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Titelthema Wisent: Interview mit Thomas Hennig

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Thomas Hennig wurde seine Neigung zu den Wisenten in die Wiege gelegt. Der Vater des heute 44-jährigen leitete von 1972 bis 2003 das Wisentgehege in Springe. Im März 2003 übernahm Thomas Hennig die Leitung des Wisentgeheges. Der Förster, der kaum Zeit hat, „seine Tiere“ zu besuchen, traf sich mit Bettina Diercks auf einen Schnack bei den Wisenten, die in WILD UND HUND 12/2008 Titelthemen sind.

Thomas Hennig, Leiter des Wisentgeheges in Springe.
Thomas Hennig, Leiter des Wisentgeheges in Springe.
WuH: Wieso ist ausgerechnet in Springe ein Wisentgehege entstanden? Wer kam auf die Idee?
 
Thomas Hennig: Es warLutz Heck. Er suchte aus Überzeugung ein Zuchtgehege und er wusste, alleine konnte er sein Vorhaben nicht verwirklichen. Zwei Kriterien sprachen damals für Springe: Erstens, es war seinerzeit schon in staatlichem Besitz durch das preußische Forstamt Saupark – zweitens, war das Mauergehege ein gutes Instrument, um so kräftige Tiere einzusperren. Außerdem hat Preußen den Erhalt der Wisente als gewisse Tradition gesehen.
 
WuH: Woher kamen die Tiere?
 
Thomas Hennig: Vorgesehen war zunächst eine Gruppe reiner Wisente – ohne Bisons. Noch vor Auslieferung gingen diese jedoch an der Maul- und Klauenseuche ein. Im September 1928 kam dann der Wisentstier ´Bernstein´ hier an. Ihm folgten kurz darauf vier Bisonkühe.
 
WuH: Wie lange dauerte die Verdrängungszucht zwischen Bison und Wisent? Wann konnte von einer Wisent-Reinzucht gesprochen werden?
 
Thomas Hennig: Ab 1934, in der dritten Generation kann die Zucht als Reinzucht bezeichnet werden. Davor waren 24 Bastarde entstanden, die alle in die Schorfheide gingen. Anschließend kamen drei reinblütige Wisentkühe aus Boitzenburg. Heute versuchen wir hier die klassische Inzucht zu vermeiden. Entweder nehme ich den geschlechtsreif werdenden Sohn oder eben den Vater aus der Herde.

Thomas Hennig mit seinen Wisenten.
Thomas Hennig mit seinen Wisenten.
WuH: Wie wird züchterisch in der Wisentzucht vorgegangen?
 
Thomas Hennig: Es gibt zwei Linien: die Flachland- und die Flachland-Kaukasus-Linie. Der Bergwisent ist ausgestorben. Die Kaukasus-Linie bildet den größten Anteil des Bestandes. Unser Bulle ist ein Flachländer. Allerdings geht er jetzt nach Hardehausen (NRW). Dafür kriegen wir von dort einen vierjährigen Bullen. Wir tauschen hier relativ regelmäßig aus. X-Mal haben wir aus Polen Bullen zur Blutauffrischung geholt.
 
WuH: Wie funktioniert die internationale Zusammenarbeit?
 
Thomas Hennig: Die Situation ist unbefriedigend. Nur ein Viertel aller Wisente, die wir kennen, ist im Europäischen Zuchtprogramm (EEP= European Endangered Species Program) organisiert. Im letzten Zuchtbuch sind 3.500 Wisente erfasst. Der größte Teil lebt in Großprojekten in der freien Wildbahn, der Rest in Zuchtstätten. Dr. Wanda Olech-Piasecka (EEP-Koordinatorin Polen), von der Landwirtschaftlichen Universität in Warschau will jetzt auf freiwilliger Basis ein Netzwerk schaffen, damit man das gesamte Wisentpotential überblicken kann. Mein Wunsch ist daher mehr zentrale Führung und bessere Absprachen innerhalb des internationalen Programms. Welche Anpaarung ist z. B. die richtige? Hier fehlt Unterstützung. Die Pferdeleute (Przewalski) machen uns das sensationell vor. Die haben ganz klare Regelungen. Die Wisente sind da noch ganz weit weg. Klar, man hat seine Vorstellung, welcher Bulle passen könnte, aber … man muss sich kümmern. Bei den Przewalski-Pferden beruhen alle Zuchtempfehlungen auf DNA-Analysen. Da sind wir hier weit von entfernt.
 
