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Nomade des Nordens

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Andreas Kieling: Berufsjäger, Tierfilmer, Abenteurer

Um die packenden Bilder von Elchen im Indian Summer, Bären beim Lachsfang und kämpfende Moschusochsen zu fotografieren, gibt es nur einen Weg: Der Fotograf muss zum Greifen nah an das Wild heran. Kaum einem gelingt das so gut wie Andreas Kieling und kaum einer riskiert dabei so viel wie er.

 

Ständig auf der Suche nach neuen HErausforderungen, immer auf der „Jagd“ nach der besten Szene

Die Narbe auf seiner Wange spricht Bände: Der Keiler kam schnell und ohne Vorwarnung. „Noch ehe ich mich versah, hatte er mich umgerannt und mit dem Gewaff die Wange aufgeschlitzt“, erzählt Andreas Kieling und schmunzelt heute: „Ich habe gar nicht gemerkt, wie mir das Blut von der Wange lief und habe einfach weitergefilmt.“ Erst später, auf dem Weg ins Krankenhaus, wird ihm mal heiß, mal kalt, mal schwindelig. Die sensationellen Bilder, die während dieser Filmaufnahmen bei der Rauschzeit in einem Eifelrevier geschossen wurden, konnten WILD UND HUND-Leser schon in WuH 24/1999 bewundern.

Obwohl er mittlerweile um die halbe Welt gereist ist und ständig an gefährliches Großwild hautnah herankommt, ist der Keiler-Schmiss die einzige Wunde, die er bis heute davon getragen hat – die einzige Wunde, die ihm Tiere zugefügt haben. Bei seiner Flucht aus der ehemaligen DDR 1976 wurde er angeschossen – das Projektil verfehlte nur knapp seine Wirbelsäule. Auch das hinterlässt Narben, vor allem in der Seele.

„dicht an das Wild heran“

Im Westen fing er dann völlig neu an. Drei Jahre fuhr er zur See, gab das wieder auf und machte danach eine Berufsjägerlehre, die ihn auch in das ehemalige WuH-Versuchsrevier Lanze führte. Später landete er im Revier Hümmel in der Eifel bei einem großen Bekleidungsfabrikanten. „Dort musste ich immer piekfein angezogen sein“, lacht der 42-Jährige, „aber ich habe nie auch nur ein Hemd oder eine Hose von meinem Chef bekommen.“

Noch heute wohnt er mit Frau Birgit, den Söhnen Erik und Thore sowie der Hannoverschen Schweißhündin „Cita“ in Hümmel. Aber obwohl er – wenn er Mal zu Hause ist – heute ab und zu noch Nachsuchen durchführt, war das Berufsjäger-Dasein nichts für den abenteuerlustigen Naturfreak, und er machte sich mit seiner Film-Produktionsfirma Viking-TV selbstständig.

Damit konnte er sich einen Traum verwirklichen: das Leben im hohen Norden, vor allem in Alyeska, dem „weiten Land“ wie die Ureinwohner Alaska früher nannten. Hier findet er das, was ihm Deutschland nur bedingt bieten kann: Themen für spektakuläre Tierfilme vor einer packenden Kulisse. „Alaska ist das Land der großen Gefühle“, schwärmt der in Gotha geborene Thüringer und seine Stimme bekommt dabei den eigenartig sanften Klang, den viele, die ihn kennen, sofort mit ihm verbinden.

Heute verbringt er mehrere Monate im Jahr getrennt von Heimat und Familie im hohen Norden und lebt dort wie ein Nomade, immer auf der Suche nach den besten „Jagdgründen“ für seine Kamera. Meistens allein, manchmal mit einem Kamera-Assistenten. Aufnahmen von Elchen in der Alaska Range, von Moschusochsen auf der North Slope, von Bären auf der Alaska-Peninsula – wo das Wild ist, ist auch er. Mehrere Monate auf sich gestellt, bei Schneestürmen und minus 40 Grad im kleinen Fjällräven-Einmann-Zelt – „das ist hart“, erzählt Andreas Kieling. Dazu kommt die Einsamkeit und die Gefahren durch seine „Filmobjekte“. Als er einmal eine Elchkuh mit ihrem Nachwuchs filmen wollte, nahm sie ihn an. Nur der Sprung hinter eine Zitterpappel rettete ihn. „Elche sind viel gefährlicher als manche denken. Bullen in der Brunft und Kühe mit Kälbern sind unberechenbar“, und er ergänzt: „Im Norden kommen mehr Menschen durch Elche zu Schaden als durch Bären.“

