Schiesstraining für Hundeführer
Fangschuss-Situationen wie diese lassen den Puls des Jägers höher schlagen. Wie man dabei einen kühlen Kopf behält und sicher handelt, hat sich THORE WOLF bei einem speziellen Schießseminar für Hundeführer im Schießkino Wetzlar angesehen.
Hundegeläut, Schüsse knallen. Der Hundeführer kämpft sich durch den Schwarzdorn. Plötzlich Standlaut. Einer der Vierläufer muss Wild gestellt haben. Klagen einer angeschweißten Sau mischt sich ins Gebell des stellenden Hundes. Mit aller Kraft kämpft sich der Schütze durch die wehrhafte Vegetation. Nach wenigen Metern hat er freie Sicht: Eine stärkere Sau sitzt auf den Keulen, versucht immer wieder auf die Läufe zu kommen. „Die ist krank, fang die mal ab!“, ruft etwas seitlich entfernt ein Jäger von seinem Drückjagdstand. Sehen kann ihn der Hundeführer nicht, aber er ist nicht zu überhören.
Der Rüdemann will die Büchse zum Fangschuss anschlagen und bleibt mit seinem Jackenärmel im Gewehrriemen hängen. „Nun mach doch!“, tönt es erneut vom Stand. Dem Durchgehschützen schlägt das Herz bis zur Schädeldecke. Jetzt klemmt auch noch das Magazin, die Patrone fällt auf den Boden. Egal, noch mal repetieren. „Schieß doch endlich!“, ruft schon wieder der aufgebrachte Standschütze. Die Patrone ist im Lauf, der Hundeführer steht unter riesigem Druck. Gerade als er schießen will, ist der Vierläufer zu nah am Stück. Hin und her bewegt sich der Keif. Stets den attackierenden Hund im Auge, verfolgt der Jäger mit der Waffe im Anschlag die kranke Sau, wartet auf eine günstige Gelegenheit. Ständig begleitet von den altklugen Kommentaren vom Nachbarschützen.
Dessen Rufe werden nun wüster, die Lage unübersichtlicher, der Druck auf den Hundeführer wächst. Endlich lässt der Terrier kurz ab und bringt Distanz zwischen sich und die Sau. Ein hingeworfener Schuss beendet das Leiden der Wutz. Geschafft. Doch noch während der Rüdemann die Waffe absetzt, läuft ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken. Kugelfang? Fehlanzeige! Erschrocken über sein unüberlegtes Handeln, erstarrt
er zur Salzsäule. Zum Glück kam dabei niemand zu Schaden. „Solche Situationen gehören zu den gefährlichsten der Jagdausübung.“ Schießausbilder Dr. Michael Frowein kennt dies aus eigener Erfahrung. „Dort klagt das Stück, hier springt der stellende Hund umher. Treiber und Jäger rufen ‚Nun schieß doch!‘. Der Schütze konzentriert sich nur noch auf das Geschehen direkt vor ihm. Kugelfang, Treiber und Mitjäger werden unbewusst ausgeblendet. Hat man dabei noch Probleme mit der eigenen Ausrüstung, steigt der Stress,
und lebensgefährliche Handlungen sind vorprogrammiert.“
Um dieses Phänomen auszuschalten, hat Schweiß- und Stöberhundführer Frowein zusammen mit Petra Krauhausen ein spezielles Schießtrainings- Programm für Hundeführer entwickelt. Systematisch wird in diesem Seminar das vermittelt, was in der jagdlichen Praxis nicht geübt werden kann, sondern dort im Prinzip schon perfekt sitzen muss. Eigens dafür wurden über Jahre Filmsequenzen mit angeschweißtem und von Hunden gestelltem Wild gesammelt. Im Schießkino werden dadurch realistische Jagdbedingungen unter Extremsituationen nachempfunden. „Sicher Schießen“ heißt das Konzept. Doch kommt es dabei eben nicht nur auf das Schießen und Treffen an. Vor dem praktischen Training steht zunächst die theoretische Einführung und eine Analyse der individuellen Waffenhandhabung und Schießtechnik. „Dazu lassen wir unsere Aspiranten mit ihrer eigenen Waffe zunächst auf stehendes Wild auf der Leinwand schießen. Schon beim Anschlagen der Büchse erkennen wir die ersten Fehler, die es zu verbessern gilt“, erklärt Frowein. „Ein Schütze bleibt mit dem Gewehrriemenan seiner Armbanduhr hängen, ein anderer hat beim schnellen und sicheren Repetieren Probleme. Das kostet Zeit und führt in Fangschusssituationen zu Stress. Dieser wiederum zu lebensgefährlichen Entscheidungen.
Je stressiger die Lage wird, desto besonnener muss ein Schütze aber reagieren!“ Dazu muss also zunächst die Handhabung der eigenen Waffe absolut sitzen. Der Jäger darf keine Gedanken mehr an seine Ausrüstung verlieren. Er muss sie instinktiv beherrschen. Nur
so kann er sich ein Bild vom gesamten Geschehen um sich herum machen und den sogenannten Tunnelblick auflösen. Im ersten Abschnitt des Trainings gehen die Schießausbilder individuell auf die Seminarteilnehmer ein. Sie zeigen ihnen Kniffe und Griffe, mit denen sie ihre Waffe sicher anschlagen können und vieles mehr. Automatisieren
können die Schützen diese Abläufe aber nur durch zahlreiche weitere Trockenübungen
zu Hause, wie Frowein betont. „Übung macht den Meister“, heißt auch hier die Devise.
