Wie entsteht Fehlverhalten bei Hunden und wie kann man es korrigieren? Jagdhundeprofi Theodor Heßling zeigt dies an Beispielen aus seiner alltäglichen Praxis.
Ganz klar: Hunde benötigen positive Zuwendung. Sie brauchen aber auch klare Strukturen, konsequente Führung, Familienanschluss und viele unterschiedliche Sozialkontakte. Emotionen sind in der Hundeausbildung wichtig. Ebenso die Liebe zum Hund! Aber alles in geordneten Bahnen.
In den Jahrzehnten, in denen ich mich mit Hunden befasse, sie beobachte, ausbilde und jagdlich führe, habe ich keinen Vierläufer erlebt, der im Familienverbund ausnahmslos mit positiven Reizen konditioniert wurde. Im Gegenteil: Untereinander greifen Hunde auf leichte bis massive Abbruchsignale zurück, sofern sich das „Miteinander“ störend darstellt.
Verhaltensforscher wie Prof. Dr. Monika Meyer-Holzapfel, Dorit Feddersen-Petersen oder Ulrich Klever, sind darüber einig, dass die meisten Verhaltensstörungen bei Hunden durch die Haltung und den Umgang des Menschen entstehen. Häufig schleichen sich solche Verhaltensstörungen nur langsam und unbemerkt ein. Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem dieses Fehlverhalten zum großen Problem wird. Überängstlichkeit, Aggressionsverhalten oder Hyperaktivität sind nur einige Ausprägungen.
Viele natürliche Verhaltensreaktionen des Hundes werden schnell als genetisch bedingte Verhaltensstörung abgetan, beispielsweise wenn der Hund beim nächtlichen Ansitz nicht im Auto bleiben will und randaliert. Ursprünglich ist dieses Verhalten aber völlig normal. Schließlich will der Hund als Rudeltier bei seinem Familienverband bleiben und macht dies mit Protestbellen deutlich. Fast alle Hunde mit solchen Problemen können schnell und einfach umkonditioniert werden.
Allerdings gibt es auch kompliziertere Fälle. So wie „Siggi“, ein vierjähriger, bis zur Verbandsgebrauchsprüfung ausgebildeter Deutsch-Drahthaar., und „Zeus“, ein Langhaar-Weimaraner mit dem Leistungsstand der jagdlichen Brauchbarkeit. Beide Hunde zeigten Aggressionen gegenüber Artgenossen und ihren jeweiligen Hundeführern. In meiner Hundeschule wurden die beiden einem Anti-Aggressionstraining unterzogen. Die Namen der Hunde wurden geändert. Das jeweils geschilderte Verhalten ist nicht an der Rasse festzumachen. Nach Ausführungen der Verhaltensforscher Eberhard Trumler und Konrad Lorenz ist allen Tieren ein angeborener Aggressionstrieb eigen, der normalerweise durch Hemmzentren im Gehirn blockiert wird. Die Hemmungen können entweder durch Erfahrungen (Selbstdressur) oder vernunftvolle Ausbildung (Fremddressur) verstärkt werden. Zunächst dient die Aggression der innerartlichen Kommunikation: Ein ranghöherer Hund beantwortet Fehlverhalten eines rangniederen mit abgestufter Aggression.
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Dominanzaggression in Höchstform: Weimaraner „Zeus“ und Drahthaar „Siggi“ legten das gleiche Verhaltensmuster an den Tag. Nur unter großer Kraftanstrengung konnten sie bei Kontakt mit anderen Hunden an der Leine gehalten werden.Foto: Theodor Heßling |
Bereits dem Welpen muss deshalb vermittelt werden, dass andere Hunde eine Gegner sind. Durch viele positive Kontakte in der Jugend mit unterschiedlichen Rassen und Altersstufen kann der junge Hund ein normales und positives Verhalten anderen Vierläufern gegenüber entwickeln.
