ANZEIGE

Aus Fehlern lernen

1973


 

Blattjagd:
Ist der Höhepunkt der Rehbrunft überschritten und das Geschlechterverhältnis einigermaßen in Ordnung, lohnt sich der Versuch, eine der attraktivsten Jagdarten zu praktizieren: die Blattjagd. Doch selbst alten Hasen können noch Missgeschicke widerfahren …

 

Je näher man an den vermeintlichen Einstand unbemerkt heranrückt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, auch bei vorsichtigen Böcken erfolgreich zu sein

Von Burkhard Winsmann-Steins

Eigentlich hätte ich meinen Stand verlassen müssen. Auf meine ersten Fieptöne stürmte eine Ricke heran, kam in meinen Wind und sprang laut schreckend ab. Sie konnte sich gar nicht wieder beruhigen und keifte auch in der Dickung weiter.

Aus Erfahrung wusste ich jedoch, dass Schrecklaute oft genug den heimlichen Bock auf den Plan riefen. Nach einiger Zeit – die alte Tante hatte sich inzwischen beruhigt – blattete ich weiter. Nach weiteren zehn langen Minuten – die Mücken waren unbarmherzig – stand ich auf und packte meine Siebensachen zusammen.

Vorteile durch einen standruhigen Hund

Mein Drahthaar, der sich normalerweise beim Aufbruch immer freute, hob die Nase und äugte unentwegt zum Dickungsrand. Schnell saß ich wieder auf meinem Sitzstock und machte mich fertig. Da mein Gehör nicht das beste ist, schaute ich zwischendurch immer wieder zu meinem Hund, der ruhig, aber gespannt zum Dickungsrand äugte. Wenig später leuchtete es rot am Rande der Jungfichten. Ein Blick genügte, um die hohen krummen Stangen anzusprechen. Wenig später stand ich vor dem längst verendeten reifen Bock, der mit gutem Schuss noch 20 Meter in die Dickung geflüchtet war. Ohne Hund hätte ich meinen Stand verlassen und sicher das Nachsehen gehabt. Der raue Bass des Altbockes wäre mir vielleicht in Erinnerung geblieben. Wer einen standruhigen Hund besitzt, hat eigentlich nur Vorteile, wenn er ihn mitnimmt, auch dann, wenn die Kugel einmal nicht so gut sitzt. Altmeister Graf zu Münster hatte meist seinen Setter dabei, um bei eventuellen Laufschüssen seinen Hund sofort schnallen zu können.

Die Ungeduld ist der häufigste Fehler beim Blatten. Eine Viertelstunde reicht meines Erachtens nicht aus. Ein junger Forstmann wollte mir allerdings einmal weismachen, dass man mindestens zwei Stunden nach den Fieptönen auf seinem Blattstand ausharren sollte! Auf den Bock, der erst nach zwei Stunden zusteht, auf den will ich gern verzichten! Die meisten Chancen habe ich versiebt, wenn der Schlaumeier von hinten kam. Deshalb sollte man sich Stände aussuchen, wo dies nicht so leicht möglich ist. Ein Herangeblatteter, der einen von hinten auf 15 Schritt anschleicht, vernimmt die kleinste Bewegung des Jägers, und beim Umdrehen sieht man meistens nur noch den wippenden Spiegel und hört das Schimpfen des Betrogenen. Da hilft auch keine Tarnkleidung! Wer zu zweit blattet – Rücken an Rücken – hat da bessere Karten.

Ideal, wer im Revier Blattschirme hat, die ringsum geschlossen sind. Wichtig ist, dass man sich so leise und nah wie möglich dem Einstand des Bockes nähert. Je geringer der Abstand, desto besser springen die Böcke. Da der Wald im August oft ausgedörrt ist, helfen nur vorher angelegte Pirschsteige. Selbstverständlich ist guter Wind ausschlaggebend für den Erfolg.

Bei Jagdfreunden erlebe ich es immer wieder, dass sie zum Beispiel vom Hochsitz an einer Äsungsfläche blatten. Gegen den höheren Standpunkt ist nichts einzuwenden – es sei denn, die Kanzel ist acht Meter hoch – doch ein alter Kämpe steht nur selten auf einer offenen Äsungsfläche zu. Meistens verhofft er gedeckt am Dickungsrand und beobachtet von hier aus die Szene, um sich dann zu verdrücken.

Was für ein Bild!

Im freien Feld gelang es mir häufig, Böcke aus Weizenschlägen heranzublatten, doch im Wald sieht die Sache anders aus. Hier nutzt der zustehende Alte oft genug jegliche Deckung aus. Deshalb ist ein Platz, an der eine Dickung in ein Stangenholz übergeht, meist der beste. Auf gutes Schussfeld ist trotzdem zu achten. Der tollste Stand nützt nichts, wenn man vor lauter Bäumen den Bock nicht sieht!

Vor einigen Jahren klagte mir ein Jagdfreund sein Leid. Er hatte alle Literatur über die Blattjagd konsumiert, aber alle seine Bemühungen, auf diese Weise einen Bock zu strecken, scheiterten kläglich.

Anfang August begleitete ich den verunsicherten Nimrod und ließ ihn erst einmal selbst „musizieren“. Die Fieptöne waren nicht schlecht, doch viel zu leise! Nach einiger Zeit ließ er mit dem „Buttolo“ das Angstgeschrei erschallen – jedoch nur ein einziges Mal! Dann beendete er das „Konzert“ und wartete etwa zehn Minuten. Die Bühne blieb leer. Am zweiten Blattstand forderte ich ihn auf, etwas länger und zum Schluss auch lauter zu blatten. Nach wenigen Minuten warnte eine Amsel, ab und zu raschelte es in der Verjüngung, und plötzlich stand ein Abnormer mit angezogenem Vorderlauf wie ein Vorstehhund vor uns! Was für ein Bild! Mein Freund hatte zum Glück seine Büchse in Voranschlag auf dem Zielstock bereitgehalten. Warum schoss er nicht? Der Dreistangler zog nun im Stechschritt weiter, um sich Wind zu holen. Er verschwand kurzzeitig in den Buchenkusseln, um nach etwa 40 Metern wieder zu erscheinen. Jetzt fiepte ich ihn an, was sofortiges Umdrehen zur Folge hatte. Er stand jetzt halbspitz. Die .30-06 des Jagdfreundes ließ ihn schlagartig zusammenbrechen.

