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Gesundschießen

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Rotwildpopulation

BESTANDSDYNAMIK BEIM ROTWILD

Eine falsche Verteilung der Abschüsse kann bei der Rotwildpopulation schnell verheerende Folgen für den Bestand haben. Wie Sie Fehler erkennen und beheben können, schildert Prof. Dr. Hans-Dieter Pfannenstiel am Beispiel eines Rotwildgebietes.

Die Wildbiologie hat viele Details der Dynamik von Rotwildpopulationen aufgezeigt, die auch für die Jagd sehr bedeutend sind. Aber werden diese Erkenntnisse in der jagdlichen Praxis auch überall in den Hegegemeinschaften umgesetzt? Immer wieder taucht die Frage auf: Wo bleiben die alten Hirsche? Wie berechtigt die Frage ist, zeigen Hegeschauen, bei denen von hundert gestreckten Hirschen nur eine Handvoll reif ist. Wertet man die Strecken sorgfältig aus und interpretiert sie korrekt, zeigt sich rasch, ob Fehler gemacht wurden oder ob man auf dem richtigen Weg ist. Leider werden nicht immer die passenden Konsequenzen gezogen. Zudem behindern Revieregoismus und Jagdneid nach wie vor, dass möglichst natürlich gegliederte Rotwildpopulationen geschaffen und erhalten werden.

Wie bei vielen Arten wächst eine Rotwildpopulation in einem geeigneten Habitat im Idealfall zunächst langsam und linear. Das Wachstum beschleunigt sich dann und geht in eine exponentielle Phase über. Der jährliche Zuwachs wird also immer größer. Sobald dann die Habitatsgrenze, die naturräumliche Ausstattung des Lebensraums, wegen innerartlicher Konkurrenz erreicht wird, stellt sich die Population mit Schwankungen nach oben und unten auf einen bestimmten Wert ein. Für Hirsche wird diese Konkurrenz eher ein Problem als für Tiere. In unserer Kulturlandschaft sind nicht mehr alle Stellschrauben wirksam, die unter natürlichen Bedingungen die Habitatkapazität und das Anpassen daran steuern. Folglich kann eine Überpopulation entstehen, die beim Rotwild eine Reihe negativer Begleiterscheinungen zeigt.

Die Wissenschaft vermutet: Schwächere Alttiere, wie sie bei Überpopulation häufig vorkommen, setzen eher Wildkälber

Bei Überpopulation sinkt die Zahl männlicher Stücke. Das liegt einmal daran, dass Hirsche abwandern. Man könnte das so interpretieren, dass sie einfach ihre Ruhe haben wollen. Außerdem werden in solchen Populationen mehr weibliche Kälber als männliche geboren. Es ist unklar, wie das fortpflanzungsbiologisch geregelt wird. Beim Elch weiß man, dass alte Elche mehr männliche als weibliche Kälber zeugen. Der zugrunde liegende Mechanismus ist auch dort nicht bekannt. Jeder Praktiker weiß jedoch, dass bei einer Überpopulation Wildbretgewichte sinken, Stücke also nicht mehr so gut konditioniert sind. Für ein Hirschkalb muss ein Alttier während der Tragzeit mehr Energie investieren als für ein Wildkalb, da Hirschkälber bereits beim Setzen höhere Gewichte haben als Wildkälber. Ähnliches gilt auch für die Säugezeit. Es erscheint also durchaus plausibel, dass weniger gut konditionierte Alttiere in überhöhten Populationen eher Wildkälber setzen werden als Hirschkälber. In solchen Populationen nehmen somit der männliche Anteil und insbesondere der Anteil reifer Hirsche kontinuierlich ab.

Die Wissenschaft vermutet: Schwächere Alttiere, wie sie bei Überpopulation häufig vorkommen, setzen eher Wildkälber

Das hat für die Brunft erhebliche Konsequenzen. Reife Hirsche sind besser als jüngere in der Lage, Tiere bereits beim ersten Eisprung erfolgreich zu beschlagen. Wenn viele junge Hirsche in der Brunft zum Zuge kommen, weil alte fehlen, verschiebt sich diese weiter in den Oktober, da Tiere erst beim nächsten oder gar übernächsten Eisprung erfolgreich beschlagen werden. Damit verschiebt sich auch der Setzzeitpunkt der Kälber nach hinten, was sich wiederum negativ auf die Kondition dieser Stücke auswirkt. Ein Teufelskreis, der nur durch beherztes Jagen durchbrochen werden kann.

So sollte es sein: Auf der Strecke überwiegt bei Weitem der Anteil weiblicher Stücke.

