Intervalljagd Auf Waldrehe:
Nach dem Durchforsten wird das Buchen-Altholz bald undurchdringlich. Der neu geschaffene Biotop kommt dem Rehwild entgegen, doch der Jäger hat das Nachsehen. Wie Sie trotzdem Strecke machen, sagen Claudia Elbing und Michael Schmid.
Im dichten Unterwuchs spielt das Rehwild Verstecken mit dem Jäger |
Lange Gesichter in der Jagdhütte. 20 Ansitze im Juni und kein rotes Haar, dazu häufige Störungen und ein kaum zu erfüllender Abschussplan. In unserer kleinen, überwiegend bewaldeten Jagd verliefen die Pirschzüge auf Capreolus capreolus alles andere als befriedigend. Die 18 zu erlegenden Stücke kamen bis auf einen Bock zwar zur Strecke, die Zahl der aufgewendeten Jagdstunden war jedoch immens. Mitte Mai, die Jagd ging damals noch am 16. auf, wurden zwei Jährlinge kurz hintereinander erlegt und dann war, trotz vieler Ansitze, Sendepause bis zur Brunft. Im September drei Kitze am Waldrand, danach die mit Ausdauer und jeder Menge Sitzfleisch hart erkämpften Winterrehe. Als krönender Abschluss zur Erfüllung des Plansolls, eine kleine Drückjagd mit einem Schmalreh und vier Füchsen als Beute. Der erste schauerliche Gedanke, „Es gibt keine Rehe mehr“, wurde durch alarmierenden Verbiss in zwei Waldabteilungen und das winterliche Fährtenbild ad absurdum geführt. Ein breiter Hintern vom Sitzen, eine rote Nase vom Frieren, ein leerer Geldbeutel durch den Wildschaden und zuviel weiße Tapete an der heimischen Trophäenwand – so konnte es nicht weitergehen.
Die Zeiten
Die Auswertung unseres über sieben Jahre geführten Jagd- und Streckenbuches erbrachte folgendes Ergebnis: Immer mehr Ansitze für die gleiche Zahl an Abschüssen und eine Konzentration der Erfolge in den Monaten Mai, August, September und November. Den Rehen ging es im Beobachtungszeitraum offensichtlich immer besser. Das Wildbretgewicht nahm kontinuierlich zu, und die Trophäenqualität der Jährlinge steigerte sich im Durchschnitt vom Spießer zum lauscherhohen Gabler. Unsere Jagdmethode, die klassische Ansitzjagd mit gelegentlichen Pirschgängen, hatte sich in den sieben Jahren nur geringfügig verändert. Der Rhythmus der Jagdausübung wurde von Zufall, Lust und Laune und natürlich von beruflich und privat bedingten Auszeiten geprägt. Lediglich die Zahl der Ansitze hatte deutlich zugenommen. Die Höhe der Rehwildpopulation blieb nach unseren Einschätzungen in den vergangenen Jahren konstant. Pirschzeichen und das Vegetationsgutachten des Forstamtes ließen keine anderen Schlüsse zu. Zudem konnte ein jährlicher Abschuss von neun Stück Rehwild auf 100 Hektar Wald den Bestand auf keinen Fall wesentlich reduziert haben.
Die einzigen massiven Veränderungen haben im Revier stattgefunden: Aus den dunklen, äsungsarmen Fichtenwäldern wurden helle, mit Laubholz vorgebaute Verjüngungsflächen, und in den ehemals vergrasten Buchenalthölzern sprießt, dank kräftiger Durchforstungstätigkeit, eine üppige Ahorn-, Eschen- und Buchennaturverjüngung. Die Hinwendung, vor allem der öffentlichen Waldbesitzer, zu naturnaher Forstwirtschaft, hat auch in unserem Revier die Qualität des Rehwildbiotops nachhaltig verbessert. Boten die Bestände früher ein weites Schussfeld, endet heute die Sicht nach wenigen Metern in der „grünen Hölle“. Äsung im Wald gibt es durch den vermehrten Lichtgenuss in Hülle und Fülle, und die Zeiten, in denen Rehwild das ganze Jahr über in Sprüngen hungrig aufs Feld zog, sind vorbei. Die Folgen lagen auf der Hand. Futtermagnete wie Klee, Weizen oder gar Waldwiesen hatten zunehmend an Attraktivität verloren, und in der dichten Verjüngung spielte das Wild Verstecken mit uns – von wegen keine Rehe mehr! Mit der Reaktion „Ansitzen auf Teufel komm’ raus“ hatten wir andere unangenehme Zeiterscheinungen noch zusätzlich verstärkt. Nicht nur Jogger, Reiter, Radfahrer und Wanderer sind Unruhefaktoren im Revier, auch unsere gesteigerte Jagdaktivität war nachteilig. Die Bemühungen blieben meist erfolglos und gerieten zum Eigentor. Das Rehwild schien sich auf unseren Jagd-Rhythmus einzustellen. In der Steinzeit wären wir glatt verhungert.
