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Vererbung ist nicht alles

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Ausbildung von Jagdgebrauchshunden:
Die Anlagen eines Jagdhundes sind erblich, werden aber nur durch intensive Ausbildung so gefördert, dass wir hinterher einen brauchbaren Jagdhund erhalten. Novellierungsabsichten im Jagdrecht könnten notwendige Einarbeitungsmethoden aus Sicht der Verhaltenskunde verbieten.

 

Von Professor Dr. Hans Wunderlich

Ein kontrovers diskutiertes Thema unter Verhaltensbiologen war gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts die Frage nach der Erblichkeit von Verhalten. Heute können wir als gesichert betrachten:

Verhalten wird nicht vererbt! Aber die Verhaltensanlagen, also die Basis für eine spätere Entwicklung von bestimmten Verhaltensmustern unserer Hunde, können von Generation zu Generation weitergegeben werden. Ebenfalls als wissenschaftlich gesichert gilt heute, dass sich Verhalten nur in der Wechselwirkung zwischen Anlagen und Umweltreizen entwickelt.

Der Zoologe Nikolaas Tinbergen stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage: „Wie viel Prozent macht der ererbte Anteil und wie viel Prozent der erworbene Anteil im Verhalten aus“? Letztlich kommt er zu dem Schluss: „Verhalten ist zu 100 Prozent ererbt und zu 100 Prozent erworben.“ Damit hätten wir den 200-prozentigen Hund. Für viele Gebrauchshundeführer sicher ein angenehmer Gedanke. Tinbergen wollte aber damit ausdrücken, dass aus Verhaltensanlagen nur Verhalten wird, wenn diese durch Umweltreize abgerufen werden. Wenn wir uns auf das Jagdverhalten unserer Hunde beziehen, bedeutet dies: Ohne spezifische jagdliche Reize gibt es kein spezifisches Jagdverhalten.

Die drei Quellen des Jagdverhaltens

Jagd ist ethologisch gesehen der Komplex, der dem Nahrungsgewinn dient oder diente. Er nimmt einen gesonderten Gehirnabschnitt ein, der mit anderen Verhaltenszentren im Hundegehirn korrespondiert. Eindeutig ermittelt ist, dass im Gegensatz dazu Aggression anderswo angesiedelt ist. Aggressionsverhalten gehört mehr in den Bereich des Sozialverhaltens des Hundes und hat für ihn vorwiegend kommunikativen Charakter. Drei Quellen speisen das Jagdverhalten des Hundes:

  • Die Verhaltensanlagen: Sie können als artgemäße Verhaltensprogramme angesehen werden, die durch Evolution entstanden und somit dem Erbgedächtnis zuzuordnen sind.
  • Die Verhaltensentwicklung: Sie beinhaltet die Ausformung der Verhaltensanlagen durch Umweltreize.
  • Die Verhaltensanpassung durch Lernen.
    Alle drei Quellen fließen zusammen und sind der Ursprung für das gezeigte Verhalten des Hundes. Störungen in einer der Quellen führen zur Eintrübung des Ganzen.Das Jagdverhalten des Hundes hat mehrere Sequenzen, die jeweils durch lebende Beutetiere ausgelöst werden:

    Suchen – Finden – Verfolgen – Greifen – Töten – Fressen.

    Die Abfolge dieser Sequenzen führt zum biologischen Sinn des Jagens, dem Beuteerwerb zum Nahrungsgewinn. Also, vom Ursprung her ein Verhaltenskomplex, der dem Überleben dient.

    Die Abfolge des Jagdverhaltens ist eine Handlungskette, die in jeder Sequenz durch Schlüsselreize (Konrad Lorenz) gestartet wird. Der Schlüsselreiz ist ein spezifischer Reiz für ein spezifisches Verhaltensmuster, der wie ein Schlüssel ins Schloss passt. Als Schlüsselreiz funktioniert nur die lebende Beute durch Anblick oder Geruchswahrnehmung. Zum Schlüsselreiz „Lebendes Wild“ gehört ganz praktisch auch das passende Schloss beim Hund. Hat er es nicht, dann jagt er nicht. Das ist für einen Jagdhund fatal. Kein Jäger möchte seinen Hund zur Jagd tragen. Zeigen kann er seine inneren Antriebe zur Jagd aber nur, wenn er mit lebendem Wild in Berührung kommt, es also eräugt oder wittert.

