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Selten und Begehrt

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SCHWARZES REHWILD

Dort, wo es vorkommt, ist vielerorts ein Rummel um das schwarze Rehwild entbrannt. Wildmeister Jens Krüger schildert die Reize um diese Stücke und weiß, dass sie besonders gehegt werden müssen.

Schwarze Böcke sind selten und damit für jeden Jäger etwas Besonderes. Mittlerweile explodieren deshalb die Gebühren für deren Abschuss. Ich nehme hin und wieder an Gesellschaftsjagden bei den Niedersächsischen Landesforsten teil – und siehe da: Schwarzes, weibliches Rehwild darf dort – unter Strafandrohung – häufig nicht mehr erlegt werden. Zudem sind die Jagdbetriebskosten für schwarze Böcke inzwischen deutlich höher als für den Abschuss eines „gewöhnlichen“, roten Bockes.

In dem von mir als Berufsjäger betreuten niedersächsischen Revier sind wir ebenfalls den schwarzen Rehen verfallen. Wir wissen um die natürliche Bereicherung unserer Wildbahn und empfinden es als Erbe, das erhalten werden muss. Seit drei Jahrzehnten setzen wir deshalb auf eine bestimmte jagdliche Einstellung und Hege: Weibliche schwarze Rehe werden nicht bejagt, Böcke nur, wenn sich der Erleger ein Haupt-Träger-Präparat davon anfertigen lässt. Nur am Gehörn sieht man nämlich keinen Unterschied zwischen Rot und Schwarz – und das Wildbret schmeckt ebenso gleich gut. Schwarze Böcke sollten genau wie rote einem Hegeziel unterliegen. Gut veranlagte sollen reif werden und ihre Gene weitergeben dürfen. Das ist leider in manchen Revieren nicht so. Begehrte und gut bezahlte schwarze Böcke werden viel zu jung erlegt. Trägermontagen auf den Hegeschauen sind stille Zeugen.

Unterschiedlich gefärbte Zwillingskitze sind keine Seltenheit, auch wenn sich die rote Deckenfarbe dominant vererbt.

Wir verfahren nicht ohne Grund so. Aus jahrelanger Erfahrung wissen wir, dass der Anteil an schwarzem Rehwild nur auf einer Höhe zu halten ist oder erhöht werden kann, wenn rotes Rehwild bevorzugt bejagt und schwarze Stücke geschont werden. Der Anteil von schwarzem Rehwild am Gesamtbestand liegt bei uns deshalb heutzutage bei deutlich über 20 Prozent und nicht wie vor 40 Jahren bei nur „gelegentlich“. Es braucht also einen langen Zeitraum, um den Anteil schwarzer Stücke zu erhöhen und einigermaßen stabil zu halten.

Auch die schwarzen Böcke sollten reif werden dürfen und nur ausgewählte Stücke erlegt werden.

Im Körperbau steht das schwarze Rehwild den normal gefärbten Rehen in nichts nach. Der modebewusste Jäger weiß: „Schwarz macht schlank“. Deshalb wird vom optischen Eindruck schnell geglaubt, dass das schwarze Reh kürzer und gedrungener ist als das rote. Nach vielen Messungen erlegter Stücke ist aber bekannt, dass es keinen Unterschied in der Körpergröße gibt. Auch bei einem Vergleich der Gehörnbildung sind keine Abweichungen zu erkennen. Bei allem Rehwild ist vielmehr die Güte des Standortes hauptverantwortlich für Körpergewichte und Gehörnmasse.

Wie beim normalfarbigen Reh besteht die Decke des schwarzen aus Deckhaaren (Leit- und Grannenhaaren), in die kürzere Wollhaare eingebettet sind. Dem Winterkleid fehlt jedoch der Glanz der Sommerdecke. Im Frühjahr werden schwarze Rehe im ersten Augenblick deshalb oft als rote Rehe angesprochen. Das Fehlen des weißen Spiegels ist aber ein untrügliches Zeichen für ein schwarzes Stück. Selbst das Bastgehörn bei Böcken ist rabenschwarz. Kitze besitzten die übliche Jugendflecken, aber weniger intensiv ausgeprägt.

In unseren Beständen unterscheiden wir die reinerbigen roten Rehe, die mischerbigen roten Rehe und die schwarzen Rehe. Es gibt damit also auch Kreuzungen. Diese haben in der Winterdecke einen breiten, dunklen Nacken, einen schwarzen Rückenstreifen sowie eine dunkle Kopfmaske und Abzeichen an den Hinterläufen. In der Sommerdecke zeigen sie eine dunkle Gesichtsmaske, eine schwarze Außenseite an den Lauschern und einen schwarzen Hinterkopf.

Vom Körperbau und Gehörn gleichen schwarze Böcke den roten, auch wenn der subjektive Eindruck manches Mal täuscht.

DES RÄTSELS URSPRUNG

Woher kommt das schwarze Reh?

