I. Zwei Fälle
1. Eine Spaziergängerin war etwa 20 bis 30 m von einem Jäger entfernt, als dieser aus einem „geschlossenen Jagdstand“ heraus einen Schuss in eine von ihr abgewandte Richtung abgab. Sie verlangte Schadensersatz, weil der Jäger sie vorher gesehen und dennoch geschossen habe. Dies sei vorschriftswidrig und daher fahrlässig.
Vor Gericht hatte die Frau keinen Erfolg, ihre Klage wurde auf ihre Kosten abgewiesen. Rechtsgrundlage ist § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer vorsätzlich oder fahrlässig die Gesundheit eines anderen widerrechtlich verletzt. Diese Voraussetzungen seien hier jedoch nicht gegeben, so das Gericht, weil der Jäger jedenfalls nicht fahrlässig gehandelt habe; denn der Schuss sei in eine abgewandte Richtung abgegeben worden, als die Person noch mindestens 20 m bis 30 m entfernt gewesen sei.
Die Unfallverhütungsvorschriften schreiben zwar vor, dass ein Schuss erst abgegeben werden darf, wenn sich der Schütze zuvor vergewissert hat, dass niemand gefährdet wird. Eine Gefährdungslage habe hier aber nicht bestanden. Denn bei dieser Situation war es äußerst unwahrscheinlich, dass eine Person durch den Schussknall einen Gehörschaden erleiden könnte, auch wenn sie durch den Knall überrascht wurde. Aufgrund dieser Gegebenheiten war es für den Jäger nicht vorhersehbar, dass sein Schuss zu einem Hörschaden in Form einer psychoreaktiven Folge führen könnte.
Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 27.6.2005 – 7 U 104/04 –
Wer in unmittelbarer Nähe eines anderen Jägers ohne Ankündigung schießt, kann haftbar gemacht werden.
Foto: Markus Lück
2. In einem weiteren Fall gab ein Jäger, der neben seinem Jagdkameraden stand, plötzlich einen Schuss ab, wobei die Laufmündung maximal 1,5 m von dessen Kopf entfernt war. Der Verletzte verlangte Schadensersatz und ein Schmerzensgeld.
Zu Recht, entschied das Gericht. Denn aufgrund des geringen Abstands musste es sich dem Schützen geradezu aufdrängen, dass der Schussknall einen Gehörschaden verursachen würde. Dass er trotzdem schoss, stelle eine grobe Sorgfaltspflichtverletzung und damit eine grobe Fahrlässigkeit dar. Diese Sorgfaltspflichtverletzung ergebe sich sowohl aus den Unfallverhütungsvorschriften als auch aus den allgemeinen Vorsichtsregeln, nach denen Verletzungen anderer durch gefahrvolles Verhalten zu vermeiden sind.
Amtsgericht Leer, Beschluss v. 24.2.2011 – 73 C 618/10 –
II. Anmerkungen
Die Vorfälle zeigen, dass bei Abgabe eines Schusses nicht allein auf einen sicheren Kugelfang zu achten ist, sondern auch auf die nahe Umgebung. Denn das Schießen in unmittelbarer Nähe einer anderen Person kann zu einem Hörschaden mit weitreichenden Folgen führen. Man denke nur an den Fall, dass zwei Jäger kurz hintereinander auf einem Pfad zu den nahe gelegenen Ansitzen pirschen und plötzlich der Hintermann auf einen seitlich neben dem Vordermann flüchtenden Fuchs schießt. Auch bei einer Treibjagd kann am Ende eines Treibens ein solcher Unfall passieren, wenn sich die Schützen mit entladener Waffe sammeln und in Gruppen zum Sammelplatz gehen. Sollte jetzt plötzlich einer der Jäger hastig seine Waffe laden und aus der Gruppe heraus auf einen abstreichenden Fasan schießen … oh weh!
Bereits mit Urteil vom 15.2.2011 (WuH 21/2011, S. 128) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Schussknall „waldtypisch“ ist, er also zum Wald gehört und jeder ihn hinnehmen muss, außer der Schuss wurde aus unmittelbarer Nähe abgegeben. Im entschiedenen Fall war eine Reiterin mit ihrer Freundin in den Wald geritten, obwohl sie bereits einen Schuss gehört hatte und durch Warnschilder auf die Drückjagd hingewiesen wurde.
Auch Haustiere, insbesondere weidende Tiere, können sich durch den Schussknall verletzen, wenn sie in Panik geraten und gegen einen Zaun oder über eine Straße flüchten. Auch hier ist die Entfernung zwischen dem Schützen und dem Tier entscheidend.
Bei Schäden durch den Umgang mit einer Waffe haftet der Schütze nach den Grundsätzen des allgemeinen Haftungsrechts, also nur, wenn er schuldhaft, das heißt vorsätzlich oder fahrlässig, gehandelt hat (siehe § 823 BGB). Vorsatz ist gegeben bei Absicht oder wenn der Schaden in Kauf genommen wird. Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Schütze aus Leichtsinn gegen Sicherheitsbestimmungen, wie zum Beispiel die Unfallverhütungsvorschriften oder sonstige allgemein gültige Schutzregeln, verstoßen hat. Beweisen muss dies immer der Verletzte, weil er den Schadensersatzanspruch geltend macht.
III. Ergebnis
1. In der Rechtsprechung besteht Einigkeit, dass die Jagd und damit auch der Schussknall zum Wald und zur freien Landschaft gehören. Dort muss jeder mit einem plötzlichen Knall rechnen, außer er ist in unmittelbarer Nähe des Schützen, und dieser schießt ohne Vorankündigung.
2. Auch in unmittelbarer Nähe von Haus- und Nutztieren, zum Beispiel auf einer Weide, hat ein Schuss zu unterbleiben, weil Tiere aus Schreck flüchten und sich dabei an Hindernissen oder gar im Straßenverkehr verletzen können.
3. Es empfiehlt sich, bei Gesellschaftsjagden Warnschilder, Absperrungen und sonstige Sicherheitsmaßnahmen zu Beweiszwecken zu fotografieren. Die Eigentümer gefährdeter Tiere sind schriftlich auf die bevorstehende Jagd hinzuweisen, damit sie ihre Tiere vorübergehend aus dem Gefahrenbereich entfernen können, soweit dies zumutbar ist.