Das Angstgeschrei ist sicher kein Ohrenschmaus

Hocherfreut gingen wir zum Bock und bestaunten die begehrenswerte Trophäe. Doch wie sah er aus? In den Ausschuss der .30-06 konnte man zwei Fäuste legen! Die eine Blattschaufel war völlig zertrümmert. Anfangs hatte ich auch auf grobe Kaliber gesetzt und erlegte einige Herangeblattete mit der 8×68 S, H-Mantel. Bei Schrägschüssen – und die kann man bei der Blattjagd kaum vermeiden – sahen die Böcke aus, als wären sie von einer Granate getroffen! Seitdem verwende ich höchstens die 6,5×57.

Die Ausrüstung meines Freundes war für die Blattjagd denkbar ungünstig, denn auf seiner Donnerbüchse prangte auch noch ein achtfaches „Ofenrohr“! Seine Ausrede, dass er damit gleich ansprechen könne, war nicht stichhaltig. Denn achtfache Zielfernrohre liefern auf kurze Distanzen ein unscharfes Bild. Das Gesichtsfeld ist außerdem so gering, dass man Schwierigkeiten hat, den eventuell anstürmenden Bock zu erfassen. Ideal ist ein vierfaches oder variables Glas.

Bei der Blattjagd hat es große Vorteile, wenn man seine Böcke schon vorher kennt und sie auf ihr Alter taxiert hat. Ich habe Jäger erlebt, die lange durch ihr Doppelglas schauten und erst dann zur Büchse griffen. Das geht nicht ohne Bewegung, die natürlich dem angespannt äugenden Bock nicht entgeht.

Warum muss man öfter blatten und sich nicht nur auf eine Strophe beschränken? Manchmal habe ich Böcke im freien Wiesengelände herangeblattet und ihr Verhalten dabei studiert. Nach den ersten Fieptönen standen sie 20 bis 30 Meter zu, um dann zu verhoffen. Hörte man auf, zogen sie nach kurzem Zaudern wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Zu leise Töne bringen ebenfalls wenig Anlauf. Man sollte zwar vorsichtig beginnen, aber nach einigen Minuten kann man die Lautstärke erhöhen. Ein mich führender polnischer Jäger in der Borker Heide (im ehemaligen Ostpreußen) war wütend auf meine „Blatt-Arien“ und forderte mich auf, mein „Geplärre“ einzustellen. Als dann aber ein Uralter auf diese schrillen Töne sprang, war er sichtlich überrascht. Am nächsten Tag – wir hatten bei der Morgenpirsch wenig Anblick gehabt – kam sein unvergessener Satz: „Musik machen, bitte!“

Das Angstgeschrei ist sicher kein Ohrenschmaus, und der, der diese Töne zum ersten Mal hört, kann sich kaum vorstellen, dass hierauf ein Rehbock reagiert. Doch der Erfolg heiligt bekanntlich die Mittel. Man sollte spärlich davon Gebrauch machen, weil man damit seinen ganzen Rehwildbestand in Aufregung versetzen kann.

Das Wetter spielt nach meiner Erfahrung eine untergeordnete Rolle. Wenn es allerdings stürmt, sollte man besser daheim bleiben, da der Heißersehnte die Fieplaute im rauschenden Wald kaum vernehmen wird. Dass aber der Brunftbock nur bei brütender Hitze springt, halte ich für ein schon lange überliefertes großes Märchen. Mit zwei Jagdfreunden kampierte ich vor einigen Jahren während der Blattzeit in einer Jagdhütte. Als wir früh morgens aus der Tür schauten, plätscherte es munter vor sich hin. Dauerregen! Meine Freunde verklüfteten sich sofort wieder in ihrem „Kessel“ und waren zu keiner Aktivität bereit. Wenig später verließ ich frohgemut und voller Tatendrang die Hütte – hatte ich nun doch das ganze Revier für mich allein! Als ich an einem verheißungsvollen Platz vorrüberkam, hielt ich inne. Hier hatte ich doch vor einigen Jahren einen Abnormen herangeblattet. Es war zwar noch früh am Morgen – der Regen hatte noch nicht aufgehört – aber versuchen konnte ich es ja mal. Kaum waren die ersten Töne verklungen, da zog etwas Rotes durch das Fichtenaltholz und näherte sich stetig meinem Stand. Der ältere Spießer quittierte die Kugel in einer Wasserwolke und verschwand im Adlerfarn. Auch das noch! Als ich ihn endlich fand, war ich fast genauso nass wie der Spießer! Meine „Langschläfer“ staunten nicht schlecht, als ich den „Wasserbock“ vor der Hütte zur Strecke legte.

Bei jedem Wetter und Tageszeit

Bei fast jedem Wetter kann man einen Bock heranblatten und selbstverständlich auch zu jeder Tageszeit. Die meisten Böcke überlistete ich nachmittags. Das lag aber nur daran, dass ich es morgens seltener versuchte!

Selten steht ein Bock aufs Blatten zu, wenn er – wie in diesem Fall – eine offene Fläche überqueren muss. Er springt ungern vom Schatten ins Licht

 


ANZEIGE
Aboangebot