Wie eine richtige Bindung zwischen Hund und Führer
aussieht und wie man diese fördern kann, sagt Theodor Hessling.
Foto: Kristofer Hansson |
Winfried hat endlich einen Begehungsschein. Besonders erfreulich ist dies auch für seinen jungen Deutsch-Drahthaar-Rüden, der bis dahin kaum Möglichkeiten der jagdlichen Förderung hatte. Um dem Hund Eindrücke aus Flora und Fauna zu verschaffen, machen beide einen kleinen Pirschgang durchs Revier. Bisher hatte der Vierläufer keine besonderen Unarten gezeigt. Deshalb lässt Winfried den Rüden im Revier von der Leine. Er soll sich ein wenig austoben. Auf dem heimischen Grundstück pariert der Rüde ja auch recht gut. „Das liegt an der innigen Bindung“, ist sich Winfried sicher. Anfänglich bleibt „Enno“ auch im Einwirkungsbereich seines Hundeführers. Doch ehe dieser sich versieht, werden die Kreise, die der Rüde um ihn zieht, immer größer. Nach einer Weile verharrt der Rüde plötzlich an einer Dickung und steht kurz vor.
Dann springt er ein und jagt lauthals hinter einem Stück Rehwild her. „Er wird gewiss schnell wiederkommen und mich suchen, wenn die erste Erregung der Hatz vorbei ist“, denkt sich Winfried. Doch auch nach zehn Minuten ist von dem Hund nichts zu sehen und nichts zu hören. Nach weiteren 20 Minuten sorgt sich der Jäger ernsthaft, ruft einen Freund an und bittet um Hilfe. Gemeinsam suchen sie den Hund mit dem Auto. Nach einer Weile entdecken sie den Rüden auf einer Waldschneise. Fernab von der Stelle, an der er entlaufen war. Nach kurzem Rufen und Pfeifen kommt der Hund zum Auto des Jagdfreundes. Seinen Führer ignoriert er völlig.
Wieso ist der Rüde nicht zum Ausgangspunkt zurückgekommen? Hat er sich tatsächlich verlaufen? Leider wiederholt sich das geschilderte Verhalten, es wird sogar exzessiver, und der Rüde benötigt keinen Anreiz von Wild mehr, um losgelöst von seinem Führer seine eigene Jagd zu veranstalten. Das Fehlverhalten des Hundes steigert sich von Tag zu Tag.
Grundsteine für eine gute Führerbindung werden bereits im Welpenalter gelegt. Foto. Denise Hartmann |
Die lange Schleppleine, die Winfried empfohlen wurde, führt nicht wirklich zum Erfolg. Der Rüde reagiert zwar an der Leine sehr gut auf Zuruf, aber sobald er merkt, dass die Schleppleine gelöst wird, ist er weg. Die Konditionierungsart, bei Abruf ein Leckerchen anzubieten, bleibt ebenfalls erfolglos. Sobald der Hund eine Verleitung findet, geht er seinen eigenen Weg. Seine Unternehmungen gehen so weit, dass er bis ins Dorf läuft und umherstreunt. Inzwischen musste er bereits mehrfach aus dem Tierheim abgeholt werden, nachdem er aufgegriffen und dort abgegeben wurde.
Winfried kann sich das Verhalten seines Hundes nicht erklären. Zuhause oder im Büro ist „Enno“ ihm sehr zugetan. Außerdem bemüht er sich intensiv um den Hund. Er ist der Meinung, alles für seinen Hund zu tun und versteht nicht, dass „Enno“ zu seinem Jagdfreund gelaufen ist, den er kaum kennt.
Winfried kann sich das Verhalten seines Hundes nicht erklären. Zuhause oder im Büro ist „Enno“ ihm sehr zugetan. Außerdem bemüht er sich intensiv um den Hund. Er ist der Meinung, alles für seinen Hund zu tun und versteht nicht, dass „Enno“ zu seinem Jagdfreund gelaufen ist, den er kaum kennt.
Viele Hundeführer denken, dass schon alleine die tägliche Zuwendung ausreicht, um eine Bindung zu etablieren. Das ist grundlegend falsch. Bis zu einem Alter von sechs Monaten schließen sich Hunde demjenigen an, der sie liebt, füttert und sich mit ihnen beschäftigt. Wem sollte sich der unreife, noch nicht umweltsichere Junghund in diesem Alter sonst anschließen? Er ist unerfahren, sucht sozialen Kontakt und in der Regel ist kein Zweithund vorhanden, der ihn leitet.
