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Altbache oder Frischling?

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Die Mast des vergangenen Jahres wird in vielen Regionen Deutschlands die Sauenbestände weiter anwachsen lassen. Wie aber werden wir der Schwarzkittel Herr? Welche Altersklasse muss vornehmlichbejagt werden, um das Schwarzwild zu reduzieren? Experten sind sich über den Königsweg uneinig.

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Foto: Winfried Schaefer

 


Obwohl vielerorts die Waidmänner jeden Vollmond nutzen, um Strecke zu machen, und auch bei den Drückjagden auf Sauen kräftig Dampf gemacht wird, steigen die Bestände tendenziell weiterhin an. Als Schlüssel zum erfolgreichen „In-Schach-Halten“ der Schwarzkittel gilt der starke Eingriff in die Frischlingsklasse, bei gleichzeitiger zurückhaltender Bejagung der mittelalten und alten Stücke („Lüneburger Modell“).
Wildbiologe Ulrich Wotschikowsky sieht in dieser Art der Bejagung jedoch ein konservatives Prinzip, bei dem der Wildbestand – das „Kapital“ – erhalten bleibt und der Zuwachs – die „Zinsen“ – genutzt wird. Um die Sauenbestände nachhaltig zu reduzieren, empfiehlt er in stärkerem Maße die mittlere Altersklasse der weiblichen Stücke zu dezimieren und damit das „Kapital“ zu verringern. Wichtiger als das Schießen der Frischlinge ist laut Wotschikowsky das Verhindern derselben durch das Erlegen älterer Bachen. Seine These versucht der Wildbiologe durch ein Rechenbeispiel zu verdeutlichen: Aus einer Rotte mit einer Bache und vier stärkeren Frischlingen werden zwei Frischlinge erlegt. Bei einem Geschlechterverhältnis von 1:1 liegen statistisch gesehen ein Keiler und eine Bache. Während der Keiler keinen Einfluss auf das Populationswachstum hat, ist die Frischlingsbache mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit beschlagen (zur Reproduktionsfähigkeit von Frischlingsbachen siehe WuH 23/2010, Seite 18). Gesetzt den Fall, dass eine solche junge Bache sechs Frischlinge zur Welt bringt, beträgt durch die Erlegung der Beitrag zur Reduktion sechs (im Fall einer Trächtigkeit) oder null Frischlinge. Statistisch gesehen sind es drei.
Wäre stattdessen die Altbache zur Strecke gekommen, würde der Beitrag zur Reduktion sechs oder mehr betragen, da die älteren Stücke mit größter Wahrscheinlichkeit reproduzieren und auch mehr Nachwuchs frischen. Laut Wotschikowsky ist der Abschuss einer Altbache statistisch gesehen viermal so wirkungsvoll wie der einer Frischlingsbache. Damit scheint festzustehen, dass durch das verstärkte Bejagen der älteren Bachen als sichere Zuwachsträger der Populationsanstieg der Schwarzkittel in den Griff zu bekommen ist.
Dr. Claudia Bieber vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie in Wien ist da skeptisch. Ihren Berechnungen zufolge sind unter günstigen Umweltbedingungen (milde Winter, gute Fraßgrundlage) nicht die Altbachen, sondern die Frischlinge der „Motor“ des Wachstums.
Mithilfe von sogenannten Leslie-Matrizen (Modellrechnungen zur Berechnung der Populationsentwicklung) lassen sich langfristig Zuwachsraten bestimmen und vergleichen, wie groß der Beitrag einzelner Altersgruppen zum Bestandswachstum ist (BIEBER & RUF 2004, 2005). Als Grundlage für ihre Berechnungen nutzte Bieber von Lutz Briedermann erhobene Daten zur Reproduktion und Sterblichkeit von Bachenverschiedener Altersklassen.
Die Wissenschaftlerin kommt zu dem Ergebnis, dass selbst bei einem 100-prozentigen Abschuss der alten Bachen die Population – wenn auch langsam – weiter anwachsen würde, gute Umweltbedingungen vorausgesetzt (siehe Grafik unten).
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Die Grafik verdeutlicht, wie sich unter günstigen Umweltbedingungen die Schwarzwildpopulation entwickelt, wenn man die Überlebensrate der Altbachen verändert (Ausgangspopulation 100 weibliche Stücke, 60 Frischlinge, 23 Überläufer, 17 reife Bachen). Die jährliche Überlebensrate der Frischlinge beträgt in diesem Beispiel 60 %. Selbst wenn alle reifen Bachen (Überlebens-rate = 0 %), aber zu wenig Frischlinge, geschossen werden, wächst die Schwarzwildpopulation an. Quelle: Dr. Claudia Bieber

 