Bei „Siggi“ und „Zeus“ war die Situation eindeutig. Die Führer der Hunde zeigten wenig Durchsetzungsvermögen und führten die Hunde sehr inkonsequent. Zudem waren beide Rüden sehr unruhig, was sich durch hyperaktives Hecheln und lautes Fiepen äußerte. Während der jagdlichen Ausbildung hatten sie zwar die üblichen Hörzeichen erlernt und auch verstanden. Allerdings führten sie Befehle nur bedingt aus. Begegnungen mit fremden Hunden waren selbst angeleint nur auf große Distanz möglich. Dabei präsentierten sich die Rüden mit stark hochgezogenen Ruten, extrem angespannten Gliedmaßen und aufgestelltem Nackenhaar.
In einem Test wurden beide Rüden einander gegenübergestellt. Verringerte sich die Distanz zwischen ihnen, fixierten sie sich kurz durch gegenseitiges Anstarren und gingen sofort in starke Aggressionen über. Nach diesem Test war klar, dass beide Hunde andere Artgenossen massiv angreifen und auch verletzen würden.
Schnell wurde auch offenbar, dass bei beiden Hunden „Fehler“ in der Unterordnung mit unterschiedlichen Konsequenzen vom Hundeführer gemaßregelt wurden Vermeintlich „kleine „Fehler“ wurden auch nur mäßig korrigiert. Frei nach dem Motto: „Ist ja nicht so schlimm.“ Unbewusst gingen die Hundeführer viel zu emotional und inkonsequent vor.
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Stetig wurde die Distanz zwischen den Hunden verringert. Zum Schutz trugen die Vierläufer einen Maulkorb.Fot: Theodor Heßling |
Als die Rüden vorgestellt wurden, zeigten sie sich absolut charakterstark. In unterschiedlichen Reizsituationen ließen sie sich kaum oder nur unter großer Kraftanstrengung führen. Nach Auskunft der Hundeführer fielen beide Rüden bis zum sechsten, beziehungsweise achten Lebensmonat nicht auf. Weder in der Familie noch auf Spazier- oder Reviergängen. Auch das Spiel mit anderen Hunden war problemlos. Danach verselbstständigten sich die Hunde immer mehr. Bis zum Horizont jagten sie Wild, begegneten anderen Hunden angespannt bis hin zum Knurren. Die Führigkeit ließ immer mehr nach.
In diesem Alter beginnt die „Halbstarkenphase“. Damit verbunden setzen zu diesem Zeitpunkt meistens auch die ersten richtigen Probleme ein. Zeigt der Halter dem Hund in diesem Alter keine Grenzen, entgleitet ein charakterstarker Vierläufer zwangsläufig. Er folgt seinem Bedürfnis, „Platzhirsch“ zu werden, und will dies auch seiner Umwelt begreiflich machen.
Das kann in sehr unterschiedlicher Form beginnen. Der Hund verweigert plötzlich Hörzeichen, die er erlernt und bisher sogar unter Ablenkungsreizen gut ausgeführt hat. Er beginnt, andere Vierläufer anzuknurren, hebt ständig im Beisein anderer Hunde das Bein, um seine Duftmarken zu hinterlassen. Lässt der Hundeführer dies zu, lernt der Hund rasch, wie stark er wirklich ist. Das Austesten steigert sich allmählich bis hin zu massiven Beißereien.
Dann beginnt die Konfliktkette: Der Hundeführer fühlt sich hilflos, will Konflikten aus dem Weg gehen und lässt den Hund nur noch an der Leine. Die geringe Reizbelastung in plötzlich auftretenden Konflikten führt dann aber dazu, dass der Hund immer aggressiver wird. Verständlicherweise waren die Führer von „Siggi“ und „Zeus“ inzwischen überfordert.
