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Schießen wie die Hasen?

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REHWILD

Zahl vor Wahl – bei unserer kleinsten Hirschart wird das von so manchem gefordert. Worauf aus wildbiologischer Sicht beim Abschuss zu achten ist, zeigt Prof. Dr. Hans-Dieter Pfannenstiel

Mit dem Verschwinden von Prädatoren, wie Bär, Wolf und Luchs, musste der Mensch deren Funktion übernehmen. Leider wird dieser Zusammenhang häufig als alleinige Begründung für die Jagd dargestellt, was sicher nicht zutrifft. Insbesondere bei Kultur folger-Arten wie etwa dem Rehwild hätte heute ein Jagdverzicht Folgen, die mit § 20 a unseres Grundgesetzes (Schutz der Tiere) nicht vereinbar wären. Das Beispiel des sogenannten Naturentwicklungsgebietes Oostvaardersplassen in den Niederlanden zeigt dies mit aller Deutlichkeit. Wenn also mit gutem Grund in der Kulturlandschaft gejagt wird, dann muss allerdings auch sorgfältig überlegt werden, wie man mit jagdlichen Mitteln Tierpopulationen in einen möglichst naturnahen Zustand bringt beziehungsweise in einem solchen hält. Aber genau da steckt der Teufel im Detail. Gerade das Rehwild ist so anpassungsfähig, dass es nahezu unmöglich ist zu definieren, was naturnah ist. Daraus aber den Schluss zu ziehen, man könne Rehwild wahllos erlegen, quasi wie bei Hasen auf der Hasenjagd, ist falsch. Immerhin kann man von Beutegreifern lernen, wo jagdlich der Schwerpunkt gesetzt werden muss, nämlich beim Jungwild.
Von der Jagdbehörde festgesetzte Abschusspläne gibt es bezeichnenderweise nur bei solchen Wildarten, bei denen man unter jagdlichen Bedingungen Alter und Geschlecht relativ sicher feststellen kann. Durch sie soll erreicht werden, dass die lebende Population so naturnah wie möglich nach Alter und Geschlecht gegliedert ist. Wenn Wildpopulationen der Habitatkapazität angepasst sind und die Alters- und Geschlechterstruktur stimmt, werden damit sozusagen nebenbei auch wichtige Forderungen der Jagdgesetze erfüllt. Wildbestände sollen ja bekanntlich gesund sein. Damit ist neben der Freiheit von Krankheiten selbstverständlich auch gemeint, dass Wild in seiner artgemäßen Sozialstruktur leben kann. Wie sieht das nun beim Rehwild aus? Unter jagdlichen Bedingungen lässt sich meist feststellen, ob es sich um Kitz, Jährling oder Schmalreh sowie ältere Stücke handelt. Die drei Klassen reichen in der Praxis völlig aus, und jeder kann normalerweise das Schmalreh von der Ricke und den Jährling vom älteren Bock unterscheiden. Zumindest trifft das auf den Beginn der Jagdzeit zu, was man dann jagdlich auch entsprechend nutzen sollte. Mit anderen Worten: Die erwähnten Kriterien erlauben das Aufstellen eines gegliederten Abschussplans. Anders als bei Frischlingen sind auch Kitze, zumindest ab einem bestimmten Alter, auch nach Geschlecht ansprechbar.

Oft ist die Mortalität aus verschiedenen Gründen beim Jungwild am höchsten. Einmal ist dieses anfälliger gegen Krankheiten, Hunger und Kälte. Zudem fiel früher viel Jungwild Beutegreifern zum Opfer. Genau das muss bei der Jagd berücksichtigt werden. Wir können demnach zunächst festhalten: Jungwild muss auf der Rehwildstrecke überwiegen. Wenn Wolf und Luchs zunehmend als natürliche Konkurrenz wirken, muss das selbstverständlich jagdlich berücksichtigt werden. Bei vielen Säugetierarten werden gewöhnlich etwas mehr männliche als weibliche Nachkommen geboren. Zahlenmäßig lässt sich das oft nur feststellen, wenn man über mehrere Jahre größere Populationen betrachtet. Im konkreten Einzelfall schlechterverhältnis bekannt sind, lassen sich auch keine gesicherten Aussagen zum jährlichen Zuwachs machen. Die braucht man aber, wenn man den Abschussplan zahlenmäßig festlegen will. Alle praktischen Erfahrungen und die wenigen Untersuchungen beziehungsweise Beobachtungen zur Höhe von Rehwildbeständen sprechen dafür, dass diese sehr deutlich unterschätzt wird. Rehwildkenner gehen davon aus, dass Bestände tatsächlich um das Dreifache höher sind als angenommen.