    Die Tierschutzgerechte Jagd

    Der Hund kann nur zeigen, dass er Wild finden will und findet, wenn er auf lebendes Wild trifft. Er kann auch nur zeigen, ob er bereit ist, ablaufendes Wild zu verfolgen, wenn ihm die Möglichkeit gegeben wird, dies auch zu tun. Dabei können wir viele Überraschungen erleben. Entweder er beginnt die Verfolgung gar nicht, oder sie hört nach wenigen Fluchten auf, oder bricht ab, wenn das Wild erreicht wird. Diesem Hund fehlt einfach das „Schloss“ für den Schlüsselreiz zum Greifen. Ein so veranlagter Hund ist für jede Nachsuche auf krankes Nieder- und Schalenwild einfach unbrauchbar. Einen solchen Hund zur Jagd zu verwenden, ist im Hinblick auf die Waidgerechtigkeit beziehungsweise den Tierschutz bedenklich.

    Es gibt nicht wenige Hunde, die durchaus eine verendete Ente akzeptieren und sie aus dem Wasser apportieren. Ist der Hund aber mit einer lebenden Ente konfrontiert, weicht er aus. Diese Ignoranz gegenüber dem sichtigen Wild zeigt, dass selbst der Schlüsselreiz einer sich bewegenden Beute kein jagdliches Verhalten auslöst. Die Anlagen sind einfach nicht vorhanden. Auch ein solcher Hund ist zur tierschutzgerechten Jagd nicht zu gebrauchen.

    Das Vorhandensein der Anlagen in den einzelnen Sequenzen des Jagdverhaltens erkennen

    Entsprechend der heutigen Spezialisierung der Jagdgebrauchshundrassen und –schläge werden einzelne Sequenzen des Jagdverhaltens in der Zucht, der Entwicklung und Ausbildung unterschiedlich gefördert oder abgeschwächt. Für den klassischen englischen Vorstehhund beispielsweise ist die Arbeit beendet, wenn er in raumgreifender, flüssiger Suche Niederwild gefunden hat und es anzeigt, also vorsteht. Für die Arbeit nach dem Schuss tritt der Retriever in seinen verschiedenen Varianten an. Perfekt Finden und Bringen sind seine Stärken.

    Wohingegen die Allrounder in der Arbeit vor und nach dem Schuss zum jagdlichen Einsatz gelangen. In jeder Sequenz werden gute Leistungen verlangt. Entsprechend ist ihre Veranlagung, Entwicklung und Ausbildung gesteuert. Wobei nur Wildkontakt imstande ist, die einzelnen Sequenzen des Jagdverhaltens auszulösen. Daraus ergibt sich, dass eine Ausbildung und Prüfung von Hunden zur Jagd nur in Beziehung zur lebenden Beute möglich ist. Phantome, leblose „Ersatzbeute“ oder Immitationen anderer Art sind nicht in der Lage, ein bestimmtes Jagdverhalten auszulösen.

    So bemühen sich Jagdhundführer und vor allem die Jagdgebrauchshund- und Zuchtvereine im Jagdgebrauchshundverband (JGHV) um die Erhaltung der jagdlichen Verhaltensprogramme bei den Jagdhunderassen. In diesem Bemühen ist es besonders wichtig, das Vorhandensein der Anlagen in den einzelnen Sequenzen des Jagdverhaltens zu erkennen, um es durch entsprechende Zuchtwahl zu erhalten und in der Generationsfolge weiterzubringen. Geht es verloren – auch einzelne Sequenzen – ist das nach dem biologischen „Irreversibilitätsgesetz“ unwiederbringlich. Diese Gesetzmäßigkeit besagt in unserem Falle: Evolutionär entstandene Verhaltensmuster, die genetisch verlorengehen, können nicht wieder reproduziert werden! So sind und bleiben die Anlagen- und Leistungsprüfungen Voraussetzung für die Bestätigung zum brauchbaren Jagdhund und die unverzichtbare Grundlage zum Fortbestand des Jagdverhaltens.

