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Niederwild in 1000 Jahren: Die Underdogs

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Waren Sie schon einmal auf einer Hegeschau, in deren Rahmen intensiv und praxisorientiert die Lage des Niederwildes – außer Rehwild – erörtert wurde? Nein? Dabei haben Hase und Rebhuhn, Fasan und Wildkaninchen die Aufmerksamkeit der Jägerschaft nötiger denn je zuvor.

 

von Anja Roese-David, Andreas David

Im Jahre 1936 konnten wir in nur zwei Tagen mit sechs Schützen über 1200 Hühner erlegen – trotz Dauerregens und peitschenden Windes am zweiten Tage, der die Hühner außergewöhnlich schnell kommen ließ!“, so C. F. Graf von Pückler-Burghauß in „Büchsenknall und Hörnerklang“ (Verlag Paul Parey, 1989).

Ebendort schildert W. Siedschlag eine schlesische Treibjagd im Jahre 1928, bei der „außer 200 Fasanenhähnen auch über 1000 Hasen zur Strecke kamen“. Anschließend merkt der Autor noch an, dass es sich hierbei aber keinesfalls um ein einmaliges Erlebnis handelte.

Unvorstellbar – oder? Nun soll man nicht im Übermaß „alten Zeiten“ nachhängen, doch lohnt es sich stets von neuem, die Ursachen und Umweltverhältnisse, die solche Strecken ermöglichten, zu beleuchten und zu hinterfragen. Wie war das möglich? Waren unsere Vorfahren einfach die besseren Jäger und Heger?

Niederwildparadiese

Ohne das jagdliche Können unserer Ahnen schmälern zu wollen, dürften sie zumindest nicht wesentlich „mehr drauf“ gehabt haben als heutige Jägergenerationen, vielleicht weniger.

Speziell auf dem Niederwildsektor fiel ihnen aber einiges in den Schoß. Sie profitierten vor allem von der Entwicklung menschlicher Landnutzung, besonders der Landwirtschaft, die den klassischen Niederwildarten der Feldflur optimale Umweltbedingungen schuf.

Speziell dem Feldhasen und Rebhuhn eröffnete die Form der Landnutzung für geraume Zeit geradezu paradiesische Zustände. Ihre Besätze erreichten Höhen, die jene in ihren ursprünglichen Steppenlebensräumen weit übertroffen haben.

Was war passiert? Zunächst ließ der oft beschriebene, nacheiszeitlich entstandene und später weitgehend lückenlos vorhandene „Deutsche Wald“ den sogenannten Offenlandarten kaum Entfaltungsmöglichkeiten. Rebhuhn und Hase waren als ursprüngliche Steppenbewohner nicht oder nur regional vorhanden, wenn überhaupt aber noch weit seltener als heute.

Erst mit der beginnenden Waldrodung und der Ausbreitung von Ackerflächen begann der Feldhase von Südosten her als Kulturfolger Mitteleuropa stärker zu besiedeln. Gleiches gilt für das Rebhuhn – doch erfolgte seine Ausbreitung ganz überwiegend aus dem Osten, vornehmlich aus Russland. Beide Arten reagierten auf die zunehmende Kultivierung mit weiträumigen Arealerweiterungen und steigenden Besätzen.

Als der Holzbedarf durch die Industriealisierung sprunghaft anstieg, erreichte die im Mittelalter einsetzende großflächige Waldvernichtung im 19. und 20. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Köhlereien, Glashütten, Bergwerke und Salinen verfeuerten riesige Mengen Holz.

Hinzu kam, dass im 16. und 17. Jahrhundert die Bevölkerungszahl steil anstieg, so dass die Nahrungsmittelproduktion nicht Schritt halten konnte. Die Versorgungssituation verschlechterte sich, die Agrarpreise stiegen an.

Die folgenden Landwirtschaftsreformen im 18. und 19. Jahrhundert führten zu weiteren weitreichenden Veränderungen. Ackerbaulich nicht genutzte Flächen, z. B. Feuchtgebiete, wurden durch Meliorationsmaßnahmen urbar gemacht.

Aus England wurde eine intensive Fruchtwechselwirtschaft importiert, die auch die „Besömmerung“ der Brachen aus der Dreifelderwirtschaft umfasste, den Anbau von z. B. Kartoffeln und Rüben oder aber Klee als Futterpflanze auf den bis dahin brachliegenden Feldern.

Durch das weitere Zurückdrängen der Wälder und die Vergrößerung der landwirtschaftlich genutzten Fläche mit relativ kleinen Feldern, die häufig noch durch Hecken, Gräben oder Raine getrennt waren, wurde eine strukturreiche, offene Landschaft geschaffen, in der aus heutiger Sicht geradezu unglaublich viele Tier- und Pflanzenarten geeigneten Lebensraum fanden.

Zahlreiche Spezies sind erst mit dem Ackerbau, oft aus Südost-Europa und Vorderasien, eingewandert. So stieg die Artenzahl stetig an und erreichte etwa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt.

Dies war auch die Blütezeit von Feldhase, Fasan und Rebhuhn. Ein Zustand, der bis weit in das 20. Jahrhundert anhalten sollte, wie zahlreiche Streckenmeldungen und Jagderzählungen belegen.

