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Naturnaher Waldbau auf dem Prüfstand

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Zum Schutz von Auer- und Haselwild im Schwarzwald:
In der Zeitschrift „Natur und Landschaft“ (Heft 1/2003) setzt sich Diplom-Forstwirt Dr. Manfred Lieser, der seit langem als Wildbiologe im Schwarzwald tätig ist, überaus kritisch und ausführlich mit den Ansätzen der Landesforstverwaltung Baden-Württemberg zum Schutz des stark bedrohten Auer- und Haselwildes im Schwarzwald auseinander. Andreas David hat die Forschungsergebnisse aufgearbeitet.

 

Von Dr. Manfred Lieser

Abgesehen von einigen Naturschutzgebieten, insbesondere Nationalparks, wird in Deutschland schon traditionell dem Lebensraum „Wald“ die größte Naturnähe beigemessen. Dass dort auch verschiedene Segmente des Natur- und Artenschutzes gut aufgeboben seien, versteht oder verstand sich von selbst. Die seit etwa 20 Jahren laufenden Diskussionen und Bemühungen vieler Forstverwaltungen um den „naturnahen Waldbau“ und die Zertifizierung von Forstbetrieben haben den Glauben in diesen Automatismus weiter verstärkt.

Doch ist bekanntlich nicht alles Gold, was glänzt. So sind Hasel- und Auerwild in Baden-Württemberg mittlerweile vom Aussterben bedroht beziehungsweise stark gefährdet, obwohl schon seit gut 30 Jahren Arbeitsgruppen der Landesforstverwaltung und jagdliche Vereinigungen um den Erhalt beider Arten redlich kämpfen. Mit den Ursachen des anhaltenden Rückgangs, dem Scheitern der bisherigen Schutzbemühungen sowie einigen Perspektiven, vor allem im Hinblick auf den „naturnahen Waldbau“ setzt sich Dr. Manfred Lieser in seinem Beitrag „Probleme des Artenschutzes im Wirtschaftswald am Beispiel der Raufußhühner im Schwarzwald“ (Natur und Landschaft, 1/2003) auseinander.

Demzufolge bevorzugt das Auerwild seinen Äsungsgewohnheiten, seiner Körpergröße und zahlreicher Verhaltensweisen, vor allem dem Balzverhalten entsprechend die späteren Phasen der Waldsukzession bis hin zur Zerfallsphase. Ein relativ hoher Anteil an Nadelbäumen zur Winteräsung, eine lückige Struktur, die den Großvögeln das Fliegen, die Bodenbalz sowie die Feindvermeidung erleichtert und eine ausgeprägte Bodenvegetation mit einem hohen Anteil an Beersträuchern kommt dem Auerwild entgegen. Das Haselwild dagegen ist an die jungen Stadien der Waldentwicklung angepasst. Weichlaubhölzer, Beersträucher, Kräuter und Gräser als Hauptäsungspflanzen bestimmen die Szenerie, und der dichte Jungwald befriedigt das hohe Deckungsbedürfnis der Haselhühner. Sie leben im Gegensatz zum Auerwild monogam und paarweise territorial und erreichen in ausgedehnten, buschartigen Pionierwäldern maximale Siedlungsdichten. Ältere Bestände können ebenfalls geeignet sein. Dies setzt aber voraus, dass das Kronendach so licht ist, dass sich darunter die Strukturen und Arten des Pionierwaldes entwickeln können, was wiederum in der Zerfallsphase in ausreichendem Maße der Fall ist. Derartige Altbestände können dann von Auer- und Haselwild gleichermaßen genutzt werden.

Waldstruktur hat sich erheblich verändert

Für beide Arten ist (nicht nur) im Schwarzwald seit geraumer Zeit ein deutlicher Rückgang hinsichtlich der absoluten Stückzahl sowie der flächenmäßigen Verbreitung festzustellen. Der aktuelle Haselwildbesatz Baden-Württembergs dürfte nur noch etwa zehn bis 30 Paare umfassen und ist akut vom Aussterben bedroht. Im etwa 430 000 Hektar großen Schwarzwald balzen noch zwischen 300 und 350 Auerhahnen, weshalb der dortige Bestand als „stark gefährdet“ eingestuft wird.

Der Autor sieht die Ursache für diesen kontinuierlichen Rückgang im Verlust qualitativ ausreichender Lebensräume. Innerhalb der zurückliegenden 200 Jahre hat sich der Waldanteil im Schwarzwald zwar von 30 Prozent auf 72 Prozent erhöht, doch hat sich die Waldstruktur erheblich verändert. Zuwachsstarke Nadelbäume – vor allem die Fichte – in einschichtigen, dunklen Beständen ohne Kraut- und Strauchschicht prägen das Waldbild. Ein ehedem hoher Anteil an Tanne und Buche in strukturreichen Mischwäldern musste weitgehend einförmigen Fichtenbeständen weichen.

