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„Hallo Herr Jäger! Nicht schießen! Ich bin kein Wild!“

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Wochenend-Freischuss

bitte nicht schießen
Aufbaumen, einrichten und Glas vor die Nase! Sitzen im Wald, gute hundert Meter vom nächsten Weg entfernt. Und sicherheitshalber Jungjäger typisch (?) selbst im August eine Stunde vor der Zeit. Hauptsache das Wild wird nicht übermäßig beunruhigt. Lehrbuchmäßig. Alles gut. Himmlische Ruhe. Die hochsensiblen Ohrstöpsel melden jeden knackenden Ast und selbst das Rauschen der Blätter. Und auch die Anreise blutleerer kontaktfreudiger Mückengeschwader. Tolle Technik! Denn jetzt, es ist inzwischen 8:30 Uhr, meldet sich unüberhörbar mehr…

Ich sitze, also bin ich

Eine Gruppe von fröhlichen Kids in ihren Reiterferien. Die Nachwuchs-Kavallerie naht, offenbar gleich in Regimentsstärke. Erstaunlich, wie leise deren Ponys sind. Und fein, wie munter Kinder zu Pferde miteinander diskutieren können. Ich mag sowas – kein Scherz! Nur vielleicht nicht gerade jetzt, hier und heute beim ersten Ansitz. Egal. Sie ziehen ja flott weiter und dann ist sicher wieder Ruhe. Stimmt. Für eine knappe anblicklose Dreiviertelstunde.
Dann fahren zwei Quads schier direkt unter meinem Ansitz durch. Tempo auf Autobahnniveau, hupendes Überholmanöver inklusive. Respekt vor so viel Fahrkunst! Nur schade, dass es hier im Wald keine Schallschutzwände gibt. Egal. Ich sitze, also bin ich. Und bleibe. Jetzt aber herrlich ruhig! Eine knappe Stunde lang. Dann sind entweder die kleinen munteren Pony-Abenteuer-Racker auf ihrer zweiten Platzrunde oder es ist eine zusätzliche reiterliche Wald-Lärmgruppe, Verzeihung, Wald-Lerngruppe hoch zu Ross. Wie dem auch sei, die haben wenigstens ihren Spaß. Und ich nutze diese leistungsstarke Geräuschkulisse geistesgegenwärtig um solcherart schallgedämpft ein paar Mücken zur Strecke zu bringen… Die hatten ja schon Anblick und Beute: Mich! Ich bleibe trotzdem weiter sitzen und freue mich im Grunde schon final auf die noch fehlende Überflugübung eines dieser schicken neuen A 380 Megajets über meiner Kanzel. Passiert aber doch nicht. Komisch, bei meinem heutigen Glück. Stattdessen gibt es noch eine weitere Stunde „reichlich keinen Anblick“. Was ich – wahrscheinlich völlig zu Unrecht, Jungjäger sind ja manchmal ziemlich naiv – in Verbindung mit dem kräftigen Hundegebell bringe, das aus unbestimmter Richtung den Abend abrundet. Ich packe zusammen, baume ab und schleiche mich… Pech gehabt, unglücklicher Zufall. Aber Morgen früh wird alles anders! Sicher. Darauf ein Glas Wein und dann ab in die Falle, um 4 Uhr ist die Nacht zu Ende…
 

Jungjäger, was willst du mehr?

Ist sie auch, obwohl es nicht danach aussieht. Egal, et iss wie et iss, stockduster. Passionierte Jungjäger kommen mit kurzer Nachtruhe ganz gut zurecht und haben bekanntlich auch keine Angst im dunklen Wald. Also duschen, Zähneputzen, Klamotten an und ab ins Revier. Klugerweise das Auto mit ordentlich Distanz zum Wunschansitz abgestellt und diesmal vorsorglich schon beim Losfahren Rucksack und Waffenfutteral auf den Rücksitzen deponiert. Die automatisch schließende Heckklappe zieht sich immer so laut ins Schloss. Also, bis jetzt alles ruhig und gut gelaufen.
Die Kanzel liegt gegenüber einer großen Wiese – zwischen Wiese und Sitz nur ein schmaler geschotterter Weg, an dem ich mich Schritt für Schritt auf der Grasnarbe leise pirschend vorbeigedrückt habe. Leiser und unauffälliger geht es wirklich nicht. Sauber! 4.43 Uhr und ich sitze. Vermutbar erstklassiges Sichtfeld nach drei Seiten. Jungjäger, was willst du mehr? Etwas Büchsenlicht, dass es so ruhig bleibt und dann reichlich Anblick. In der Reihenfolge. Am liebsten hätte ich natürlich heute Morgen eine Überläufer Rotte oder einen braven Bock vor. Abwarten. Ruhig bleibt es. Bis 5.14 Uhr.
 