Eröffnete die Landwirtschaft bis dato neue Lebensräume, so wurde sie durch ihre rasante Veränderung und Intensivierung in den letzten etwa 45 Jahren zur Hauptrückgangsursache für viele, heute bedrohte oder ausgestorbene Arten – gemeinsam mit dem Flächenverlust für Siedlungs- und Industrieräume oder Verkehrswege.

Ende der Paradiese

Die landwirtschaftlichen Betriebe entwickelten sich vielfach unter dem kommerziellen Druck des „Wachsen oder Weichen“, und die agrarische Entwicklung in dieser Zeit ist zu weit gefasst, als dass man sämtliche Faktoren, die für den Artenrückgang hauptsächlich verantwortlich sind, hier aufzählen und erläutern könnte. Nur einige sollen beispielhaft genannt werden.

  • Fortschreitende Mechanisierung: Immer schnellere und immer größere Maschinen und Geräte kommen zum Einsatz. Die Landschaft verändert sich großflächig in kürzester Zeit (z. B. Ernteschock), viele Tiere werden direkt getötet oder verletzt. Der plötzliche Verlust, zumindest an geeigneter Deckung, ist immens
  • Beregnung: Auf Böden mit geringer Wasserhaltekapazität werden die Felder bei Trockenheit beregnet, um einer Ertragsminderung vorzubeugen. Der künstliche „Dauerregen“ kann bei Bodenbrütern zur Aufgabe des Geleges führen oder, bei Nesthockern, zum Tod der Jungtiere, die durch die permanente Nässe auskühlen und verklammen.
  • Folienkultur: Beim Anbau von Frühkartoffeln hat sich gebietsweise die Folienkultur durchgesetzt. Nach dem Pflanzen der Kartoffeln werden die Felder mit Plastikplanen bedeckt, um die Feuchtigkeit und vor allem die so gespeicherte Wärme am Boden zu halten, um ein beschleunigtes Wachstum der Pflanzen zu sichern. Lokal oder regional bringt diese Praxis einen bedeutenden Lebensraumverlust für eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren mit sich – auch fürs Niederwild.
  • Umbruch der Stoppelfelder: Der meist unmittelbar nach der Ernte erfolgende Umbruch der früher oft monatelang liegenbleibenden Stoppelfelder verursacht im Herbst und Winter einen Mangel an Nahrung und Deckung für viele Tiere – auch fürs Niederwild).
  • Großflächige Monokulturen: Durch immer größere (rentablere!) Bewirtschaftungseinheiten geht zum einen die ursprüngliche Vielfalt verloren, zum anderen werden Grenzlinien in Größenordnungen vernichtet, die kaum mehr zu kompensieren sind. Es ist allgemein unstrittig, welch hohen Wert Grenzlinien für viele Tierarten haben – auch fürs Niederwild.
  • Das Gülleproblem: In Gebieten mit intensiver Viehhaltung bereitet die Beseitigung der in riesigen Mengen anfallenden Gülle große Probleme. Hier erweist sich z. B. die hohe Stickstofftoleranz von Mais als Vorteil. Sowohl auf die jungen Pflanzen als auch auf die Stoppel werden große Mengen Gülle ausgebracht. An nährstoffarme Böden angepasste (evtl. wichtige Äsungs-) Pflanzen werden verdrängt. Fast alle Wildtiere meiden die so behandelten Flächen – auch das Niederwild. Direkt besprühte Tiere verenden.
  • Flurbereinigung: Das einstige Motto der Flurbereinigung lautete: runde, kleinräumige Vielfalt gegen rechtwinklige großflächige Monotonie. Im Jahre 1983 wurden in der (alten) BRD 58,3 Prozent der auf der „Roten Liste“ befindlichen Pflanzenarten ganz oder teilweise der Flurbereinigung und ihren begleitenden Maßnahmen angelastet (Peck 1983). Heute erfolgt die Flurbereinigung allerdings meist mit umgekehrten Vorzeichen.

Viele weitere Folgen oder direkte Auswirkungen der Landwirtschaft ließen sich an dieser Stelle aufführen. Zum einen darf aber nicht vergessen werden, dass diese Maßnahmen oder Entwicklungen vielfach auf rein wirtschaftlichen Zwängen basieren, zum anderen kommt heute ein völlig anderes schwerwiegendes Problem hinzu: ein bis dato unbekannter Feinddruck.

Raubwild in der Übermacht

Haarraubwild, Greif- und Rabenvögel in großer Zahl machen nicht nur dem Feldhasen, Rebhuhn und Fasan das Überleben schwer. Allein die Zahl der Rotfüchse in Deutschland hat Dimensionen erreicht, die schon lange nicht mehr „nur“ Sorgen um den Fortbestand der Niederwildbesätze mit sich bringen.

Längst sind auch spezielle Artenschutzprojekte, vor allem im Bereich der Bodenbrüter, in Gänze gefährdet. In nicht wenigen Revieren stieg die Fuchsstrecke in den letzten 25 Jahren um mehrere tausend Prozent!