Das Wissen um die Gewohnheiten
Wir haben unsere Jagdstrategie den Bedingungen angepasst. Auf die Sprünge halfen uns letztlich die Rehe selbst. Unser seit fünf Jahren bewährter Lösungsansatz macht sich die natürlichen Aktiv-Phasen des Rehwildes wie Einstandskämpfe, Revierabgrenzung oder Brunft zu Nutze. Nur in diesen Zeiten besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, auch in naturnah bewirtschafteten Wäldern mit dichtem Unterwuchs Rehwild vor die Büchse zu bekommen. Nutzt man während dieser Aktiv-Phasen wirklich konsequent optimales Jagdwetter wie zum Beispiel Frost, Schnee, Windstille oder die Stunden kurz nach einem Regenschauer, dann werden Rehe wieder sichtbar und vor allem auch bejagbar. Schon im ersten Jahr war die Konzentration der Rehwildjagd auf die Monate Mai, August, September und November erfolgreich. Die Zahl der notwendigen Ansitze pro Stück sank um mehr als die Hälfte. Eine weitere Steigerung wurde in den vergangenen vier Jahren durch konsequente Einhaltung von Jagdruhezeiten in den dazwischenliegenden Monaten erreicht. Nur noch die Schwarzwildjagd an zwei fest eingerichteten Kirrungen mit kurzen Anfahrtswegen wird in diesem Zeitraum ausgeübt. Die Folge: Das Rehwild ist vertraut und vor allem am Abend deutlich früher aktiv – ein nicht zu verachtender Vorteil vor allem zu Beginn der vier „Hauptjagdzeiten“. Im Lauf der Jahre haben wir natürlich Urlaubs- und Freizeitplanung auf unseren Reh-Rhythmus abgestellt. Auf intensive Jagdausübung folgen Zeiten, die auch Freiräume für andere Hobbys lassen. Eine Regelung, die uns persönlich sehr entgegenkommt.
Weniger sitzen – mehr schwitzen: Auch wir als Jäger haben in den vergangenen fünf Jahren eine erhebliche Wandlung durchgemacht. Der einfache Grund: Wer erfolgreich jagen will, muss seine Beute genau kennen. Waren wir früher eher dämmerungsaktiv und haben uns recht unvorbereitet auf die Hochsitze gesetzt, finden heute ausführliche jagdliche Vorbereitungen bei Tage statt. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad im Revier, werden die Ansitze schon im Vorfeld genau geplant. Pirschzeichen, egal ob Wechsel, Fegestellen oder Ruhelager: Das Wissen um die Gewohnheiten des Rehwildes macht die Jagd erfolgreicher! Der Hintern ist dabei deutlich schmäler geworden, die Waden dafür um so dicker. Wertvoll waren hier vor allem die Erfahrungen von älteren Jägern mit ihrem reichhaltigen Wissen über das Rehwild, sowie die Lektüre von klassischer und moderner Jagdliteratur von Raesfeld bis Hespeler.
An harmlose Waldbesucher gewöhnt
Hervorragend ist das Buch von Fred Kurt „Das Reh in der Kulturlandschaft“ (Kosmos Verlag ISBN 3-440-09397-2): „Wer ein Reh schießen will, muss lernen zu denken wie ein Reh“ – genau dieses Wissen vermittelt das Buch par excellence. Das Verfeinern unserer Fähigkeiten im Erkennen von Pirschzeichen aller Art hat uns eine ganz neue Dimension an jagdlichem Vergnügen und natürlich an Erfolgen eröffnet. Diese Kenntnisse sind mehr wert, als ein noch größeres Zielfernrohr oder die „Turbo-Rehwildbüchse“. Übrigens, unsere verstärkte Tagaktivität, auch abseits von Waldwegen, hat das Rehwild gut toleriert. Warum auch nicht, die Rehe sind an harmlose Waldbesucher gewöhnt.
Nach der Jagd ist vor der Jagd – der Startschuss fällt zwar erst im Mai, trotzdem beginnen unsere Bockjagd-Vorbereitungen bereits im Februar.