Das ausgeprägte Fehlverhalten ließ bei „Siggi“ und „Zeus“ nur eine stationäre Ausbildung zu. Ich war mir nicht sicher, ob die Vierläufer überhaupt noch zu korrigieren waren. Sie hatten ihre Aggressionen über einen langen Zeitraum ausleben können. Wenn sie jetzt noch das genetische Potenzial zu einem Alpha-Tier besitzen, könnte es äußerst schwierig werden.
Grundlage für jede Korrekturerziehung ist der Gehorsam. Durch ihn kann sich der Hund besser auf sein Umfeld einstellen. Er wird durch die klare Hierarchie ruhiger und belastbarer. Zunächst wird der Gehorsam nur in leichten Reizsituationen trainiert, bis der Hund zuverlässig auf das erste Hörzeichen gehorcht. Erst dann kann die Korrektur beginnen. Beim Stadttraining ohne Hundekontakt ließen sich sowohl „Siggi“ als auch „Zeus“ problemlos führen. Passanten lobten die Vierläufer sogar für ihr gutes Benehmen. Doch der Schein trog. Schon beim ersten Versuch, die Hunde angeleint an einem Artgenossen vorbeizuführen, reagierten sie äußerst aggressiv. Der Abstand zum friedlichen Testhund betrug dabei etwa sechs Meter. Die Vierläufer über ihren Gehorsam zur Räson zu rufen, war nicht möglich. „Siggi“ und „Zeus“ konnten aus dem Konflikt nur „herausgezogen“ werden.
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Durch das Gruppentraining entsteht eine Reizüberflutung, die die Aggression bei den Hunden abbaut.Foto: Theodor Heßling |
Um die Hyperaktivität der Rüden abzubauen, wurden sie täglich zwei bis drei Stunden am Fahrrad und im Freilauf geführt. Die Distanz zu anderen Hunden beim Training betrug anfänglich etwa 15 Meter. Zunächst wurden sie mit Maulkorb an einer kurzen Leine mit Korallenhalsung geführt, nachdem Zugkette, Halti und andere Hilfsmittel erfolglos blieben.
Nach einigen Übungseinheiten ließen wir die angeleinten Rüden sich jeweils auf etwa zehn Meter Entfernung an andere Hunde annähern. Großer Wert wurde dabei auf exakt und schnell ausgeführten Gehorsam gelegt. Führten die Vierläufer alle Kommandos sauber und friedlich aus, wurde der Abstand verringert. Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl der anderen Trainingshunde war, dass diese sich neutral verhielten und nicht auf die Provokationen von „Zeus“ und „Siggi“ reagierten.
Mit der Reizüberflutung durch mehrere andere Hunde und die starken Korrekturmaßnahmen konnten die Rüden etwas beruhigt werden. Immer größer wurden die Intervalle zwischen ihren Aggressionsausbrüchen.
Als zusätzliches Hilfsmittel verwendete ich ein Sauerstoffsprühgerät. Sobald einer der Hunde aggressiv reagierte, wurde sofort das Trainingsgerät ohne Hörzeichen ausgelöst. Damit sollte der Hund den starken Sauerstoffstrahl mit seinem Fehlverhalten verknüpfen.
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links: Auch die persönliche Beziehung zum Hundeführer spielt eine große Rolle in der Verhaltens entwicklung eines Hundes.rechts: Sofern keine anderen Hunde in Anblick kamen, ließ sich Drahthaar „Siggi“ problemlos in der Stadt führen . |
Nach einigen Wochen reagierten die Schüler zuverlässig und verhielten sich – zumindest angeleint – neutral gegenüber Artgenossen. In einem Abstand von vier Metern gingen sie reaktionslos an anderen Hunden vorbei. Erkannten sie, dass es sich bei dem Trainingshund um eine Hündin handelte, reagierten sie sogar positiv und forderten sie zum Spiel auf. Zu Beginn der Ausbildung bellten sie auch noch Hündinnen aggressiv an.
