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Die vier Unbekannten

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Die vier Unbekannten

Manuela von Schewick

Außer dem Golden und dem Labrador Retriever gibt es vier weitere Retriever-Rassen, wie dieser Flat Coated Retriever, die jeweils einen ganz eigenen Charme und durchaus sehr unterschiedliche Wesenszüge besitzen. Aber noch charakteristischer sind ihre Namen: Bei dem einen ist er vom Fell abgeleitet, der nächste bekam  seinen Namen von der Bucht, in der er strandete, und der kleinste lockt die Enten an.

Nicht nur vom Äußeren unterscheiden sich Curly Coated Retriever, Flat Coated Retriever, Nova Scotia Duck Tolling Retriever und Chesapeake Bay Retriever (von links) – ganz spezielle Wesenszüge zeichnen die einzelnen Rassen aus

Vom Bekanntheitsgrad des Labrador oder Golden Retrievers können die vier anderen nur träumen. Aber es hat natürlich auch Vorteile, wenn Rassen von Modeerscheinungen verschont bleiben. Eine gezielte, gesunde Zucht ist die Folge, auf die Jäger aufbauen
können, wenn sie sich für einen der weniger verbreiteten Apportierspezialisten entscheiden.
Der Flat Coated Retriever ist beispielsweise eine Rasse, die in den letzten Jahren an Interesse in unseren Breiten gewonnen hat (Bild Seite zuvor). Im Wavy Coated (wellhaarigen) Retriever muss man aufgrund der vorhandenen Quellen den Urtyp des Flat Coated sehen. Der wiederum entstand vermutlich aus dem St. John’s Dog und Settern – gegebenenfalls auch aus Waterspaniel und Sheepdog. Diese Hunde waren grobknochiger als der heutige Flat und nicht selten gescheckt. Zuchtziel war der schwarze Hund, auch wenn es immer wieder braune und gelbe Welpen gab. Am Ende des 19. Jahrhunderts war der Flat der beliebteste Retriever in England und wurde insbesondere von Wildhütern geführt. 1898 erkannte der English Kennel Club ihn als Rasse an. Ein Standard wurde aber erst 25 Jahre später erstellt. Die beiden Weltkriege ließen den Bestand an Zuchthunden
gegen Null tendieren. Dank des engagierten Einsatzes einiger Züchter, insbesondere des Jagdaufsehers des Herzogs v. Rutland, Colin Wells, konnte das Überleben der Rasse sichergestellt werden. Neben den schwarzen Hunden entstand nun auch eine leberfarbene Varietät. Man war bemüht, Aussehen und Arbeitsveranlagungen gleichermaßen bei der Zucht zu berücksichtigen. Seit 1980 wird der Flat auch im Deutschen Retriever Club gezüchtet. In den letzten Jahren wurden hier jeweils etwa 200 bis 300 Welpen eingetragen.
Dieser freundliche, sichere und lebhafte Charmeur hat sich auf dem Kontinent mittlerweile nicht nur seinen Platz als Familienhund, als Service-, Therapie oder Spürhund erkämpft, er überzeugte auch manchen Grünrock. Apportierfreudigkeit, Wasserleidenschaft und Finderwillen gepaart mit dem Bedürfnis, seinem Menschen zu gefallen, lassen ihn zu einem
leichtführigen Jagdgefährten werden, der viele Aufgaben meistern kann.
Auch wenn das Vorstehen eigentlich nicht zu seinem „Programm“ gehört, zeigen einige Flats – wie manch anderer Retriever auch – dem aufmerksamen Führer durchaus Wild an. Wild- oder Raubwildschärfe sind zwar teilweise vorhanden und in der Praxis auch ausbaufähig, aber ebenso wenig Zuchtziel wie das spurlaute Jagen. In der Ausbildung macht es der temperamentvolle Junghund mit einem Hang zur Clownerie seinem Chef nicht
immer leicht. Ruhe, Konsequenz und Gelassenheit sind gefragt, um zu ernten, was die Anlagen dieser Hunde versprechen. Der Flat Coated Retriever ist ein mittelgroßer Hund mit einer Schulterhöhe von 56 bis 61 Zentimetern. Trotz kräftigem Knochenbau, breitem Brustkorb und muskulöser Hinterhand wirkt er elegant. Seine mittellange, glatte oder leicht gewellte Jacke mit guter Unterwolle ist schwarz, seltener leberbraun. Der breite Kopf hat einen leichten Stopp, die Augen sollen dunkel- bis haselnussbraun sein.

