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Auf die Dicken?

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Bache

WEIBLICHES SCHWARZWILD ERLEGEN
In Deutschland gilt bei vielen Jägern die Bache als „Heilige Kuh“ – der Abschuss einer Mehrjährigen ist ein Sakrileg. Mittlerweile mehren sich aber in der Wissenschaft Stimmen, die ein massives Umdenken fordern. Doch ab wann und wie sollen weibliche Stücke erlegt werden?
Simon Obermeier

Der harzige Geruch gebrochener Fichtenzweige mischt sich mit dem würzigen Rauch der Schwedenfeuer. Die Szenerie ist in das rötliche Licht der Flammen gehüllt. Ringsum ist
es bereits dunkler Abend. Es war eine erfolgreiche Jagd. Etliche Sauen liegen auf der Strecke. Die Stimmung ist gelöst, und die freudigen Gespräche der Waidmänner kreisen um die Erlebnisse des heutigen Jagdtages – und um einen aus ihren Reihen. Dieser steht in sich gekehrt bei dem erlegten Wild. Bei ihm herrscht betretenes Schweigen. Vor dem Jäger liegt ein Stück Schwarzwild, etwa 70 Kilogramm schwer. Die gebrochene Spitze des Streckenbruchs zeigt zu den Hinterläufen – eine mehrjährige Bache. Ihre Striche sind nicht angesaugt, Frischlinge hat sie also nicht mehr gesäugt. Der Erleger ist sichtlich nervös. Wird er sanktioniert werden? Er weiß es nicht. Ein fahler Beigeschmack bleibt. Aber etwas blasphemisch gefragt: War diese Bache nicht der richtige Abschuss? Auf Dicken? die Schließlich wurde ein sicherer Zuwachsträger für das kommende Jahr erlegt. Ein schwacher, weiblicher Frischling auf der Strecke hätte im nächsten Jahr wahrscheinlich ohnehin keinen Nachwuchs geführt. Seit Jahren mehren sich in Deutschland Stimmen, die eine deutliche Reduktion des Schwarzwildes fordern. Über das „Wie“ ist allerdings ein Streit entbrannt, der sich vor allem auf die Frage „Jung vor alt oder alt vor jung“ zuspitzt. Dabei gibt es zwei Extreme. Die einen lehnen den Bachenabschuss kategorisch ab. Für sie sollte der Haupteingriff vor allem in der Frischlings- und Überläuferklasse erfolgen. Für die anderen ist das Tabu des Erlegens einer Bache, vor dem Hintergrund die Schwarzwildbestände reduzieren zu wollen, eines der größten Hindernisse. Bei ihren Überlegungen gehen sie von Folgendem aus: Der Jäger hat im Jagdjahr nur eine begrenzte
Anzahl an Begegnungen mit Schwarzwild. Diese Zahl lässt nach sollten daher diese Gelegenheiten in erster Linie genutzt werden, um sichere Zuwachsträger, sprich mehrjährige und Überläuferbachen zu erlegen. Der reine Frischlingsabschuss bringe zu wenig weibliche Stücke, von denen einige im folgenden Jahr sowieso noch nicht führen
werden. Zudem sei die natürliche Überlebensrate des Nachwuchses von Frischlingsbachen ohnehin sehr gering. Eine ältere Bache führt allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit schon, und ihre Frischlinge werden eher durchkommen. Bei allen anderen Schalenwildarten ist
der Abschuss mehrjähriger weiblicher Stücke gang und gäbe – beim Schwarzwild aber heftig umstritten. Die Frage, ab wann und wie Bachen erlegt werden sollen, bleibt also bestehen.

Bache

Die Antwort des pensionierten Försters und Schwarzwildkenners Norbert Happ dazu ist deutlich: „Wann und wie? Ich kann nur sagen: Lasst die Finger weg vom Bachenabschuss. Konzentriert euch auf die Frischlinge!“ Happ ist einer der bekanntesten Verfechter des Lüneburger-Modells. Dieses basiert auf den Grundpfeilern Schonung der älteren Bachen, starker Eingriff in der Jugendklasse und dem Vorhandensein reifer Keiler. Gerade der Abschuss mehrjähriger weiblicher Stücke und von Leitbachen öffnet für ihn einer weiteren Bestandszunahme Tür und Tor. „Erwischt man die falsche Bache, kommt es zur denkbar
schlimmsten Konstellation: Marodierende Jugendbanden mit all ihren negativen Folgen
für das Schadensgeschehen und die biologischen Abläufe innerhalb der Population“
(siehe hierzu ausführlicher das Interview mit Norbert Happ, WuH 1/2013, S. 46). Auch Happ hat über einige Jahre hinweg in der Hochwildhegegemeinschaft Kottenforst-Süd den Beibachen-Abschuss auf der Einzeljagd praktiziert. „Wenn deren Frischlinge ein knappes
halbes Jahr alt sind, können sie auf die Individualführung verzichten und werden nach dem Abschuss der Mutter vom Familienverband adoptiert.“ Allerdings sei die Fahndung nach solchen Stücken in ausreichend großen Rotten derart schwierig und zeitaufwändig, dass sich Happ vom Beibachenabschuss mittlerweile distanziert. Ein Grundpfeiler seines Bejagungsmodells ist nach wie vor die Schonung der Leitbachen, begründet vor allem mit den Beobachtungen und Forschungen von Heinz Meynhardt. Dieser stellte fest, dass die Rotten von Leitbachen geführt werden, denen die Rottenmitglieder vor allem in Gefahrensituationen gehorchen. Dabei kam er zu der Schlussfolgerung, dass Frühreife
und eine lang andauernde Rauschzeit die Folge eines durch Jagd gestörten Altersklassenaufbaues in der Rotte seien, wie etwa durch das Fehlen der Leitbache.

