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Grünauge im Visier

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KORMORANE

Wo fliegen sie, wo fressen sie, und wie kommt der Jäger an die Wasserraben heran? Simon Obermeier hat mit Wildbiologen und Jagdpraktikern gesprochen und erstaunliche Erkenntnisse über einen faszinierenden Vogel zusammengefasst.

Komorane
Foto: Manfred Rogl

Ein Trupp schwarzer Vögel streicht nur wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche – etwa 40 Stück. Ihre Formation gleicht der einer Treiberwehr. Sie halten eine etwa 50 Meter lange Linie. Binnen weniger Minuten legen die Gefiederten so eine beachtliche Strecke zurück. Es sind Kormorane. Immer wieder stoßen einzelne in das kühle Nass, sind für einige Zeit verschwunden und tauchen mehrere Meter entfernt plötzlich wieder auf. Sie schlagen mit ihren Schwingen, laufen mit ihren Ruderfüßen über die Wasseroberfläche und schließen sich der Formation erneut an.

Oberhalb der Oberfläche herrscht eine effiziente Ordnung, unter Wasser ein großes Chaos. Projektilen gleich durchbrechen die Kormorane den Wasserspiegel, schießen auf ihre Beute zu, packen diese und versuchen, sie Kopf voran, zu verschlingen. In alle erdenklichen Richtungen spritzen Fische auseinander. Einige entkommen, andere werden gefasst, wieder andere kommen durch Schnabelhiebe verletzt davon.

Die Wissenschaft nennt dieses zweifelsohne faszinierende Schauspiel „social hunting“. Zumeist machen sich die Kormorane Hindernisse wie Staumauern, Wehre oder Uferlinien zunutze, gegen die sie die Fische drängen. Wie flexibel die Vögel bei ihren Jagdmethoden sind, zeigt ein Beispiel aus Österreich: Sie bildeten eine Kette quer über einen Fluss, trieben ihre Beute mit Schwingenschlägen auf das Wasser vor sich her in Richtung oberhalb wartender Artgenossen. Am Zürcher See wurden bis zu 4.000, am holländischen Ijselmeer 10.000 Exemplare bei solchen gemeinsamen Treibjagden beobachtet. Dr. Franz Kohl, der dieses Verhalten in seiner umfangreichen Broschüre „Kormorane und Fische, Naturschutz und Fischerei. Fakten und Argumente zu einem lösbaren Problem“ beschreibt, geht davon aus, dass die Wahl der Jagdstrategie davon abhänge, wie dicht die Fische im jeweiligen Gewässer beisammen stehen. Das entscheide letztlich darüber, ob es sich lohnt, in der Gruppe zu jagen oder doch einzeln für sich.

Wie sich die Fischfresser unter Wasser orientieren, ist bisher nicht genau geklärt. Man weiß lediglich, dass beim Tauchen eine Nickhaut wie eine Art Taucherbrille vor die smaragdgrünen Augen klappt und so problemlos in Tiefen von bis zu 20 Metern Fische entdeckt werden. Die Vögel haben besonders in klaren Gewässern ein hervorragendes Sehvermögen. Am Bodensee- Obersee konnte eine Rekordtiefe von 63 Metern gemessen werden, so Kohl. Fest steht: Kormorane sind außerordentlich effektive Unterwasser-Jäger.

Zwei der Wasserraben nach der Fischjagd: Diese Phase nutzen sie, um ihr Gefieder zu trocknen (l.) und zu pflegen (r.). Links sitzt ein Jungvogel mit heller Bauchseite. Foto: Hinrich Bäsemann

Durchschnittlich benötigt ein Kormoran 500 Gramm Fisch pro Tag, hochgerechnet einen Jahresbedarf von über 180 Kilogramm. In Frostperioden kann er auch mit erheblich weniger auskommen. In fischreichen Gegenden schöpft er hingegen aus dem Vollen und liegt deutlich über den 500 Gramm, weiß Tobias Küblböck, Kormoranbeauftragter an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft und Fischerei. Dass sich die Schwarzgefiederten hierbei lediglich auf Weißfische spezialisieren, wie das von Vogelschützern regelmäßig behauptet wird, kann als widerlegt angesehen werden. Hierzu der Kormoran-Experte Dr. Stefan Keller: „Der Kormoran ist ein Opportunist. Eine Präferenz von Fischarten ist insofern zu beobachten, als sie überwiegend Massenfischarten fressen, die leicht zu erbeuten sind. Wird er regelmäßig gestört oder vergrämt, benötigt er mehr Energie.“ Laut Keller erfordert eine Flugstunde mehr ungefähr 50 Gramm zusätzlichen Fisch. Die Palette reicht von wenige Zentimeter messenden Rotaugen und Flussbarschen bis hin zu 90 Zentimeter langen Aalen. Wie hoch die Zahl der Fische ist, die zwar nicht vertilgt, aber nach einem Angriff verletzt wurden und oftmals etwa durch Pilzerkrankungen verenden, ist hingegen schwer zu sagen. Schätzungen zufolge sind dies etwa 20 Kilogramm Fisch im Jahr pro Kormoran.

