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Verehrt, verhasst, geschützt – Lautlose Jäger im Dunkel der Nacht

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Als Jäger offener und halboffener Landschaften dürfte die Schleiereule im nacheiszeitlichen, vorwiegend waldbestandenen Mitteleuropa zunächst nicht vorgekommen sein. Erst die menschliche Kultivierung der Landschaft eröffnete ihr neue Lebensräume. Doch entpuppt sich diese Kulturfolge zusehends mehr als Sackgasse

 

Mäuse, Mäuse und immer wieder Mäuse: In guten Mäusejahren sammelt sich im Nest ein wahrer Berg der Kleinnager. Das Weibchen konzentriert sich auf das Hudern der Jungen

Manfred Aulbur

Ein fauchend gellender Schrei zerreißt die Stille der Nacht. Mit lautlosem Flügelschlag, im fahlen Mondlicht nur als Schatten zu erkennen, huscht ein gewandter Flieger in die alte Scheune am Hof. Am nächsten Morgen weisen nur einige verräterische „Wollklumpen“ am Boden der Scheune auf die
Anwesenheit des heimlichen Untermieters hin.

Die Rufe und Gewölle sind in der Tat oft die einzigen Lebenszeichen, die man von der Schleiereule findet. Fast sämtliche Aktivitäten der gut taubengroßen Eule, von der Paarung bis zur Jagd, finden im Dunkel der Nacht statt. So ist es nicht leicht, die Lebensgewohnheiten dieses faszinierenden Beutegreifers kennen zu lernen.

Märchen und Mythen

Seit Urzeiten zieht eine fast magische Faszination der Eulen uns Menschen in ihren Bann. Die verborgene Lebensweise und das seltsam „menschliche
Gesicht“ waren Ausgangspunkte für eine weltweite und vielfältige Mythologie. In der Antike verehrt und geschützt, wurden sie im Mittelalter als verhext erbarmungslos verfolgt.

Den Eulen fiel später auch eine besondere Rolle in der Volksmedizin zu. Ihre stets weißen Eier sollten gegen Trunksucht helfen, ihr Hirn wurde gegen
Ohrenschmerzen verabreicht, und weitere Mittel z. B. gegen Beulen, Gicht und Fieber wurden aus verschiedenen Körperteilen gewonnen.

Eulenvögel wurden immer wieder mit dem Reich der Hexen, Zauberer und Weissager in Verbindung gebracht. Man sprach gerade Schleiereulen u. a. die Fähigkeit zu, das Wetter vorhersagen zu können. Es hieß, drei Tage nach einem Schleiereulenschrei beginne es zu regnen.

Das Lautrepertoire umfasst ein langanhaltendes schnarchendes Gekreisch sowie kläffende und fauchende Töne. Ihre Schreie sollten auch einer Schwangeren die Geburt einer Tochter sowie einer Jungfrau den baldigen Verlust ihrer Jungfernschaft ankündigen. Makabre und martialische Bräuche erstreckten sich noch bis an das Ende des vorletzten Jahrhunderts: So wurden Eulen zum Schutz des Hofes vor Blitz und Hagelschlag mit ausgebreiteten Flügeln in die Giebel der Häuser genagelt.

Es gibt noch viele weitere Beispiele, die die große Rolle der Eulenvögel – insbesondere der Schleiereule – in der Welt der Sagen und Religionen belegen.
Und auch heute noch ist die wohl schönste der heimischen Eulen in der Lage viele Vogel- und Naturfreunde zu fesseln und zu begeistern. Schon seit 1920 kämpfen Vogelfreunde gegen ihren Rückgang und die noch immer teilweise bedrohlichen Vorurteile.

Akustische Ortung und lautlose Pürsch

Ihr herzförmiger, weißer Gesichtsschleier gibt der Schleiereule nicht nur ein artspezifisches Kennzeichen und anmutiges Aussehen. Seine Ausformung ist eine der wesentlichen Waffen bei der Ergreifung von Mäusen und anderen Kleinsäugern.

