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Nachwuchs-Schwemme hausgemacht

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Schwarzwild in Deutschland

Die Vermehrungsfreudigkeit des Schwarzwildes führt allzu leicht zur Annahme, dass Sauen aufgrund günstiger Lebensbedingungen mehrmals im Jahr rauschig werden und Nachwuchs zur Welt bringen. SchwarzwildExperte Norbert Happ beleuchtet die Dauerrauschzeit kritisch und zeigt auf wie Jäger reagieren sollten.

 

Von Norbert Happ

Die ungeheure Zunahme der Schwarzwildstrecke in Deutschland führt zu vielfältigen Überlegungen und vor allem Äußerungen, woher dieser Anstieg und die damit einhergehende räumliche Ausdehnung der Bestände kommt, und wie die Regulation der Sauen zu bewerkstelligen ist. Dabei wird allgemein darüber geklagt, dass das Gefüge der Schwarzwildbestände und die biologischen Abläufe völlig in Unordnung geraten sind. Allenthalben hört man von Rauschen und Frischen rund um’s Jahr. Als Begründung dafür und für die Zunahme der Bestände werden in erster Linie die gute Fraßversorgung der Sauen durch sich ausweitenden Anbau von Mais und Raps, die häufig wiederkehrenden Masten, allerdings auch der Futtereintrag in die Reviere und die Klimaveränderung ins Feld geführt. Bei dem Thema „Zeigefinger des Jägers“ werden die Stimmen schon seltener.

Im Durchschnitt der Jahre 1936 bis 1938 kamen im Deutschen Reich damaligen Zuschnitts 10 100 Sauen zur Strecke. Die bisherige Rekordstrecke im heutigen Deutschland wurde im Jagdjahr 1999/00 mit fast 420 000 Stück Schwarzwild erreicht. Nach einem flachen Tal mit etwas über 350 000 Sauen 2000/01 werden wir beim abgelaufenen Jagdjahr 2001/02 mit einem neuen Rekordergebnis rechnen müssen. Darauf lassen jedenfalls einige Länderergebnisse schließen. Nicht ganz verständlich ist mir beim Organisationsgrad unserer Gesellschaft, dass die Bundesstrecke ein halbes Jahr nach Ende des vergangenen Jagdjahres noch nicht vorliegt.

Die meisten Einzeljagdsauen werden an Kirrungen geschossen

Aus der Erfahrung vor allem der letzten Jahrzehnte wissen wir, dass hohe Strecken bisher keinen Eingriff in die Substanz oder gar eine Reduzierung des Schwarzwildes bedeutet haben, sondern dass Strecke und damit auch Bestand, wenngleich in permanenter Wellenbewegung, immer weiter nach oben führen. Die Jahre mit niedrigerer Strecke sind meistens Mastjahre, wo die Einzeljagd geringere Ergebnisse bringt, da die meisten Einzeljagdsauen an Kirrungen geschossen werden. Diese werden in Mastjahren nicht oder kaum angenommen. Wir sind noch längst nicht so weit, dass das durch Bewegungsjagden kompensiert wird, obwohl das unbedingt so sein müsste. In diesen Jahren geht dann neben einer ohnehin durch die Waldmast ausgelösten Steigerung des Zuwachses noch seine unzureichende Abschöpfung einher. Gewaltige Schübe durch Zuwachs und Verzinsung nicht abgeschöpfter Zuwächse sind die unausbleibliche Folge.

Zunächst einmal muss man wissen, dass die Populationsdynamik des Schwarzwildes sich von der anderer Schalenwildarten grundsätzlich unterscheidet. Bezieht man bei allen anderen Schalenwildarten den Zuwachs auf den weiblichen Teil des geschätzten Frühjahrsausgangsbestandes zum 1. April, also dem Beginn des Jagdjahres, errechnet sich der Zuwachs des Schwarzwildes auf den Gesamtbestand vor dem Frischen. Diesen bezeichnet man als Grundbestand, der mit dem Jagdjahresbeginn nicht das geringste zu tun hat, da zu diesem Zeitpunkt die Sauen meist schon gefrischt haben.

