Manuela van Schewick
Vor 25 Jahren waren sie nur Insidern bekannt, mittlerweile erfreuen sich insbesondere Labrador Retriever und Golden Retriever bei uns ähnlicher Beliebtheit wie in England.
Während die freundlichen, aktiven und souveränen Retriever die Herzen der “Normalverbraucher“ im Sturm eroberten, hatten sie mit den Herzen der heimischen Jäger
deutlich härtere Nüsse zu knacken. Dabei spielen sicher viele Faktoren eine Rolle – darunter oft auch Tradition und Verbundenheit mit der Rasse, die unter Umständen seit Generationen in der Familie geführt wird. Wer sich für einen Retriever entscheidet, sollte immer bedenken, für welche Aufgaben er gezüchtet wurde. Retriever sind Spezialisten für die Arbeit nach dem Schuss. „To retrieve“ bedeutet „herbeibringen, auffinden“. Und
genau darin besteht ihre ursprüngliche Aufgabe: im Heranbringen geschossenen Niederwildes. Dabei liegt die Arbeit im Wasser ihnen besonders.
Die Entenjagd vereint die großen Passionen des Labrador Retrievers: Wasser und
Apport. Dabei muss er sich ganz genau merken, wohin die geschossenen Enten fallen
Ein Retriever sollte nicht nur in der Lage sein, die Fallstellen mehrerer geschossener Enten sauber zu markieren, um sie dann zügig abzuarbeiten, sondern er wird auch beharrlich die geflügelte Ente durchs Schilf verfolgen und ihr gegebenenfalls kurze Strecken nachtauchen, wenn sie unter Wasser ihr Heil sucht. Die klassische Arbeit der Retriever besteht darin, dass sie bei Streifjagden oder Standtreiben hoch konzentriert und absolut still neben dem Schützen frei bei Fuß gehen beziehungsweise sitzen, bis sie zum Apportieren geschickt werden. Jegliches Bellen oder Jaulen ist auch heute noch bei Prüfungen ein Ausschlussgrund.
Denn in der Praxis müssen die Apportierspezialisten warten, bis die Treiber, Stöberhunde
und letztlich die Schützen ihre Arbeit getan haben. Wobei die Hunde auf krankes Wild sofort geschickt werden. Diese Standruhe (Steadiness) fällt manchem Temperamentsbündel unter den Retrievern nicht unbedingt leicht, und will geduldig erarbeitet werden. Das Apportieren ist für sie nicht Arbeit, sondern Leidenschaft. Konsequent werden markierte Fallstellen abgearbeitet, Fährten kranken Wildes mit Durchhaltevermögen verfolgt und das Gelände systematisch abgesucht. Eine besondere Disziplin in der Arbeit mit Retrievern ist das so genannte Einweisen. Der Hund lässt
sich mit Hör- und Sichtzeichen an bestimmte Stellen dirigieren. Es spart viel Zeit und Energie, wenn der Hund auf direktem Weg zu Stellen geschickt werden kann, an denen noch zu apportierendes Wild liegt. Bei aller Selbstständigkeit eines Jagdhundes ist die enge Zusammenarbeit zwischen Mensch und Hund für die Arbeit mit Retrievern typisch. Ihr „will to please“, das Bedürfnis „ihren“ Menschen zu Diensten zu sein, ihnen zu gefallen, gehört ebenso zu ihren unverzichtbaren Eigenschaften wie das weiche Maul, das jedes Stück unversehrt bleiben lässt. Die Nähe ihrer Menschen ist allen Retrievern ein elementares Bedürfnis. Sie lieben es, dort zu sein, wo das Leben tobt. Als reine Zwingerhunde sind alle Retriever-Rassen denkbar ungeeignet. Der Beginn ihrer gezielten Zucht ist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England anzusiedeln. Jagd war in erster Linie ein Privileg adeliger Großgrundbesitzer. Man leistete sich Hunde mit unterschiedlichen Anlagen, um alle Bereiche der Jagd abdecken zu können und vielen Aristokraten war die Zucht dieser Spezialisten ein besonderes Anliegen. Da die Ausbildung der Vorstehhunde zu Apportierern,
insbesondere bei der Wasserarbeit, nicht immer einfach und häufig kontraproduktiv für ihren eigentlichen Einsatz war, versuchte man vergeblich durch abenteuerliche Kreuzungen „den“ Apportierhund zu kreieren. Als Retriever bezeichnete man damals durchaus alle
apportierenden Hunde, nicht eine bestimmte Rasse. Zwischen dem englischen Hafen Pool
und Neufundland bestand zu dieser Zeit durch die Fischereiflotte ein reger Schiffsverkehr.