Das Seminar richtet sich übrigens nicht nur an Jungjäger oder unerfahrene Hundeführer. Im Gegenteil. „Prinzipiell ist es für jeden Jäger geeignet, der in Fangschusssituationen kommen kann. Sei es der Stöber- oder Schweißhundführer oder auch der Jäger, der zu
einem Verkehrsunfall mit Wild gerufen wird“, berichtet Frowein. Auch versierte Rüdemänner nutzen die Gelegenheit, ihre Handlungstechniken im Schießkino Wetzlar zu optimieren. So auch Ulrich Bötzel. Seit Jahren führt er Steirische Rauhhaarbracken. Im Jahr kommt er auf etwa 30 Bewegungsjagd- und rund 60 Nachsucheneinsätze: „Ich besuche das Seminar regelmäßig. Erstens, um die Sicherheit mit der Waffe zu üben. Zweitens, um die Situationen gezielt zu trainieren, die einen speziell in der Hundeführerpraxis erwarten. Und außerdem macht es immer wieder riesigen Spaß!“
Weshalb, wird in den weiteren Trainingseinheiten deutlich. Zunächst schießen die Jäger
auf angeschweißtes Wild. Später kommen diffizilere Szenen dazu, in denen Hunde
ein krankes Stück gestellt haben. Die lauten Filmgeräusche versetzen die Teilnehmer
in ein möglichst realistisches Szenario: Eine kranke Sau wechselt klagend über die Leinwand, Treibergeräusche ertönen im Hintergrund, und ein Hund hält die Sau in Bewegung. Der Schütze wird bewusst unter Stress gesetzt. Situation erkennen, die unterladene Büchse anschlagen, repetieren und schießen … oder auch nicht! Genau darum
geht es bei diesen Übungen. Neben der sicheren Handhabung und dem treffsicheren Schuss wird der Jäger auch geschult, gelassen zu bleiben, um die Gesamtlage zu erkennen.
Gefährdet er unter Umständen den Hund? Ist Kugelfang vorhanden? All diese Fragen muss er nun vor seinem geistigen Auge in Sekundenschnelle klären und eine Entscheidung treffen – schießen oder nicht! „Hat er sich zum Schuss entschlossen, wird die Situation direkt im Anschluss eingehend mit dem Schützen besprochen und ausgewertet“, erklärt
Seminarleiter Frowein. „Bei manchen Film sequenzen sind die Teilnehmer dann von sich selbst überrascht – sowohl positiv als auch negativ“, gibt Ulrich Bötzel aus seiner eigenen Erfahrung mit diesem Seminar preis.
Der 38-Jährige widmet sich einer weiteren Disziplin, die Frowein und sein Team anbieten: dem Nachsuchenführer- Seminar. Im Unterschied zum Hundeführerseminar ist es bei diesem Modul auch möglich, unter Stress auf annehmendes Schwarzwild zu schießen. Und
zwar sprichwörtlich aus allen Lagen: stehend, kniend, sitzend und sogar liegend. Anleitungen für die sichere Schießposition inklusive. „Eine typische Situation aus der Nachsuchenpraxis kann so aussehen: Der Schweißhund hat das Stück gestellt. Um heranzukommen, muss der Hundeführer durch einen Schwarzdornverhau kriechen. Die Waffe ist aus Sicherheitsgründen unterladen. Plötzlich bricht die Sau aus und nimmt den Jäger an. Wenn er jetzt nicht blitzschnell reagiert und schießt, geht das unter Umständen böse aus“, warnt Frowein. Um auch diese Extremsituation möglichst realistisch zu
üben, steht ein künstlicher Schwarzdorntunnel bereit. Nach kurzer Einweisung kriecht er durch den etwa drei Meter langen Tunnel aus Drahtgeflecht und Tarnnetz. Die Waffe hängt unterladen auf dem Rücken. Auf der Leinwand läuft bereits der Film. Standlaut und Kampfgeräusche zwischen Hund und Sau verschärfen die Szenerie. Künstlich wird wieder Stress aufgebaut. Jetzt zählen Sekunden. Am Ende des Tunnels angekommen, erscheint
die Sau auf der Leinwand. Raus aus dem Rucksackgurt, anschlagen, repetieren und schießen. Nach mehreren Durchgängen und individueller Fehlerkorrektur durch Schießtrainer Frowein wird der Bewegungsablauf von Mal zu Mal flüssiger, und die Kugel landet mehrfach im Ziel.
Für jede denkbare Nachsuchensituation stehen Filme bereit. Szenen, in denen sich plötzlich ein Hund zwischen Schütze und Stück schiebt ebenso wie Sequenzen, in denen
die kranke Sau sich hektisch hin- und herbewegt. Immer wieder wird der Schütze unter Stressbedingungen gezwungen, die Lage blitzschnell zu erkennen und entsprechend
zu reagieren. „Abdrücken oder nicht“ ist die Frage, die der Schütze im Zweifel richtig „beantworten“ soll. „Sicher schießen heißt für uns: sicher Handeln und sicher Treffen“, fassen Michael Frowein und Petra Krauhausen ihr Konzept zusammmen.