Binnen 40 Jahren ist die Herbstpopulation im westlichen Kontinentaleuropa von einst 30000 auf circa 1,2 Millionen Stück angewachsen. Keller geht für Deutschland von derzeit 20000 Brutpaaren aus. Die Ursachen für die rasante Bestandsentwicklung sieht er zum einen in der Zunahme der „Fischbiomasse“, die mit der Gewässereutrophierung, also dem Anstieg an Nährstoffen, einhergeht, zum anderen im strengen Schutz durch die EU-Vogelrichtlinie für diese Art. Aber auch die geringere Belastung mit Umweltgiften wie DDT habe den Bruterfolg deutlich erhöht.

Nicht zuletzt der enorme Bestandsanstieg hat Forderungen nach einer Bejagung der Wasservögel neuen Auftrieb verschafft. Einige Bundesländer (siehe Tabelle) sind diesen durch spezielle Kormoranverordnungen entgegengekommen. Die Bandbreite der Jagdarten reicht vom Abschuss an Fischereinetzen vom Boot aus, über die Erlegung an Schlafbäumen bis hin zur besonders wirkungsvollen Jagd tagsüber mit Lockvögeln an Trockenplätzen. Um allerdings Strecke zu machen, muss der Jäger, wie bei jeder anderen Art auch, lernen, den Kormoran zu verstehen.

Zunächst drängt sich förmlich die Frage auf: Wie sieht der typische Tagesablauf der Vögel aus? Oder anders ausgedrückt: Wann und wo kann ich sie erwischen?

Bei Tagesanbruch, oft noch vor Sonnenaufgang, verlassen die Kormorane in der Regel ihre zentralen, meist ufernahen Schlafplätze. Sie begeben sich daraufhin zu fischreichen Gewässern. Ihr Aktionsradius kann dabei bis zu 40 Kilometer um die Schlafbäume betragen, weiß Matthias Ruff, einer der beiden Kormoranberater Bayerns. Nach erfolgreicher Fischjagd halten sich die Kormorane an ungestörten Tagesrastplätzen, wie Sandbänken oder Baumgruppen, auf, wo sie häufig mit ausgestreckten Schwingen ruhen sowie ihr Gefieder trocknen und pflegen. Dabei kann die für den Kormoran typische Trockenstellung beobachtet werden. Die Vögel stehen teils stundenlang mit den gespreizten Schwingen fächelnd an Land. Zudem nutzen sie diese Phasen, um die erbeuteten Fische zu verdauen. Werden sie dabei gestört, würgen sie häufig den gerade erbeuteten Fisch aus, um sich zu erleichtern, erklärt Kohl. Im Anschluss fliegen sie oft schon in den ersten Nachmittagsstunden wieder zu ihren Schlafplätzen zurück, wo sie den Rest des Tages und die Nacht verbringen. Für den Jäger gilt es somit, frühzeitig an den Schlafbäumen Stellung zu beziehen. War der erste Fischzug aber erfolglos oder brachte zu wenig ein, starten Kormorane einen zweiten Beutezug. Die meiste Zeit des Tages trifft man Kormorane also weitgehend inaktiv an. Flugphasen und die Nahrungsbeschaffung machen nur einen geringen Teil ihres Zeitbudgets aus.

Doch an welchen Stellen kann man mit Kormoranen besonders rechnen? Welche Plätze sind für sie attraktiv? Zwei Faktoren, so Thomas Keller, seien für die Platzauswahl der Vögel besonders relevant: Verfügbarkeit von Nahrung und Störungsarmut. Als Ruhe- und Schlafplätze dienen meist hohe gewässernahe Bäume, die einen guten Anflug ermöglichen und ausreichend Rundumsicht gewähren. Zum Brüten präferiert der Kormoran zudem kleine, ruhige Inseln, berichtet Matthias Ruff. Als bevorzugte Jagdgründe nutzen die Vögel vor allem gut strukturierte Bereiche mit Totholz, da wegen der dortigen Unterstände der größte Fischreichtum herrscht.