Bei Mondlicht ist die Schleiereule in der Lage, mit ihren lichtstarken Augen noch kleinste Bewegungen wahrzunehmen. Bei der nächtlichen Jagd jedoch spielt der Gesichtssinn nur eine untergeordnete Rolle. Die Schleiereule ist auch bei absoluter Dunkelheit erfolgreich. Dies verdankt sie dem reibungslosen Zusammenspiel von akustischer Peilung, lautlosem Flug und extremer Wendigkeit sowie Schnelligkeit im entscheidenden Moment.

Der erwähnte Schleier ist aus zwei Federformen aufgebaut: die inneren – die sogenannten Gitterfedern – lassen Geräusche ungehindert an die
hochempfindlichen Ohren gelangen. Die äußeren Federn und die Federn im Bereich des Schnabelrückens reflektieren und verstärken dagegen den Schall. Durch den parabolförmigen Aufbau des Schleiers entsteht ein „akustischer Radarschirm“, der die Eule befähigt, Geräusche genau zu orten. Versuche haben ergeben, dass die Präzision dieser Ortung die bekannte Echolotpeilung der Fledermäuse noch übertrifft. Die Hörschwelle der Eulen liegt im Vergleich zum menschlichen Ohr um etwa 15 bis 25 dB tiefer, so dass für uns Menschen bereits nicht mehr hörbare Geräusche noch deutlich wahrgenommen werden.

Ein guter Jäger beherrscht die lautlose Pürsch. Die Schleiereule zählt mit ihren Familienverwandten fraglos zu den Meistern dieser Jagdart. Durch eine kammartige Struktur an der Hinterkante jeder Schwungfeder werden die normalerweise entstehenden Fluggeräusche fast gänzlich geschluckt. Rüttelnd steht die Eule in der Luft über ihrer Beute, die ihrerseits keine Chance hat, den nahenden Feind zu bemerken. Wie aus dem Nichts stößt die Eule zu, bindet die Beute mit ihren Krallen und tötet sie durch einen gezielten Genickbiss.

Überall zu Haus und doch bedroht

Schleiereulen sind fast auf der ganzen Welt beheimatet, wo sie in neun eng verwandten Arten auftreten. Ihre Unterseite ist fast weiß, hellgelb oder -braun und mit graubraunen tropfenförmigen Punkten überzogen, ebenso wie ihre braune Oberseite.

Ursprünglich brüten Schleiereulen in zerklüfteten Felswänden und sonstigen natürlichen Höhlen und Nischen. Mit der Besiedlung der Landschaft durch den Menschen sind sie ihm jedoch z. B. in Scheunen und Kirchtürme gefolgt. Hier benötigt sie möglichst dunkle, störungsfreie Nischen mit freier
Anflugmöglichkeit.

Je moderner die Bauten jedoch im Laufe der Zeit wurden, desto mehr verschwanden gerade diese ungestörten Brut- und Ruheplätze. Um z. B. Kirchtürme vor Taubenkot zu schützen, wurden die Einflüge vergittert und gingen damit zusätzlich für die Schleiereulen verloren. Der Umstand, dass Schleiereulen auch künstliche Nistkästen annehmen, hat Eulenschützer in die Lage versetzt, dem drastischen Rückgang der Art zumindest hinsichtlich geeigneter Nistgelegenheiten ein wenig entgegenzuwirken.

Etwa ab Anfang März kreist das Männchen über dem Brutplatz und versucht das Weibchen mit seinen Balzrufen zur Bruthöhle zu locken. Obwohl Schleiereulen monogam in Dauerehen leben und daher die „Fronten“ eigentlich geklärt sind, ist das zum Teil recht laute Balzverhalten vor jeder Brut zu beobachten. Doch auch die anschließende Brut- und Aufzuchtszeit bietet eine Vielzahl erstaunlicher Verhaltensweisen.

Die Brutzeit beginnt etwa Mitte April, meistens jedoch im Mai. Durchschnittlich werden vier bis acht Eier ausschließlich vom Weibchen bebrütet. In guten Mäusejahren werden sogar bis zu 15 Eier gelegt und Zweitbruten bis in den September hinein beobachtet. Bei Nahrungsmangel hingegen findet mitunter keine Brut statt.