Unter solchen Umständen verdoppelt sich nahezu der reproduktive Wert der Frischlingsbachen, während der Beitrag erwachsener Bachen zum Populationswachstum statistisch sinkt. Auch wenn ältere Stücke im Durchschnitt mehr Frischlinge zur Welt bringen als junge, machen Frischlinge in einer wachsenden Population rund zwei Drittel aller Stücke aus und sind laut Bieber allein durch ihre schiere Zahl die Hauptzuwachsträger. Sie weist aber auch darauf hin, dass unter schlechten Umweltbedingungen der Beitrag der Frischlingsbachen zum Populationswachstum geringer ist, da weniger von ihnen überleben und auch nur ein geringer Prozentsatz im ersten Jahr reproduziert.
Bieber kommt zu dem Schluss, dass nur ein massiver Eingriff in die Frischlingsklasse bei einer hohen Gesamtstrecke, die auch Überläufer- und Altbachen einschließt, das Anwachsen der Schwarzwildpopulation stoppen kann. Wotschikowsky sieht bei den Modellen, die den Schwerpunkt auf die Frischlingsbejagung legen, wie beispielsweise das „Lüneburger Modell“, ein Problem in der konsequenten Umsetzung. Dabei betont er, dass Frischlingsanteile von über 60 Prozent der Jahresstrecke selten erreicht würden. Seiner Meinung nach sind solche Konzepte auf den Erhalt beziehungsweise auf die Förderung der Populationsproduktivität ausgelegt.
Auch Dr. Oliver Keuling sieht im „Lüneburger Modell“ ein Hegemodell , das nicht dazu geeignet ist, Schwarzwildpopulationen zu reduzieren. Anhand von Lebenstabellen hat er gemeinsam mit Dr. Ulf Hohmann den potenziellen Lebensreproduktionserfolg der einzelnen Altersklassen errechnet. Rein statistisch gesehen bringen im Verlauf ihres weiteren Lebens Frischlinge 5, Überläufer 8,5 und zwei- bis dreijährige Bachen über 12 Frischlinge zur Welt. Bei Siebenjährigen sind noch 6 und bei Achtjährigen 4 Frischlinge zu erwarten.
Keuling betont, dass alle Altersklassen bejagt werden müssen, um zu regulieren. Er empfiehlt aber, auf Drückjagden nur Frischlinge freizugeben. Dadurch ließe sich ein Großteil der diesjährigen Schwarzkittel abschöpfen. Beim Einzelansitz im Zeitraum von Oktober bis Januar sollte der Jäger vornehmlich nachrangige Bachen erlegen. Das ist laut Keuling ohne Probleme möglich, wenn die dazugehörigen Frischlinge drei bis vier Monate alt sind und keine Streifen mehr tragen.
Norbert  Happ  ist nach längerem, eigenen Praktizieren des Beibachenabschusses davon überzeugt, dass Fehler und damit Störungen im Sozialgefüge unvermeidbar sind und auch zur Aufhebung der Saisonalität der Lebensabläufe führen. Das Unterscheiden von Leit- und Beibachen  sei schon für erfahrene Schwarzwildjäger schwierig, im jagdlichen Alltag fast und bei Drückjagden völlig unmöglich. Er sieht, wie auch Bieber, den Schlüssel zur Regulierung im Eingriff in die Frischlingsklasse. Dabei verweist er auf die erfolgreiche Anwendung des „Lüneburger Modells“ in der Hegegruppe „Kottenforst-Süd“. Seit über 15 Jahren ist dort der Streckendurchschnitt stabil. Fast genau zehn Prozent der Strecke machen adulte Sauen aus, davon etwa je zur Hälfte Altbachen und Keiler. 3,5 Prozent der Jahresstrecke sind jagdbare Keiler mit bis zu 150 Kilogramm Gewicht. Nicht zuletzt die auf den Drückjagden erzielte, meist homogene Frischlingsstrecke ist laut Happ das Zeichen für eine intakte Sozialstruktur und die richtige Art der Bejagung.
Da nur sieben Prozent einer Sauenpopulation ältere Bachen sind, empfiehlt auch Professor Dr. Hans-Dieter Pfannenstiel, den Bejagungsschwerpunkt auf die Frischlingsklasse zu legen. Seiner Meinung nach wird aber generell zu spät mit dem Frischlingsabschuss begonnen. „Wir sind doch keine Kindsmörder“, lautet ein Argument, das er des Öfteren von Jägern zur Rechtfertigung hört. Mit der gleichen Argumentation würden auch beschlagene Überläuferbachen geschont, so Pfannenstiel. Seiner Meinung nach ist das Heuchelei, da auch Alttiere und Ricken während ihrer Jagdzeit beschlagen sind. Wenn die Bachen beschlagen, aber nicht führend sind, sollten sie auf jeden Fall erlegt werden. Das A und O ist und bleibt für den Biologen der Frischlingsabschuss. Dort sollte sich das Augenmerk auf stärkere Frischlinge richten, da diese sich am ehesten an der Reproduktion beteiligen.
Der  gleichen  Meinung ist auch WILD UND HUND-Autor Ulf Muuß. Er betont, dass das „Kindsmörder-Argument“ ein wesentlicher Grund für das Anwachsen der Schwarzwildbestände ist. Dass einige Jäger geringe Frischlinge pardonieren, weil diese angeblich nicht zu verwerten seien, kann der Revieroberjäger nicht nachvollziehen. Er bereitet die kleinen Schwarzkittel wie Spanferkel zu. Wie Pfannenstiel ist auch Muuß davon überzeugt, dass durch einen möglichst frühen und umfassenden Frischlingsabschuss neben einer besonnenen Bachenbejagung beim Einzelansitz die Sauenpopulationen in den Griff zu bekommen sind.
Fazit: Wer Schwarzwildbestände reduzieren will, muss massiv in die Frischlingsklasse eingreifen. Dabei sollten 80 Prozent eines Frischlingsjahrgangs erlegt werden. Das gelingt aber nur, wenn frühzeitig mit der Bejagung begonnen wird und bereits gestreifte Frischlinge erlegt werden. Wie bei anderen Schalenwildarten auch, spricht nichts gegen eine umsichtige Bachenbejagung, sofern diese Stücke nicht führend sind. Nicht zuletzt eine ordentliche und vor allem ehrlich geführte Streckendokumentation über Jahre hilft, die Voraussetzungen für eine vernünftige Schwarzwildbewirtschaftung im eigenen Revier zu schaffen. Text: Markus Deutsch

 

 

 


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