Forschungsberichte belegen, dass Imponiergehabe, Eigenständigkeit und Ungehorsam ab sechs Monaten zunehmen. In diesem Alter beginnt in der Regel auch die Geschlechtsreife. Die Charakterstärke reift, und durch Erfahrungen wird der Hund selbstständiger. Er versucht häufiger, in der Gemeinschaft zum Alphatier aufzusteigen.
Hunde lernen durch Konditionierung. Dies bedeutet, dass eine Rangordnung zwischen Hundeführer und Hund in liebevoller Art, aber auch in dominanter Weise hergestellt werden muss. Unterstützende und maßvoll eingesetzte positive Konditionierung bei der Ausbildung ist sinnvoll.
Gelerntes sollte der Hund aber auch ausführen, ohne ständig belohnt zu werden. Seine Handlungen sollten zur Selbstverständlichkeit werden. Wie zum Beispiel bei der Stubenreinheit. Selbstverständlich wird ein Welpe gelobt, sobald er sein Geschäft draußen verrichtet. Aber macht das noch jemand bei einem erwachsenen Hund? Nein, denn es ist ein erlerntes Verhalten, das wir und auch der Hund als Selbstverständlichkeit hinnehmen.
Zudem möchte sich jeder Hundeführer entspannt mit seinen Vierläufern in seinem Umfeld bewegen. Niemand will einen Hund, der ständig bettelt oder bei Außenreizen nicht mehr gehorcht, weil Hase, Reh oder andere Hunde wesentlich interessanter sind, als der Innenreiz (Leckerchen). Gegenteiliges wird zwar gern behauptet, ist aber nicht belegt!
Hier passen Gehorsam und Führerbindung: Der Deutsch-Langhaar steht vor und zeigt seinem Führer, dass er Wild gefunden hat. Foto: Michael Migos |
Biologin Gesine Mantel schreibt zu diesem Thema: „Der Hund wird vom Leckerli regiert, nicht vom Besitzer. Eng verbunden mit den Erwartungen, die wir an unsere Hunde stellen, ist die Art, wie wir sie erziehen. Mir erscheint das Konzept der modernen Hundeerziehung, wie sie heute praktiziert wird, sehr fraglich. Alles dreht sich um positive Motivation. Sei interessant und angenehm für deinen Hund! ist das Credo. Sehr beliebt sind der lebenslang infantile Lockton und massenhaft eingesetzte Leckerlis. Mit lieblicher Stimme werden erwachsene Hunde angesäuselt wie Welpen. Ungehorsam nimmt man nicht zu Kenntnis und quittiert stattdessen das kleinste Wohlwollen des Tieres mit Futter.“
Ausschließlich positive Konditionierung kann also zu Fehlentwicklungen, wie Hyperaktivität, Übersensibilität oder Aggressivität führen. Ein zuverlässiger Gehorsam kann nur erreicht werden, wenn der Führer ungehorsames Verhalten diszipliniert und konsequent unterbindet.
Wenn nur die Liebe zum Hund nötig wäre, um einen Hund an den Führer zu binden, gäbe es ausschließlich wohlerzogene Hunde. Was bedeutet aber Führerbindung? Darunter definiert sicherlich jeder Jäger für sich etwas anderes. Der eine erwartet, dass sein Vierläufer sich während einer Suche beispielsweise immer wieder durch Blickkontakt orientiert, um gemeinsam zu einem Jagderfolg zu kommen, und der andere ist bereits zufrieden, wenn der Hund nach mehrstündigen Stöbergängen wieder zum Führer zurückfindet.
Besteht eine gute Bindung zwischen Führer und Hund, wird auch ein Stöberhund immer wieder zu seinem Herrn zurückkehren. Foto: Michael Migos |
Die Führigkeit ist die Bereitschaft des Hundes, mit seinem Führer zusammenzuarbeiten, sich ihm als Bezugsperson anzuschließen. Führerbindung ist eine natürliche, genetisch verankerte Anlage, die rassespezifisch, aber auch innerhalb einer Rasse variieren kann. Wird die Anlage nicht gefördert und gefestigt, kann sie sich auch nicht wunschgemäß entfalten. Wie aber das Wort schon aussagt, muss der Hundehalter auch führen. Der Gehorsam des Hundes spielt bei der Bindung an den Herrn meistens eine ausschlaggebende Rolle.