„Was wollen Sie hier eigentlich jagen?“

Stechschritt, Hundegehechel und hektisches Taschenlampen Geflatter auf der Schotterpiste. „Haaaallooo! Haaallooo Herrrr Jähägeeeer! Nicht schießen! Ich bin ja kein Wild!“ wird mir kraftvoll brüllend von einer ziemlich aufgeregten Frauenstimme versichert. Ihr Hund bellt bestätigend dazu. Aha, Madame ist also gar kein Wild. Und ihr Hund auch nicht. Ich bin überrascht. Gibt ja schließlich überall im Lande reichlich Wild, das frühmorgens mit einer dicken Flutlicht-Taschenlampe in der Hand warnbrüllend mitten auf Waldwegen herumdonnert. So haben wir es bereits im Jägerkurs gelernt. Inklusive der zugehörigen bundeseinheitlichen Schonzeiten. Die Altersbestimmung erleichtert die Dame mir aber nicht gerade. Denn jetzt ist sie unter meiner Kanzel angekommen und leuchtet mir mit ihrem LED-Hochleistungsstrahler voll ins Gesicht. Gut gelaunt und dankbar, nicht unter Feuer genommen worden sein, sucht sie nun gehaltvolle Konversation mit mir. Und das immer noch mit einer Stimmgewalt, das der Wald wackelt und als wäre ich nicht etwa 4,50 Meter Luftlinie sondern zwei Straßenzüge entfernt von ihr: „Hallo noch mal! Was wollen Sie eigentlich hier jagen, Herr Jäger?“
 

Qual der Wahl

Ich bin begeistert. Endlich – im Gegensatz zu gestern Abend – sogar Anblick! Ein gut gelaunter morgenmunterer Mensch, der ganz offenkundig positives Interesse an der Jagd zeigt. Zudem eine Frau. Und erkennbar begeisterte Hundehalterin, der keine Tages- und Nachtzeit zu früh ist, um ihrem caniden Liebling sinnvollen gemeinsamen Auslauf zu verschaffen. Genau für so eine Begegnung sitze ich ja wohl hier! Großartig, für solch eine Möglichkeit jungjägerlicher Positivwerbung zeitig aufgestanden zu sein! Wobei ich mir gerade sehr genau überlege, wie ich unser Erstgespräch von Mensch zu Mensch nun in Gang halte. Hier drei mögliche Versionen wie es dann weiterging…
  1. Ich habe meine eigene noch stärkere Taschenlampe auf das Krawallweib gerichtet, ihr einen Becher vom zuvor frisch eingeschenkten heißen Kaffee von oben auf den Kopf geschüttet und dann gebrüllt: „Du kannst von Glück sagen, dass ich auf dem Weg zum Hochsitz meine Brille verloren habe und deshalb die scheiß Patronen nicht sauber ins Magazin bekomme. Ansonsten wärst Du Brüllnatter inklusiv Deiner Kacktöle seit 5 Minuten Geschichte! Also zieh bloß ab, bevor ich gleich geladen habe. Und mach auf dem Rückweg ruhig deinen Fiffi von der Leine los, dann kann ich wenigstens noch ausprobieren wie das neue Zielfernrohr mit den Lichtverhältnissen klarkommt. Die Knarre schießt eh Fleck, der spürt davon garantiert nix mehr. Dann kannst du ab morgen wieder länger pennen und störst weder Wild noch Jäger!“
  2. Ich habe die freundliche ältere Dame gewinnend angelacht. Und dann von meiner Kanzel aus nicht nur eine Einladung zu einem gemeinsamen Jäger-Frühstück mit Wildschweinsalami und Hirschschinken ausgesprochen. Sondern mir auch eine gute Stunde Zeit zum gemütlichen Plausch über alle heimischen Wild- und Nichtwildarten, die Mond- und Nichtmond-Phasen, die Verdauungsprobleme von Jagd- und Nichtjagdhunden, die Jäger- und die Nichtjägerprüfung, Flüsterasphalt und Brüllschotter-Wege im Wald und natürlich aufmerksamkeitsstarke, schusssichere Allwetterbekleidung für nachtaktive Hundehalter, die kein Wild sein wollen, genommen. Anschließend haben wir ein kurzes gemeinsames Gebet gesprochen.
  3. Ich habe halb flüsternd geantwortet „Keine Angst, gnädige Frau, ihr Auftritt gerade war so unüberhörbar und überzeugend, dass ich jetzt für heute morgen die Jagd einstelle. Sie haben es ja sicher nicht böse gemeint, aber nun kommt gewiss nichts mehr. Trotzdem klasse, dass sie ihren Hund an der Leine führen und so erkennbar fürsorglich mit ihm umgehen! Ihnen beiden noch ein schönes Wochenende.