Und spätestens nach den sehr harten Wintern am Ende der 1970er Jahre sind die Niederwildbesätze vielerorts nicht mehr in der Lage, angesichts der tiefgreifenden Umweltveränderungen und einer zuvor unbekannt hohen Zahl von Beutegreifer – inkl. des Schwarzwildes – selbst das Ruder herumzureißen.

An dieser Stelle seien die Aussagen von Dr. Jürgen Goretzki (Eberswalde) auf dem Bonner Feldhasensymposium 1999 zitiert: „Nach den vorliegenden Untersuchungen zu den Einflußgrößen auf das Niederwild und auf die Restpopulationen gefährdeter Arten, muss von einer dramatischen Zunahme des Beutegreifereinflusses ausgegangen werden.

Dieser Sachverhalt ist weder mit der Darwinschen Evolutionstheorie noch mit sensiblen, ins Metaphysische gehenden ökologischen Wunschvorstellungen von Selbstregulation erklärbar.

Die Einnischung opportunistischer Beutegreifer in die aktuell verfügbaren Lebensräume erfolgt völlig unabhängig von den Wunschvorstellungen des Menschen in Abhängigkeit von den ökologischen Rahmenbedingungen und der spezifischen Anpassungsfähigkeit der Art selbst. Diesen dynamischen Prozessen kann nicht mit statischen Denk- und Handlungsansätzen begegnet werden, die ihren Ursprung in zurückliegenden Jahrzehnten haben.“

Doch ist dies auch ein Problem der Jagd in Deutschland selbst. Die deutsche Jagd ist aktuell in hohem Maße schalenwildorientiert, woraus fraglos eine gewisse Wertigkeit abgeleitet werden kann. Eine Spätfolge der ‘48er Revolution?

In der Fläche ist die absolute Zahl der Jäger, die sich ernsthaft und aktiv(!) um den Fortbestand des Niederwildes bemühen – ihre Verdienste in allen Ehren – viel zu gering. Die erhoffte segensreiche Wirkung der Flächenstillegung blieb aus. Einzelpflanzungen von Feldgehölzen oder Hecken bleiben oft Augenwischerei.

Die jägerschaftsinterne Wertung der Wildarten wird allein durch die (gezahlten) Pachtpreise für Hochwildreviere überdeutlich. Wen scheren denn schon angesichts des „Hochkapitalen“ die letzten verbliebenen Hasen oder Rebhuhnbrutpaare?

Umdenken!

Noch immer wird Schwarzwild in der Hoffnung auf den starken Bassen in ursprünglich reine Niederwildreviere reingekirrt. Zu oft wird in der Erwartung anwechselnden Schalenwildes der Fuchs pardoniert.

Auch hier muss dringend ein Umdenkungsprozess stattfinden. Lippenbekenntnisse bringen Hase, Fasan, Rebhuhn und Wildkaninchen, auch wenn sich seine Lebensraumansprüche von den drei zuvor genannten Arten z. T. deutlich unterscheiden, weiter auf die Verliererstrasse – in eine Sackgasse ohne Wendeplatz.

Nur allzu oft und gern wird „am Stammtisch“ gegen die Landwirtschaft und über hohe Raubwildbesätze gewettert – fast ebenso oft hapert es aber an der eigenen praktischen Umsetzung des diesbezüglich gesetzlich Machbaren.

Lebensraumverbessernde Maßnahmen – auch auf relativ großer Fläche – wirken nur dann im erwünschten Sinne, wenn flankierend eine intensive Raubwildbejagung erfolgt. Hierfür gibt es mittlerweile genügend positive Beispiele.

Auch gibt es längst z. B. eine bundesweite „Arbeitsgemeinschaft Rotwild“, die sich für den großflächigen Fortbestand artgemäßer Strukturen und gegen die fortschreitende Isolation der Rotwildpopulationen einsetzt. Doch wo bleiben schlagkräftige und wirklich großflächig installierte Niederwildhegegemeinschaften?

Hier bietet sich der deutschen Jägerschaft eine große Chance, sich selbst zu beweisen. Möge der Sprung in ein neues Jahrtausend auch zu einem Sprung für die verbliebenen Restbesätze des Niederwildes werden. Unsere Nachfahren werden uns auch daran messen.

Die entscheidenden Faktoren für die Entwicklung der Niederwildbesätze waren damals wie heute der Lebensraum und der Feinddruck. Das Wetter, speziell zur Brut- und Aufzuchtzeit, ist zwar mindestens ebenso bedeutungsvoll, aber nicht zu beeinflussen.

Weitere potentielle Größen wie Wildkrankheiten, Geologie, Störungen, Jagd usw. vervollständigen das multifaktorielle Wirkungsgefüge um bzw. auf das Niederwild. Die Qualität des Lebensraumes und die Quantität potentieller Fressfeinde bleiben aber ausschlaggebend.

Natürlich gibt es Phänomene in der Populationsdynamik, die wir nicht erklären können. Doch ist dies ein allgemeinökologisches Problem. Ein spürbar verbesserter Lebensraum sowie ein deutlich geringerer Feinddruck ist das Machbare – und darum geht’s!

 


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