Noch drei Wochen bis zum Aufgang der Bockjagd. Also, Repetierbüchse, Bockbüchsflinte oder Drilling aus dem Waffenschrank genommen, und raus geht’s zum Anschießen. Schnell die Scheibe auf 100 Schritt aufgestellt, aufgebaumt und aufgelegt. Gehörschutz? Ach was, wegen der paar Schuss. Wumms der erste, wumms der zweite, wumms der dritte. Alle sitzen im Zentrum, und das Jägerherz jubelt. Die Ohren aber tragen Trauer ob der ganzen Knallerei. Panikmache? Von wegen! Der WILD UND HUND-Test zeigt, warum Gehörschutz so eminent wichtig ist, welche verschiedenen Systeme es gibt und welche Modelle dafür sorgen, dass Sie auch morgen noch entspannt zuhören können.
Schüsseltreiben nach der Jagd. Bratenduft, Zigarettenrauch und Stimmengewirr durchziehen die Gaststube. Bereits zum dritten Mal wiederholt mein schon leicht genervter Gegenüber die Pointe des Witzes. Mist, wieder nicht richtig gehört. Ich lache aus Höflichkeit – Gewohnheitssache.
Aufgefallen ist die ganze Sache bei einem eher zufälligen Hörtest: Rein in die Kabine, Kopfhörer auf, rechtes Ohr zuerst. Die Töne waren klar und deutlich zu hören, ich drückte selbstsicher drauflos. Dann das linke Ohr: Die ersten Frequenzen kein Problem, doch dann Stille und der fordernde Blick der Ärztin. Apparat kaputt, Kopfhörer defekt?
Nein, mein linkes Ohr weigerte sich standhaft, den 4000-Hertz-Ton bei normaler Lautstärke zu verarbeiten. Nach Verlassen der Kabine verblüfft mich die Medizinerin vollends. Sie fragt: „Sind Sie Jäger?“
In der Tat gehört die grüne Zunft, genau wie Sportschützen, zu einer – wie man neudeutsch so schön sagt – Risikogruppe, was Gehörschäden angeht. Schießstände bzw. die Kanzel im Revier sind dann also – bleiben wir bei den hübschhässlichen Modewörtern – die Problemzonen.
Schäden des Gehörs sind irreparabel, das heißt, verlorene Hörleistung kehrt nie wieder zurück (siehe unten). Jeder hat wahrscheinlich schon mal das unangenehme Pfeifen im Ohr nach dem Schuss gehört. In der Fachsprache nennt man dieses Symptom „Tinnitus“. Meistens geht er nach kurzer Zeit wieder weg. Also Glück gehabt? Von wegen; denn der nervende Summton ist bereits ein Zeichen dafür, dass das Innenohr Schaden genommen hat.
Einen fatalen Schritt weiter sind dann die, die beim Schüsseltreiben aus Höflichkeit lachen müssen. Hier hat sich der sogenannte Partyeffekt eingestellt. Das ist nicht der Brummschädel am nächsten Morgen, sondern die Schwierigkeit, bei lauten Hintergrundgeräuschen seine Mitmenschen richtig verstehen zu können.
Der Grund dafür: Die ersten durch Lärm hörbaren oder besser nicht mehr hörbaren Schäden stellen sich bei einer Frequenz von 4000 Hertz ein; denn die für diesen Bereich verantwortlichen Haarzellen im Innenohr sind dem Schalldruck besonders ausgesetzt.
Konsequenz: Die Zischlaute der Sprache und Obertöne bei Musik beginnen zu verstummen. Wer also das Gefühl hat, alle würden leise und verzerrt reden, sollte gewarnt sein.
„Die Menge macht das Gift.“ Diese Regel trifft auch auf Gehörschschäden durch Lärm zu. So führen bereits Dauerlärmbelastungen von über 85 dB(A) zu Beeinträchtigungen der Hörleistung. Ein Schussknall kommt je nach Kaliber locker auf über 120 dB(A).