Es gab daher nicht nur Berichte über hervorragende Apportierhunde auf Neufundland, sondern auch einen zunehmenden Import solcher Hunde.
Im nassen Element zeigt der Retriever sein ganzes Können. Wenn nötig, taucht er den Breitschnäbeln auch hinterher
In einer Landschaft und einem Klima, das man sich unwirtlicher kaum vorstellen kann, hatten sich zwei Schläge von Hunden entwickelt. Der große Neufundländer war sehr kräftig mit langem dichten Fell. Seine Aufgabe war eher die des Zug- und Wachhundes. Der kleinere Schlag, der als „kleiner Neufundländer“, „St. John’s Hund“ oder „Water Dog“ bezeichnet wurde, wird als kurz- oder stockhaariger meist schwarzer Hund, nicht
größer als ein Pointer, mit leicht öligem, wasserabstoßendem Fell beschrieben.
Diese Hunde fuhren mit den Fischern hinaus, um die Netze einzuholen. Sie hatten sowohl aus den Netzen geschlüpfte Fische wieder einzusammeln, als auch geschossenes
Wild im Wasser und an Land zu apportieren. Der Überlebenskampf der Einwohner war hart, ihr Naturell ähnlich rau wie das Klima, und kein Mensch dort konnte sich ein zu stopfendes Maul leisten, das seinen Lebensunterhalt nicht selbst verdiente. Die Ansprüche an den Hund waren also hoch: Er musste handlich genug sein, um ihn wieder ins Boot heben zu können und doch groß genug, um Enten, Gänse oder Kaninchen tragen zu können. Sein Fell durfte keine Eisstücke aufnehmen und nicht zu viel Wasser mit ins Boot bringen,
er musste den harten klimatischen Verhältnissen gewachsen sein, unermüdlichen Arbeitseinsatz zeigen, auf engstem Raum mit Menschen und anderen Hunden
verträglich sein sowie auch auf große Distanzen zuverlässig arbeiten. Als eines der ersten schriftlichen Dokumente über diese Hunde gilt „Instructions to Young Sportsmen“ von Colonel P. Hawker, erstmals erschienen 1814, in dem er begeistert über den „St. John’s
Breed“ berichtet: „Ihr guter Geruchssinn ist nahezu unvorstellbar. Ihr Unterscheidungsvermögen auf der Spur, in der Nachfolge eines angeschossenen Fasans
durch eine Dickung, in der noch anderes Wild steht, erscheint nahezu unglaublich.
Gleiches gilt für geflügeltes Wasserwild oder Kaninchenjagd durch mit Stechginster bewachsenes Buschwerk. …Der echte Neufundländer Hund lässt sich zu jeder Art von Jagd abführen. …. Um angeschossenes Wild jeder Art aufzufinden, gibt es nichts Vergleichbares unter allen Hunderassen. Er ist in jeder Nachfolge bei der Vogeljagd unübertrefflich.“
Der St. John’s Hund überzeugte durch Arbeit und Wesen und fand schnell Liebhaber
in England. Die Zucht aller Retriever-Rassen hat er wesentlich geprägt. So unterschiedlich diese sechs Rassen, die heute zu den Retrievern zählen, auch sein mögen:Die für die Arbeit entscheidenden Eigenschaften der „Water Dogs“ finden wir bei allen. Seit 1963, mit Gründung des Deutschen Retriever Clubs, wird auch in Deutschland ein Zuchtbuch für die Retriever Rassen geführt.
Den Labrador Retriever gibt es in den Farben Tiefbraun (Schokoladenbraun), Schwarz und Gelb. In der Zucht und auf der Jagd dominiert der schwarze Labrador
Der Labrador Retriever erscheint aktenkundig erstmals 1814 in den Berichten des Colonel Hawker, dann 1823 auf einem Gemälde des berühmten englischen Tiermalers Sir Edwin Landseer. Es gibt Aufzeichnungen, die belegen, dass der St. John’s Hund vom II. Earl of Malmesbury in England bereits im Jahre 1801 jagdlich gefürt wurde. Die Earls of Malmesbury spielen eine entscheidende Rolle in der Zucht der Labrador Retriever. Sie,
und später andere Familien des englischen Adels, waren bemüht, die aus Neufundland
importierten Hunde in reiner Form weiter zu züchten. Einkreuzungen anderer Jagdhundrassen soll es nicht gegeben haben. Erst 1903 wurde der schwarze Labrador Retriever vom English Kennel Club als eigenständige Rasse anerkannt.
