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Ernte oder Vernichtung?

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43 Stück über dem Abschussplan:
Ganze neun Stück Rotwild fehlten der Lehroberförsterei Chorin noch zur Erfüllung des genehmigten Abschussplanes. Nach einer großen Bewegungsjagd lagen 52 Stück auf der Strecke. Seitdem kochen in der Gegend die Jägerseelen bei den Jagdnachbarn, Jagdgenossenschaften und Mitgliedern der örtlichen Hegegmeinschaft. Von „Vorsatz“ ist die Rede. Längst beschäftigen sich Behörden, Anwälte und Gerichte mit dem Vorfall.

 

Eine ungewöhnliche Wildkonzentration soll bei einer Jagd in der Oberförsterei Chorin unbeabsichtigt zu einer zu hohen Strecke geführt haben

Von Alexander Krah

Lothar Vach, ehemals Revierförster in Liepe und seit wenigen Jahren pensioniert, schweigt, sagt nichts, will nichts zu einer denkwürdigen Jagd sagen, die am 11. Dezember 2003 in seinem ehemaligen Revier innerhalb der „Lehroberförsterei Chorin“ stattgefunden hat. Sprachlosigkeit aus fehlendem Verständnis oder Loyalität gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber?

Die Lehroberförsterei Chorin hängt mit der Forsthochschule Eberswalde zusammen. Sie ist das praktische Spielfeld ganzer künftiger Generationen von Forstleuten, denen der Staat, die Kommunen, Kirchen und auch private Waldbesitzer ihren Wald anvertrauen. Hier geht es nicht nur um die Vermittlung von Kenntnissen im Waldbau oder beispielsweise der Forsteinrichtung, sondern auch um den Umgang mit Wild, seiner Bewirtschaftung und Bejagung.

Vorbilder sollen die Förster sein. Hat es Vach, dem der örtliche Hegegemeinschaftsleiter Burkhard Salle attestiert, dass es sich bei ihm um einen Rowildfachmann handelt und der verantwortungsbewusst seine schützende Hand über das Rotwild vor allem in seinen Wintereinständen bei sich im Revier hielt, deswegen die Sprache verschlagen? Seit jenem 11. Dezember haben einige Zweifel, ob die Oberförsterei Chorin sich noch auf dem vielgepriesenen „Brandenburger Weg“ – Der Einheit von Wild und Wald – befindet.

Den Abschussplan um 43 Stück überschossen

Am 11. Dezember wurde in der Oberförsterei mit 110 Jägern, zwölf Treibern und zirka 30 Hunden rund 1 200 Hektar bejagt. Mit dabei auch 150 Hektar, die als Wintereinstand des Rotwildes gelten. Zwar wurden in diesen Teilen auch früher schon kleinere Jagden abgehalten, dieses Jahr gehörten sie aber erstmals zu einer größeren Bewegungsjagd. Es wurde Kahlwild (Kalb vor Alttier) und Hirsche bis zur Altersklasse 2 (zwei- bis vierjährig) ohne Einschränkungen freigegeben. Dazu Schwarzwild, Rehwild und Füchse.

Auf der Strecke lagen zum Schluss neben 33 Stück Schwarzwild, 21 Stück Rehwild und zwei Füchsen, 52 Stück Rotwild, darunter 22 Alttiere, neun Schmaltiere und 21 Kälber. Neun Stück allerdings waren auf dem Abschussplan nur noch frei gewesen. Damit wurde in einem Revier der ursprüngliche Abschussplan von insgesamt 46 Stück Rotwild der gesamten Oberförsterei um 43 Stück überschossen.

