei Kilometer. Bei Darßer Ort lassen sich umgekehrt die Verlandungsprozesse beobachten: Zwischen sandigen Dünenwällen liegen moorige Dünensenken. In jeder Entwicklungsstufe beleben sie andere typische Pionierpflanzen mit ganz eigener, auf sie spezialisierte Insekten- und Kleintierwelt. Bis dann in hundert Jahren eine nur einen Zentimeter dünne Humusschicht entstanden ist.
„Wie können auf so dünner Bodenkrume und angeschwemmten Sanden nur solch prächtige Buchen wachsen?“ fragten selbst Waldexperten. Lange blieb es das Geheimnis der Natur. Biologen fanden heraus, dass dicke Schichten Muschelkalks im Untergrund von den Baumwurzeln aufgeschlossen werden. Diese Buchen bringen urige Wuchsformen hervor.
Obwohl wegen der äußerst dünnen Erdkrume und den Sanden nährstoffarm, schufen die unterschiedlichen Bodenverhältnisse eine vielseitige, artenreiche Landschaft. In jeder Jahreszeit zeigt sie ein anderes Gesicht.
Die Jagd
Immer war der Darßwald ein bevorzugtes Jagdgebiet der Herrscher. Im 16. Jahrhundert schon ließen die Herzöge von Pommern ein hölzernes Jagdhaus bauen. Als der Wald ab 1630 fast zwei Jahrhunderte lang den schwedischen Monarchen als königliches Jagdrevier diente, wurde anstelle des baufälligen alten Jagdhauses zwischen 1799 und 1801 das Borner Forsthaus errichtet. Mehrfach umgebaut, diente es seitdem traditionell den Darßer Forstmeistern als Amtssitz.
Kaiser Wilhelm II. machte den Darßwald seinem Sohn Prinz Eitel Friedrich zum persönlichen Geschenk. Der Prinz soll bald mit dem Kgl. Forstmeister von Raesfeld aneinandergeraten sein, was nicht ohne Einfluss auf dessen Abberufung blieb.
In der Weimarer Republik wurde der Wald Staatsjagdrevier. Im Dritten Reich ließ sich Nimrod „Reichsjägermeister“ Göring eine Jagdhütte nahe des Weststrandes errichten. Versuchsweise wurden Elche und Wisente angesiedelt. Durch Einkreuzen von Romintener Blut sollte den Darßhirschen zu stärkeren Trophäen verholfen werden, worüber ein Mann wie Raesfeld sicher den Kopf geschüttelt hätte: Er wusste, dass der karge Boden, die Äsungsgrundlage, nicht mehr hergeben konnte.
Franz Mueller-Darß, der andere berühmte „Chef“ auf dem Darß, züchtete hier seine Deutschen Wachtelhunde, der Zwinger im Hof ist erhalten. Nach Jahren der Gesetzlosigkeit, nach 1945, als Besatzungssoldaten fast alles Wild abschossen, diente der Darßwald zu DDR-Zeiten privilegierten Staatsrats und Politbüro-Angehörigen als exklusives Jagdrevier.
Waldemar Martens, lange Jahre verantwortlich für die Staatsjagdgäste, berichtet in seinen Erinnerungen manch bittere Anekdote darüber. Um den Staatsgästen Medaillen-Trophäenträger zum Abschuß bieten zu können, musste zugefüttert werden, und es wurden hohe Bestände gehalten.
Heute hält das Nationalparkamt einen Bestand von 200 Stück Rotwild im Darßwald für verträglich. Das Schwarzwild wurde durch die Schweinepest stark dezimiert, es gelten aber immer noch Schutzbestimmungen.
Seit 1992 gibt es außerdem örtliche Hegeringe, wie in Prerow und Zingst. Zu ihnen haben sich einheimische Jäger zusammengeschlossen, die eine jagdgeeignete Fläche besitzen oder gepachtet haben.
Hegeringe und Nationalpark sind in der Rot- und Damwildhegegemeinschaft „Ferdinand von Raesfeld“ zusammengeschlossen. Auf vierwöchentlichen Treffen werden jagdliche und hegerische Belange geklärt und auch die jährlichen Abschussquoten mit der Landesbehörde festgelegt. Da fast alles Wild Wechselwild ist, wird gemeinsam mit der Nationalparkverwaltung regelmäßig eine Wildzählung (Kopf- und Losungszählung) durchgeführt.
Probleme der Zukunft
Eine Hauptsorge heute ist die starke Belastung des Waldes und seiner angrenzenden Gebiete durch den Fremdenverkehr, auf den man im Lande die größte Hoffnung setzt. Der Massenandrang führt dazu, dass der Mensch selbst in abgelegene Rückzugsgebiete eindringt.
Die „Verkehrsströme“ im Wald durch Ausschilderung auf die „besseren“ (befestigten) Wege zu lenken und so zu kanalisieren, funktioniert nicht mehr reibungslos. Gedankenlose Hundehalter lassen ihre Hunde frei laufen, ihrem Jagdtrieb folgend, vergrämen sie das Wild.
Neue Ferienquartiere rücken immer näher an den Wald heran. Auch in anderen Orten
werden einst frei dem Wild zur Äsung zugängliche Wiesen als Pferdekoppeln, Viehweiden oder Bauerwartungsland eingezäunt. Das Wild gelangt nicht mehr zu angestammten Äsungsflächen.
Ein weiteres Problem ist auch der stark gestiegene Autoverkehr und die dadurch verursachten Wildunfälle.
Der Spagat zwischen wirksamem Naturschutz und dem Ausbau des Fremdenverkehrs als arbeitsplatzschaffende Industrie ist schwierig, er bleibt ein Dauerproblem. Wenn Naturschützer und Jäger nicht an einem Strang ziehen, könnten sie am Ende beide Verlierer sein.