    Brauchbare Jagdhunde sind für die waidgerechte Durchführung der Jagd unerlässlich

    Der Tierschutzbericht der Bundesregierung von 2001 stellt in diesem Zusammenhang fest: „Es besteht auch aus Tierschutzgründen Einigkeit darüber, dass brauchbare Jagdhunde für die waidgerechte Durchführung der Jagd unerlässlich sind.“ Diese Einigkeit schlägt sich beispielsweise in den Jagdgesetzgebungen der Länder nieder, die eine Verwendung von brauchbaren Jagdhunden zur Jagd verlangen. Dass die Prüfungs- und damit auch Ausbildungsanforderungen an den Vierläufer je nach Bundesland in Nuancen variiert, ändert nichts an der Grundaussage. Darüber hinaus ist die Ausbildung und Prüfung von Hunden zur Jagd befugte Jagdausübung.

    Die Entwicklung jagdlicher Anlagen zum Jagdverhalten beim Hund macht die Herbeiführung der Begegnung mit Wild auf die eine oder andere Weise erforderlich. Das ist unter jagdpraktischen Bedingungen im Revier schwierig und oft nicht realisierbar. Vor allem ist es aber mit unserer Überzeugung, nur mit brauchbaren Hunden zur Jagd zu gehen, nicht vereinbar. Über Jahrzehnte hat sich die Simulation jagdnaher Situationen in der Ausbildung unserer Hunde bewährt. Dazu zählen heute die Stöberarbeit an der vorübergehend flugunfähig gemachten Ente, die Arbeit der Erdhunde in modernen Schliefenanlagen oder auch die Verhaltensanpassung im Saugatter.

    Ausbildung an der „Lebenden Ente“

    Gerade die Ente, die nicht einfach wegfliegen kann, und die dem Hund überlegene Flucht auf dem Wasser wählen muss, gibt die Chance, das Verhalten des Hundes festzustellen. Im Prinzip hat er zwei Möglichkeiten. Zum ersten sucht er die Ente im Schilfwasser schwimmend, findet sie auch und verfolgt sie. Oder zum zweiten nimmt er das Wasser gar nicht an beziehungsweise sucht erkennbar von der Ente weg. Oder er schwimmt in eine andere Richtung, wenn er sie eräugt. Einem Jäger braucht man nicht zu erklären, welcher der brauchbare Hund für die Jagd ist.

    Grundsätzlich muss es auch hierbei eine Güter- und Interessenabwägung für Ente und Hund geben. Der Tierschutzbericht der Bundesregierung 2001 führt dazu Folgendes aus: „Entscheidend für die tierschutzrechtliche Beurteilung dieser Methode ist die Frage, ob hierzu ein die Rechtswidrigkeit ausschließender, vernünftiger Grund vorliegt. Diese Frage ist zu verneinen, sofern andere, adäquate Methoden zur Hundeausbildung vorliegen und sich diese unter Praxisbedingungen bewährt haben“.

    Bisher war aber niemand in der Lage, eine andere adäquate, praxistaugliche Methode vorzustellen. Eine Alternative zur Ausbildung an der „Lebenden Ente“ ist aus Perspektive einer waidgerechten Jagd mit brauchbaren Hunden somit nicht vorhanden. Die Mehrheit der Bundesländer folgt dieser Auffassung und erkennt die Wasserprüfungsordnung des Jagdgebrauchshundverbandes an. Diese Prüfungsbedingungen auf der Grundlage der Stuttgarter Vereinbarung minimieren die Ausbildungsinhalte auf das Notwendige und sorgen somit für eine tierschutzgerechte Regelung.

    Der eine oder andere Rüdemann wird sich fragen, warum ein eigentlich praktisches Thema der Jagdhundeausbildung aus wissenschaftlicher Sicht beleuchtet wird. Weil in dem so genannten „Eckpunkte-Papier“ zur Novellierung des Bundesjagdgesetzes das Verbot zur Ausbildung von Jagdhunden an lebendem Wild enthalten ist. Betrachtet man allerdings die Erkenntnisse von Verhaltensforschern, Zoologen und Biologen, ist dies auf dem Weg zum brauchbaren Jagdhund kontraproduktiv.

    Der Psychologe Bernhard Hassenstein entwarf dieses Modell zur Verhaltensausprägung: Es wird nur der Teil der Veranlagung offensichtlich, der durch Umweltreize geweckt wird. Das Defizit beschreibt den ungenutzten Teil der geerbten Anlagen

 

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