Die Blattjagd steht vor der Tür! Schon bald heißt es: Ab ins Revier und den alten, starken Sechser vor den Sitz locken! Was aber, wenn er auf die erste Strophe nicht zustehen will? Burkhard Winsmann-Steins hat als Jäger und Fotograf seine eigenen Erfahrungen gesammelt.
Vor mehr als 40 Jahren wollte mir ein älterer, schon leicht ergrauter Nimrod das Blatten beibringen. An einem heißen August-Nachmittag bestiegen wir erwartungsfroh eine niedrige Kanzel vor einer ausgedehnten Buchennaturverjüngung. Der „Lehrprinz“
ließ nach einer halben Stunde einen leisen Fiepton ertönen. Doch nichts passierte.
Brütende Hitze lag über dem Waldstück. Nach weiteren zehn Minuten ertönte sein gellendes Angstgeschrei, das ich damals noch nie zuvor gehört hatte. Auf diese schrecklichen Laute wird doch kein Rehbock zustehen, dachte ich, als im selben Moment 250 Meter entfernt ein Reh erschien. Tatsächlich! Das war ein Bock! Unschlüssig stand der starke Sechser am Dickungsrand und äugte in unsere Richtung. Für einen Schuss war es zu weit. Vielleicht zog er ja näher? Doch wir warteten vergeblich. Nach kurzer Zeit war der alte Kämpe wieder im Buchenjungwuchs verschwunden. Warum hatte mein „Lehrprinz“ nicht noch einmal sein Instrument ertönen lassen? Auf meine Frage bekam ich die Antwort, dass man das Angstgeschrei nur ein einziges Mal anwenden dürfe, da es sonst den Wildbestand zu sehr beunruhige. Das musste ich als junger, unerfahrener Jäger akzeptieren, und der „Blattlehrgang“ war beendet. Jahre später hatte ich Gelegenheit,
in einem großen Revier am Rande der Lüneburger Heide Fotos zu machen. Ein beliebter Rehwildstandort war ein ausgedehntes Wiesengelände, das für meine fotografischen Ziele besonders geeignet war, weil die sonst üblichen und störenden Stacheldrahtzäune fehlten. Wenn man Glück hatte, konnte man hier mehr als 20 Rehe bestätigen, allerdings meist
auf recht große Entfernungen. Auf diese Weise sammelte ich erste Erfahrungen beim Blatten, denn es ist ein großer Vorteil, wenn man den Bock schon vorher beobachten kann.
Anfang August versuchte ich hier einen Pascha zu betören, der 300 Meter entfernt in der Wiese saß. Auf das erste leise Fiepen wurde er sofort hoch und äugte in meine Richtung. Da ich das Blatten nicht fortsetzte, tat er sich wenig später wieder nieder. Nach fünf Minuten versuchte ich es erneut – diesmal mit dem Angstgeschrei. Blitzartig war er auf den
Läufen und stürmte 50 Meter in meine Richtung, verhoffte und kam keinen Schritt näher. Er blieb nun minutenlang stehen und äugte zu meinem Sitz. Da war guter Rat teuer. Als er sich gerade abwenden wollte, blattete ich ein weiteres Mal. Schon warf es den Sechser herum. Zielstrebig kam er mir entgegen. Doch 100 Meter vor meinem Schirm war wieder Schluss. Zum Fotografieren war es noch viel zu weit, und so musste ich ein weiteres Mal
blatten. Es klappte tatsächlich, denn kurz darauf präsentierte sich der liebestolle Recke keine 30 Meter vor meinem Objektiv. Wundervoll! Seit diesem Erlebnis hörte ich damit
auf, nur einmal zu blatten, und meine Ergebnisse konnten sich sehen lassen. Im letzten Jahrzehnt sprangen mir bei dieser Methode jährlich etwa 30 bis 60 Böcke. Bei nur einmaligem Blatten wäre es vermutlich deutlich weniger gewesen. Das soll natürlich nicht heißen, dass man nun an allen Tagen andauernd fiepend durch die Reviere ziehen soll.
Solche Aktionen sind immer nur auf wenige Tage zu beschränken. Dann darf man jedoch nicht zu zögerlich die Sache angehen. Ich beginne immer erst mit dem vorsichtigen, leisen „Schmalrehfiep“, lasse diesen drei- bis fünfmal ertönen, um das Ganze im Minutentakt zu wiederholen. In der Regel reicht das schon, um die Böcke auf die Läufe und vor die
Kamera oder Büchse zu bekommen. Das schrille Angstgeschrei sollte nur selten eingesetzt werden, denn es kann auch bei Ricken helle Aufregung verursachen und die älteren Damen zu nicht endenden Schreck-Arien veranlassen.