WuH: Was hat sich in den vergangenen Jahren an den Zuchtkonzepten verändert?
 
Thomas Hennig: Von Erna Mohr (Ab 1927 jahrzehntelange Zuchtbuchführerin des Wisent-Zuchtbuches) ging das Zuchtbuch nach Polen. Dort gibt es den Großteil der Flachlandpopulation. Man geht davon aus, dass der Bestand so gut erhalten ist, weil die Jagd nur adeligen Vorbehalten war. Wenn es nach Olech geht, sollen die beiden Linien gar nicht mehr miteinander gekreuzt werden. Obwohl die Trennung genetisch nicht gesichert ist. In den 70er Jahren hat noch keiner über Trennung der Linien gesprochen. Das ist was Modernes.
Genetik kannten wir bis vor drei oder vier Jahren nur aus Hochglanzbroschüren. Jetzt ist es zu unserem Handwerkzeug geworden. Wir benutzen sie zur Angabe der Abstammung. Ich wollte es einfach wissen: wer stammt von wem ab? Wenn die Kälber ein Jahr alt sind, halten Sie die Stücke nicht mehr auseinander. In den vergangenen Jahren habe ich 80 Stück narkotisiert, gebrannt, Blut gezogen und gechipt, um sie auseinanderhalten zu können.
 
WuH: Wer gehört noch zu den großen Nachzuchtgehegen in Deutschland? Wo in Europa gibt es noch freilebende Populationen?
 
Thomas Hennig: Springe und Hardehausen sind schon die großen Gatter, die eine Rolle spielen. Außerdem gibt es das Gehege Damerower Werder (Mecklenburg-Vorpommern) und die Lüneburger Heide (Niedersachsen). Neben Polen finden sich noch in der Slowakei und in der Ukraine einige Populationen.“
 
WuH: Wer verfügt über das beste Genmaterial?
 
Thomas Hennig: Das ist genau das, was wir nicht wissen. Olech will keine Zucht auf Grundlage der Genetik, da nur fünf Prozent der Genetik bekannt sind. 20.000 Euro, und Dr. Ottmar Diestel Genetiker von der Tierärztlichen Hochschule Hannover würden das Wisentgenom zu 100 Prozent entschlüsseln. Irgendwie spannend, die Genetik. Da muss jemand ran, der sich auskennt – und zwar Diestel. Bei einem ersten Vergleich wurde festgestellt, dass Hausrinder die gleichen Marker (kurze DNA-Abschnitte) wie der Wisent hat. – Wer sich mit Wisenten befasst, landet früher oder später bei uns. Wer sich an Polen wendet, der bekommt schnell zu hören ,Wenden sie sich an Springe‘. Dank Polen laufen die Wiederansiedlungsprogramme ganz gut.
 
WuH: Wohin hat Springe seine Nachzucht abgegeben?
 
Thomas Hennig: In Springe sind mittlerweile 310 Wisente geboren. Unseren allerersten haben wir Ende der 30er Jahre ins Neandertal (Nordrhein-Westfalen) abgegeben. Später dann zahlreiche an Wiederansiedlungsprojekte: Neun nach Russland, vier in die rumänischen Kaparten, sechs nach Lettland, einen nach Spanien. Fünf haben wir der Ukraine angeboten. Das Projekt liegt derzeit auf Eis, weil der Osten absolute Blauzungen-Freiheit verlangt, die wir hier zur Zeit nicht geben können. 2007 haben wir einen starken Bullen durch die Blauzungenkrankheit verloren. Die vier Wisente im emsländischen Eleonorenwald (siehe WILD UND HUND 12/2008 Bilderstory) stammen auch aus Springe.
 