Dieser neue Wesenszug wurde nun genutzt, um wieder Positivkontakte mit Hunden zu vermitteln. Also wurden die beiden Problemhunde angeleint mit kleinen und größeren Hündinnen ausgeführt. Der Abstand zwischen den Vierläufern wurde stetig verringert, bis sie problemlos nebeneinander herliefen. Nach kurzer Zeit war das sogar unangeleint möglich. Das gleiche System auch bei Rüden durchzuführen, war jedoch ein schweres Unterfangen. Erst nach intensiver Arbeit war es bis zu einer Distanz von einem Meter möglich. Bei Negativkontakten wurden beide Hunde stark korrigiert, teilweise mit Strafton, Ruck an der Leine und dem Sprühgerät. Durch die vorhergehenden Sensibilisierungen waren die Hunde jetzt wesentlich schneller zu beeinflussen.
In der nächsten Übungsstufe wurden Fremdrüden eingebaut, die keine Aggressionsbereitschaft zeigten. „Zeus“ und „Siggi“ nahmen für die Reizüberflutung am Gruppentraining teil. „Siggi“ freute sich nun, sobald er die anderen Hunde sah. Mit friedlichen Artgenossen zeigte er an der Schleppleine freundliche Körpersignale. Jetzt konnte er ohne Leine zum Rudelspiel ausgeführt werden. Anzeichen einer unbegründeten negativen Reaktion konnten erfolgreich mit einem scharfen „Nein“ unterbrochen werden. Anfänglich begleitete der Trainer das Spiel auf dem Übungsplatz, um dem Hund zu vermitteln, dass er stets einwirken kann. Erst dann wurde „Siggi“ auch im Wald mit anderen Vierläufern laufen gelassen. Sehr schnell bemerkte er, dass der Kontakt mit anderen Hunden immer positive Eigenschaften hat. Das Aggressionsproblem trat nur noch auf, wenn andere Rüden Aggressivitätssignale sendeten. Jetzt konnte „Siggi“ aber zuverlässig abgerufen werden, bevor die Situation eskalierte.
Bei „Zeus“ gestaltete sich die Vorgehensweise deutlich problematischer. Zwar konnte er inzwischen unangeleint geführt werden, aber nicht mit Rüden, die ständig provozierten. Das Aggressionsverhalten, das er nun zeigte, war allerdings schon deutlich schwächer. Verhielten sich die Fremdrüden neutral, zeigte „Zeus“ Desinteresse. Er wollte weder spielen noch ging er direkte Kontakte mit ihnen ein. Dabei musste er aber stets durch den zuvor aufgebauten Gehorsam gelenkt werden. Positiv war, dass er von sich aus keinen Streit mehr suchte. Meist konnte er auch bei rechtzeitigen Abrufen durch den Hundeführer kontrolliert werden.
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Am Ende ihrer stationären Korrektur konnten die beiden ehemaligen Problemhunde gefahrlos mit anderen Artgenossen spielen und laufen.Foto: Theodor Heßling |
Als die Hundeführer ihre Vierläufer abholten, waren sie sehr erstaunt. Doch nur schwer war ihnen zu vermitteln, dass die Hunde erneut in das alte Negativ-Verhalten fallen würden, wenn die Führer nicht strikt die Empfehlungen der Hundeschule befolgen würden.
„Siggis“ Besitzer hatte als erfahrener Hundemann keine Probleme damit. Bis heute führt er den Drahthaar problemlos. Die Halterin von „Zeus“ war Erstlingsführerin und hatte es demnach schwerer, sich konsequent bei ihrem Hund durchzusetzen. Sie gab sich große Mühe. „Zeus“ war auch weiterhin gut lenkbar, sein Gehorsam in leichten Konflikten gut. Aber leider vermied sie weiterhin Konfliktsituationen. Zu groß war ihre Angst vor einer Auseinandersetzung mit dem Hund. Die Probleme waren nach zwei Monaten wieder vorhanden. Schade!