Geplant und durchgeführt hatten die Jagd unter anderem die Revierförster Matthias Köller und sein Kollege Stefan Kruppke. Beide sind Mitglied der Arbeitsgemeinschaft naturgemäße Waldwirtschaft (ANW). Die Arbeitsgemeinschaft steht in ihren Zielen der Wildbewirtschaftung dem Ökologischen Jagdverband nahe. Vom ehemaligen Bundesvorstand des ANW, Freiherr Sebastian v. Rotenhan, bekam Köller nach der Jagd und den ersten Protesten auch prompt Rückendeckung. Von Rotenhan schreibt in einem Brief an Köller. „Ich gratuliere von Herzen und rufe Ihnen ein käftiges ,Weiter so’ zu.“ Er hält die Vorwürfe für vollkommen lächerlich und nicht justiziabel. Es verstehe sich von selbst, schreibt v. Rotenhan, dass solche Jagderfolge Sonntagsjäger auf den Plan riefen, hinter deren gespielter Entrüstung sich lediglich der Jagdneid verberge. Nach Meinung des bayerischen CSU-Landtagsabgeordneten habe Köller lediglich eine leicht zu ertragende Ordnungswidrigkeit begangen.

Dass Köller nach der Jagd die Strecke als einen außerordentlichen Erfolg bezeichnete, dem eigentlichen Jagdleiter Roland Ueckermann das Wort abnahm und in euphorischer Stimmung seine „strategische Meisterleistung“ pries, erregt Jagdnachbarn und viele Mitglieder der Hegegemeinschaft.

Ein Versehen?

Zudem soll Köller selbst am späten Abend bei einer Sieges-Feier im „Schwarzen Adler“ von Brodowin geäußert haben, dass man mit dieser Jagd mal gezeigt habe, wie diese Reviere ordentlich bejagt würden.

Keiner will glauben, dass es sich bei der Strecke um ein Versehen handelt. Vielmehr habe man den Abschussplan vorsätzlich überschritten, sagt der Rechtsanwalt der Hegegemeinschaft und Reviernachbar Dr. Wolfgang Lipps. Erschwerend kommt hierbei für Lipps hinzu, dass die Oberförsterei Chorin am 1. Dezember bei der Hegegemeinschaft und der Unteren Jagdbehörde ohnehin 15 weitere Stück Rotwild nachbeantragt und auch genehmigt bekommen hat.

Die Geisteshaltung der planenden Revierförster, die großangelegte Jagd an sich, die Bejagung der Wintereinstände, in denen sich das Rotwild weiter Teile der Hegegemeinschaft zusammengezogen habe, und nicht zuletzt die großzügigen Freigaben beweisen nach Ansicht von Lipps, dass man in der Oberförsterei bereits im Vorfeld der Jagd mit einer höheren Strecke gerechnet und die Überziehung willentlich in Kauf genommen habe. Darüber hinaus bemüht Lipps auch das Tierschutzgesetz. Denn 43 außerhalb des Abschussplanes gestreckte Stück Rotwild seien auch unter tierschutzrechtlichen Aspekten 43 „ohne vernünftigen Grund getötete Wildtiere“, so der Anwalt.

Doch diesen Vorsatz weißt Oberförster Ueckermann von sich. Er selbst achte konsequent auf die Einhaltung der Abschusszahlen und die Zusammensetzung in den Altersklassen. In diesem Sinne würden auch seine Mitarbeiter angeleitet, meint der Oberförster, der bei der Jägerschaft ansonsten einen ausgezeichneten Leumund besitzt.
Doch so Recht glauben will keiner der Protestler, dass man in der Oberförsterei nichts von der Wildkonzentration im Revier Liepe gewusst habe.
Einige meinen, Ueckermann sei von seinen Revierförstern im Vorfeld der Jagd nicht richtig informiert worden. Verbitterte Jagdnachbarn sagen, dass Ueckermann von seinen vom Ehrgeiz zerfressenen Revierförstern sich habe auf den Pott setzen lassen.

Eine laufende Jagd kann ihre Eigendynamik entwickeln

Ueckermann stellt sich vor seine Leute und stellt fest, dass in Vorbereitung der Drückjagd selbstverständlich über Wildfreigaben und über Streckenerwartungen gesprochen worden wäre. Allerdings sei im Vorfeld von keiner Seite, auch nicht von den Reviernachbarn, mit einer so hohen Rotwildkonzentration gerechnet worden. Hätte man mit so einer hohen Wildkonzentration vorher gerechnet, wäre die Abschuss-Nachbeantragung höher ausgefallen, so Ueckermann in einer Stellungnahme. Auch hätten die Streckenergebnisse der vergangenen Jahre und die Sichtbeobachtungen von Revierbeamten und Begehungsscheininhabern keinen Anhaltspunkt geliefert, dass eine derartige Strecke zu erwarten gewesen sei. Dies sei auch der Grund für die großzügige Freigabe gewesen, meint der Oberförster.