Der Curly Coated Retriever gilt als die älteste englische Retriever-Rasse. Der Rassetyp ist seit etwa 400 Jahren bekannt. Drucke aus dem 18. Jahrhundert belegen, dass er in seiner heutigen Erscheinungsform schon damals existierte. Als sichere Erkenntnis gilt, dass ebenfalls der St. John’s Hund zu seinen Vorfahren zählt. Das harte, gelockte Fell stammt vermutlich vom alten English Waterdog. Über weitere Einkreuzungen existieren kontroverse
Meinungen. Die Beteiligung von Pointer und Setter am heutigen Curly scheint sicher, vermutlich wurden auch Pudel und Irisch Water Spaniel für die Zucht benutzt. 1854 erkannte der englischen Kennel Club die Rasse an. Vor zirka 100 Jahren war die Rasse in
England und Schottland sehr populär. Die Hunde wurden insbesondere von Förstern und Wildhütern geführt, die oft mehrere Curlys besaßen. Man nutzte den Curly Coated Retriever als Jagdgebrauchshund, der sowohl selbstständig als auch nach Einweisung arbeitete, und
wusste ebenso seine Eigenschaften als Schutzhund gegen Wilddiebe sowie zur Bewachung von Haus und Hof zu schätzen. Er wurde aber in erster Linie zur Wasserjagd und vom Einzeljäger verwendet, aber auch von Fischern zum Ausbringen und Einholen von Netzen und Leinen. In Australien, wo die Curlys ebenso lange bekannt sind wie in ihrem Ursprungsland, werden sie von den Farmern sehr vielseitig eingesetzt. Sie sind nicht
nur zuverlässige und zähe Begleiter bei der Jagd auf Enten oder Känguruhs, sondern
bewähren sich auch als Viehtreiber und pflichtbewusste Wachhunde. In Neuseeland finden wir sie heute noch verbreitet als Jagdgebrauchshunde, in Skandinavien sogar als Schlittenhunde. Andere Retriever-Rassen haben den Curly im letzten Jahrhundert in der Beliebtheitsskala verdrängt. Weltweit sind nur wenige tausend Hunde registriert. In Deutschland leben zur Zeit etwa 60 bis 70 Curly Coated Retriever. In den letzen drei
Jahren fielen hier erstmals nach zehnjähriger Pause zwei Würfe. Der harte und unermüdliche Jagdbegleiter ist in der Familie, insbesondere mit Kindern, eher der sanfte und liebesbedürftige Clown. Fremden gegenüber verhält er sich freundlich, aber reserviert. Seine Aufgabe sieht er durchaus auch heute noch darin, seine Menschen und das eigene
Territorium zu beschützen. Als reiner Zwingerhund ist er ebenso ungeeignet wie jeder andere Retriever. Der sich physisch und psychisch langsam entwickelnde Hund braucht Zeit und einfühlsame Konsequenz bei der Ausbildung. Mit Ungeduld und Härte sind bei dem lebhaften und intelligenten Curly positive Ergebnisse nicht zu erreichen. Über die enge Bindung zu einem souveränen Hundeführer, der ihn mit dem nötigen Fachwissen und Fingerspitzengefühl fördert und fordert, wird er bei der Jagd seine vielseitigen Fähigkeiten zuverlässig einsetzen. Der Curly Coated Retriever ist ein kräftiger, gut aufgerichteter, muskulöser Hund mit einer gewissen Eleganz. Sein Kopf ist keilförmig mit wenig Stop und
großen braunen Augen. Sein charakteristisches Haarkleid besteht aus einer Masse von kleinen, festen Locken ohne Unterwolle, die am ganzen Körper dicht auf der Haut liegen. Das Haar des Kopfes und in Teilbereichen der Läufe ist dagegen glatt. Die ideale Schulterhöhe beträgt bei Rüden 67,5, bei Hündinnen 62,5 Zentimeter.

Der Curly Coated ist der kräftigste Retriever mit wenig Stopp und dadurch einem markanten,
keilförmigen Kopf. Er gilt zudem als die älteste Retrieverrasse