Ansitz-Yoga

Okay, es wurde natürlich aus guten Gründen Antwort 3. So sehr mich im ersten Impuls auch die Version 1 gereizt hätte. Aber so geht es nun mal nicht. Auch nicht für sattsam frustrierte Jungjäger, die gerne in Ruhe und möglichst wenig gestört waidwerken wollen. Solange so ein „Frauchen“ morgens um 5 Uhr den eigenen Hund in waldnaher Wohnlage nicht von der heimischen Terrasse aus zum Lösen in Feld und Flur entlässt und der sich dann für ein paar Stunden gleichzeitig zum Wildern in den Wald zurückzieht, empfinde ich es zwar absolut störend und reichlich ärgerlich, einen gut planten Morgenansitz versaut zu bekommen, aber den Hund allein und freilaufend hätte ich als das größere Übel empfunden! Und in Hinblick auf den zuvor anfänglich durch die Reit-Kids verpatzten Abendansitz bin ich sogar relativ entspannt. Ich war schließlich selbst mal abenteuerbegeistertes, lautes Kind. Und finde gerade heutzutage naturverbundene Knirpse beim Wald- und Wiesenritt auf Spaßgäulen deutlich spannender, als irgendwelche blassen Ballerspiel-Blagen beim unkontrolliert vernachlässigten, nächtelangen Computer- oder TV-Ansitz.
 
Wozu also aufregen?! Nach dem Ansitz ist bekanntlich vor dem Ansitz. Ein Jägerleben lang. Heute ist eben vieles anders. Die Zeiten, in denen die grüne Zunft eine besonders anerkannte gesellschaftliche Gruppe war, die Generationen lang regulative Sonderrechte in Feld und Flur für sich beanspruchen und diese auch aufgrund anerkannter, natürlicher Autorität positiv und weitgehend missbrauchsfrei ausüben konnte, sind leider Geschichte. Eine gute Geschichte, an die sich viele alte Nimrode sicher gern zurückerinnern. Obwohl auch heute zum Glück „Opportunismus“ noch nicht als Lernfach in den jagdlichen Lehrbetrieb aufgenommen werden muss. „Diplomatie“ und „Entspanntheit“ sollte man aber bereits als Jungjäger beherrschen. Jagdlich erhobene Zeigefinger und herrische Verbotsansagen oder Strafpredigten von der Kanzel werden von Jagdgegnern ja sowieso, aber inzwischen auch von Jagd-Uninteressierten nicht nur negativ wahrgenommen, sondern zunehmend gegen die Jagd und ihre Jagdausübungsberechtigten instrumentarisiert.
Also, ruhig Blut Jungjäger. Wobei eine klare Ansage in vernünftigem Ton definitiv nichts schadet. Die „Ich-bin-kein-Wild“-Hundefreundin ist nach meiner Antwort jedenfalls mit winkender Grußhand ohne weiteres Gebrüll abgerückt und – wie die ältere Schwester vom Trapper Sam Hawkens – so leise es ging auf der Schotterpiste weitergepirscht. Ein guter, wenn auch nicht der von mir geplante Anblick.
 
Den gab es dafür am gleichen Abend. Ich hatte eine Ricke mit Kitz und ein Schmalspießer, den ich nicht frei hatte, vor. Ein erlebnisreiches Ansitz-Wochenende. Fast wie von mir gewünscht!
 
In diesem Sinne: Waidmannsheil!
 
Euer
Rolf Deilbach


Unser Autor

Rolf Deilbach, Wahl-Eifeler, Angler und Jungjäger mit Humor, der in seiner Freizeit nebenbei auch auf unterhaltende Satire pirscht, wird exklusiv für WILD UND HUND in losen Abständen jagdliche Kurzgeschichten veröffentlichen. Natürlich mit einem zwinkernden Auge, denn das Leben ist nicht nur zu kurz für schlechten Wein, sondern auch für lodengrünen Ärger.
Deilbach

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Wie Rolf Deilbach überhaupt zum Waidwerken kam, lest ihr in seinem aktuellen Buch „Endlich Jungjäger!“ (Kosmos-Verlag, 2013).  Das gibt’s in unserem Shop!


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