Gelbe und braune „Labis“ galten bis nach dem Ersten Weltkrieg als Fehlfarben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Beliebtheit des Labradors in England und auch auf dem Kontinent deutlich zu. Nicht nur in Jägerkreisen schätzte man zunehmend die Eigenschaften des temperamentvollen und doch ausgeglichenen Hundes. Seine ungestüme Freundlichkeit, die Souveränität, mit der er Alltagssituationen meistert, sein sicheres und aggressionsfreies Wesen ließen ihn auch zum idealen Familienhund werden.
Wird er dabei seinen Neigungen entsprechend beschäftigt, ist das sicher in Ordnung.
Wird er als Sofahund zum Nichtstun verurteilt, ist es ein Drama. Nicht selten sucht er sich dann selbst Betätigungsfelder, die seinen Menschen in den Wahnsinn treiben können.
In den letzten Jahrzehnten entwickelten sich unterschiedliche Richtungen in der Labradorzucht. Während einige Züchter größeren Wert auf Aussehen und Alltagstauglichkeit legen, konzentrieren sich andere auf die stete Verbesserung der
Arbeitsanlagen. Die Show- und Arbeitslinien (Field-Trial-Linien) unterscheiden sich mittlerweile deutlich. Der Showhund verkörpert den kräftigen und eher ruhigeren Typ, während der etwas leichter gebaute oft hochbeinigere Field-Trial-Labrador eher ein Energiebündel mit viel Arbeitseifer darstellt. Eine konsequente Trennung beider Linien bei der Zucht existiert nicht. Der hier gültige englische Rassestandard gilt für alle Retriever. Um die jagdlichen Anlagen zu erhalten, muss bei jeder Verpaarung von Labrador Retrievern
mindestens eines der Elterntiere eine bestandene Arbeitsprüfung nachweisen.
Da es wohl nur wenigen vergönnt ist, mehrere Spezialisten für die Arbeit im Revier
zu haben, meist eben nur ein Hund geführt wird, hat der Labrador im Revier nicht selten mehr Aufgaben, als ihm in die Wiege gelegt wurden. Seine hervorragende Nase und sein ungebremster Arbeitswille lassen ihn auch bei der Nachsuche
auf Schalenwild erfolgreich zum Einsatz kommen. Wild- oder Raubwildschärfe sind zwar bei einigen Labrador Retrievern vorhanden, aber nicht Zuchtziel und dürfen deshalb genauso wie der Fährtenlaut nicht vorausgesetzt werden. Eine Totsuche ist sicher kein Problem. Aber erkennt man eine solche immer hundertprozentig? Es liegt in der Verantwortung
des Führers, ob es für das nachzusuchende Stück gut ist, seinen Retriever in dieser Situation einzusetzen.
Standruhe (Steadiness) gehört zu den herausragenden Eigenschaften des Retrievers. Jedes Winseln oder Bellen bei einer Prüfung wird mit Nichtbestehen bestraft
Das weiche Maul dieser Hunde macht es auch nicht unwahrscheinlich, dass angebleites
Niederwild lebend abgegeben wird. Meist spielt hier jedoch die Erfahrung des Hundes eine große Rolle. Der vielgeführte „Profi“ bringt eher verendetes Wild, welches dennoch keine Anzeichen unerwünschten Knautschens aufweist. Der Labrador soll laut FCI Standard
kräftig gebaut sein, mit tiefem, stark gewölbtem Brustkorb, breit und stark in der
Lendenpartie und der Hinterhand, die gut bemuskelt sein soll. Der breite Kopf ist gut modelliert, hat einen ausgeprägten Stopp und einen kraftvollen, nicht spitz zulaufenden Kiefer. Die Augen sind braun oder haselnussfarben. Typisch sind die runden Pfoten (Katzenpfoten) und die rundum mit dichtem Fell bedeckte „Otterrute“. Ebenso charakteristisch ist das stockhaarige Fell (kurz, dicht, hart) mit seiner wasserabweisenden Unterwolle. Der Labrador Retriever ist einfarbig schwarz, gelb oder schokoladenbraun.