Wissenschaftler zweifeln diesen Sachverhalt mittlerweile massiv an. Aus theoretischer
Sicht sei dies unwahrscheinlich. Reproduktionsunterdrückung durch ranghöhere
Weibchen sei bei mehreren sozial lebenden Arten zwar nachgewiesen, je doch immer nur zu Zeiten knapper Ressourcen, betont Dr. Felix Knauer, Senior Researcher am  Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien. „Durch unsere Reproduktionsuntersuchungen wissen wir: Frühreife wird in erster
Linie durch die Ernährungssituation bestimmt, lang andauernde Rauschzeiten kommen vor allem in Mastjahren vor. Entscheidend ist sicherlich nicht das Fehlen der Leitbache, sondern die Ernährungssituation“, sagt Dr. Oliver Keuling von der Tierärztlichen Hochschule in Hannover. Außerdem finde sich recht schnell eine neue Leitbache. Die  Rauschsynchronisation könne also nur dann versagen, wenn die Leitbache kurz vor der Rauschzeit fehlt, so der Wildbiologe weiter. Einen Freibrief nach dem Motto: „Jetzt darf ich
ja beim Bachenabschuss hinlangen“, möchte Keuling darin aber nicht sehen. Auch er ist der Meinung, Frischlinge müsse man bejagen, als wolle man sie ausrotten. Bringt das aber keinen nennenswerten Reduktionserfolg, muss eben auch bei den Bachen geschossen werden. Als grobe Faustregel gilt für Keuling dabei, zwei- bis vierjährige Bachen ab den
Herbstmonaten beim Einzelansitz zu erlegen. Im Sommer sind für ihn Bachen auch
weiterhin Tabu, da ansonsten führungslose Frischlinge in den Feldern die Folge sein können. Im Herbst bestehe hingegen die geringste Gefahr, ein Stück mit neu gefrischtem
Nachwuchs zu schießen. Zudem sind die Frischlinge im Alter von fünf bis sechs Monaten schon so selbstständig, dass sie auch ohne Mutterbache zu „normalen Sauen“ werden. Auf
Bewegungsjagden sei daher eine Gewichtsbeschränkung kontraproduktiv. Vor diesen Jagden könne es zudem sinnvoll sein, so Keuling, Leitbachen gezielt zu schießen, da die übrige Rotte „kopflos“ und somit auf Bewegungsjagden leichter zu bejagen sei. Keuling hat festgestellt, dass bei einem Abschuss von nachrangigen Bachen und Leitbachen zu dieser
Zeit keine nachteiligen Folgen auftreten würden. Die Rotte teilte sich zwar, blieb in ihrem Verhalten aber kleinräumig und vor allem standorttreu. Die Kondition der Frischlinge sei gleich geblieben. Knauer skizziert ein radikaleres „Quasi-Ausrottungsszenario“, in dem das Erlegen weiblicher „Erfahrungsträger“ eine zentrale Rolle spielt.