Will man unbedingt in Anlehnung an den Jagdjahresbeginn einen Termin als Zeitbezugspunkt für das Schwarzwild haben – zum Beispiel für die ungemein wichtige Streckenstatistik – kann man den 1. Februar wählen, da dieser Termin in aller Regel vor dem Frischen liegt und als Beginn der Schonzeit für grobe Sauen ohnehin für das Schwarzwild und seine Bejagung von Bedeutung ist.

Da der 1. April ein für die Sauen unbedeutendes Datum ist, sollte man sich mit der sozialen Zuordnung der Stücke auch davon lösen und so verfahren, dass man eine Sau vom ersten Tag ihres Lebens bis zum letzten Tag ihres 12. Lebensmonats als Frischling und vom 13. Monat bis zum Ablauf des zweiten Jahres als Überläufer bezeichnet. Dann wird sie zur groben Sau, zur Bache oder zum Keiler.

Der Jahreszuwachs bezieht sich auf den gesamte Grundbestand

Um den Unterschied in der Populationsdynamik der Sauen zu den anderen Schalenwildarten deutlich zu machen, sollte man den Zuwachs der Sauen einmal mit dem der Rehe vergleichen, die nach den Sauen den höchsten Jahreszuwachs allen heimischen Schalenwildes haben. Sind am 1. April 100 Rehe mit einem Geschlechterverhältnis 1 : 1 im Revier, so hat man bei 50 weiblichen Stücken mit einem Zuwachs von 100 Prozent bezogen auf diesen weiblichen Teil, also mit 50 Rehen zu rechnen. Nach dem Abzug der natürlichen Jugendsterblichkeit hat sich der Sommerbestand von 100 auf 150 Stücke erhöht. Werden 50 Rehe entnommen – wie auch immer – bleibt das einigermaßen gleichmäßig so, wenngleich der Abgang an Jungwild von Jahr zu Jahr witterungs- und prädatorenbedingt Schwankungen unterliegt, die aber feldmäßig nicht erfassbar sind. Halten wir also fest, dass aus 100 Rehen in einem Jahr 150 werden.

Beim Schwarzwild beziehen wir den Jahreszuwachs nicht auf den weiblichen Teil des Bestandes, sondern auf den gesamten Grundbestand. Diese Art der Berechnung hängt damit zusammen, dass man es bei einem Schwarzwildbestand in der freien Wildbahn, selbst wenn er denn zählbar wäre, nie schaffen würde, die Geschlechter exakt auseinander zu zählen.

Der biologische Zuwachs, also die Produktion in den Wurfkesseln, erreicht eine Höhe von 150 bis zu 250 Prozent bezogen auf den Gesamtbestand. Nach den mitunter sehr hohen Frühabgängen bleibt selbst unter ungünstigsten Bedingungen immer noch ein jagdlich nutzbarer Zuwachs von 100 Prozent und bei für die Frischlinge günstigen Umständen bis zu 200 Prozent. Also wachsen zu 100 Sauen in einem Jahr 200 bis 300 dazu. Im Durchschnitt deutscher Reviere werden in einem Jahr aus 100 Sauen 250. Die durchschnittliche Wurfstärke der reproduzierenden Bachen aller Altersklassen kann mit 4 bis 5 Stück angegeben werden.

Welche Gründe gibt es für den starken Gesamtanstieg

Ein Schwarzwildgrundbestand verdoppelt sich in sieben Jahren, wenn sein Zuwachs nur zu 90 Prozent abgeschöpft wird, bei einer Unternutzung von 20 Prozent tritt die Verdoppelung in rechnerisch 3,5 Jahren, also praktisch in drei Jahren ein. Rechnet man einmal rein theoretisch einen Schwarzwildbestand von 100 Stück über fünf Jahre ohne jeden Abgang mit einem Zuwachs von 150 Prozent hoch, werden aus den 100 Stück 9800 Stück.

