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Sturm im Wasserglas – Jagdbefriedung

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Vor zwei Jahren konnten erstmals Grundeigentümer aus der Jagdgenossenschaft ausscheiden und die Jagd auf ihren Flächen untersagen. Angst vor einer Zersplitterung der Reviere ging um. War sie begründet?

Christoph Boll

Als vor knapp vier Jahren der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied, dass Grundstückseigentümer die Jagd nicht tolerieren müssen, sahen manche das deutsche Reviersystem, zumindest aber die flächendeckende Bejagung gefährdet. Es dauerte noch ein wenig, bis das Urteil in nationales Recht umgesetzt war und passend zum Jagdjahr 2014/15 in Deutschland erste Anträge auf Jagdbefriedung gestellt werden konnten.

Zwei Jahre danach ist klar: Den befürchteten Flickenteppich in Revieren, die aus diesem Grund unverpachtbar sind, gibt es nicht – und es wird ihn auch in Zukunft wohl nicht geben, wenngleich Jagdgegner jeden neuen Antrag im weltweiten Web nahezu euphorisch feiern. „Und die Welle rollt“, frohlockte etwa das Magazin „Freiheit für die Tiere“ vor einem Jahr.

Jeder einzelne Fall ist für den betroffenen Pächter ärgerlich. Aber die Bilanz offenbart statt Riesenwelle eher einen Sturm im Wasserglas, wenn sie sich an Zahlen orientiert. Ganz einfach ist das nicht, denn es werden weder bundes-noch landesweite Statistiken geführt, erst recht keine, die jederzeit auf dem aktuellen Stand sind. Klar aber ist, dass es mehr ein Thema in den westdeutschen als in den ostdeutschen Revieren ist.

Beantragt werden müssen die „Befriedungen“, von denen manche auch nur vorübergehend bewilligt werden, dezentral bei den Unteren Jagdbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte. Auch der Deutsche Jagdverband hat deshalb nach Angaben von Pressesprecher Torsten Reinwald nur einen annähernden Überblick. Danach dürften bundesweit etwa 0,1 Promille der jagdbaren Fläche aufgrund des EGMR-Urteils aus der Bejagung genommen sein. „Bundesweit hat das Urteil also keine Relevanz“, bilanziert Reinwald die bisherige Entwicklung. Soweit nachvollziehbar, hat sie zu insgesamt etwa 600 Anträgen geführt, von denen aber bislang nur ein Bruchteil zu erfolgreichen Jagdbefriedungen von meistens kleinen Grundstücken geführt hat.

Dass es so gekommen ist, hat seine Ursache auch in den hohen Hürden, die der Gesetzgeber errichtet hat. Unabdingbar sind ethische Gründe, aus denen der Grundstückseigentümer die Jagd ablehnt. Und die sind bei Weitem nicht immer erkennbar, selbst wenn sie behauptet werden.

Das musste sich auch ein Mann von der 15. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf sagen lassen. Erfolglos hatte er gegen eine Entscheidung des Landrates im Rhein-Kreis Neuss geklagt. Wie jemand die Jagd ethisch ablehne, wenn er gut anderthalb Jahre zuvor noch die Zulassung zur Jägerprüfung beantragt hatte, blieb dem Gericht schleierhaft. Der Kläger hatte zwar später die Vorbereitung auf die Jägerprüfung abgebrochen, dies aber vor Gericht nicht plausibel erklärt (Aktenzeichen: 15 K 8252/14).

Wie in diesem Fall kommt es immer mal wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, wenn die Untere Jagdbehörde zuvor den Antrag abgelehnt hat. So antwortete die nordrhein-westfälische Landesregierung Ende vergangenen Jahres auf eine Anfrage der Piratenpartei, dass von 151 insgesamt gestellten Anträgen bis dahin 34 mit einem Flächenumfang von 84,13 Hektar genehmigt und 20 abgelehnt wurden. Die anderen Fälle waren noch offen.

Immer wieder aber werden Anträge auch zurückgenommen. Das geschah in Niedersachsen nach Auskunft des Landesumweltministeriums in Hannover bis September vergangenen Jahres in 22 von insgesamt 47 Fällen. Gelegentlich finden die Jagdgegner eine andere Lösung wie ein Tierschützer aus dem Kreis Harburg, der seine Wiese einfach an eine Naturschutzbehörde verkauft haben soll.