Zu den Bären hat er übrigens ein ganz besonderes Verhältnis. Einerseits ist es sein Lieblingswild, anderseits hat er mit ihnen Situationen erlebt, die nachdenklich stimmen. Er erzählt die Geschichte von seinem japanischen Freund Michio Hoshino, dem berühmten Fotografen. Hoshino fotografierte 1996 auf Kamschatka im äußersten Osten Sibiriens Braunbären. Im Bärengebiet übernachtete die Filmcrew in einer Holzhütte, und da der Platz drin knapp war, schlief der National Geographic-Fotograf als einziger in einem Zelt. In der Nacht drang ein Bär ein und tötete ihn. „Obwohl Michio lange geschrien hat, kam keiner der Begleiter zu Hilfe. Es muss schrecklich gewesen sein“, erzählt Kieling bedrückt. Nach fünfstündiger Suche fand man am nächsten Tag die Überreste des Fotografen. Hoshinos Maxime „dicht an das Wild heran“ wurde auch die Maxime von Andreas Kieling.

Hierbei profitiert er natürlich von seinen Jagderfahrungen, beim Anpirschen von Wild. Kieling: „Irgendwie ist das Filmen sowieso eine Form der Jagd“, und Jagdfieber habe er „heute noch“, egal, ob er sich mit seiner 70 000 Euro teueren Film-Ausrüstung an Wild heranpirscht, oder ob er mit Pfeil und Bogen Karibus jagt oder sich ein Schneehuhn für die Pfanne schießt. Verlassen tut er sich dabei auf seine Instinkte, und „die werden in der Wildnis wieder wach“, sagt der Naturmensch, „in der Einsamkeit, wenn man in lebensbedrohlichen Lagen ist, oder wenn man Großwild gegenübersteht.“

“ Klappern gehört zum Handwerk“

Als er nach dem Tod seines Freundes zwei Monate später die Aufnahmen vom „Taucher“ machte, musste er immer wieder an den Unfall denken. Der „Taucher“ war der stärkste und einer der bekanntesten Bären im Katmai-Park. Sein Name stammte von der Angewohnheit, nicht nur nach Lachsen zu fischen, sondern richtig zu tauchen. Als erster lieferte Andreas Kieling Unterwasser-Aufnahmen von diesem Braunbären. Dazu musste er ebenfalls tauchen und so nah an den Drei-Meter-Riesen heran, dass selbst Kieling manchmal ein „mulmiges Gefühl“ hatte. Für Ihn lässt sich die Gefahr im Umgang mit Großwild aber einschätzen. Er investiert viel Zeit und versucht den Charakter eines Tieres zu ergründen, bevor er ein Risiko eingeht. „Mit der Zeit lernt man das“, sagt er selbstsicher.

Bei seinem letzten Film, der bezeichnenderweise „Nomaden des Nordens“ hieß und im ZDF gesendet wurde, rückte ihm ein Eisbär gefährlich nah auf den Pelz. „Ich wusste gleich, der wollte an mein Essen. Es war eine brenzlige Situation. Bei Braunbären muss man schon aufpassen, aber Eisbären sind noch unberechenbarer.“ Klappern gehört zum Handwerk dachte sich wohl Andreas Kieling in dieser Situation und schlug den hungrigen Bären in die Flucht, indem er einfach mit dem Ess-Geschirr krach schlug. Später wurde er bei den Aufnahmen einer Moschusochsen-Herde von einem Bullen fast in den Boden gestampft. „Berufsrisiko“, sagt der Tierfilmer mit etwas Gleichmut in der Stimme.

Und während Sie diese Zeilen lesen, führt Andreas Kieling wieder ein Nomaden-Dasein. Irgendwo in Alaska, an der Beringsee, ist er auf der Suche nach neuen Abenteuern und den Bildern davon, die jeden in ihren Bann ziehen.

Um einen 45-Minuten Film zu drehen, benötigt er etwa zwei Jahre für alle Aufnahmen. Und nicht selten riskiert er dabei sein Leben

 

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