Die Hegegemeinschaft sieht sich nach den Worten ihres Vorsitzenden, Burkhard Salle, in ihrer Arbeit um drei Jahre zurückgeworfen. Man habe sich in der Hegegemeinschaft zusammengerauft und gemeinsame Richtlinien verabschiedet und müsse jetzt erleben, wie der Gegenstand der Bemühungen zusammengeschossen werde, sagte Salle.

Sicher könne eine schon laufende Jagd ihre Eigendynamik entwickeln, und die erwartete Strecke lasse sich nicht immer wildartenspezifisch auf das Stück genau steuern, sind sich viele Hegegemeinschaftsmitglieder einig. Aber bei der Jagd sollen nach Angaben einiger Teilnehmer gezielt Leittiere erlegt worden sein. Die ziellos umherirrenden Rudel seien nahezu vollständig erlegt worden.

Doch Ueckermann weißt auch diesen Vorwurf als vollkommen aus der Luft gegriffen und ungeheuerlich zurück. Er habe bei der Freigabe auf seinen eisernen Grundsatz „jung vor alt“ hingewiesen. Diesbezügliche Verfehlungen und umherirrende Rudel während der Jagd seien ihm nicht bekannt. Ueckermann ist der Überzeugung, dass es sich um eine einmalige, unnatürlich hohe Wildkonzentration von weit mehr als 100 Stück Rotwild an diesem Tag gehandelt haben müsse, die nicht erklärbar sei.

Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft wurde gestellt

Über neue Abschusszahlen für das nächste Jagdjahr will der Jagdleiter, der wegen der Überziehung des Abschussplanes Selbstanzeige bei der Jagdbehörde erstattete, in nächster Zeit diskutieren.

Doch mit Reden alleine will es die Hegegemeinschaft nicht bewenden lassen. „Jeder von uns nicht-staatlichen Jägern wird sofort von der zuständigen Jagdbehörde bei den Ohren genommen“, so der Obmann für Wildbewirtschaftung im Kreisjagdverband Eberswalde, Jörg Heidasch, „wenn er (mit Ausnahme von Schwarzwild), auch nur ein Stück Schalenwild über den bestätigten Abschussplan hinaus erlegt.“ Und weiter schimpft Heidasch: „ Wir sind nicht bereit hinzunehmen, dass unsere Wildbestände, für die wir gemeinsam Verantwortung tragen, von ein paar jungen ausgeflippten Spinnern im Landesforst kaputt gemacht werden.“

In einem Schreiben an die vorgesetzten Dienststelle, dem Amt für Forstwirtschaft Eberswalde, und der Unteren Jagdbehörde, wird von der Hegegemeinschaft nicht nur die Versetzung der planenden Revierförster gefordert, sondern es wird auch eine sofortige Ahndung des Vorfalles in der Oberförsterei Chorin verlangt. Außerdem wurde Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft gestellt.

Wiederherstellung klarer Rechtsverhältnisse

Unterstützung erwartet Hegegemeinschaftsleiter Salle auch aus dem Landwirtschaftsministerium: „Es wäre nur zu hoffen, dass auch unser Agrarminister Wolfgang Birthler die Brisanz des Falles erkennt und entsprechende personelle Konsequenzen veranlasst.“

Eingeschaltet hat sich auch der Vorsitzende des Kreisjagdverbandes Eberswalde, Dr. Frank Tottewitz, der sich sorgenvoll an den LJV-Präsidenten Dr. Wolfgang Bethe mit der Bitte wandte, über die Oberste Jagdbehörde für die Wiederherstellung klarer Rechtsverhältnisse in Chorin zu sorgen.

Eine stattliche Strecke, nur eben 43 Stück Rotwild zuviel und damit ungesetzlich

 


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