Auf Prüfungen und der Jagd sollen Hunde ohne viel Pfeifen und Rufen Kontakt zu ihren Führern halten. Ständiges Pfeifen und Rufen erweckt immer den Eindruck, dass hier ein fehlender Konnex zwischen Hund und Führer besteht. Ein Vierläufer, der sich lange Zeit von seinem Führer entfernt, um dann ins Streunen überzugehen, hat keine ausgeprägte Bindung zu seinem Herrn. Er würde sich jeder anderen Person genauso anschließen, wenn diese freundlich zu ihm ist.
Ein roher Hund, dass heißt ein Vierläufer ohne Grunderziehung, wird bei Reizen von außen unmöglich bei seinem Führer bleiben oder ihm folgen. Die Führerbindung sollte schon ab der Übernahme des Hundes vom Züchter bewusst gefördert werden.
Der junge Hund kann durch kleine Übungen und einer entsprechenden Haltung schnell an seinen neuen Herrn gebunden werden. Führerbindung ist nicht mit dem „Kleben“ am Menschen zu verwechseln. Hunde, die nur am Führer kleben, also sich nicht frei von ihm lösen, sind entweder charakterschwach oder aber durch zu harte Ausbildung unsicher gemacht worden. Sie sind häufig nicht zu bewegen, eine weiträumige Suche zu zeigen.
Der Jagdgebrauchshundverband (JGHV) beschreibt die Führigkeit mit dem „Bestreben des Hundes, mit seinem Führer Verbindung zu halten“. Sie zeigt sich unter anderem darin, wie der Hund beim An- und Ableinen, bei der Suche und beim Vorstehen den Blickkontakt zum Führer sucht und wie er die Verbindung zu ihm auch bei größerer Entfernung immer wieder anstrebt. Aufschlussreich ist zudem, wie er sich nach einer Hetze am Wild verhält. Sucht er zügig wieder Anschluss oder nutzt er die Gelegenheit zum selbstständigen Weiterjagen?
Ein Hund, der sich auf Prüfungen oder auf der Jagd nicht lenken lässt oder sich seinem Führer entzieht, ist für die Jagd nicht brauchbar. Er stört den Jagdbetrieb durch sein planloses Jagen, gefährdet sich und andere sowie das Wild im Sinne des Tierschutzes. Denn nicht wenige dieser Hunde bleiben auf der Straße oder greifen unkontrolliert Wild.
Der Autor und Hundeausbilder Theodor Heßling. |
Die Frage, wie Führerbindung entsteht und wie man sie fördern kann, erklärt sich im Grunde bereits mit dem Begriff selbst. Letztlich bedeutet „Führen“ auch „Bestimmen“. Und zwar das, was der Hund machen und wie er agieren soll. Überlässt man den Hund monatelang sich selber, bilden sich viele unerwünschte Reflexe, die sich dann bei der Abrichtung stark hemmend auswirken können.
Bindung entsteht durch Förderung des Gehorsams und der Betreuung des Hundes. Der Hund muss seinen Führer als „Leittier“ sehen, das ihn lenkt, ihn Erfahrungswerte erleben lässt und der ihn aber auch schützt, zu dem er deshalb „Vertrauen“ aufbauen kann. Ein Führer greift aber auch maßregelnd ein, wenn der Hund das Erlernte aus Eigeninitiative verlassen will. Eine klare Ausbildungsstruktur macht dem Hund begreiflich, dass er sich nicht verselbstständigen darf. Eine sehr gute Führerbindung entsteht nicht nur aus reiner Liebe, sondern muss in den meisten Fällen erarbeitet werden. Besonders in der Freifolge oder in der Suche kann dies speziell durch die lange Schleppleine gefördert werden, denn der Hund wird instinktiv seinem Beutetrieb folgen. Er muss also erst einmal lernen, mit dem Jäger zu jagen. Hat der Hund eine gute Grunderziehung genossen, wird er seinen Führer im Auge behalten oder nach einer beendeten Hetze sofort wieder Anschluss an seinen „Chef“ suchen.
Ähnliche Verhaltensmuster kann man auch in der freien Wildbahn beobachten, wenn Wölfe oder andere Raubtiere in der Gemeinschaft jagen. Caniden haben ein genetisch vorgegebenes Sozialstrukturempfinden, welches gefördert werden muss. Fördert man diese durch Konditionierung, dann dürfte sich auch die Bindung des Hundes nicht problematisch darstellen.
Weitere Informationen
Der Hundeausbilder Theodor Heßling ist aktiver Jäger und Hundeführer. Als WILD UND HUND-Hundeexeperte bietet er eine Vielzahl von Seminaren an. Hier finden Sie aktuelle Termine…
Näheres zum Ausbilder und seine Arbeit finden Sie auch im Internet unter www.jagdhundeschule.de