Knopfböcke können eine Folge sozialen Stresses innerhalb hoher Bestände sein. Ein beherzter jagdlicher Eingriff kann dem entgegensteuern.
In manchen Forstrevieren wird Rehwild aus waldbaulichen Gründen schärfstens bejagt. Manche Kritiker bezeichnen das als Ausrottungsfeldzug. Sobald aber etwa auf Naturverjüngungsflächen die bodennahe Vegetation geschlossen ist, erscheint in kürzester Zeit das Rehwild wieder in „voller Mannschaftsstärke“. Mit anderen Worten:

Rehwild lässt sich auch bei scharfer Bejagung kaum ausrotten. Wir können also als weiteres Fazit festhalten: Ein Abschussplan für Rehwild darf nach oben offen sein. Wichtig ist jedoch, dass die erzielte Strecke von der Altersstruktur her und im Geschlechterverhältnis ausgewogen ist. Der Abschussplan ohne festgelegte Zahl der zu erlegenden Rehe hat den Vorteil, dass man sich nicht auf Zuwachszahlen beziehen muss, die auf einen ohnehin nur schwer einschätzbaren Bestand zurückgehen.

Der nach oben offene Abschussplan wird bereits an verschiedenen Stellen als Mindestabschuss praktiziert. Man sollte jedoch Mindestabschuss nicht mit „wahllos“ verwechseln, wie das leider in manchen Revieren getan wird. In der gegenwärtig teilweise hitzig geführten Diskussion um eine Verlängerung der Rehbock-Jagdzeit bis in den Herbst oder Winter, spielt dieses „wahllos“ eine gewichtige Rolle. Per Gesetz (zum Beispiel Sachsen, Thüringen) oder per Ausnahmegenehmigung (etwa Brandenburg, Sachsen-Anhalt) können Rehböcke, zumindest auf herbstlichen Bewegungsjagden, bereits seit ein paar Jahren erlegt werden. Leider übersteigt dann schon mal in einigen Revieren der Bockabschuss den des weiblichen Wildes sehr deutlich, was gerade dann kontraproduktiv wirkt, wenn der weibliche Abschuss nicht ausreichend erfüllt wird. Allein der mit einer solchen Überpopulation
einhergehende soziale Stress reicht aus, um vollkommen normal veranlagte Rehböcke und auch Schmalrehe daran zu hindern, ihre Veranlagung zu zeigen. Ganz abgesehen davon, was solche Rehwildmassen für den Zustand der Vegetation bedeuten können. Man tut dem Rehwild also keinen Gefallen, wenn man das Populationswachstum nicht bremst.

Leider sieht man auch heutzutage noch oft Wintersprünge auf dem Feld mit 30 und mehr Stücken Rehwild, bei denen nur vier oder fünf Böcke stehen. Es soll ja tatsächlich noch Revierinhaber geben, die weibliches Rehwild nur auf dem Papier bejagen. Das Motto lautet dort: „Ich schieß‘ doch nicht die Mütter meiner Rehböcke tot!“ Solche Populationen haben nichts mit Natur zu tun. Hier sollten wir Jäger uns schon unserer Verantwortung für das Wild in der Kulturlandschaft bewusst sein und vor allem danach handeln. Es spricht also vieles dafür, Rehwild nicht wahllos wie die Hasen zu erlegen, und ein entsprechender Abschussplan, ob nun behördlich festgesetzt oder nicht, kann ganz einfach aussehen (siehe Kasten).


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