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Rehwildbejagung: Jeden Spießer erlegen?

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Noch immer sitzt einigen Jägern bei der Bockjagd der (nicht mehr existente!) Rote Punkt im Nacken. Obwohl die meisten Abschussrichtlinien mittlerweile nur noch eine Differenzierung in Jährlinge und ältere Böcke vorgeben. Doch was ist dran am Wahlabschuss?

 

Dieser Jährling dürfte hier und da noch zu den „Plusvarianten“ zählen

von Prof. Dr. Christoph Stubbe

Ein wichtiges Ziel jeder Rehwildbewirtschaftung ist die Regulierung der Wilddichte und Populationsstruktur. Das Fehlen natürlicher Feinde (Großraubwild) in Mitteleuropa fordert vom Jäger eine zahlenmäßige Begrenzung der Rehwildbestände zur sinnvollen Einordnung in die gesamte Lebensgemeinschaft.

Abschussplan

Das Erreichen der festgelegten oder angestrebten Wilddichte ist und bleibt also vorrangiges Ziel des Abschussplanes. Bei erhöhten Rehwilddichten, wie sie in vielen Waldgebieten Deutschlands noch immer vorliegen, muss daher die zahlenmäßige Erfüllung des Abschussplanes an erster Stelle stehen (Zahl vor Wahl).

Dabei ist aber zu beachten, dass eine Bestandsreduzierung im wesentlichen nur über den Abschuss weiblichen Wildes erreicht werden kann.

In Feldrevieren sowieso, aber auch in Waldrevieren, in denen die Ziel-Wilddichte erreicht ist, kann dann ein Wahlabschuss erfolgen. Dieser kann in der Praxis eine entscheidende Maßnahme sein, die in positiver oder negativer Richtung auf die Entwicklung eines Rehwildbestandes einwirkt.

Der Selektionsabschuss muss in der im Abschussplan festgelegten Altersstruktur erfolgen. Eine Übererfüllung darf nur bei Jährlingsböcken und weiblichen Kitzen erfolgen. Sie zieht einen geringeren Abschuss bei den älteren Rehen nach sich.

Selektionsabschuss beginnt bei den Bockkitzen

Der Selektionsabschuss beim männlichen Rehwild beginnt bei den Kitzen. Die Auswahl kann nur nach der Körperstärke erfolgen, wozu allerdings eingehende Kenntnisse über den zu bejagenden Bestand notwendig sind. Die Körperstärke ist aber auch für die älteren Böcke ein wichtiges Merkmal.

Starke Kitze sind Ausdruck einer guten Jugendentwicklung, die eine wesentliche Voraussetzung für starke Trophäen im höheren Alter ist. Die Stärke und Entwicklung der Rosenstöcke spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Die Auswahl nach der Körperstärke in den höheren Altersklassen wird leider oft vernachlässigt, da sie nicht bewertet oder „ausgestellt“ wird. Eine Ursache hierfür ist aber auch das durch die Feistzeit und Brunft stark variierende Gewicht der Rehböcke in der Jagdzeit.

Ab dem Alter von einem Jahr bleibt das Gehörn also das wichtigste Kriterium für den Wahlabschuss. Obwohl für die meisten Jäger das Ziel der stark vereckte Sechser ist, bleibt angesichts der ebenfalls variierenden Gehörnformen und Vereckungen das Gehörngewicht das entscheidende Merkmal. Mit einer gewissen Ausnahme bei den Jährlingen.

Hohe Anforderungen an die Jährlingsklasse

Der notwendige hohe Eingriff in die Jugendklasse bedingt je nach dem vorgenommenen Kitzabschuss einen solchen bei den Jährlingen von etwa 50 bis 60 Prozent.

Dies bedeutet, dass gut die Hälfte aller Jährlinge zu erlegen ist. Entsprechend hoch sollten im Falle eines Selektionsabschusses die Anforderungen an gut veranlagte Jährlinge sein.

Einfache Richtlinien, nach denen alle beteiligten Jäger ohne Schwierigkeiten ansprechen können, sind die Voraussetzung für einen erfolgreichen Zahl- und Wahlabschuss in dieser Altersklasse. Als solche sind z. B. die Forderungen nach über lauscherhohen Spießen oder nach Gabel- und Sechsergehörnen zu werten.

In einigen Versuchsgebieten wurden über Jahre alle Spießer, ungeachtet der Stangenlänge, erlegt. Mit dieser Maßnahme wurde der hohe Abschuss in der Jugendklasse über ein einfaches Ansprechmerkmal gesichert.