Doch was steckt hinter diesem martialisch anmutenden Begriff? Felix Knauer geht davon aus, dass der größte Einfluss auf das Populationswachstum in der Altersklasse liegt. Also den älteren Bachen mit der höchsten Wurfgröße und der größten Wahrscheinlichkeit zu frischen (siehe Tabelle, S. 16). Deren Abschuss sei auch mit der Waidgerechtigkeit vereinbar, sobald ihr Nachwuchs die Streifenzeichnung der Schwarte verloren hat. Denn
Frischlinge werden von den Bachen drei bis vier Monate gesäugt, danach sind sie von der Ernährung her unabhängig. Das fällt zeitlich mit dem Verlieren der Streifen zusammen. Danach bleiben sie aber noch lange bei der Mutterbache und werden von ihr geführt. Jedoch sei ihre Anwesenheit dann nicht mehr notwendig. Auch jede andere Bache in der Rotte könne diese Führungsrolle, einschließlich des Verteidigens der Frischlinge, übernehmen. Somit setzt er den Zeitpunkt, ab wann Bachen erlegt werden können, deutlich früher an als etwa Keuling. Entscheidend sei der Verfärbungszustand der Frischlinge: Mit Streifen – Bache schonen, ohne Streifen – Bache erlegen. Allein ziehende Bachen sind auch für ihn im Sommer zu schonen. Knauer betont die auf einen Abschuss des Muttertieres folgende Naivität der Frischlinge, wodurch die Jagd erleichtert würde. Auf
den herbstlichen und winterlichen Bewegungsjagden plädiert der Wiener Wissenschaftler
für eine möglichst weite Freigabe und den Grundsatz „Alt vor jung“. Als „höchst unnatürlich und wenig weitsichtig“ bezeichnet Wildbiologe Dr. Daniel Hoffmann den Grundsatz „Alt vor
jung“. Gar eine Leitbach zu erlegen, ist für Hoffmann aufgrund des Sozialverhaltens der Schwarzkittel und der Wildschadensvermeidung schlichtweg ein Fehlabschuss. Kein  Spitzenprädator würde so handeln. Dass der gezielte Abschuss von Leitbachen vor Bewegungsjagden die Jagdstrecken deutlich erhöhe, sei zudem nicht nachgewiesen. Vielmehr solle durch einen intensiven Abschuss in den jüngsten Altersklassen verhindert werden, dass zu viele Stücke die Geschlechtsreife erreichen. Einen konzentrierten Bachenabschuss sieht er folglich sehr kritisch. Aber die Erlegung nachrangiger Bachen, etwa bei der Ansitz- oder Pirschjagd, lehnt der Biologe nicht generell ab. Bei   Bewegungsjagden seien dafür allerdings gute Schützen und Schwarzwildkenner nötig. „Bachen können vermutlich ab dem von Felix Knauer genannten Frischlingsalter – mit
dem Verschwinden der Streifen – erlegt werden. Es müssen ja auch praxisnahe Entscheidungshilfen vorhanden sein“, sagt Hoffmann. Bei guten Nahrungsbedingungen
seien die Frischlinge in der Regel ab diesem Zeitpunkt überlebensfähig. Zunächst aber werden sie unkoordiniert umherziehen. Die Frischlingsgruppen, sofern keine weiteren Bachen in der Rotte vorhanden sind, stellen dann eine erhöhte Gefährdung des Straßenverkehrs dar und erhöhen die Wildschäden in Feldrevieren, betont Hoffmann.

Eine Gefahr, die auch Helmut Hilpisch, Berufsjäger in einem rheinland-pfälzischen Privatforst, sieht. Marodierende Frischlinge bei einem frühen Abschuss der Bache im Sommer sind nur ein Punkt. Zudem ist Hilpisch überzeugt, dass es zu dieser Zeit ohnehin sinnvoller sei, Frischlinge zu erlegen. „Ich habe beobachtet, dass die Bache ihre Rotte, aus der ein Frischling geschossen wurde, teils über vier bis acht Wochen nicht mehr auf diese
Wiese führt“, sagt der Berufsjäger. Ein etwas anderer Blick auf die Rolle der Bachen als Erfahrungsträger, als ihn etwa Knauer vertritt. Bachen sollten nach Hilpischs Meinung erst bei den herbstlichen Bewegungsjagden mit Schwerpunkt bei den Überläufer- und zweijährigen Bachen erlegt werden. „Wir brauchen die älteren Bachen, die sowieso schon viel zu wenig vorhanden sind. Denn je jünger der Bestand, desto höher seine  Reproduktion.“ Von Sanktionen, wenn dann doch eine ältere Bache liegt, hält er aber nichts. Dass die Praxis in vielen Revieren ohnehin anders aussieht, weiß Helmut Hilpisch durch seine Erfahrungen bei einer Wildsammelstelle seit 2009 sehr wohl. Allein in der Säugezeit von März bis etwa August waren 4,4 Prozent der angelieferten Schwarzkittel Bachen. Über den Gesamtzeitraum gesehen lag deren Anteil bei 12 Prozent. Das Durchschnittsalter bei den adulten Stücken war in der Wildsammelstelle 2,1 Jahre. Diese zeigt eine deutliche Verjüngung der Population. Es wurde kein Schwarzwild angeliefert, das das fünfte Lebensjahr erreicht hatte. Fehlen also schon jetzt die Alten? Und was bedeutet das wiederum letztlich für die Sozialstruktur und die Reproduktionsdynamik des Bestandes? Ein fahler Beigeschmack bleibt beim Bachenabschuss bestehen.

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