Ulrich Wotschikowsky galt lange Zeit als wissenschaftliches Aushängeschild der Rotwild-Reduzierer. Doch jetzt schlägt selbst er Alarm.
Wer im Randgebiet durchwechselndes Kahlwild erlegt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er kein Standwild hat |
von Rüdiger Klotz
Ich zweifle immer mehr an der Erhaltung des Rotwildes in Deutschland in nennenswerten Beständen.“
Die jahrelangen Untersuchungen zum Rotwild veranlassten Ulrich Wotschikowsky von der Wildbiologischen Gesellschaft bei einem vielbeachteten Vortrag anlässlich der Delegiertenversammlung des LJV Rheinland-Pfalz am 5. Mai zu dieser düsteren Einschätzung.
Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass der Wildbiologe einer drastischen Rotwildreduzierung das Wort redete. Doch seine zahlreichen Streckenanalysen, vor allem in bayerischen Rotwildgebieten, haben ihn vom Saulus zum Paulus werden lassen.
Der Fachmann macht sich heute große Sorgen um die Zukunft des Rotwildes. An den Beispielen Fichtelgebirge und Spessart-Nord führte er eindrucksvoll aus, dass die Reduktion planlos erfolgt und weit über das Ziel hinausgeschossen sei.
Einige alarmierende Beispiele
Im Fichtelgebirge wurde der Zielbestand Mitte der 80er Jahre auf 750 Stück festgelegt. Man konnte seinerzeit die Abschussvorgabe mit 500 erlegten Stück zu 100 Prozent erfüllen. Trotz stetig sinkender Strecken wurde die Freigabe bis 1990 erhöht.
Der dramatische Zusammenbruch erfolgte Mitte der 90er Jahre, als die Planvorgabe von etwa 500 Stücken nicht mal mehr zu 40 Prozent erfüllt werden konnte.
Heute schätzt man den Ist-Bestand auf etwa 400 Stück und damit fast 50 Prozent unter dem Zielbestand. Die Strecke beträgt gerade noch 60 Stück.
Wenn nun jemand vermutet, dass dadurch die Schäden geringer geworden sind, so muss er sich eines Besseren belehren lassen. Die hohen Konzentrationen in den Kernrevieren führen nach wie vor zu forstlich nicht tolerierbaren Schäden.
Die Entwicklung im Spessart ist nicht rosiger. Im Einstandsgebiet Spessart-Nord erlegt man heute nur noch 60 Stück Rotwild auf 42 000 Hektar, wobei Anfang der 90er Jahre noch über 300 Stück erlegt wurden. Mitte der 90er Jahre konnten die Abschusspläne nicht mal mehr zur Hälfte erfüllt werden.
Es hat den Anschein, dass man sich seitens der Behörden keinerlei Gedanken um kontinuierliche Rückgänge machte.
Eigentlich kein Wunder, denn im Spessart, wie auch in anderen deutschen Rotwildgebieten, gehen die Vorstellungen von einem Zielbestand – wenn es denn solche überhaupt gibt – weit auseinander. Der Staat geht von 0,5 – 1 Stück/100 ha, Privatjäger von 1,5 – 2 Stück/100 ha aus. Daraus ergibt sich auf die Rotwildfläche des nördlichen Spessarts ein zwischen 215 und 860 Stück und damit um 400 Prozent (!) schwankender Zielbestand.
„Bundesweit gibt es kein Leitbild. In keinem Rotwildgebiet existiert ein gemeinsames Ziel für das Rotwild-Management“, beklagt dann auch Wotschikowsky.
Der Forst denkt zielorientiert an seinen Wald, der Privatjäger an seine Hirsche. Beides hält er auch für legitim.
Gemeinsame Ziele von Forst und Jagd
Doch im Interesse des Wildes fordert er von Forst und Jagd eine gemeinsame Zielsetzung. Er definiert vier Ziele:
1. Bessere räumliche Verteilung von Bestand und Abschüssen
Dies ist durch Bestandsaufbau in den Randgebieten durch Schonung des (zuwandernden und durchwechselnden) Kahlwildes möglich. Gleichzeitig soll man in den Kerngebieten die IIIer Hirsche schonen, damit diese in die Randzonen abwandern können.
2. Abbau der Scheu beim Rotwild
Eine differenzierte Jagdstrategie ist dazu nötig: Es empfiehlt sich in Randgebieten die Einzeljagd ab August, allerdings nur auf junge Hirsche, damit man die dortigen Jäger „bei der Stange halten“ kann.
Im Kerngebiet sollte man erst ab Oktober wenige, aber professionelle Drückjagden durchführen, wobei nur Kahlwild freigegeben werden sollte. Die Einzeljagd muss auf wenige reife Hirsche beschränkt bleiben. Er plädiert für eine Schonzeit ab 1. Januar.
3. Schadensbegrenzung in Kerngebieten
Die Schäden entstehen durch zu hohe Konzentrationen in Einständen. Da eine gleichmäßige Bestandsverteilung Wunschdenken bleiben wird, muss die Tagaktivität des Rotwildes gefördert werden. Dies ist durch Verkürzung der Jagdzeiten, Einrichtung von Äsungsflächen, Jagdruhezonen und Betretungsverbote möglich.
4. Mehr alte Hirsche
In allen Altersklassen, insbesondere aber in der jüngsten, wird durch zu liberale Freigaben zu viel geschossen. Ein jung geschossener Hirsch kann nicht mehr alt werden. Insofern müssen die Abschussrichtlinien überdacht werden. Auch das Zielalter kann herabgesetzt werden.
Maßstab ist dann nicht die Reife. Vielmehr die Überlegung, dass eine Jagdpachtperiode zwölf Jahre dauert, in den wenigsten Revieren aber eine Wilddichte vorhanden ist, die nachhaltig erlaubt, dass in dieser Zeit ein reifer Hirsch gestreckt werden kann.
Rotwild-Hegeringe – Wunsch und Realität
Wotschikowsky sieht in Rotwildhegeringen eine Möglichkeit, regional die Interessen des Rotwildes, des Forstes und der Privatjäger aufeinander abgestimmt zu vertreten. Als Punkte, die in jeder Hegeringsatzung enthalten sein müssen, führt er aus:
- Jagdzeiten;
- Jagdmethoden;
- Abschussgliederung;
- jagdliche Ruhezonen;
- Fütterungsstandorte;
- Fütterungszeiten;
- Futtermittel;
- Äsungsflächen.
Des weiteren müssen ein konsequentes Datensammeln und Monitoring erfolgen.
Allerdings: „Viele Hegeringsatzungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen! Jeder unterschreibt und macht dann doch, was er will.“ Der Wildbiologe fordert deshalb harte Kontrollen und auch Sanktionen.
Wotschikowsky fand deutliche Worte, über die man hoffentlich auch an verantwortlichen Stellen, in Jäger- wie Forstkreisen, nachdenkt; denn:
„Jeder Lurch hat eine bessere Lobby als unser größtes Säugetier; denn das hat nur die Jäger – und die haben selbst keine Lobby.“