Die Annahme, durch den Abschuss aller Spießer die schwächeren Jährlinge mit dem ersten Gehörn (Erstlingsgehörn) zu selektieren, erwies sich dabei als richtig.

Unter anderem wurde dies in einem Totalabschuss-Experiment im sachsen-anhaltinischen Hakel bestätigt. Der Versuch brachte auch Kenntnisse über die Verteilung der Gehörnformen und -qualitäten der Jährlinge.

Dabei trugen 44,6 Prozent der Jährlingsböcke ein Spießergehörn, 3,8 Prozent waren ungerade Gabler, 40 Prozent trugen ein Gabelgehörn. 3,1 Prozent der erlegten Jährlinge waren ungerade Sechser, 8,5 Prozent schoben ein Sechsergehörn. Der Spießerabschuss erfasste also lediglich knapp die Hälfte des Jährlingsbestandes.

Zurückhaltung in der mittleren Altersklasse

Dabei kann der Abschuss einiger guter Jährlingsspießer in Kauf genommen werden. In der ersten Oktoberhälfte ist beim Abschuss von Knopfspießern allerdings Vorsicht geboten.

Starke Bockkitze ziehen oft schon allein. Ihre gute Rosenstockentwicklung verleitet zur Ansprache als einjähriger Knopfbock.

Jährlinge, die im Juni/Juli noch nicht gefegt haben, sollten immer erlegt werden. Zahlreiche Versuche zeigten, dass es sich dabei meist um unterentwickelte Stücke handelt. Starke Jährlingsböcke fegen bereits Anfang Mai. Schwache Jährlinge sollten im Rahmen der Jagdzeit immer auch über den Plan hinaus erlegt werden (dürfen).

Im Bereich der mittelalten Böcke sollte – wenn überhaupt – nicht mehr als ein Drittel des Abschussplans erfüllt werden. Besser darunter.

Durch Verkehrsverluste und andere Ursachen sind die Abgänge in dieser Altersklasse meist hoch genug. Früher war es verbreitet, in der mittleren Alterstufe die meisten Rehböcke mit gering vereckten, nach hinten gebogenen Stangen oder mit anderen „fehlerhaften“ Gehörnformen zu erlegen.

Untersuchungen zum Populationsumsatz haben aber gezeigt, dass in dieser – zuvor meist intensiv ausgelesenen – Altersklasse nur noch eine geringe Stückzahl erlegt werden sollte.

Man sollte es zum Grundsatz machen, dass Abnormitäten wie Perückengehörne, Mehrstangengehörne, Doppelköpfe, extreme Widdergehörne usw., die für den Jäger begehrenswerte Trophäen darstellen, in der mittleren Altersklasse erlegt werden können.

Sie sind jedoch wie der Abschuss eines reifen Bockes zu werten.

Aus den dargelegten Grundsätzen ergibt sich, dass der Selektionsabschuss beim männlichen Rehwild, mit Ausnahme kranker Böcke, im wesentlich bei den Jährlingen erfolgen muss. Mit einfachen Kriterien dürfte der Selektionsabschuss bei Rehböcken daher keine Probleme bereiten.

Ein wesentlicher Fehler wurde in der Vergangenheit insofern gemacht, als dass starke Böcke nicht erlegt wurden, da man mit einer weiteren Zunahme der Gehörnmasse rechnete.

Solche Böcke „verschwinden“ aber häufig oder setzen in den Folgejahren zurück, so dass sie nicht mehr wiederzuerkennen sind.

In einem großen Praxisexperiment wurden in den Jahren 1988 und 1989 in 764 Jagdgebieten der neuen deutschen Bundesländer der jeweils stärkste (bekannte) Rehbock unabhängig vom Alter erlegt. 55 Prozent dieser Böcke waren drei bis vier Jahre alt.

Insgesamt wurden im Rahmen dieses Versuchs wesentlich mehr starke Trophäen erbeutet als in den vorhergehenden Jahren. Dies zeigt, dass die schwierige Frage der Altersansprache des lebenden Rehwildes den praktischen Abschuss wesentlich beeinflussen kann.

Der Versuch wurde 1990 im Bezirk Dresden wiederholt. Erneut waren die stärksten erlegten Böcke im Durchschnitt drei bis vier Jahre alt.

Insgesamt zeigte sich, dass in jedem Jahr einzelne starke Gehörne auftreten und erbeutet werden können. Der Einfluss von Mastjahren bei Eichen und Buchen auf die Gehörnbildung wurde jedoch deutlich nachgewiesen.

Unterm Strich bleibt: Starke Böcke sollten im Rahmen des Abschussplans stets erlegt werden!

 


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