ANZEIGE

Verlorene Unschuld

2298

BSE, Dioxin-Eier, sowie Gammelfleisch von Huhn und Schwein verdarben den Deutschen den Appetit. Wild war skandallos die unbefleckte Ernährungsalternative.

Doch nachdem Behörden die Firma Berger, den größten Wildhändler Europas, hochgenommen haben, ist dem Verbraucher auch die Lust auf edles Wildbret vergangen. Schlampig war aber nicht nur der Wildhändler, sondern auch die Behörde.
 
Auf den besten Sendeplätzen des Fernsehens gelangte Ende Januar immer wieder der Schriftzug „Des Waidmanns edle Ernte“ in die Wohnzimmer der Republik. Dieser Satz, der unter dem Firmenemblem der niederbayerischen Wildhändlers Karl Berger prangte, eröffnete immer wieder die Berichterstattung über den jüngsten Fleisch-Skandal, die mit Worten wie „ekelerregend“, und „Gammelfleisch“ nicht sparte.
 
Der Grund für die Berichterstattung war eine Rückrufaktion von mehr als 12 Tonnen Wildfleisch der Firma Berger. Bis zum Redaktionsschluss waren 31 Chargen vom Hirschrücken bis zur Fasanenbrust betroffen. Die Ware sei an mehr als 100 deutsche Händler und Supermärkte gegangen, sagte Bayerns Verbraucherschutzminister Werner Schnappauf (CSU). Nur nach Bremen, Hamburg und Brandenburg seien keine Produkte geliefert worden. Nach Angaben des bayerischen Verbraucherschutzministeriums ging Berger-Wild in rund 40 Firmen nach Österreich, Italien und Frankreich. Schnappauf sprach von einem „handfesten Fleischskandal“, das Bundesverbraucherschutzministerium von einem „gravierenden“ Fall. Bei Kontrollen am 16., 18. und 19. Januar in den Betriebsstätten in Fischhaus bei Ruderting und Hinterhainberg bei Ortenburg (beide Landkreis Passau) fanden die Veterinäre der Regierung nach eigenen Angaben Ekel erregende Zustände vor.
 
Die zuständigen Behörden hatten der Firma Berger-Wild vorübergehend verboten, die in den Betriebsstätten hergestellte oder behandelte eigene Ware (ohne Unbedenklichkeitsnachweis) in den Verkehr zu bringen. Untersuchungen des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hatten ergeben, dass Fleischproben „ranzig, stickig, muffig oder sauer rochen“. Zwölf Tiefkühlprodukte aus dem Handel und sechs Frischfleischproben aus dem Betrieb seien „nicht für den menschlichen Verzehr geeignet“, eine Probe sei sogar mit Salmonellen belastet gewesen.
 
Daraufhin unterrichtete Bayern alle anderen Bundesländer, zuletzt auch die europäischen Empfängerstaaten. Deutschlandweit wurden Kühltheken nach Berger-Wild durchforstet. Darunter waren Supermarktketten wie Lidl, Wal Mart und Netto. Lebensmittelkontrolleure in Bayern nahmen 82 Proben im Groß- sowie Einzelhandel und leiteten sie dem LGL zu. Bis zum Redaktionsschluss waren 27 davon für den menschlichen Verzehr ungeeignet. Die amtlichen Tierärzte, die sich täglich im Betrieb aufgehalten hatten, wurden vom Landratsamt Passau von ihren Aufgaben entbunden.
 
Eine Sonderkommission „Wild“ zunächst unter der Regie von Regierungsvizepräsidentin Monika Weinl sollte den Fall lückenlos aufklären. Nur zehn Tage nach den ersten Kontrollen entzog die Regierung von Niederbayern der Firma insgesamt sieben EU-Zulassungen als Fleisch- und Wildproduktionsbetrieb mit sofortiger Wirkung. Berger muss somit seine Betriebsstätten in Fischhaus und Hinterhainberg zusperren. Das bedeutet faktisch das Aus für Europas größten Wildhändler.
 
Berger hat inzwischen Insolvenz angemeldet. Betroffen sind davon in Deutschland mindestens 80 Mitarbeiter. Inzwischen wurden Zweifel an der Wirksamkeit der Kontrolle durch die amtlich bestellten Tierärzte laut. Die bayerischen Wildhalter fragten sich, wie Berger so lange schlampen konnte und wo die Kontrolleure hingeschaut hätten. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Gerd Müller (CSU), sagt zum Wildfleischskandal: „Die Verantwortung für diesen Fall liegt in Bayern, wo die Kontrollmechanismen offenbar nicht zufriedenstellend funktioniert haben.“ Aber den Schwarzen Peter will Schnappauf nicht annehmen. Es habe eine Reihe von Verdachtsmomenten gegeben, wonach sich das Landratsamt und seine Veterinäre die Frage nach der Zuverlässigkeit der Firma und nach möglichen Konsequenzen hätten stellen müssen, meint das Ministerium.
 
