REHWILDJAGD
In so manchem Revier ist es mit den Jahren beschwerlich geworden, an die gesuchten Recken heranzukommen. Andreas Haußer zeigt, woran das liegt, Peter Schmitt, wie es trotzdem mit dem Bock klappt.
Vielerorts hört man Beschwerden der Jäger, es gebe im Vergleich zu früher immer weniger Rehe, vor allem keine alten Böcke mehr. Aber ist es nicht zu einfach, fehlenden Anblick automatisch mit einem Bestandsrückgang gleichzusetzen? Denn viele Faktoren beeinflussen die Sichtbarkeit beim Rehwild. Hauptgrund ist deren Lebensraum: Da hat sich in den vergangenen 25 Jahren viel verändert. Das meiste wirkt sich auf den Anblick nachteilig aus.
Rehe werden vorzugsweise dann gesehen, wenn sie sich bewegen – also auf dem Weg vom Einstand zur Äsungsfläche oder auf dieser selbst. Je knapper die Äsung ist, desto mehr müssen sie sich bewegen. Generell sind also hungrige Rehe häufiger und leichter zu sehen als satte.
WALD
Früher zwangen bodenkahle Altersklassenwälder die Rehe, weite Strecken zum Äsen zurückzulegen.
Sturmereignisse und Kalamitäten setzten den „Plantagen-Gedanken“ flächendeckend ein Ende.
Die Folge des Waldumbaus: Strukturreiche Mischwälder mit gleichermaßen Äsung und Deckung fürs Wild. Hier einen passenden Bock zu finden, ist äußerst schwierig.
Erinnern Sie sich einmal an die Wälder, so wie sie vor wenigen Jahrzehnten meist ausgeschaut haben: baumartenarme Altersklassenwälder, jüngere Bestände schlecht durchforstet – dunkel, bodenkahl und äsungsarm. Die Rehe waren gezwungen, auszutreten, entweder auf Wiesen und Jungkulturen oder ins Feld. Dabei waren sie sichtbar und wurden erlegt.
Einen sehr großen Einfluss auf die (Un-)Sichtbarkeit des Wildes nahmen die zahlreichen Starkwetterereignisse der letzten 20 Jahre, von denen die Orkane „Wiebke“ und „Lothar“ nur die bedeutendsten, aber nicht die einzigen waren. Sie alle schufen riesige Äsungs- und Deckungsflächen. War dort die Sicht in den ersten zwei, drei Jahren noch optimal, schwand sie spätestens im vierten Jahr rapide. Hinzu kommt ein durch den Klimawandel bedingter Umbau hin zum naturnahen Wald. Heute haben die Rehe bestens gemischte Äsung und Deckung in Hülle und Fülle. Warum sollten sie noch große Ausflüge unternehmen?
FELD
Gülle statt Äsung. Aber auch riesige Maisschläge und Rund-um-die-Uhr-Arbeit erschweren die Bockjagd.
Im Offenland ging die Veränderung vergleichsweise schleichend vor sich. Die Parzellen wurden ständig größer, die Fruchtvielfalt ging immer mehr zurück. Unaufhaltsam hat der Mais die Landschaft erobert. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe sank stetig. Heute arbeiten weniger Menschen in der Landwirtschaft als je zuvor. Eine der Folgen ist die Nachtarbeit. Früher ging der Bauer, nachdem am späten Nachmittag oder frühen Abend das Vieh eingetrieben war, in den Stall. Heute wird im Grünland bei
völliger Dunkelheit gemäht und gegüllt. In Ackerbaubetrieben wird im Scheinwerferlicht gedroschen und gepflügt. Die großen Maisschläge nehmen viele Rehe auf. Sie übersiedeln spätestens im Frühsommer und kommen dann kaum noch in Anblick. Dort bleiben sie – ab der Milchreife bei bester Verpflegung –, bis der Mähdrescher oder Häcksler kommt.
Dazu kommt die ständige, intensivierte Nutzung im Grünland. Vor etwa 50 Jahren dauerte die Heuernte rund drei Wochen. Die Wiese wurde gemäht, das geschnittene Gras angewelkt, auf Heinzen oder Schwedenreuter gehängt, nochmals am Boden getrocknet und schließlich eingefahren. War ein Wiesenstück abgeerntet, kam das nächste dran. Kaum eine Wiese wurde mehr als zweimal im Jahr gemäht. Heute geht das alles innerhalb von Tagen – wenn das Wetter mitspielt. Fünf Mähtermine für eine Fläche sind keine Seltenheit mehr. Dazu kommt noch eine Menge Gülle. Auf vielen Flächen wird – wenn die Böden halbwegs trocken sind – bereits vor Beginn der Jagdzeit gegüllt. Die Landschaft stinkt fast den ganzen Sommer nach der braunen Brühe. Zudem führt die Überdüngung der Wiesen mit Nitrat zu Artenarmut (siehe WuH 3/2015).
Bei mir waren in den letzten Jahren ab Juni in den Wiesen kaum noch Rehe zu sehen. Wozu auch, im Wald ging es ihnen viel besser. Ein Teil wich auf Wiesen aus, deren feuchte Böden das Befahren mit schweren Traktoren und Güllefässern nicht zulassen. Aber bereits im Juni steht dort der Aufwuchs so hoch, dass die Rehe immer wieder völlig in ihnen verschwinden – man kommt kaum an sie ran.
BESUCHERVERKEHR
Gleichzeitig war damals der Publikumsverkehr in Wald und Feld geringer als heute. Ungestörte Reviere gibt es inzwischen kaum noch. Die allgemeine Mobilität sorgt dafür, dass auch der in der Stadt wohnende Mensch am Abend schnell noch raus in die Natur kann. Die Rehe haben deshalb ihr Liebesleben nicht aufgegeben und vermehren sich munter weiter. Aber sie haben sich auf die unzähligen Störungen eingerichtet. Sie
Erholungssuchende: Dort wo sie häufig sind, kommen die Rehe erst spät aus der Deckung.
bleiben in Deckung, bis es dunkel ist. Der Jäger sitzt derweil draußen und sieht nichts.