Der Nova Scotia Duck Tolling Retriever ist die kleinste und jüngste Retriever Rasse und neben dem „Kooikerhondje“ eine der beiden anerkannten Lockhundrassen. Frei übersetzt bedeutet sein Name: „neuschottländischer Enten anlockender Apportierhund“. Bei uns ist
er noch recht selten anzutreffen. In den vergangenen Jahren wurden jeweils etwa 20 bis 30 Welpen registriert. Der verspielte, quirlige Hund wurde wahrscheinlich von schottischen Siedlern in Kanada, genauer in Nova Scotia gezüchtet. Er sollte die Jagdmethode eines
Fuchses imitieren, der am Ufer entlang tollte, abstoppte, sich niederlegte und mit der Lunte wedelte, wieder weitertobte usw. Dabei machte er die Enten auf sich aufmerksam, die sich neugierig dem Ufer näherten. Waren sie nahe genug, sprang der Fuchs ins Wasser und machte Beute. Man versuchte, eine Hunderasse zu züchten, die sowohl vom Äußeren wie vom Verhalten diesen Fuchs imitieren konnte, und zudem ein zuverlässiger Jagdbegleiter
und Apporteur war. Es gibt viele Spekulationen darüber, wo der Ursprung der Rasse zu finden ist. Es könnten aufgrund verschiedener Überlieferungen von den schottischen Siedlern mitgebrachte Apportierhunde, kanadische Indianerhunde, die ähnliche Anlagen
bereits gehabt haben sollen, Cocker, Setter und Collie zu den Vorfahren des Tollers gehören. Erste Bilder und Beschreibungen der Rasse sind etwa 100 Jahre alt. Als eigenständige Rasse wurde der Nova Scotia Duck Tolling Retriever in Kanada 1945 anerkannt, durch die FCI erst 1981. Auch der JGHV erkennt ihn seitdem als Jagdhunderasse an.
Die Art des Jagens mit dem Toller mutet zunächst wie Jägerlatein an, doch sie funktioniert. Ideal sind größere Gewässer ohne Bewuchs im Uferbereich. Aus der Deckung heraus wirft der Jäger seinem Hund Bälle oder Stöckchen, die dieser ausdauernd, aber mit gezielt eingelegten kleinen Pausen entlang des Ufers apportiert. Er darf dabei nicht selbstständig das Wasser annehmen. Die überschießenden, verspielten Bewegungen beim Apportieren,
das rote Fell mit den weißen Abzeichen, wodurch sich der Hund gut vom Hintergrund abhebt, erwecken die Neugierde von Enten oder Gänsen. Sind sie auf Schussdistanz herangelockt, wird der Toller mit Fingerzeig hinter die Deckung gerufen, wo er ruhig auf seinen Apportiereinsatz warten muss. Durch das Vortreten des Jägers aus der Deckung, gegebenenfalls durch einen Hebeschuss werden die Enten hochgemacht und die Jagd auf das abstreichende Wasserwild beginnt. Die Apportierarbeit danach an Wasser und an Land erledigt der Toller mit weichem Maul zuverlässig und ausdauernd. Im jagdlichen Alltag kann der Toller als Allrounder eingesetzt werden, auch für Nachsuchen auf Schalenwild*. Seine Wildschärfe reicht aus, um auch wehrhaftes Wild zu sichern. Bei Treib- oder Buschierjagden arbeitet er bereitwillig unter der Flinte auf Hasen oder Fasanen. Spur oder
Sichtlaut ist nicht selten vorhanden. Ein ausgeprägter Spieltrieb und Bewegungsfreude,
ein hoher Beutetrieb, Ausdauer und Wasserfreude sowie die Bereitschaft, eng und zuverlässig mit seinem Menschen zusammen zu arbeiten, um zum Beispiel sein Verhalten blitzschnell von Spiel auf disziplinierte Standruhe (Steadiness) umzustellen, sind Voraussetzung für gute Arbeiten des Nova Scotia Duck Tolling Retrievers. Die Ausbildung des temperamentvollen, reaktionsschnellen und intelligenten Hundes erfordert liebevolle Konsequenz und Fingerspitzengefühl. Inkonsequenzen versteht er mit einer ihm eigenen
„schottischen Sturheit“ auszunutzen. Wird der freundliche Hund, der auch für das Leben in der Familie eine große Bereicherung darstellt, anspruchsvoll beschäftigt und ausgelastet, dankt er dies mit zuverlässiger jagdlicher Arbeit und einem hohen Maß an Lenkbarkeit.
Der Nova Scotia Duck Tolling Retriever ist ein mittelgroßer, kraftvoller, kompakter Hund mit einer Schulterhöhe von 45 bis 51 Zentimetern. Sein wasserabweisendes, mittellanges Fell mit dichter Unterwolle ist meist glatt, darf auf dem Rücken leicht gewellt sein. Charakteristisch ist die rote Farbe des Fells mit mindestens einem weißen Abzeichen an Rutenspitze, Pfoten oder Brust und eine Blesse.