Welche weiteren Gründe neben der Populationsdynamik der Sauen gibt es nun für den so starken Gesamtanstieg der Schwarzwildbestände und die enormen jährlichen Schwankungen, die eine auch nur halbwegs korrekte Abschussplanung unmöglich machen? Und woher kommen die desorganisierten, die asozialen Schwarzwildbestände?

Die Bestände wurden sowohl von der Natur als auch vom Jäger reguliert

Die Zahl der ausgetragenen Föten und damit geworfenen Frischlinge ist in erster Linie abhängig von der Winterernährung der Sauen, ob man das nun wahr haben will oder nicht. Im Sommer frisst eine Sau sich immer satt, es fragt sich nur, wo sie es tut, beziehungsweise welchen Einfluss wir Jäger darauf ausüben. Krass ausgedrückt: Im Sommer weint sich keine Sau in unseren Breiten vor Hunger in den Schlaf.

Ganz anders sieht das im Winter aus. Da litten die Sauen früher durchaus schon einmal solche Not, dass auch ausgewachsene Stücke den Tod fanden, und mitunter nach strengen Wintern ohne vorausgegangene Waldmast die Anzahl der zur Welt gebrachten Frischlinge ganz gering war. Die Bestände wurden sowohl von der Natur als auch vom Jäger reguliert. In einer Zeit, als wir Menschen noch einen erheblichen Teil unserer Anstrengungen und Aufwendungen darauf zu verwenden hatten, satt zu werden und im Winter nicht zu frieren, wäre kein Mensch jemals auf die Idee gekommen, sein karges Brot oder seine Kartoffeln mit den ihm diese ohnehin streitig machenden Sauen zu teilen.

Wenn viel gut ist

Sehr genau kann ich mich erinnern, dass der bekannte Jagdschriftsteller Revierförster Otto Koke in seinem Buch „Das Jahr des Jägers“ beschrieb, dass er einer Bache, die er bei winterlicher Schneelage mit ihren Frischlingen am Wurfkessel entdeckt hatte, täglich ein paar Futterrüben auslegte. Das war eine damals wahrhaft revolutionäre Idee und Tat, deren Beschreibung er einigen Raum widmete. Wenn man den Sauen Futter vorlegte, dann ausschließlich, um sie bei der An- und Aufnahme zur Strecke zu bringen, man nahm etwas, dessen man selbst nicht entbehrte, beispielsweise einen Pferdekadaver. Ich selbst kann mich nicht erinnern, Kirrungen in den fünfziger und frühen sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts überhaupt irgendwo erlebt oder gar betrieben zu haben, wiewohl der Wunsch, einmal eine Sau zu erlegen, mir als heftiger Jugendtraum in lebhafter Erinnerung ist.

Wie anders ist das heute. Zunächst einmal kommen die Sauen aus üppigen Sommern mit Feldfrüchten aller Art aus schwer oder kaum bejagbaren großen Schlägen, von unzähligen Kirrungen und übertrieben beschickten Ablenkungsfütterungen bestens genährt in den Herbst und Winter. Es werden keine Erntereste mehr entfernt, es werden keine Ähren mehr gelesen und es wird kein Fallobst mehr gesammelt. Dann gibt es seit zwei Jahrzehnten sich jährlich in unterschiedlicher Intensität wiederholende Waldmasten. Ehedem gab es das alle drei, eher fünf oder sieben Jahre. Über die mutmaßlichen Gründe will ich mich hier nicht äußern. Fällt die Mast einmal durch Spätfrost oder durch Insektenfraß aus, springt sofort der Jäger in die Bresche, je nach landsmannschaftlicher Eigenart oder finanzieller Potenz mit dem Futtereimer, dem Anhänger oder gar Lastzug und greift dem Geschehen unter die Arme nach dem Motto: Wenn viel gut ist, muss mehr besser sein.

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In einer mir eng vertrauten großen Rotte warfen nachweislich einmal nach einem Mastwinter die reproduzierenden Bachen im Durchschnitt 4,5 Frischlinge und nach dem darauf folgenden mastlosen Winter ohne jegliche Zufütterung deren nur drei.