Bisher könne zudem keine Studie belegen, dass diese Unterstände die Fische vor den Kormoranen schützen, eher im Gegenteil, so Ruff weiter. „Kormorane sind Gewohnheitstiere und sehr anpassungfähig“, sagt Tobias Küblböck. Hätten sie erst einmal ein attraktives Gewässer oder einen Teil davon entdeckt, würden sie es regelmäßig, oft sogar zur gleichen Tageszeit, aufsuchen. Darüber hinaus seien sie sehr standorttreu, wie Beobachtungen von farbig beringten Vögeln zeigen würden, ergänzt Keller. Insofern könne von einer gewissen Flugroutentreue, die sich vor allem an markanten Landschaftsmerkmalen wie Wasserläufen orientiert, ausgegangen werden.

„Wie bei vielen anderen bejagten Arten kommt es auch beim Kormoran zu entsprechenden Anpassungen. So brechen sie etwa früher vom Schlafplatz zu den Gewässern auf oder erhöhen deutlich ihre Fluchtdistanzen“, sagt Thomas Keller. Ein Muss für den Jäger ist also Tarnkleidung und Gesichtsmaske. Denn Kormorane verfügen auch an Land wie die meisten Vogelarten über einen gut ausgebildeten, räumlichen Gesichtssinn. Transportable Tarnstände versprechen neben guter Deckung zusätzlich große Flexibilität bei der Platzwahl. Weniger bewährt hätten sich, wie erfahrene Kormoranjäger bestätigen, feste Ansitz einrichtungen, etwa kleine Hütten, an Ruhe- oder Schlafbäumen, da Kormorane sehr sensibel auf sie reagieren und den Plätzen oft für längere Zeit gänzlich fernbleiben.

Komorane
Kormorane sind sozial lebende Vögel und Koloniebrüter. Hierfür nutzen sie meist hohe, ufernahe Bäume. Es gibt allerdings auch bodenbrütende Kolonien. Foto: Armin Hofmann

Auf Störungen reagieren die Vögel allgemein sehr sensibel. Aus ihrer täglichen Arbeit wissen die beiden Kormoranbeauftragten Ruff und Küblböck, dass der Abschuss weniger Exemplare bereits ausreicht, um einen längerfristigen Vergrämungseffekt zu erzielen. Dies gelte vor allem an neubesetzten Schlafbäumen. Sie berichten von Fällen, in denen solche Maßnahmen über den Zeitraum von fast einem Jahr ihre Wirkung zeitigten. Sind Schlaf- und Ruhestellen allerdings erst einmal im Gedächtnis der Fischfresser abgespeichert, würden ähnliche Aktionen mehr Aufwand und Zeit benötigen. Bei Vergrämungsaktionen mit Licht wurde zudem deutlich, dass vor allem bei überwinternden Kormoranen, anders als bei Durchzüglern, schnell ein Gewöhnungseffekt eintritt, und die Maßnahmen weniger fruchten. Keller sieht Abschüsse vor allem in Durchzugsgebieten und größeren Gewässern grundsätzlich kritisch. Sie würden keine langfristigen Erfolge bringen, da erlegte Kormorane schon nach wenigen Tagen durch Neuankömmlinge ersetzt werden. Dem Fischverlust könne dadurch trotz hoher Abschusszahlen nur schwer entgegnet werden.

Für Dr. Franz Kohl ist allerdings klar, dass die Kormorane selbst an eben jenen großflächigen Gewässern Fischbestände übermäßig reduzieren würden und entsprechende Maßnahmen unumgänglich seien. Dabei betont er aber auch: „Das Problem ist nicht der Kormoran an sich. Das Problem ist ihre zu große Zahl.“

Fakten in Kürze

• Kormorane benötigen täglich etwa 500 Gramm Fisch (von drei Zentimeter großen Elritzen bis zu 90 Zentimeter langen Aalen). Hierfür erreichen sie Tauchtiefen von bis zu 63 Metern.

• Sie sind ausgezeichnete Flieger und erreichen Spitzengeschwindigkeiten bis zu 70 km/h.

• Kormorane können bis zu 25 Jahre alt werden.

• Der Bruterfolg der Kolonienbrüter ist sehr hoch. Im Durchschnitt kommen 1,7 Jungvögel pro Brutpaar (Brutzeit: 28 Tage) durch. Das Weibchen legt drei bis fünf hellblaue Eier. Beide Partner brüten (Saisonehe). Flugfähig ist der Nachwuchs nach circa zwei Monaten.

• Die Balz beginnt im Februar oder März. Schlupfbeginn ist im April bis Mai.

• Jungvögel haben ein eher bräunliches Gefieder mit einer hellen Bauchseite. Bis zur Geschlechtsreife mit drei bis vier Jahren wird dieses mit jeder Mauser dunkler, bis es die typische tiefschwarze Farbe erreicht.

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