Die menschliche Nase ist dem Geruchs- vermögen der meisten Haarwildarten hoffnungslos unterlegen.Unsere Kommunikation setzt deshalb weitgehend auf Optik und Sprache.
Dachse dagegen lassen auch Düfte sprechen.
Leichte Erregung. Der sonst glatte Pürzel wirkt wie ein kleiner Staubwedel |
von Jürgen Huhn
Noch zeigt sich der Wald im winterlichen Kleid, doch die milden Temperaturen der letzten Tage haben der weißen Pracht schon zugesetzt.
Für den Dachsrüden vom „Großen Hangbau“ ist es Zeit, sein Revier einer quasi neujährlichen Inspektion zu unterziehen. Vor allem die Grenzen müssen durch spezifische Duftstoffe gegenüber Konkurrenten wieder kenntlich gemacht werden.
Damit beginnt erneut ein vielfältiger Informationsaustausch unter den Dachsen – ein hochinteressantes, für uns Menschen aber kaum fassbares Verhalten.
Doch gemeinsam mit meinen zwar handaufgezogenen, aber völlig frei lebenden Dachsen war es möglich, einige dieser Signale nachvollziehbar zu machen.
Der Grenzverlauf eines Territoriums wird durch besondere Grenzstellen angedeutet. Sie werden an (für Dachse) markanten Stellen wie Waldrändern und Wegekreuzungen angelegt und bestehen meistens aus mehreren etwa zehn Zentimeter tiefen Erdgruben.
Zwei dieser einige hundert Meter voneinander entfernt liegenden Stellen hatte der Rüde vom Hangbau bereits aufgesucht und dabei einzelne Gruben ausgehoben. In keiner dieser Gruben aber entdeckte ich einen sichtbaren Inhalt.
Neueste Nachrichten – ein Dachsrüde als Scout
Noch am späten Abend folgte ich meinem Dachsrüden, der diese Grenzorte bereits aus dem letzten Jahr kannte und mich prompt zu ihnen führte.
Schon auf etwa zehn Meter Entfernung befiel ihn eine gewisse Unruhe, und die langen Deckhaare des Pürzels, sonst glatt anliegend, stellten sich fast fächerförmig auf – ein Zeichen großer Erregung.
In die erste Grube steckte er den Kopf hinein und las etwa acht Sekunden lang völlig bewegungslos die Duftinformation des „Fremden“.
Dann überlief er die Grube, blieb mit dem Hinterteil darüber stehen und gab Sekret- und Urintröpfchen in die Grube ab. Durch gleichzeitiges Kratzen mit den Hinterläufen wurden die Flüssigkeiten in der Grube verteilt.
Damit war die „Nachricht“ des Wilddachses wohl beantwortet. Kurz darauf scharrte der Dachsrüde selbst eine Grube und reicherte diese auf die gleiche Weise mit Duftstoffen an. In den folgenden Nächten führte mich mein Rüde zu drei weiteren, recht verborgenen Grenzstellen, die ich alleine nie gefunden hätte.
Ein Versuch, mit ihm eine weitere bekannte Grenzstelle des wilden Nachbarn aufzusuchen und zu diesem Zweck eine Abkürzung durch das fremde Revier zu nehmen, scheiterte. Er war partout nicht bereit, mir durch das Territorium des Wilddachses zu folgen.
Ein ähnliches Verhalten zeigten in dieser Jahreszeit auch andere, später von mir aufgezogene Rüden verschiedener Alterstufen.
In der übrigen Zeit des Jahres betraten sie das fremde Revier ohne weiteres über die Grenzstellen hinweg.
Zur Ranz muss die Duftkombination gegenüber fremden, ebenfalls paarungsbereiten Rüden also eine zusätzliche, warnende Information beinhalten. In den Sommermonaten werden die Grenzstellen nur gelegentlich aufgesucht und kontrolliert. Man pflegt eine gute Nachbarschaft, die sich u. a. in gegenseitigen, völlig friedlichen „Besuchen“ äußert.
Ebenfalls sehr auffällig war, dass von mir aufgezogene Fähen die Grenzstellen zwar intensiv bewindeten, sich aber nur sehr selten am eigentlichen Markieren oder am Ausheben von Gruben beteiligten. Das Territorialverhalten der Rüden ist deutlich stärker ausgeprägt.
Die Grenzstellen sind keine Kotplätze. Der ganz überwiegende Teil der Gruben ist abgesehen von den Duftsignalen leer. Die eigentlichen Kotplätze – die sogenannten „Dachsabtritte“ – liegen in Baunähe; denn auch Dachse verspüren nach langem Tagesschlaf das Bedürfnis, sich möglichst schnell lösen zu können.