Der Passauer Landrat Hanns Dorfner wies indessen die Kritik aus München zurück. „Ich wehre mich dagegen, dass wir von der Information ausgesperrt werden, und hinterher sollen wir die Schuldigen sein“, sagte er. Das Hauptzollamt habe im Jahr 2004 beim Passauer Landrats- und Veterinäramt nachgefragt, „was über Berger-Wild bekannt ist“, erklärte Verena Schwarz, Abteilungsleiterin für öffentliche Sicherheit und Ordnung beim Landratsamt, in der Presse. Mit mehr als einer verwaltungsgerichtlichen Angelegenheit sei die Firma bis dahin aber nicht auffällig gewesen – und das habe man dem Hauptzollamt auch mitgeteilt, so Schwarz.
 
Die Zöllner wussten damals bereits, dass Berger Ware umetikettierte, Haltbarkeitsdaten verlängerte und Tiefkühlfleisch als Frischfleisch ausgab. „…soll ich wirklich aus Wildenten Fasanen machen?“, heißt es in einer von 22 500 sichergestellten EMails. Das Zollamt hatte das Unternehmen umgekrempelt, weil Berger für ungarische Gastarbeiter keine Sozialbeiträge abgeführt haben soll. Von Hygienemängeln war zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rede. Das Nachrichtenmagazin Spiegel und der Bayerische Rundfunk berichteten, dass bereits am 13. Juli 2005 der Kriminalpolizei Passau vom Hauptzollamt Landshut drei Aktenordner mit entsprechenden Beweisen überreicht worden seien. In einem sechsseitigen Ermittlungsbericht sollen die Zollfahnder sogar ausdrücklich gewarnt haben, es bestehe der Verdacht, dass die Gesundheit vieler Menschen geschädigt werde.
 
Die Landshuter Staatsanwaltschaft erklärte, dass es seit der zweiten Jahreshälfte 2005 erste Hinweise auf Verstöße gegeben habe. Bereits am 1. März 2005 hatte es nach Angaben des Polizeipräsidiums Niederbayern/Oberpfalz eine Besprechung zwischen Ermittlern und dem Veterinäramt Passau gegeben. Gegenstand seien die wesentlichen Inhalte der sichergestellten E-Mails mit Verdachtsmomenten auf lebensmittel-, seuchen- und hygienerechtliche Verstöße gewesen.
 
Die Bezirksregierung räumte inzwischen ein, dass es in der Verwaltung zu Versäumnissen gekommen sein könnte. Die Regierung sei damals gebeten worden, Stillschweigen zu bewahren, um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden, sagte ein Regierungssprecher. Inzwischen hat das Ministerium die Soko an sich gezogen. Sie prüfe auch die Inhalte der Besprechungen, sagte der Sprecher des Verbraucherschutzministeriums, Roland Eichhorn. „Die Soko wird auch Hinweisen nachgehen, ob es Versäumnisse der Veterinärbehörden gab und ob nach dieser Besprechung ein Einschreiten nötig gewesen wäre”, so Eichhorn. Der Generalstaatsanwalt ermittelt, ob sich Beamte strafbar gemacht haben. Der Deutsche Jagdschutzverband und der Bundesverband der Regionalbewegungen erklärten in der Zwischenzeit, dass Verbraucher ihr Wild direkt beim örtlichen Jäger kaufen sollen. Damit wäre das Risiko, verdorbene oder falsch deklarierte Ware zu erhalten, minimiert.
 
DJV-Geschäftsführer Goddert v. Wülfing sorgt sich nicht, dass wegen des Skandals jetzt Verordnungen in Sachen Wildbrethygiene verschärft würden, das hätten Gespräche in Berlin gezeigt. Seit 1. Januar gilt eine neue EU-Richtlinie (WuH 1/2006). Die Ausführungsverordnungen stehen noch aus und werden derzeit verhandelt. Bis zum Aufgang der Bockjagd rechnet der DJV mit den neuen Vorschriften.
hho/tm


ANZEIGE
Aboangebot