Ein einziger Schuss, wie z. B. auf dem Ansitz, führt aber in der Regel nicht gleich zu bleibenden Schäden. Entscheidend sind die Schussanzahl sowie die Ruhepausen zwischen den Schüssen.
Auf dem Schießstand sieht die Sache also schon anders aus, wenn man beispielsweise in der Traprotte zwischen 90 und 180 Schüsse abbekommt (15er-Runde mit sechs Schützen). Ebenso fatal ist das Konzert von 5,6 bis 9,3 beim gemeinsamen Anschießen der Büchsen.
Hier ist also ein Schutz nötig, der den Lärm direkt am Ohr abdämpft. So lassen sich die Schallwellen auf ein im wahrsten Sinne des Wortes gesundes Maß reduzieren.
Das Zauberwort lautet „Persönlicher Gehörschutz“. Dabei sind zwei Arten zu unterscheiden: Gehörschützer, die im Ohr getragen werden, und Gehörschützer, die über dem Ohr getragen werden.
Im Ohr trägt man
– fertig geformte Stöpsel aus Kunststoff, die in den Gehörgang gesteckt werden,
– Gehörschutzstöpsel, die erst noch geformt und dann ins Ohr gesteckt werden,
– Gehörschutz-Otoplastiken mit oder ohne Mikrofon, die für jeden einzelnen Gehörgang passend angefertigt werden.
Über dem Ohr trägt man
– Kapselgehörschützer ohne Mikrofon,
– Kapselgehörschützer mit Mikrofon.
Diese beiden Gruppen haben natürlich bauartbedingte Vor- und Nachteile. Das prädestiniert sie für bestimmte Einsatzgebiete, genauso, wie es sie für andere Verwendungen ausschließt.
Im-Ohr-Gehörschützer
Sie sind an Handlichkeit nicht zu übertreffen. Kaum größer als eine 9-mm-Para-Patrone passen sie in jede Hemdtasche. Bei Bedarf hat man sie schnell zur Hand bzw. im Ohr; denn der schlechteste Gehörschutz ist immer der, den man nicht dabei hat.
Vor allem beim Wurfscheibenschießen sammeln die Stöpsel Pluspunkte: Sie verrutschen nicht und können auch nicht beim In-Anschlag-Gehen mit dem Hinterschaft in Berührung kommen: für manchen Schützen Garant für saubere Schüsse.
Leider können im Ohr getragenen Pfropfen nur die durch den Gehörgang dringenden Schallwellen dämpfen. Doch das ist leider noch nicht alles, was abzumildern ist. Ungedämpft bleibt nämlich die Knochenleitung, das ist die Übertragung der Schallwellen über den Schädelknochen auf das Innenohr.
Auch die Lebensdauer der Stöpsel lässt zu wünschen übrig. Vor allem Modelle, die vor dem Einführen in den Gehörgang zwischen den Fingern zusammengerollt werden müssen, verschmutzen so schnell, dass man laufend wechseln muss.
Wer nicht ständig nachkaufen will, sollte überlegen, ob sich die Anschaffung einer individuell geformten Otoplastik lohnt. Die passt genau, lässt sich abwaschen und hält mehrere Jahre.
Fazit: Für Jagd bzw. Schießstände im Freien bieten die Stöpsel guten Schutz – wenn sie passen. Daher muss man einige Modelle testen und sofort wechseln, wenn man nicht zurechtkommt. Für Büchsenschießstände sind alle Im-Ohr-Gehörschützer nur bedingt geeignet, da die sie die Knochenleitung nicht dämpfen. Hier sind Kapselgehörschützer besser.
Kapselgehörschützer
Die Dämmleistung von Kapselgehörschützern ist eng mit ihrer Baugröße verbunden. Je dicker die Kapseln sind, um so besser schotten sie ab. Bis zum Exzess lässt sich das Spiel aber nicht treiben; denn dann würde man mit aufgesetztem Gehörschutz aussehen wie Micky Maus und durch keine Tür mehr passen.