Oft genug steckt hinter der Jagdablehnung auch nur ein Nachbarschaftsstreit oder der Ärger über das Verhalten des Revierinhabers. Ein klärendes Wort führt dann vielleicht zu einer einvernehmlichen Lösung und Beruhigung der Gemüter. Manchmal schreckt auch einfach die Gebühr ab, die durchaus bis 1 000 Euro betragen kann und die die Behörden nach eigenem Ermessen anhand des Verwaltungsaufwandes festlegen.

Besonders schlagzeilenträchtig und damit politisch heftig diskutiert waren die 68 000 Euro, die der Eigentümer von 35 Parzellen Privatwald an die Untere Jagdbehörde im saarländischen St. Wendel zahlen sollte. Im Vergleich dazu lässt sich der Wegfall des Pachtgeldes leicht verschmerzen. Auf dieses Geld muss der Grundstückseigentümer nämlich verzichten, weil er aus der Jagdgenossenschaft ausscheidet.

Aber selbst Zahlungsbereitschaft, die lautersten Motive und eine jahrelange vegane Ernährungsweise sind nicht immer Voraussetzung, Hörnerklang und Pulverdampf vom eigenen Grundstück verbannen zu können. Denn die Erhaltung eines artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen, der Schutz vor übermäßigen Wildschäden und Tierseuchen sowie Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege müssen sichergestellt bleiben – bezogen auf den gesamten jeweiligen Jagdbezirk. Anzuhören sind dazu die Jagdgenossenschaft, der Jagdpächter, die angrenzenden Grundeigentümer, der Jagdbeirat sowie die Träger öffentlicher Belange. Eine Befriedung soll außerdem erst mit Ende des laufenden Jagdpachtvertrages erfolgen. Im Ausnahmefall kann die Jagdgenossenschaft vom Antragsteller den Ersatz des Schadens verlangen, der ihr durch die vorzeitige Befriedung entsteht.

Die Befriedung erlischt, wenn der Grund und Boden verkauft wird, und ist zudem an die Person gebunden. Dagegen haben besonders Naturschutzverbände protestiert. Sie besitzen oft große zusammenhängende Flächen. Dem DJV hingegen ist wichtig, an der bisherigen Praxis festzuhalten. „Juristische Personen haben kein Gewissen und können sich deshalb auch nicht auf das EGMR-Urteil berufen. Diesen Grundsatz gilt es zu erhalten. Wir müssen aufpassen, dass die strengen Kriterien nicht aufgeweicht werden. Das EGMR-Urteil darf nicht der Einstieg zum Ausstieg aus dem Reviersystem sein“, so Reinwald.

Für manchen Jäger ist das Thema zudem ein weiterer Beleg dafür, dass die Grünröcke am Ende immer die Dummen sind: Den emotionsgeladenen Tierschützern schießen sie zu viel, fanatischen Waldschützern zu wenig.

Die Revierinhaber aber können in aller Regel gut damit umgehen, wenn vereinzelt fast immer nur wenige Hektar große Areale befriedet werden. „Die Jagdpraxis und die Strecke beeinflusst das nicht. Wir betreten die Fläche einfach nicht“, sagt Rudolf Bodi. Sein Revier im münsterländischen Ladbergen war vor zwei Jahren als eines der ersten, wenn nicht als erstes in Nordrhein-Westfalen, betroffen. Um knapp zehn auf gut 200 Hektar schrumpfte das Niederwildrevier mit regelmäßigem Damwildvorkommen. Der Eigentümer, ein regional bekannter Comedian, ließ sich anschließend landesweit in den Medien feiern und beklagte, niemand in der Genossenschaft habe am Ende mehr neben ihm sitzen wollen: „Viele haben mich angegiftet, mich gefragt, was ich mich denn so aufspielen würde.“

Nachahmer fand er vor Ort nicht. „Er hat keinen Rückhalt bei den anderen Grundstücksbesitzern und ist ein absoluter Einzelkämpfer“, bestätigt Hegeringleiterin Anja Snethkamp. Aus ihrer Sicht liegt das auch daran, dass viele Flächenbesitzer jagende Bauern sind. Bei denen stößt jeder Akt der Entsolidarisierung auf wenig Gegenliebe.


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