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Der Himmelspförtner

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Manch ein Bock versteht es, sich über Jahre irgendwie durchzumogeln. Wenn man einen solch alten Kameraden dann doch einmal zu Gesicht bekommt, ist der Jagdeifer entfacht. Markus Deutsch

Der Himmelspförtner

Als gebürtiger Nordfriese, der in seiner Kindheit weite Horizonte lieben gelernt hat, sitze ich im hügeligen Testrevier gern dort, wo ich auch ein bisschen in die Ferne schauen kann. Aber das ist heute Abend nicht der Grund, warum ich mich auf der Himmelspforte eingerichtet habe. Bei der diesjährigen Rehwildzählung im Frühjahr hatte ich von dem im Schlehdorn eingebetteten Sitz gleich zwei besondere Begegnungen an nur einem Abend: einen laufkranken Jährling und einen sehr interessanten Mehrjährigen. Sofort war das Beute-machen-Gen aktiviert: Den beiden sollte es in diesem Jahr gelten! Kurz darauf erlöste ich den Laufkranken am 1. Mai (WuH 11/2017).

Bereits im zeitigen Frühjahr hatte der Schwarzdorn an der Himmelspforte von mir einen
mehrstündigen Fassonschnitt verpasst bekommen, sodass man nun wieder wie in einem
Cockpit mit bestem Ausblick nach links und rechts ansitzen konnte. Damals wusste ich natürlich noch nicht, dass sich das auszahlen sollte! Ein einziges Mal war der alte Himmelspförtner mir unmittelbar vor der Blattzeit, in der wir erst mit dem Abschuss der
Mehrjährigen beginnen, wieder in Anblick gekommen. Allerdings trat er direkt 20 Meter vor der Himmelspforte aus und zog gleich nach rechts. Dort kam er in meinen Wind und war
schnurstracks wieder im Bestand verschwunden, bevor ich überhaupt die Büchse hätte hochnehmen können. Aber mir wurde erneut klar, dass das ein älterer Kandidat war.
Etliche Ansitze hatte ich dem Ersehnten nun schon gewidmet und auch mein Glück mit dem Blatter unterhalb der Himmelspforte im Bestand versucht, allerdings immer erfolglos.
Heute sitzt Kollege Johannes Ruttmann ebenfalls an, und so bekomme ich nach dem Anmelden über die WuH-Revierwelt elektronische, seelische Unterstützung von ihm: „Heute kriegst Du Deinen Bock. Ganz sicher! Um 21.17 Uhr liegt er.“ „Na, woll‘n mal sehen“, denke ich mir und bedanke mich artig.

Bei der Rehwildzählung im Frühjahr filmte der Autor den Mehrjährigen.

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Nichts tut sich. Ich genieße trotzdem den schönen Abend. Die von meinem Wahrsager-Kollegen angekündigte Stunde rückt langsam heran. Um 21.17 Uhr gähnende Leere auf der
Bühne. „Das wird wieder ne Nullnummer heute“, bin ich überzeugt und lehne mich zurück. Zehn Minuten später bemerke ich – durch das Freischneiden im Frühling erst möglich
gemacht – im Augenwinkel links von mir eine Bewegung: eine Ricke mit zwei Kitzen. Langsam drehe ich den Kopf. In dem Moment spritzen die drei auseinander, und ein
Bock treibt die Ricke mit Karacho in den Bestand – es ist der alte Himmelspförtner!
Sofort nehme ich die Büchse hoch. Die Kitze äugen verdattert in Richtung Wald. Aus dem höre ich das Treiben direkt auf mich zukommen. Mit einem Satz sind die Hochzeiter
auch schon draußen, ziehen etwas ruhiger nach rechts und beginnen zu äsen. Der Schuss auf den Breitstehenden ist auf die Entfernung keine Kunst. Im Feuer bricht er zusammen.
Ich freue mich riesig, blicke aber sofort auf die Uhr: 21.32 Uhr. Dann schreibe ich Johannes, offensichtlich der Nachfolger von Wallensteins Astrologe: „Mein Seni, der Bock liegt, allerdings genau ein akademisches Viertel später als prophezeit. Er scheint also mal studiert zu haben, sonst wäre er wohl auch nicht so alt geworden.“

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