Lange hielt sich hartnäckig die Ansicht, Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe (1724 bis 1777) hätte das schwarze Rehwild aus Portugal oder Spanien eingeführt. Doch heute ist bekannt, dass es in diesen beiden Ländern überhaupt kein schwarzes Rehwild gab – und gibt. Urkundliche Nachweise über das Vorkommen gibt es bereits durch Bischof Milo von Minden um 980: „Jedes Jahr sei eine Anzahl schwarzen Rehwildes für die bischöfliche Küche zu liefern gewesen“.

Heimisch ist schwarzes Rehwild in der niedersächsischen Region also schon wenigstens 1 000 Jahre. So weiß man ebenso aus alten Überlieferungen, dass Ende des 16. Jahrhunderts schwarze Rehe bei Osnabrück und Verden vorkamen. Ein weiterer Urstandort ist im Landkreis Lüchow-Dannenberg das Naturschutzgebiet Lucie. Ausführliche Unterlagen dazu finden sich auch im Staatsarchiv Hannover: So wurden in der Gräflich von Bernstorff’schen Herrschaft Gartow Fangjagden nach schwarzen Rehwild abgehalten. In einem Bericht von Reichsgraf v. Mellin um 1797 schreibt er von der Beobachtung schwarzer Rehe, deren Ursprung für ihn unerklärbar sei, weil derartiges in der ganzen bekannten Welt seines Wissens nicht weiter angetroffen würde. Weiter heißt es, sie seien schwarz wie Tusche, beide Arten würden miteinander brunften und man träfe auf rote Geißen mit schwarzen „Kälbern“. Die Äsung könne also diese Verschiedenheit in der Farbe nicht bewirken.
Heutzutage ist bekannt, dass es zwei Ursprungsformen gegeben haben muss mit Vorkommen im Kreis Grafschaft Schaumburg und in der Nordheide im Gartower Raum. Selbst Hermann Löns (1906) sah diese beiden Gebiete als Urstandorte der schwarzen Form an und schreibt: „Die Ausbreitung der schwarzen Rehe von Haste und von der Lucie aus kann man ziemlich genau verfolgen. Um die Hauptstandorte ist das schwarze Reh am häufigsten, kommt aber in der ganzen Ebene zwischen Hannover und Oldenburg vor bis nach Ostfriesland und breitet sich von Jahr zu Jahr mehr aus.“

Inzwischen hat sich das schwarze Rehwild nach Osten bis an die Elbe der Altmark, nach Westen über die Weser durch die ganze norddeutsche Tiefebene bis weit über Münster hinaus und bis nahezu Dortmund und in die Niederlande hinein verbreitet. Auffallend dabei ist, dass nur ebene Landschaften regelmäßig besiedelt werden.

Jens Krüger

Ein schwarzer Bock brunftet mit roter Ricke und umgekehrt. Es kommen rote Ricken mit zwei schwarzen Kitzen oder schwarze Ricken mit roten Kitzen vor. Ebenso bekommen wir schwarze Ricken mit zwei schwarzen Kitzen oder auch einem roten und einem schwarzen Kitz in Anblick. Irgendwann muss sich in der Evolution des Rehs über Mutationen das schwarze Rehwild entwickelt haben.

Ziel der Hege: ein interessanter, alter schwarzer Bock

Die Schwarzfärbung entsteht durch zu viele schwarze Pigmenteinlagerungen, ist also in Wirklichkeit ein Gendefekt. Dieser sogenannte Melanismus, der auch häufig bei Damwild und Kaninchen vorkommt, ist in der Tierwelt nichts Ungewöhnliches.
Bei der Kreuzung von schwarzen mit roten Rehen zeigen alle Nachkommen der ersten Generation die Erscheinung des dominanten Partners – also rot. Nachkommen mischerbiger Stücke spalten sich im Verhältnis rot zu schwarz 3:1 auf.
Vom Anteil roter Stücke ist ein Drittel reinerbig, die mit ihresgleichen gepaart immer nur rein rote Rehe ergeben. Zwei Drittel sind mischerbig, die, untereinander gepaart, wieder Nachwuchs im Verhältnis 3:1 (rot:schwarz) zur Welt bringen. Schwarze Ricken setzen rote Kitze, aber es kommt auch vor, dass rote Ricken schwarze Kitze setzen. Eine Gesetzmäßigkeit in den zahlenmäßigen Entwicklungen des schwarzen Rehwildes lässt sich in der Praxis nicht feststellen. Es tritt ganz willkürlich auf und verschwindet ebenso schnell wieder. Der Bestand kann stark schwanken.

Wer, wie ich, eine innere Beziehung zu „seinem“ schwarzen Rehwild aufgebaut hat, nutzt die gute Beobachtungsmöglichkeit einzelner Individuen über Jahre. Standorttreue, Territorialverhalten, Gehörnbildung, Nachwuchs, Wanderungen – all das können uns schwarze Stücke gut vermitteln. Dennoch stehe ich vor einem Rätsel: Wenn drei Jahrzehnte lang keine weiblichen schwarzen Rehe erlegt werden, warum und wohin verschwinden diese immer wieder? Nie habe ich alte, verluderte schwarze Ricken gefunden. Unsere Reviere hüten demnach doch noch Geheimnisse!


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