Dunkel und eintönig

Der damit verbundene großräumige Verlust an geeigneten Haselwildlebensräumen wurde frühzeitig erkannt. Darüber hinaus wurden und werden bis heute die lebensnotwendigen Weichhölzer teilweise aus dem Wirtschaftswald entfernt. Die Möglichkeit ihrer Verjüngung in geschlossenen Beständen überwiegend aus Fichte sowie in Teilen auch Buche oder Tanne fehlen ebenso, wie eine strauch- und krautreiche Bodenvegetation auf relativ großer Fläche.

Die in früheren Zeiten im Buntsandstein-Schwarzwald streugenutzten Kiefernwälder fielen ebenfalls der Förderung (vornehmlich) der Fichte sowie jener der Douglasie und Tanne zum Opfer. Im Verbund mit dem dadurch bedingten Rückgang der Heidelbeere wurden so ehemals gute Auerwildhabitate entwertet. Diese Aussage stützt der Autor durch die Zitate zweier Arbeiten aus dem Villinger Stadtwald und dem Staatsforst Kaltenbronn sowie über zwei Berichte über die ebenfalls stark rückläufigen Auerwildbestände Österreichs. Auch dort wurden die vormals lichten Wälder durch die intensive Bewirtschaftung unter hoher Beteiligung der Fichte immer dunkler und eintöniger.

Zögerliche und Kleinflächige Umsetzung

Eine kurze Diskussion über andere Rückgangsursachen (Klimaänderungen, Störungen durch den Menschen, Beutegreifer) beendet Dr. Lieser mit der Feststellung, dass die Frage, ob das Lebensraumangebot für zusammenhängende, vitale Populationen von Hasel- und Auerwild ausreicht, nach den vorliegenden Lebensraumuntersuchungen und Forstinventuren mit einem „Nein“ beantwortet werden muss.

Im Folgenden geht er dann in einem eigenen Kapitel seines Aufsatzes auf die Frage der Lebensraumsicherung durch den „naturnahen Waldbau“ ein. Der Feststellung, dass die geschilderten Zusammenhänge zwischen dem Lebensraumverlust und dem Rückgang der Raufußhühner im Schwarzwald keineswegs neue Erkenntnisse seien und die Wirkungsweise auch von forstlicher Seite erkannt wird, folgt der Hinweis auf die große Diskrepanz zwischen diesen Erfahrungen und der praktischen Arbeit. Obwohl zahlreiche Wissenschaftler immer wieder auf die zentrale Rolle des Waldbaus für die Erhaltung von Auer- und Haselwild hingewiesen hätten, würden die möglichen waldbaulichen Gegenmaßnahmen im Schwarzwald nur zögerlich und kleinflächig umgesetzt. Selbst die seitens der Landesforstverwaltung von 1984 bis 1990 eingesetzte dritte „Arbeitsgruppe Auerwild“ räumte ein, dass es vielerorts versäumt wurde, die gemachten Vorschläge konsequent umzusetzen. Die Diskussionen um den „naturnahen Waldbau“ haben diese zögerliche Haltung offenbar verstärkt: „Maßgebliche Forstleute behaupteten, es sei wirksamer, auf der Gesamtfläche „naturnah“ zu wirtschaften und dadurch kleine Verbesserungen zu bewirken, als Sondermaßnahmen zu Gunsten der Raufußhühner umzusetzen.“ Um diese Aussage auf den Prüfstand zu stellen, schildert Manfred Lieser zunächst die Inhalte des „naturnahen Waldbaus“ in Bezug auf den Schwarzwald:

• Ziel ist die nachhaltig höchstmögliche Lieferung wertvollen Holzes bei gleichzeitiger Erfüllung und nachhaltiger Sicherung der Schutz- und Erholungsfunktion des Waldes.

• Die natürlichen Waldgesellschaften sollen das Hauptgerüst des Wirtschaftswaldes bilden (Förderung von Buche und Tanne zulasten von Fichte und Kiefer).

• Ziel sind stabile strukturreiche und gemischte Bestände.

• Es werden Einzelstämme auf dem Höhepunkt des Wertzuwachses genutzt. Kahlschläge sollen weitgehend vermieden werden.

• Die Verjüngung bereits naturnaher Bestände erfolgt durch langfristige Naturverjüngung unter Schirm (d. h. mit den Schattbaumarten Tanne, Buche sowie mit Fichte) bei starken Durchforstungen bereits der Baumhölzer.