Der Nova Scotia Duck Tolling Retriever hat sich das Verhalten des Fuchses zu eigen gemacht, in dem er durch aufgeregtes Verhalten an Land die Enten anlockt. Er gilt deshalb als Lockhundrasse

Der Chesapeake Bay Retriever stammt aus Nordamerika. 1807 strandete ein Schiff an der Chesapeake Bay bei Maryland, auf dem sich auch zwei St. John’s Hund-Welpen, ein rötlicher Rüde namens Sailor und eine schwarze Hündin namens Canton, befanden. Beide wurden gerettet und zu Entenapportierhunden ausgebildet. Sie gelten, obwohl sie nie miteinander verpaart wurden, als Ursprung der Chesapeake Bay Retriever. Glaubt man den Überlieferungen bezüglich der Entstehung der Rasse, so wurden unter anderem Curly Coated und Flat Coated Retriever, Irish Water Spaniel, verschiedene Setterrassen und sogar Coonhounds eingekreuzt. Der American Kennel Club registrierte den ersten rassestandardgerechten Chesapeake 1878. Lange Zeit war diese Rasse der Allround-Hund des einfachen Mannes an der Chesapeake Bay. Wegen seiner Wasserfreude und Ausdauer, seiner Unerschrockenheit und Härte bei schwierigen Apportieraufgaben in unwegsamen
Sumpfgebieten und eisigen Gewässern war und ist er als Helfer bei der Jagd auf Enten
und wehrhafte Gänse unersetzlich. Zudem hatte er die Aufgabe, seinen Besitzer, dessen
Familie, Haus und Hof zu beschützen, was auch heute noch zum typischem Verhalten
des „Chessies“ gehört. Dieser arbeitsfreudige und selbstbewusste Hund ist in Nordamerika und Skandinavien deutlich öfter anzutreffen als in Deutschland, wo zur Zeit nur zirka 300 Chessies leben, von denen jedoch etliche jagdlich geführt werden. Für die Arbeit nach dem Schuss eignet er sich nicht nur zum Apportieren von Niederwild, auch auf der  Schweißfährte* arbeitet er sicher und zuverlässig. Wildschärfe und Raubwildschärfe sind nicht selten, dürfen aber nicht vorausgesetzt werden. Die Ausbildung zum Stöbern, Buschieren und auch zum Vorstehen ist möglich. In der Zucht wird auf Wesens- und Arbeitsveranlagung großer Wert gelegt. Entsprechende Prüfungen werden vorausgesetzt.
Im Umgang mit fremden Menschen ist der Chesapeake Bay Retriever deutlich zurückhaltender als die bisher beschriebenen Retriever-Rassen. In der Familie ist er ein freundlicher und angenehmer Zeitgenosse, fixiert sich aber gerne auf den Menschen, der mit ihm arbeitet. Der intelligente und lernbegierige Hund ist ein Arbeitstier, der bei mangelnder Auslastung recht anstrengend für seine Umgebung sein kann. Er liebt es, mit und für seinen Menschen zu arbeiten, hat aber durchaus auch sehr eigene Vorstellungen
vom Leben und fordert verständige Konsequenz des souveränen Hundeführers. Seine Ausbildung erfordert Zeit und die nötige Gelassenheit, denn der Chessie ist entwicklungsmäßig als „Spätzünder“ einzustufen. Vom äußeren Erscheinungsbild ist der
Chesapeake Bay Retriever ein kräftiger, gut bemuskelter Hund mit tiefem, breitem
Brustkorb und kraftvoller Hinterhand. Rüden erreichen eine Schulterhöhe von 58 bis 63, Hündinnen 53 bis 61 Zentimetern. Der Kopf ist breit mit mittlerem Stop. Die gelben bis bernsteinfarbenen Augen sind charakteristisch. Das dichte Fell mit guter, leicht ölig wirkender Unterwolle ist vom Hals über den Rücken bis zur Rutenspitze gewellt, an Bauch, Rücken und Beinen kurz und glatt. Die typische Fellstruktur ermöglicht ihm das stundenlange Arbeiten im Eiswasser. Die Fellfarbe sollte dem jeweiligen Einsatzgebiet angepasst sein und reicht von der Farbe trockenen Grases (light deadgrass) über verschiedene rötliche und braune Töne bis dunkelbraun. In Deutschland gehören der Deutsche Retriever Club und der Labrador Club Deutschlands dem Jagdgebrauchshundverband (JGHV) an. In beiden Clubs werden spezielle jagdliche Prüfungen für Retriever angeboten, die auch mit großem Interesse von den Hundführern wahrgenommen werden. Zudem werden viele Retriever mit Erfolg zu Prüfungen außerhalb
der eigenen Zuchtverbände sowie im Ausland geführt.

Der Chesapeake Bay Retriever verdankt seinen Namen einem Seeunglück. Als Anfang des 19. Jahrhunderts ein Schiff in der Chesapeake Bucht strandete, überlebten zwei Hunde. Sie gelten als die Begründer der Rasse, auch wenn sie nie verpaart wurden
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