Das Dachsrevier, je nach Nahrungsangebot etwa zwischen 100 und 250 Hektar groß, wird von einem weit verzweigten Pfadsystem durchzogen. In Baunähe sind die ausgetretenen Pässe noch gut erkennbar. Weiter vom Bau entfernt werden sie merklich schwerer nachvollziehbar oder gehen in „allgemeine“ Wildwechsel über.
Diesen vertrauten Pässen folgen die Grimbärte meist im Trab in die bevorzugten Nahrungsgründe – oder, bei Gefahr, in erstaunlich schnellen Fluchten zum Bau zurück.
Dass Wilddachse auf diesen Pfaden markieren, konnte ich nur zweimal beobachten. Auch meine Zöglinge, die ihrerseits ebenfalls solche Wegesysteme fast ständig nutzen, setzten nur nach der Winterruhe Markierungen auf diesen Pfaden ab. Später nur noch in Ausnahmefällen. Sobald sie aber abseits der Wege durch das hinlänglich bekannte eigene Revier streifen, markieren sie deutlich häufiger, z. T. in Frequenzen von etwa 25 Sekunden.
Es gilt z. B. bestimmten Grasbüscheln, am Boden liegenden Ästen oder kleinen Erdhaufen, die jede Nacht erneut markiert werden. Offenbar handelt es sich hierbei um wichtige Orientierungspunkte für den Revierinhaber selbst und um Hinweise für durchziehende, fremde Artgenossen.
Darüber hinaus werden aber auch zahllose Duftmarken irgendwo am Boden hinterlassen. An diesen, über das ganze Territorium verteilten Markierungen zeigen die Dachse – im Gegensatz zu den Orientierungspunkten – später keinerlei Interesse mehr. Es handelt sich lediglich um „vertrauensbildende Maßnahmen“.
„Stempeln“ schafft Vertrauen
Die Duftstoffe werden in einer Drüsentasche unterhalb der Pürzelwurzel produziert und mit einer nach Moschus riechenden Trägersubstanz abgegeben. Zur Ranz ist das fettige Sekret dunkelbraun, sonst weißlich. Die Drüsentasche wird mehrere Sekunden genau auf den zu markierenden Geländepunkt gedrückt – der Dachs stempelt.
Diese Duftstoffe dienen auch der Festigung sozialer Bindungen zwischen Artgenossen. Immer, wenn sich meine Dachse im Revier begegnen, tauschen sie, quasi als Begrüßung, stempelnd bestimmte Duftmarken aus. So entsteht für jede Familie oder Sippe ein charakteristisches Duftgemisch. Auch ich, als ehemaliges Elterntier und Sippenmitglied, bekommme bei jedem Treff einen gut sichtbaren, duftenden Stempel auf den Stiefel.
Neben den genannten Markierungen legen Dachse in ihrem Territorium in geringer Zahl auch „Schürfstellen“ an, kleine, flach ausgekratzte Mulden, die wie die Gruben an den Grenzstellen behandelt werden. Vielleicht mit ähnlichen Informationen, aber weniger wichtig?
Im Gegensatz zum Revierverhalten ist das Imponiergehabe der Grimbärte – auch eine Form der Information – weitgehend durchschaut. Dachse sind sehr verspielt. Selbst adulte Tiere zeigen im Revier noch ein erstaunliches Maß an Spielfreude und -ausdauer.
Sich im Galopp längere Zeit wechselweise verfolgend, stellen sie die gesamten längeren Deckhaare (außer am Kopf) fast senkrecht auf. Einer Kugel nicht unähnlich und viel größer und stärker wirkend, versuchen sie, den Spielpartner zu beeindrucken. Ähnlich reagieren Dachse bei plötzlichen, ungewohnten
Geräuschen. Diese Warnung wird dann durch schnell hintereinander ausgestoßene Grunzlaute verstärkt.
Dagegen äußern sich Erregungszustände, z. B. in der Ranz, in einer fremden Umgebung nur durch das Aufstellen der Deckhaare am Pürzel, der dann wie ein ausgefranster Pinsel aussieht.
Noch von manch interessantem Verhalten wäre zu berichten, doch ist es noch zu früh, um diese Ergebnisse vorbehaltlos auf Wilddachse übertragen zu können.
Entscheidend ist und bleibt, dass sich die handaufgezogenen Tiere unter natürlichen Verhältnissen und völlig frei im Revier bewegen können und den Beobachter in ihrer Nähe dulden.