• Die Verjüngung naturferner Bestände geschieht durch Vorbau (ebenfalls Tanne und Buche, was die Beteiligung der Fichte durch Anflug aber nicht ausschließt).

• Kalamitätsflächen sollen durch natürliche Sukzession wiederbestockt werden, unter Ausnützung von Vorausverjüngung (d.h. häufig Fichte, auch Tanne und Buche) mit unterstützender Pflanzung; Pionierwald soll zumindest zeitweise erhalten und als Vorwald genutzt werden.

• Die Bestandspflege wird in ihrer Intensität auf die jeweiligen Ziele abgestimmt.

• Schäden an Boden und Bestand sind zu vermeiden.

• Überhöhte Schalenwildbestände werden reguliert und Zäune vermieden.

• Totholz soll in bemessenem Umfang und am richtigen Ort belassen werden.

So weit, so gut – oder eben nicht gut. Denn in den folgenden Absätzen bewertet Dr. Lieser Kriterien und Konzepte des naturnahen Waldbaus im Schwarzwald. Eine Wertung, die nicht allein die Forstpartie im Schwarzwald sicher beschäftigen dürfte: „Diese Kriterien (siehe Punktliste, Anm. d. Red.) scheinen primär aus (legitimen) wirtschaftlichen Überlegungen heraus entstanden zu sein, das Konzept hätte daher eher den Namen „rentablerer Waldbau“ verdient. Die Benennung „naturnah“ hat offensichtlich den Zweck, die unter immer stärkeren wirtschaftlichen Zwängen und politischem Druck stehende Forstwirtschaft gesellschaftsfähig zu halten.“ Bei solchen Aussagen rauscht nicht nur der Fichtenwald…

Doch geht Lieser sofort daran und untermauert seine Kritik mit praktischen Beispielen. So hat der Verzicht auf Kahlschläge und der langfristige Umbau naturferner Bestände zur Folge, „dass Letztere noch Jahrzehnte erhalten bleiben und große Flächen für ökologisch wertvollere Bestockungen – insbesondere weichlaubholzreiche Jungwälder – blockieren. Spontan entstandene Pionierwälder, das heißt solche auf Kalamitätsflächen, sollen nur temporär in den Waldbau einbezogen werden, das Verschwinden der Weichlaubhölzer unter dem Konkurrenzdruck der Klimaxbaumarten wird in Kauf genommen.“

Vor dem Hintergrund „zahlloser Waldbegänge und Diskussionen mit Forstpraktikern“ kommt der Autor zu dem Schluss, dass durch den „naturnahen Waldbau“ im Schwarzwald vorratsreiche Dauerbestockungen aus Fichte, Tanne und Buche entstehen sollen, die wiederum Naturverjüngung aus diesen drei Baumarten enthalten. Solche Wälder aber bieten Auer- und Haselwild kaum Lebensraum. Gleiches gilt für den sonst so hoch gelobten Plenterwald als Dauerbestockung, der momentan etwa acht Prozent der Waldfläche im Schwarzwald einnimmt. Weiterhin kritisiert Lieser, dass durch das weitgehende Herausschneiden der Pionierwälder aus der Waldentwicklung zahlreiche weitere Arten, die auf frühe Phasen der Waldsukzession angewiesen sind, benachteiligt werden und dass die „besonders interessante Zerfallsphase weiterhin nicht zugelassen wird“. Die Tatsache, dass weder der herkömmliche noch der angestrebte „naturnahe Waldbau“ den Raufußhühnern geeignete Lebensräume bietet, sei der Landesforstverwaltung Baden-Württembergs bewusst…

Neue Chance durch Orkan Lothar?

Im nächsten Kapitel geht der Verfasser dann auf die möglichen Chancen von Katastrophenflächen ein. Laut Aussage der Arbeitsgruppe Raufußhühner und der Auerwildhegegemeinschaft im Regierungsbezirk Freiburg würden insbesondere die Kahlflächen, die der Orkan Lothar am 26.12.1999 hinterlassen hat, den Waldhühnern eine neue Chance geben und ihre Situation schlagartig verbessern. Dies sei „zugleich das Eingeständnis, dass die reguläre Bewirtschaftung dies nicht leistet. Außerdem räumt man durch diese Aussage ein, dass sich die Lebensräume der Raufußhühner kurzfristig aufwerten lassen“. Voraussetzung sei jedoch ein hinreichendes Aufkommen von Sträuchern, Weichlaubhölzern und der Kiefer sowie die Bereitschaft, ihren Anteil durch konsequente Pflegeeingriffe zu Lasten der Fichte zu sichern. Doch, so der Autor, dürften Katastrophen ebenso wenig wie der „naturnahe“ Waldbau zu Ruhekissen für die Landesforstverwaltung werden, die für die Erhaltung der gefährdeten Vorkommen von Auer- und Haselwild im Schwarzwald verantwortlich seien.