Die Brutzeit umfasst etwa 30 bis 34 Tage. Das Weibchen brütet bereits vom ersten Ei an. Erstreckt sich die Eiablage über einen längeren Zeitraum, sind die Altersunterschiede der Jungeulen entsprechend groß. In der Brut- und Aufzuchtszeit versorgt das Männchen zunächst das brütende Weibchen und später auch die Jungvögel mit Nahrung. Nach etwa 40 Tagen verlassen die Jungeulen die Brutnische und beginnen nach weiteren rund 25 Tagen kurze Strecken zu fliegen.

Harte Zeiten für leise Jäger

In guten Mäusejahren ziehen die Elterntiere bis zu 17 Junge auf. Eine „Eulenschwemme“ droht jedoch nicht, da andererseits in harten Wintern
gebietsweise bis zu 80 Prozent der vorhandenen Population eingehen können. Doch auch hier besteht für Jäger und andere Naturfreunde die Möglichkeit, der Schleiereule zu helfen. Bedeckt im Winter eine dichte Schneedecke die Landschaft, wird es für alle Eulen schwer, bei ihren Jagdflügen noch Kleinsäuger zu erbeuten. Das Gros ihrer potentiellen Beutetiere bewegt sich dann unter der weißen Pracht. Einfach angelegte Mäuseburgen – z. B. aus Strohballen und etwas Kaff – können ihnen die Futtersuche wesentlich erleichtern.

Noch effektiver wird diese Schutzmassnahme, wenn in der Nähe der Mäuseburg eine kleine Fläche schneefrei gehalten wird, auf der Getreidekörner zum Ankirren der Mäuse ausgebracht werden. Die Schleiereule, aber auch Stein- und Waldkauz sowie die Waldohreule gewöhnen sich sehr schnell an den gut gedeckten Wintertisch. Die unverdaulichen Reste der Beute werden von Zeit zu Zeit in Form der eingangs erwähnten Gewölle wieder ausgeschieden. Untersucht man diese Speiballen, lässt sich der Speiseplan der heimlichen Untermieter weitgehend rekonstruieren. Das Beutespektrum der Schleiereule umfasst Kleinsäuger bis Wanderratten- und Feldhamstergröße. Deutlich dominiert wird ihr Speiseplan jedoch von der Feldmaus. Gelegentlich werden auch Kleinvögel erbeutet.

Kleinbäuerliche Strukturen fördern

Kann man dem Mangel an Brutplätzen noch ein wenig Einhalt gebieten, stehen Naturschützer der gravierendsten Bedrohung der Schleiereule fast mit gebundenen Händen gegenüber. Ein Jäger, der auf Mäuse und Kleinsäuger von niedrigen Ansitzwarten aus jagt, ist auf eine reichhaltig strukturierte, kleinparzellierte Landschaft angewiesen.

Der Verhaltensforscher Wolfgang Epple, der die Bio- und Ökologie der Schleiereule über sieben Jahre lang intensiv untersucht hat, bezeichnet sie als
„ausgeprägten Nutznießer kleinbäuerlicher Bewirtschaftungsmethoden“. Die Wege, die die Landwirtschaft und diese Eulenart über Jahrhunderte hindurch
gemeinsam gegangen sind, liefen in der jüngeren Vergangenheit mehr und mehr auseinander. Die Kulturfolge entpuppt sich (nicht nur) für die Schleiereule immer mehr als Sackgasse.

Nicht nur zum Schutz dieser heimlichen Eulenart sollten Relikte kleinbäuerlicher Strukturen gepflegt und wo irgend möglich wieder hergestellt werden. Auch biotopverbessernde Maßnahmen seitens der Jägerschaft sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Hierbei können auch gezielte Maßnahmen zum Eulenschutz durch die Schaffung von Ansitzmöglichkeiten in der Nähe kleiner Brachflächen oder durch ein verbessertes Angebot an Nistmöglichkeiten – vorrangig in alten Scheunen – einfließen.

Kein anderer Naturschutzverband hat wie die Jägerschaft die Möglichkeit einer fast flächendeckenden Einflussnahme! Wenn wir die Bedeutung des Natur- und Artenschutzes nicht endlich als vorrangiges Ziel erkennen, wird auch dieser anmutige, nächtlich-heimliche Untermieter lautlos wie sein Flug aus unserer Kulturlandschaft verschwinden.

 


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