Ein Spaß für die ganze Familie
Auch der Wald ist in Deutschland überwiegend eine Kulturlandschaft. Jeden Winter werden aufs Neue Bestände durchforstet, Althölzer geräumt, Wege gebaut oder Rückegassen angelegt. Der Lebensraum der Rehe verändert sich dramatisch. Vor dem ersten Bockansitz müssen die Jagdeinrichtungen den neuen Verhältnissen angepasst werden. Nur kurzzeitig erfolgversprechende Plätze wie Kleinkahlhiebe (Femelschläge) oder sich verjüngende Bestände (Verjüngung und Schlagflora nehmen nach wenigen Jahren jegliche Sicht) statten wir mit einfachen Leitern aus. Kanzeln gibt es nur auf dauerhaft bejagbaren Flächen wie an Waldrändern, Wegen oder am Übergang von Bodenbewuchs armen Baumhölzern zu Dickungen. An der Möblierung des Waldes möchten wir uns nicht mehr als unbedingt nötig beteiligen. Deshalb wählen wir immer öfters den an Flexibilität nicht zu überbietenden Sitzstock, oder das leicht zu transportierende Ansitzdreibein. Vor dem Aufgang der Jagd heißt es, besonders im März und April, aufgepasst: Verbissgefährdete Forst-Kulturen werden in aller Regel in diesem Zeitraum angelegt. Sind die Flächen jagdlich vorbereitet, ist der erste Schritt zu einer erfolgreichen Schwerpunktbejagung bereits getan. Fege- und Plätzstellen und natürlich markiges Schrecken sind sichere Zeichen für lohnende Bockjagdplätze. Spaziergänge, die Augen fest auf den Boden gerichtet, gehören im April zum festen Wochenendprogramm. Packt man die Sache spielerisch an, wird die „Spurensuche“ zu einem Spaß für die ganze Familie. Jagd und Lebensweise des Rehwildes lassen sich dabei, vor allem den Kindern, hervorragend vermitteln und das Verständnis für die Freizeitbeschäftigung der Eltern wird gefördert. Die Vorverlegung der Jagdzeit auf den ersten Mai kam unserer Jagdmethode übrigens sehr entgegen.
Ruhe und Vertrautheit sind Garant für den Erfolg
Die Einstandskämpfe haben ihren Höhepunkt erreicht, die seit wenigen Wochen führerlos gewordenen Jährlinge und Schmalrehe tapsen unerfahren durch den Wald. Erhöhter Nahrungsbedarf und die frische Äsung bringen jede Menge Leben ins Revier. Das Rehwild ist unterwegs und dank der geringen Vegetationshöhe leicht zu bejagen. Auf ein Ausspähen, Beobachten oder gar Ansitzen in der Morgen- oder Abenddämmerung verzichten wir im Vorfeld gänzlich. Absolute Ruhe und Vertrautheit sind nach unseren Erfahrungen der beste Garant für den Erfolg. Mit einem Paukenschlag an konzentrierter Ansitztätigkeit starten wir in den Mai. Urlaub ist angesagt und Jagdfrei gibt’s in der ersten Woche eigentlich nur bei strömendem Regen oder starkem Wind.
Unser Ziel sind vor allem Jährlingsböcke und ihre jetzt noch sehr gut anzusprechenden Schwestern. Hätten wir es darauf angelegt, wären wir in den letzten Jahren Ende Mai problemlos mit dem Abschuss an Böcken und Schmalrehen fertig gewesen. Zugegeben, wir betreiben unsere Auswahl kaum nach dem Gehörn, schon gar nicht bei Jährlingen, aber auch bei streng selektierender Jagd wäre das Klassenziel in diesem Zeitraum zu erreichen gewesen. Hat sich früher die Bockjagd mit Bummeln, trödeln und schlechter Vorbereitung bis in den Oktober hinein gezogen, lässt sie sich heute in kurzer Zeit und mit sehr viel jagdlicher Freude bewältigen. Zwei Böcke werden für die Brunft aufgespart – lautet die Devise, und so zieht im Juni wieder Ruhe ins Revier ein.
Hat die Brunft Ende Juli ihren Höhepunkt erreicht, beginnt für uns die spannende und interessante Zeit der Blattjagd. Die „Lockjagd“ ist fester Bestandteil in unserem jagdlichen Kulturkreis, stellt an den Jäger höchste Anforderungen und ist wildbiologisch allemal besser, als eine stupide Dauerstörung durch ganzjährige Ansitztätigkeit. Bewährt hat sich auch hier wieder reges Radfahren und Wandern. So mancher treibende Bock verrät sich dabei und kann Stunden später auf die Decke gelegt werden. Zwei, drei ausgedehnte Pirschtage und unsere Bockstrecke ist in aller Regel perfekt und meist um ein zusätzliches Schmalreh bereichert. Im Wald wird es wieder ruhig, und wir widmen uns den auf dem Feld zu Schaden gehenden Sauen.
Dauerstress für Rehwild und Jäger
Auf diese Weise werden aus den jährlich insgesamt neun Monaten Dauerstress für Rehwild und Jäger auf unsere Weise gerade mal zwölf Wochen. Vorauseilender Gehorsam für einen derzeit sowieso schon regelwütigen Gesetzgeber? Auf keinen Fall! Jagd ist für uns eine individuelle Tätigkeit mit hoher Eigenverantwortung. Eingeschränkte Jagdzeiten wollen wir nicht. Wir möchten mit unserem Erfahrungen lediglich dazu anregen, Lebensraum und Wild zu beobachten und die Jagdmethoden den sich häufig ändernden Bedingungen anzupassen. Kurze Jagdzeiten und lange Pausen sind nur eine von vielen Möglichkeiten, Rehwild erfolgreich zu bejagen. Alte Zöpfe, ausgetretene Pfade und ewig gestrige Jäger haben die Rehe nicht verdient. Die Beute ist dem Waidmann sonst immer einen Sprung voraus.
Warum den sicheren Einstand verlassen? Hier gibt es Äsung in Hülle und Fülle |