RIEN POORTVLIET
Vor 20 Jahren starb der Ausnahmekünstler für viele unerwartet. Obwohl sein Talent schon früh zutage trat, war sein Weg zum Maler-Olymp jedoch keineswegs vorgezeichnet. Markus Deutsch
In einem Interview auf das Erlegen eines hochkapitalen Schwedenbockes angesprochen, obwohl er kein Trophäenjäger war, antwortete Rien Poortvliet: „Ich kann Wunschgehörne fantasieren und malen ohne Ende. Das kostet mich keine Mühe. Aber solch ein Gehörn mal in den Händen zu haben und zu wiegen und daran zu riechen und es von allen Seiten zu
drehen und zu gucken, wie weit der liebe Gott gehen kann, die Sehnsucht versteht
sicherlich jeder Jäger.“Die Antwort des als Rembrandt des 20. Jahrhunderts bezeichneten Künstlers verrät wesentliche Züge seines Lebens und Schaffens. „Ich muss alles selbst gesehen, erlebt haben, ehe ich es gut malen kann“, verriet der gebürtige Niederländer einmal. Wie vielschichtig das Erleben war, konnte der damalige WuH-Chefredakteur und Freund des Malers, Horst Reetz, bei einer gemeinsamen Waschbärenjagd am Edersee beobachten, nachdem die Kleinbären in Anblick gekommen waren, Poortvliet ihr Verhalten studiert und einen erlegt hatte: „Rien streichelte den Balg des Waschbären, er fühlte die Haare und ließ sie durch die Finger gleiten. Er umfasste mit den Händen die Proportionen des Wildtierkörpers, befasste sich lange mit Kopf und Rute und hielt immer wieder seine Nase an den warmen Tierkörper, um die Wittrung intensiv in sich aufzunehmen und mit all
seinen Sinnen die Eigenart dieses Wildtieres zu spüren. In ähnlicher Weise sah ich ihn dies mit Rehbock und Fuchs tun.“
Aber nicht nur mit allen Sinnen sog der Künstler Eindrücke seiner Umgebung in sich auf. Als tiefgläubiger Christ bewegten ihn zeit seines Lebens Fragen des Zusammenspiels
zwischen dem Menschen und dessen Mitgeschöpfen, setzte er sich auf geistiger Ebene intensiv mit seiner Umwelt auseinander. Vielleicht war es gerade diese Kombination gepaart mit einem außergewöhnlichen Talent und dem stetigen Feilen an seinen handwerklichen Fähigkeiten, die Poortvliet zu einem der weltweit besten Maler von Tieren und Jagdszenen sowie zum berühmtesten niederländischen Maler der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts werden ließ. Allerdings hätten starke Religiosität und die mit ihr einhergehenden strikten Moralvorstellungen fast dazu geführt, dass der Niederländer niemals Künstler geworden wäre. Denn obwohl sich bereits zu Schulzeiten des am 7. August 1932 im südholländischen Schiedam geborenen Marius Harm „Rien“ Poortvliet eine große zeichnerische Begabung offenbarte und er gern auf die Kunstakademie gegangen wäre, waren seine strenggläubigen protestantischen Eltern dagegen. „In dem reformierten Nest, aus dem ich kam, da dachte man bei Kunst an nackte Frauen, Unmengen von Alkohol, an nachts arbeiten und untertags faul sein“, erläuterte der Künstler die
Gründe für die ablehnende Haltung der Eltern.
So ergriff der junge Niederländer nach dem Wehrdienst bei der Königlichen Marine ab 1953 einen handfesten Beruf und verdiente als Grafiker bei der internationalen Werbeagentur Lintas seinen Lebensunterhalt. Nun beruflich in festen Bahnen heiratete Poortvliet seine Freundin Corrie Bouman, die er bereits aus der Schule kannte und mit der er vom 16. Lebensjahr an zusammen gewesen war. Sie sollte ihn während seiner gesamten Künstlerkarriere als bedeutsamer Ruhepol in seinem Wirken unterstützen. Aber noch
war es nicht so weit.
In der Agentur zeichnete Poortvliet unter anderem Familien, die nach dem gemeinsamen Essen fröhlich ihren Abwasch machten, oder setzte strahlend weiße Wäsche in Szene.