Der Stöpsel Nachteil ist der Kapseln Plus: Sie dämmen auch die Knochenleitung, so dass das Innenohr noch besser geschützt wird. Ebenso entfällt bei ihnen das Gefummel im Ohr. Einfach aufsetzen, Bügelweite anpassen, fertig. Dafür sind sie aber relativ groß, zum Teil ganz schön schwer, und mancher Flintenschütze stößt sich mit dem Schaft die Kapsel vom Ohr.
Die Anweisung der Schießaufsicht, der Schwingenschlag der Enten, das Anwechseln der Sauen – all das kann man mit einem guten Kapselgehörschutz hören, der über ein eingebautes Mikrofon verfügt. Bei der Jagd muss man allerdings relativieren. Wind und raschelnde Blätter erzeugen ein unangenehmes Rauschen.
Bricht der Schuss, regeln ein Mikrochip oder eine spezielle Mechanik blitzartig ab, so dass man die Dämmwerte normaler Kapselgehörschützer erreicht. Diesen Luxus bezahlt man natürlich mit größeren Abmessungen, mehr Gewicht und auch mehr Scheinen, die über den Ladentisch wandern.
Das Angebot an Gehörschützern ist so reichhaltig, dass eine komplette Marktübersicht eher verwirrend als hilfreich wäre. Daher haben wir eine Modellauswahl getroffen, die die verschiedenen Bautypen mit ihren Vor- und Nachteilen skizziert. Folgende Kriterien wurden untersucht:
– Dämmleistung, sowohl im Labor als auch im praktischen Schießbetrieb,
– Tragekomfort,
– Handhabung.
Im Labor wurde mit jedem Modell ein Hörtest durchgeführt und die Kurve mit der des „nackten Ohrs“ verglichen. Objektive Aussagen fallen hier aber sehr schwer, da jeder Gehörgang und jede Ohrmuschel individuell ausgeformt sind. Das bedeutet, dass ein Norm-Stöpsel oder eine Norm-Kapsel dem einen besser und dem anderen eben schlechter passen. Dementsprechend steigen oder leiden Dämmleistung und Tragekomfort.
Jedes Produkt hat auf der Packung eine Angabe der Dämmwerte in dB(A) für verschiedene Frequenzbereiche. Sie werden mit H (High), M (Middle) und L (Low) bezeichnet. Im Labor zeigte sich, dass hier nicht geschummelt wird.
Alle Gehörschützer halten in etwa das, was die Packungsbeilage verspricht. Nur, wenn Stöpsel oder Kapsel eben nicht passen, fällt die Dämmung stark ab.
Tragekomfort und Handhabung wurden auf dem Schießstand und im Revier von mehreren Personen überprüft. Hier konnten natürlich auch weitere Erkenntnisse zum Dämmungsverhalten gewonnen werden; denn von der .22 Hornet über die 12/70 bis hin zur 7mm STW krachte es am laufenden Band.
Sowohl Stöpsel als auch Kapselgehörschützer dämpfen den Schussknall. Also, Gehörschutz rein oder drauf und – vor allem – drauflassen! Gerade auf dem Schießstand provoziert man mit ständigem Auf- und Absetzen, dass man doch mal einen „abbekommt“. Nur 100 Prozent Tragzeit bringen auch 100 Prozent Schutz.
Beim Kauf sollten Sie sich eingehend beraten lassen. Nur wer weiß, wo sie das Gerät nutzen, kann Ihnen optimal helfen. Achten Sie auch auf die angebenen Dämmwerte und das GS oder CE-Zeichen. Sie zeigen, dass das Modell sicherheitstechnische Bedingungen erfüllt hat. Und – der Gehörschutz muss passen. Der Preis ist nicht das Maß; denn lieber ein paar Mark weniger im Geldbeutel als tausend Haarzellen weniger im Ohr.