Rüden sollen eine Widerristhöhe von 56 bis 57 Zentimetern haben, Hündinnen 54 bis 56 Zentimeter. Über die Entstehung des Golden Retrievers gibt es genaue Aufzeichnungen
des Lord of Tweedmouth. Bei der Suche nach dem genialen Apportierhund verpaarte
man den St. John’s Hund mit anderen Jagdhundrassen, unter anderem dem roten Irischen Setter. Ein solcher Wavy Coated Retriever, der gelbe Rüde „Nous“, war der Vater eines 1868 gefallenen Wurfes mit vier gelben Welpen. Mutter der Welpen war die Tweed-Waterspaniel-Hündin „Belle“. Es wurden in den nächsten 25 Jahren weitere Würfe aufgezeichnet aus Verpaarungen mit Wavy-Coated-Retrievern, Tweed-Waterspaniels,
Irish-Settern und den jeweiligen Nachkommen untereinander. Im Jahre 1913 erkannte der Kennel Club den Golden Retriever als eigenständige Rasse an. Der erste Wurf in Deutschland wurde 1962 ins Sammelzuchtbuch des Verbandes für das Deutsche Hundewesen (VDH) eingetragen. Heute steht der Golden Retriever mit gut 2 000 verzeichneten Welpen im vergangenen Jahr weit oben in der Gunst der Hundefreunde,
insbesondere als Familienhund. Die Sanftheit, die der Golden Retriever bereits durch sein Äußeres vermittelt, bestimmt auch sein Wesen. Er ist ein freundlicher und fröhlicher Hund mit ausgeglichenem Temperament, der Alltagssituationen sicher und gelassen meistert. Sein ausgeprägter „will to please“ gepaart mit der Veranlagung zum exzellenten Apporteur
machen ihn zu einem leichtführigen und zuverlässigen Begleiter auf der Jagd.
Sein Arbeitsstil ist im Allgemeinen gelassener als der des Labrador Retrievers, wobei
er ebenso beharrlich sein Ziel verfolgt.
Der Golden Retriever, hier links ein typischer Rüde mit breiterem Kopf und rechts eine etwas zierlichere Hündin, wird in Arbeits- und Showlinien gezüchtet. Bei der Anschaffung als Jagdhund ist auf die Prüfungslaufbahn der Elterntiere zu achten.
In der Praxis finden wir den Golden Retriever im Prinzip mit gleicher Verwendung wieder, wie den stockhaarigen Verwandten.Die Tatsache, dass er sich bei uns im Jagdgeschehen noch nicht in dem Maße durchgesetzt hat, hängt damit zusammen, dass Arbeitslinien in Deutschland erst seit wenigen Jahren das Zuchtund Prüfungsgeschehen bereichern. Eine
Trennung zwischen Arbeits- und Showlinien in der Zucht wird hier bevorzugt.
In der Ausbildung dieser Hunde – und das betrifft nicht nur den Golden – gilt es, ihre
Anlagen mit liebevoller Konsequenz und mit den nötigen Grenzen zu fördern.
Unnötige Härte, Zwang und Druck sind kontraproduktiv. Nach FCI-Standard soll der Golden Retriever ein harmonisch gebauter, gut proportionierter, mittelgroßer Hund mit
kräftigen Knochen sein. Der wohlgeformte Schädel mit ausgeprägtem Stopp, dunklen Augen und guter Pigmentierung von Augenlidern und Nasenschwamm verleihen ihm einen freundlichen, sanften Ausdruck. Das mittellange, glatte oder wellige Fell besitzt eine dichte, wasserabweisende Unterwolle. An Vorderläufen und der Rute weist es eine gut ausgeprägte
Befederung auf. Farblich entspricht jede Schattierung zwischen Cremefarben und Dunkelgolden dem Standard. Die Schulterhöhe beträgt bei Rüden 56 bis 61 Zentimeter, bei Hündinnen 51bis 56 Zentimeter. Sowohl der Golden als auch der Labrador Retriever leisten aufgrund ihres freundlichen und sicheren Wesens, ihres unermüdlichen Arbeitseifers und ihrer hervorragenden Nasenveranlagungen seit Jahrzehnten viele für den Menschen
unbezahlbare Dienste. Als Rauschgift oder Sprengstoffspürhund, als Therapie oder
Servicehund für Menschen mit unterschiedlichsten Handicaps oder auch als Helfer im Katastrophenschutz ist der zuverlässige „Workaholic“ kaum wegzudenken.