WuH: Wie stehen Sie zu den zahlreichen Wiederansiedlungsprojekten?
 
Thomas Hennig: Bei dem Projekt im Rothaargebirge (siehe WILD UND HUND 12/2008) war ich früh an der Anfangsplanung beteiligt. Grundsätzlich finde ich es sehr gut, wenn wir große Flächen den Wisenten zur Verfügung stellen. Bauchschmerzen habe ich aber bei den zaunlosen Projekten oder den virtuellen Zäunen. Stellen Sie sich vor, es kommen Kälber zu Welt. Die haben zunächst natürlich keine Sender und die Kuh folgt dem Kalb. Ich möchte nicht erleben, dass eine Wisentkuh auf eine Straße läuft und mit einem Schulbus zusammenstößt. Zukünftige Projekte hätten durch einen solchen Vorfall Riesen-Probleme, akzeptiert zu werden. Einige Projekte werden mit einem Ehrgeiz vorangetrieben, der sich mir nicht erschließt. Es gibt noch keine abgesicherten Versuche, was zum Beispiel den virtuellen Zaun angeht. Die bisherigen Erfahrungen mit dem virtuellen Zaun sind nicht sehr gut. Gerade erst vor kurzem wurde er erstmalig ausprobiert. Und im kommenden Jahr sollen im Rothaargebirge die Wisente ausgewildert werden. Solche Projekte wie den Eleonorenwald, mit einer Größe von fünf Wisenten in Zusammenarbeit mit der Uni, und finanzieller Unterstützung des Umweltministeriums, die sind gut. In der Döberitzer Heide sind das 2.500 bis 3.000 Hektar. Da passt sowohl Tourismus wie auch Artenschutz.
 
WuH: Wie sind die Zukunftsaussichten der Wisente?
 
Thomas Hennig: Olech will irgendwann 6.000 bis 10.000 Wisente. Das ist ein großes Ziel. Jetzt haben wir 3.000 bis 3.500 Stück. Da brauchen wir große Wiederansiedlungsversuche um das Ziel erreichen zu können. Die Abgabe von Wisenten in echte Wiederansiedlungsversuche von uns ist kostenlos. Ein persönliches Ziel ist, die Flachlandlinie in Springe mit dazu zu nehmen. Zum einen wäre es Artenschutz und zum anderen ein gewisses Marketing. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich zukünftig Leute, die sich vermehrt damit beschäftigen und „Wisent“ googeln, bei uns landen.
 
WuH: Was treibt sie im Sinne der Wisente um?
 
Thomas Hennig: „Die soziale Struktur ist so wenig erforscht. Deshalb haben wir zur Neueingliederung des Bullen aus Hardehausen (NRW) extra eine Studentin, die die Stücke beobachtet. So viele Fragen rund um die Wisente sind offen: Wie beginnt aus Sicht der Tiere eine Herdenzusammenstellung? Ist es schlau, nur mit jungen Stücken anzufangen?“
 
WuH: Was fasziniert Sie an Wisenten?
 
Thomas Hennig: Es sind wahnsinnig beeindruckende Tiere. Urviecher, die ihren Urinstinkt beibehalten haben. Sie sind so aufmerksam. Es ist beeindruckend, wenn beim Füttern eine Tonne Lebendgewicht vor einem steht, man den Atem spürt. Wenn die Zunge über die Futterraufe fährt. Das ist, als wenn ein Tischler mit einer Raspel übers Holz geht.
 
 
Das Interview für WILD UND HUND führte Bettina Diercks.
 
Mehr über das urige Wildrind lesen Sie in der WILD UND HUND 12/2008, die ab dem 19. Juni im Handel erhältlich ist.


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