Nun wird aber beherzt oft nur bei Trophäenträgern eingegriffen. Solche Populationen sind durch einen Mangel an Hirschen, insbesondere an alten, gekennzeichnet und durch einen entsprechend überproportionalen weiblichen Anteil. Zudem kommt noch das Phänomen der „Kofferraumhirsche“ ins Spiel. Es sollen in manchen Rotwildeinständen jedes Jahr zahlreiche Hirsche gestreckt werden, die in keiner

Streckenstatistik auftauchen. Das dürften wohl vor allem mittelalte Hirsche sein, die wegen ihrer Trophäe erlegt werden. Aus den oben dargelegten Gründen hätte man sie aber besser noch ein paar Jahre am Leben gelassen.

Die Grafiken auf Seite 18 illustrieren die Streckenauswertung eines Rotwildgebietes in Deutschland. Das Gebiet in Mittelgebirgslage umfasst mehr als 40 000 Hektar. Aus dieser Auswertung werden geradezu beispielhaft die negativen Konsequenzen für einen Bestand deutlich. Vermutlich ließen sich diese Probleme aber relativ einfach lösen, wenn im Rotwildgebiet gemeinsam über die Reviergrenzen gedacht und gehandelt würde.

Die jährliche Rotwildstrecke hat sich von etwa 500 Stück zu Beginn der 1980er-Jahre bis heute verdreifacht. Trotz steigender Abschusszahlen hat sich der Bestand ständig weiter erhöht. Schon allein diese Tatsache zeigt: Die erzielte Strecke entspricht quantitativ, aber eben auch qualitativ, nicht den Erfordernissen, um den Bestand zahlenmäßig und das Geschlechterverhältnis in einem akzeptablen Zustand zu halten. Die Wildbretgewichte sind vergleichsweise

Ein älterer, brunftiger Hirsch zieht auf ein Alttier zu. Reife Exemplare sind eher als jüngere in der Lage, die weiblichen Stücke bereits bei ihrem ersten Eisprung erfolgreich zu beschlagen.

gering. Das mag zum einen an der naturräumlichen Ausstattung des Habitats liegen, spiegelt aber zum anderen sicher auch die zu hohe Dichte des Bestandes wider. Im Jagdjahr 2013/14 lag das Abschussgeschlechterverhältnis der Strecke in etwa bei einem Drittel männlich zu zwei Drittel weiblich. Das heißt für die Gesamtpopulation, dass tatsächlich erheblich mehr weibliches als männliches Wild im Bestand ist. Neben dem zu geringen weiblichen Anteil auf der Strecke hat dieses Phänomen sicher seinen Grund darin, dass Hirsche abwandern. Zudem ist das Geburtsgeschlechterverhältnis wegen der relativ schlechten Kondition der Alttiere deutlich in Richtung weiblich verschoben, der Anteil der Wildkälber also stark angestiegen. Dies zeigt sich dann auch deutlich im Abschussgeschlechterverhältnis bei den Kälbern. Bei einem Blick auf die Altersklassenverteilung der Strecke seit 1980/81 fällt das Fehlen alter Hirsche sofort ins Auge. Neben dem Abwanderungseffekt kann hier auch eine zu starke Jagd auf Schmalspießer und junge Hirsche eine Rolle spielen. Außerdem gehen Insider von einer großen Zahl der bereits erwähnten „Kofferraumhirsche“ aus. Es dürfte eigentlich kein Problem sein, die Freigabe in der Jugendklasse etwas einzuschränken und wenigstens für ein paar Jahre mittelalte Hirsche gar nicht freizugeben.

Solche mittelalten Hirsche sollten geschont werden, trotz fehlender Krone. Dadurch können mehr in die höhere Altersklasse durchwachsen.

Wenn dann zudem die Einsicht um sich greift, dass man sich auch aus jagdlicher Sicht selber schadet, wenn es weiterhin „Kofferraumhirsche“ gibt, dann sollte mittelfristig die Zahl reifer Hirsche steigen. Das täte der Population aus wildbiologischen Gründen gut, und außerdem könnten sich mehr Jäger über die Trophäe eines Reifen freuen.

Der Schmaltieranteil ist deutlich höher als derjenige der Alttiere, wodurch über kurz oder lang der weibliche Bestand

überaltert. Eigentlich sollten weniger Schmaltiere als Alttiere gestreckt werden. Das in die Praxis umzusetzen, ist sicher aber schwierig. Zunächst sollten daher Schmaltiere so früh erlegt werden, dass sie gut von beschlagenen oder bereits führenden Alttieren unterschieden werden können. Auf der Bewegungsjagd dürften eigentlich nur noch Kälber freigegeben werden, um einerseits den Abschuss führender Alttiere zu vermeiden, was aus jagdethischer Sicht dringend geboten ist. Zum anderen müsste dadurch auch der Schmaltieranteil zurückgehen. Die Erlegung nicht mehr führender Alttiere muss dann allerdings auf der Einzeljagd nach sicherem Ansprechen forciert werden, und zwar so stark, dass mittelfristig der Bestand zurückgeht.


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