Es werden allenthalben neben Fütterungen aller Art, ob legal oder illegal, zahllose Kirrungen beschickt, die durchaus einzeln der Intuition entsprechen mögen, mit ganz wenig Futter die Sauen anzulocken, um so einen qualifizierten Abschuss tätigen zu können. Wenn aber in drei kleinen Revieren, in denen insgesamt eine Rotte Sauen herumgeistert, je fünf Kirrungen beschickt werden, fressen sich die Sauen in einer Nacht so satt, dass ihnen das Laufen schwer fällt. Dass man sich zusätzlich durch viele Kirrungen noch die Bejagung dieser Rotte eher erschwert als erleichtert, haben viele Waidgenossen ohnehin nicht kapiert.

Wiesenschäden werden geradezu provoziert

Eine Lanze möchte ich brechen für die im Sommerhalbjahr sachgerecht betriebene Ablenkungsfütterung: Tief im Walde, also fern von bestellten Feldern, mit einheimischem Getreide und mit nur soviel Futter versehen, dass die Sauen einen gewissen Grundbedarf decken können, vor allem ohne jegliche Bejagung, damit das Wild diese Einrichtung nicht mit einer Gefahr verknüpft, hat die Ablenkungsfütterung eine große Bedeutung für die Schadensvermeidung. Dass das Füttern von größeren Mengen Mais den Bedarf an tierischem Eiweiß fördert und Wiesenschäden geradezu provoziert, sei in diesem Zusammenhang nur am Rande erwähnt. Sicher erwiesen ist, dass an unbejagten Ablenkungsfütterungen Schwarzwildfamilien territorial gebunden sind und keine anderen Sauen zulassen. Stimmt die Sozialstruktur des Verbandes und wird dieser von einer erfahrenen Leitbache geführt, die die Gefahren des Lebens, vor allem des Feldes kennt, ist die Migration gering, was in Zeiten der Schweinepestgefahr besonders wichtig ist und was außerdem die Schäden minimiert.

Gesund und putzmunter

Der viel verbreitete Unsinn, sommerliche Ablenkungsfütterungen würden die Population antreiben, trifft auf richtig betriebene nicht zu. Hier ist nicht die Futtermenge, sondern der Beschäftigungs- und damit Ablenkungseffekt entscheidend. Bei der von mir betreuten Schwarzwildfamilie kann ich nachweisen, dass die Durchschnittsgewichte der Frischlinge der fast ausschließlich mit Druschabfall versorgten Rotte erheblich unter dem Frischlingsgewicht andere Rotten der Region liegt. Hier habe ich immer wieder Frischlinge, die beim Übergang ins Überläuferalter erst um die zwanzig Kilo oder darunter wiegen und trotzdem gesund und putzmunter sind. Die werden nicht mit acht Monaten rauschig und sie wissen meist nicht, wie das Feld überhaupt aussieht.

Müssen Ablenkungsfütterungen genehmigt werden, sollten die Unteren Jagdbehörden nicht die Genehmigungen da versagen, wo Ablenkungsfütterungen ordnungsgemäß beantragt, angemeldet und betrieben werden, wozu die Wildschadensgefahr gehört, sondern sich darauf konzentrieren, heraus zu finden, wo wirklich gesündigt wird, Begebenheiten und Örtlichkeiten gibt es genug. Da ich zumindest in diesem Zusammenhang nicht an die Selbstreinigungskräfte in der Jägerschaft glaube und da ich weiß, dass mit dieser meiner Vorstellung die Unteren Jagdbehörden fast ohne Ausnahme hoffnungslos überfordert sind, äußere ich eine Forderung, die sich die Jägerschaft, ob organisiert oder nicht, zu eigen machen sollte: Die Unteren Jagdbehörden brauchen einfach Fachpersonal, ob Berufsjäger oder Forstleute, die in der Lage sind, qualifizierten Außendienst zu versehen.