In seinem Fazit stellt Dr. Lieser dann nochmals heraus, dass der Verursacher des Habitatverlustes für Hasel- und Auerwild eine auf Steigerung der Holzvorräte ausgerichtete Forstwirtschaft sei und dass die seit dreißig Jahren bestehenden Arbeitsgruppen der Landesforstverwaltung Baden-Württemberg es vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Interessenkonfliktes nicht geschafft hätten, den Rückgang beider Arten im Schwarzwald aufzuhalten. Gleichzeitig gibt er Hinweise, die auch für die Sachwalter der Hasel- und Auerwildvorkommen außerhalb des Schwarzwaldes interessant sein dürften, im Originalbeitrag aber für die speziellen Verhältnisse im Schwarwald formuliert wurden:

• Verstärkte Holznutzung zur Auflichtung dunkler, geschlossener Nadelwälder.

• Dauerbestockungen (z. B. Plenterwälder) vorratsarm halten, Beteiligung von Lichtbaumarten sicherstellen.

• Begründung strukturreicher Nadel-Laub-Mischwälder durch Naturverjüngung in Femellöchern und auf Kahlschlägen. Kiefer, Lärche und Weichlaubhölzer sollten neben der Buche jeweils mit mindestens zehn Prozent vertreten sein.

• Kahlhiebe mit anschließender natürlicher Wiederbewaldung sind besonders geeignet, naturfremde Nadelholzreinbestände schnell in ökologisch höherwertige Wälder umzuwandeln und den Grenzlinienanteil im Wald zu erhöhen.

• Verzicht auf weiteren Voranbau von Fichte, Tanne oder Douglasie in den wenigen verbliebenen Kiefernbeständen.

• Konsequente Ausformung von Gruppen der wichtigen Mischbaumarten bei der Pflege von Fichtenbeständen. Einzelne bis zum Boden beastete Fichten (Deckungsbäume) sowie einzelne Buchen, Kiefern und Lärchen (Äsungs- und Balzbäume des Auerwildes) zusätzlich frei stellen. Kleine Teilflächen sollten dicht bleiben.

• Bestandslücken mit Bodenvegetation – insbesondere Heidelbeere – erhalten und bei Höherwerden des Bestandes erweitern, damit der Lichteinfall bis zum Boden gewährleistet bleibt. Dabei zumindest einzelne, tief beastete Flächen an den Rändern belassen.

• Wechsel von lichten und dichteren Bestandespartien anstreben.

• Dichten Unterstand (zum Beispiel Fichtennaturverjüngung) stark ausdünnen, aber kleinflächig belassen. Dies ermöglicht die Feinderkennung, fördert die Bodenvegetation und erhält Deckungsinseln.

• Schließen der Entwässerungsgräben in Kiefernwäldern auf anmoorigen Standorten, wo die Fichte durch die Trockenlegung begünstigt wird und die früher lichten Bestände mit einer üppigen Beerstrauchdecke zuwachsen.

• Sturm- und Schneebruchflächen künftig in verstärktem Umfang ohne Aufarbeitung des Holzes der natürlichen Sukzession überlassen (insbesondere im Staatswald), Zulassen von Wildnisgebieten.
• Unverzügliche Beseitigung aller Drahtzäune in Wäldern mit Raufußhühnern.

Kritische Herangehensweise gefordert

In den letzten Absätzen seines Aufsatzes zieht Dr. Manfred Lieser ein vernichtendes Resümee: „Nach den Erfahrungen der letzten dreißig Jahre ist es unwahrscheinlich, dass all diese Maßnahmen in die reguläre Bewirtschaftung integriert werden… Es wäre wünschenswert, wenn man endlich die fruchtlose Diskussion von Nebenthemen beendete. Künftige forstliche Arbeitsgruppen – auch solche in anderen Regionen oder zu anderen Themen – müssen sich unverzüglich der Kernfrage widmen und rasch mit der praktischen Umsetzung beginnen. So kann wertvolle Zeit für die Entwicklung von Habitaten gewonnen werden. Letztendlich müssen Vertreter des Naturschutzes kritischer an ökologisch relevante Programme der Forstverwaltungen herangehen und Begriffe wie „naturnaher Waldbau“ gründlich hinterfragen. Unsere Wälder nehmen eine zu große Fläche ein, als dass man sie in jeder Hinsicht bedenkenlos der Verantwortung von Forstwirten überlassen sollte.“ Starker Tobak…

Das Haselwild bevorzugt weichholzreiche Jungwälder

 


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