Aber schon bald merkte er, dass er seine künstlerische Handschrift allzu oft den Anforderungen der manipulativen Werbewelt unterordnen musste. Einen kreativen Ausgleich bot dem Naturbegeisterten daher das Illustrieren für die niederländische
Jagdzeitschrift „Nederlandse Jager“. Dadurch wurde Richard Kruse, damals Chefredakteur der WuH, auf Poortvliet aufmerksam, erkannte die ungewöhnliche Begabung und fragte den Künstler, ob er nicht auch für WuH-Leser illustrieren wolle. Eine Einladung an den Niederländer in Kruses Lüneburger-Heide-Revier folgte, und Anfang der 1960er-Jahre begann eine sehr fruchtbare, jahrzehntelange Zusammenarbeit. „Als ich dann 1961 anfing, für WILD UND HUND zu arbeiten, glaubte ich damals, es zu können. Aber Richard Kruse erzählte, dass der von mir gezeichnete Hirsch falsch war, weil es ein Feisthirsch war, mit
Frühlingsblumen auf dem Hintergrund. Ich musste noch viel lernen“, schilderte Poortvliet seine Startschwierigkeiten einmal in einem Interview. Im selben Revier erlegte der Künstler auch seinen ersten Bock auf sieben Meter, den er gemeinsam mit Horst Reetz angepirscht hatte. „An jenem Tage bemerkte ich zum ersten Male Riens Neigung, Wild sehr nahe zu erleben, es zu überlisten, ihm mit den Augen des naturbegeisterten Künstlers nachzuspüren, das Verhalten möglichst gut zu erfassen“, erinnerte sich Reetz später an diese Jagd.
Nachdem Poortvliet jahrelang zweigleisig gefahren war – Grafiker für den Broterwerb, Illustrator, um seine künstlerischen Bedürfnisse zu befriedigen – wagte er 1968 den Schritt, die gesicherte Existenz des Angestellten mit der unsicheren Stellung eines freischaffenden Künstlers zu tauschen. Doch die Anfänge des Aussteigerlebens gestalteten sich schwieriger als erhofft. „Ich hatte wenig zu tun, und die Kinder wollten essen“, beschrieb Poortvliet den Beginn seiner Selbstständigkeit. Also blieb dem Künstler nichts anderes übrig, als seine Zeichnungen und Gemälde zu verkaufen. Doch schon bald merkte er, dass es ihm immer schwerer fiel, seine Werke wegzugeben. Da bot sich dem Niederländer eine Möglichkeit, Geld mit seiner Kunst zu verdienen, ohne sie zu veräußern. Sie sollte sich zu einem Erfolgsmodell entwickeln und den Künstler selbst in Übersee bekannt machen: „Ich entdeckte plötzlich, ich kann trotzdem Zeichnungen machen,
und das wird in Büchern vielfach herausgebracht.“ 1972 veröffentlichte er sein Buch „Auf der Jagd“, nachdem er zuvor einige Märchenbücher illustriert und herausgegeben hatte. Es folgten viele weitere, darunter eines zum Leben Jesu, mehrere über Heinzelmännchen, die allein in den USA eine Auflage von mehr als drei Millionen Exemplaren erlebten, Bücher mit autobiografischem Bezug, wie „Von Augenblick zu Augenblick“ oder „Auf den Spuren meiner Väter“, ein Buch über Pferde, eines über Hunde. Auch an historische Themen wagte sich der Künstler, beispielsweise in „Rückwechsel“ oder „Das Erbe“, und brillierte wie in allen anderen Büchern durch große Sachkenntnis, unglaubliche Detailverliebtheit und ausdruckstarke Darstellung. Insgesamt erreichten seine Bücher eine Auflage von fast zehn Millionen und wurden in 14 Sprachen übersetzt. Seine Bilder waren in den Niederlanden, der Schweiz und einige Male in Deutschland ausgestellt, Poortvliet erhielt mehrere Auszeichnungen und wurde sogar zum Ritter des Ordens von Oranje-Nassau geschlagen. Schon zu Lebzeiten des Malers öffnete 1992 ein Rien-Poortvliet-Museum in Middelharnis seine Pforten.
Auch privat lief es gut: Der Künstler, seine Frau und die beiden Söhne hatten Ende der 1960er-Jahre in Soest, Provinz Utrecht, ein endgültiges Zuhause gefunden. Auf dem
Zwei-Hektar-Grundstück baggerte Poortvliet einen Teich aus und pflanzte einen Hauswald an. In dem kleinen Paradies, umgeben von zeitweilig sechs Hunden verschiedener Rassen,
mehreren Pferden und Ponys, Ziegen und allerlei Federvieh, fand der Künstler die nötige Muße für sein künstlerisches Schaffen. 1990 schoss Poortvliet, vermittelt und begleitet durch Wildtierfotograf Burkhard Winsmann-Steins, in Schonen seinen Lebensbock. Beide planten nach mehrjähriger Pause einen weiteren Aufenthalt in Schweden. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen: Am 15. September 1995 nahm der Krebs dem Künstler Waffe und Pinsel für immer aus der Hand.