Der Rauschtermin wird von der Leitbache bestimmt und gesteuert

Die natürlichen Abläufe in den Schwarzwildbeständen werden zunächst einmal durch optimale Futterversorgung nur insofern beeinflußt, als die Frischlinge sich besser und schneller entwickeln und damit rascher geschlechtsreif werden. Die Bachen bringen – wie oben erläutert – mehr Frischlinge zur Welt oder frischen gar während eines Jahres zweimal. Doppeltes Frischen wurde von Bernd Oloff in seiner Dissertation 1951 für 40 Prozent der Bachen in Westdeutschland angenommen, Lutz Briedermann und Heinz Meynhardt konnten es in ihren Beobachtungsgebieten überhaupt nicht nachweisen. Rolf Hennig weist es nach und ich kann es bestätigen, allerdings nur als wahrscheinlich wenig die Population beeinflussende Ausnahme.

Ein weiblicher Frischling kann heutzutage mit acht Monaten ein Gewicht von um die 30 Kilogramm erreichen und mit dieser Körperverfassung paarungsbereit, also rauschig, werden. Lebt er in einem Familienverband mit älteren Bachen und einer Leitbache zusammen, so wird von den älteren Stücken durch den ausgeübten Sozialdruck die Rausche der Jungtiere weitgehend unterdrückt. Selbst in Jahren mit optimaler Ernährung werden nach H. Meynhardt nur etwa 20 Prozent der weiblichen Frischlinge in solchen Rotten rauschig, was ich nach eigenen Beobachtungen bestätigen kann. Der Rauschtermin der Rotte wird von der Leitbache nach ihrer eigenen Rausche bestimmt und gesteuert, also synchronisiert, und läuft innerhalb einer Population ungefähr gleichzeitig ab.

Ordnung in die Bestände bringen

Viele Jäger halten das Vorkommen eines jagdbaren oder gar reifen Keiler für die zufällige Laune einer kapriziösen Natur, und selbst in eigentlich gut funktionierenden Schwarzwildringen ist man der Meinung, dass man jeden vorkommenden halbwegs jagdbaren Keiler flugs erschießen könne. Übertragen auf andere Hochwildarten sind solche Regelungen unvorstellbar. Munter wird auf jede einzeln vorkommende Sau gefeuert, vor allem, wenn man denn einen Pinsel erkennt. Wollen wir Ordnung in die Bestände bringen, brauchen wir für die gleichzeitige Rausche vieler Bachen auch eine entsprechende Anzahl von Keilern, und zwar für das gleichzeitige Frischen, was uns erst einen qualifizierten Eingriff in den weiblichen Bestand erlaubt. Die Zähne auf dem Brettchen sind dabei absolut zweitrangig, wenn auch bei Überschussentnahme eine durchaus berechtigte Trophäe.

Adoption im Familienverband

In einer geordneten Population weiß man als Jäger ziemlich genau, wann man die Frischlinge zu erwarten hat, und wie lange man noch, natürlich abhängig von der gesetzlichen Jagdzeit, in den weiblichen Teil des Bestandes regulierend eingreifen kann. Ganz wichtig für die Bestandesregulierung ist nämlich neben dem scharfen Eingriff in die Jugendklasse und dem unbedingt notwendigen, qualifizierten Bachenabschuss die „Nacharbeit“ nach den winterlichen Jagden. Das ist der Einzeljagdabschuss junger weiblicher Stücke aus den Rotten ohne aktuelle Frischlinge, unabhängig davon, ob sie beschlagen sind oder nicht.

Neben dem Zweitfrischen kommt immer wieder das Nachfrischen vor, wenn Bachen durch Witterungseinwirkung alle Frischlinge verloren haben. Es gibt eben mitunter auch in gut aufgebauten Schwarzwildpopulationen zwei „Stockwerke“ von Frischlingen, nämlich die normal gefallenen und die nachgefrischten oder, wie oben beschrieben, die zweitgefrischten. In solchen Rotten ist der Bachenabschuss schwierig, wenn man die Frischlinge nicht genau zuordnen kann. Die Frischlinge der erlegten Bache werden im Familienverband adoptiert. Die kleinen Frischlinge auf der abgelichteten Szene kann man in dieser Rotte ihrer unabdingbar zu schonenden Mutter zuordnen.

Erhaltung der Sozialstrukturen

Ungeordnete Sozialverhältnisse im Schwarzwildbestand mit unkoordiniertem Frischen und Rauschen und unkontrollierbarer Kindervermehrung sind ausschließlich der Jagdausübung anzulasten. Wenn ein bayerischer Kreisjägermeister mir berichtet, dass er bei einer Scheinwerferzählung von Sauen in den Frühjahrswiesen bei über 100 gezählten keine 10 mit mehr als 40 Kilogramm Gewicht gesehen hat und es von kleinen Frischlingen nur so wimmelte, hat das mit Mais, Futter und Klima nicht das geringste zu tun, sondern nur mit Pulver und Blei. Wie man diese Kindergesellschaft wirksam regulieren will, weiß ich auch nicht. Sicher geht es hier lange Zeit nur noch über den Frischlingsabschuss.

Wir können die Regulierung der Schwarzwildbestände nur wirksam und fachgerecht betreiben, wenn wir dafür sorgen, dass die Sozialstrukturen erhalten bleiben oder wiederhergestellt werden. Wir müssen wissen, wann gerauscht und gefrischt wird, nur dann können wir gezielt und ethisch vertretbar den Eingriff in den reproduzierenden Teil des Bestandes, in die Bachen, vornehmen, ohne weiteres Unheil anzurichten und die unkontrollierbare Frischlingsvermehrung weiter anzukurbeln.

Die Stunde hat geschlagen

Schonzeitaufhebungen und legere Lockerungen der Abschussregelungen bei der Schwarzwildbejagung sind völlig kontraproduktiv, da sie reine Alibifunktion haben. Sie führen weiter in den Teufelskreis wohlgenährter und frühreifer Frischlingspopulationen mit unkoordinierter Vermehrung an der falschen Stelle. Ich bin zwar ein Anhänger des Lüneburger Modells, das sich von anderen sinnvollen Bejagungsmodellen nur dadurch unterscheidet, dass es dem Jäger Richtgewichte an die Hand gibt. Allerdings dürfen wir uns dabei nicht so einschnüren, dass der Eingriff in die Jugendklasse behindert wird. Dazu gehört eine aus exakten Beobachtungen und aus Wissen begründete Flexibilität.

Es fehlen uns weder großzügige Lockerungen biologisch begründeter Abschussvorgaben, noch Scheinwerfer, noch Fänge und Prämien. Uns fehlen viel mehr funktionsfähige Schwarzwildringe und Jäger, die gekonnt daran gehen, auch in den weiblichen Teil der Bestände richtig einzugreifen – bei anderen Wildarten selbstverständlich – und die sich nicht egoistisch auf ihrer Revierfläche ihre eigenen Zeitbomben heranziehen. Zur Abschöpfung der Jugendklasse kommen wir mit der Einzeljagd alleine überhaupt nicht mehr zu Rande. Die Spirale permanenten Jagddrucks zieht sich allenthalben zu. Es darf keinen deutschen Schwarzwildeinstand mehr geben, der nicht jährlich mindestens ein-, besser zweimal von einer gut organisierten, handwerklich perfekten, großflächig angelegten und dann auch erfolgreichen Drückjagd erreicht wird.

Hoffen und wünschen wir, dass alle Schwarzwildjäger begreifen, was die Stunde geschlagen hat, und erkennen, dass unter heutigen Verhältnissen Schwarzwildjagd keine Gelegenheitsvergnügen mehr sein darf, sondern zu einer sehr ernsthaften Aufgabe geworden ist, an der Jagd und Jäger sich messen lassen müssen.

Der Keiler im Winter ist der Traum eines jeden Schwarzwild-Jägers. Aber nicht auf jedes einzelne männliche Stück sollte auf der Jagd Dampf gemacht werden

 

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