Fuchsprojekt Grünwald:
Wie vertragen sich Fuchs und Mensch in Städten, Dörfern und Gemeinden? Warum ist die Fuchsdichte dort meist deutlich höher als in ihrem ländlichen Umfeld oder in Waldlebensräumen? Was fressen Stadtfüchse? Fragen über Fragen, denen ein Forscherteam an der Peripherie Münchens auf den Grund ging.
Von Dr. Andreas König
Seit Anfang der 90er Jahre haben Füchse in Mitteleuropa Städte und Dörfer als Lebensraum erobert. Sie sind dort vergleichsweise häufig anzutreffen und zeigen nur wenig Scheu vor Menschen. Diese Tatsache wird durch Berichte aus vielen Städten und Gemeinden Deutschlands belegt. Genauere Untersuchungen zur Lebensweise Reinekes im menschlichen Siedlungsbereich, zu Risiken und Problemen fehlen jedoch weitgehend.
Vor diesem Hintergrund beschloss der Gemeinderat von Grünwald im Juli 1999, eine Untersuchung über die „Lebensweise der Füchse in Grünwald und Maßnahmen zur Minderung der Ansteckungsgefahr mit dem Kleinen Fuchsbandwurm“ durchführen zu lassen. Grünwald liegt südlich von München und grenzt unmittelbar an die Millionen-Metropole an. Die Gemeinde hat etwa 10 000 Einwohner und umfasst eine Fläche von 763 Hektar. Im Westen wird das Gebiet vom Isartal begrenzt. Der Auftrag wurde an die Arbeitsgemeinschaft „Fuchsprojekt Grünwald“ vergeben, bestehend aus Mitarbeitern der Abteilung Para-sitologie der Universität Hohenheim und dem Fachgebiet für Wildbiologie und Wildtiermanagement der TU München. Das übergeordnete Ziel des Projektes ist der Schutz der Einwohner vor der Echinococcose. Weiterhin gilt es, möglichst weitgehende Erkenntnisse über das Verhalten Reinekes sowie das Zusammenleben von Menschen und Füchsen im „Lebensraum Stadt“ zu gewinnen.
Im Mittelpunkt stehen unter anderen folgende Fragen:
– Wie groß ist der Besatz von Füchsen im Siedlungsbereich?
– Leben die Füchse überwiegend im Stadtbereich oder sind sie auf den Wald im Umland angewiesen?
– Wie verhalten sich die Füchse gegenüber den Menschen?
– Wie verhalten sich die Menschen gegenüber den Füchsen?
– Wie hoch ist die Befallsrate der Füchse mit dem Kleinen Fuchsbandwurm im Stadtbereich?
Im Herbst 2000 wurde zusammen mit einem Bürgerbrief in der Gemeinde ein Fragebogen an alle Haushalte verteilt. Ein Abgleich verschiedener struktureller Daten zeigte, dass die Umfrage zu repräsentativen Ergebnissen führte, die durch direkte Befragungen ergänzt wurden. Demzufolge fühlen sich besonders Familien mit kleinen Kindern und/oder mit Gemüseanbau im eigenen Garten besonders beeinträchtigt. Kinder leben in über 40 Prozent der Haushalte. In 30 Prozent der Gärten wird Gemüse angebaut.
Zwiespältiges Verhältnis gegenüber dem Fuchs
Angst vor dem Fuchs hat die Mehrzahl der Bürger an sich nicht. Unabhängig davon fürchten sich jedoch etwa 60 Prozent vor dem Fuchsbandwurm. Ein Relikt aus den 60er Jahren ist die immer noch weit verbreitete Angst vor der Tollwut. Hier besteht hoher Aufklärungsbedarf, da Südbayern seit 1995 tollwutfrei ist. Bei 53 Prozent der Bürger mit Angst vor dem Fuchs leben Kinder im Haushalt.
In nur zwei Prozent der Haushalte werden die Füchse aktiv gefüttert. Die Mehrzahl der Bevölkerung geht ihnen aus dem Weg und hält Distanz. Generell wird den Füchsen überwiegend zwar ein „Recht auf Leben“ zugesprochen, zu viele werden jedoch als Plage betrachtet. 50 Prozent der Bevölkerung verneinte die Frage, ob der Fuchs in der Gemeinde etwas zu suchen habe, 60 Prozent sprachen sich für eine massive Reduktion der Füchse aus und knapp 80 Prozent der Bevölkerung sind für eine Entwurmung der Füchse. Große Einigkeit besteht darin, dass Füchse in Stadtgebieten nicht gefüttert werden sollten.
Das Verhältnis der Bevölkerung gegenüber dem Fuchs ist also gespalten: Einerseits wird dem Fuchs zwar ein Recht auf Leben – auch in der Gemeinde – zuerkannt, andererseits soll die Populationsdichte drastisch reduziert und die Füchse entwurmt werden. Einfache, radikale Lösungen erscheinen vor diesem Hintergrund nur schwer vermittelbar.
In den fünf Jahren vor Projektbeginn ermittelte das Landesuntersuchungsamt Südbayern für Veterinärmedizin Befallsraten der Füchse mit Echinococcus multilocularis von 16 Prozent. Seit Juni 2001 werden alle drei Monate Entwurmungsköder innerhalb der Gemeinde und in einem Umfeld von 400 Metern ausgebracht. Der Start der Köderauslage verzögerte sich, da bis Ende 2001 nur fischmehlhaltige Köder zur Verfügung standen. Auf Grund der damaligen „BSE-Krise“ ist derzeit das Verfüttern von Fischmehl verboten. Dem Fuchsprojekt Grünwald wurde jedoch wegen seiner besonderen Bedeutung eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Seit Anfang 2002 stehen Entwurmungsköder auf rein pflanzlicher Basis zur Verfügung. Die Köderausbringung per Flugzeug ist über menschlichen Siedlungen verboten. Der größte Teil der Entwurmungsköder wird in Gärten ausgelegt.
Entwurmung durch Anwohner
Seither waren alle Proben negativ. Ab August 2001, nach dem Fang einer mit dem Bandwurm infizierten Bisamratte, wurden verstärkt im Bereich der Isar Kotproben gesammelt. Auch hier wurden keine positiven Proben mehr gefunden. Die 15 im Jahr 2001 an das Landesuntersuchungsamt für das Veterinärwesen Südbayern eingeschickten Füchse waren ebenfalls bandwurmfrei.
Zuvor zeigte sich, dass die Infektionsgefahr mit dem Fuchsbandwurm in den Ortsrandlagen höher als im Zentrum der Gemeinde war. Der geringere Echinokokken-Befall der Füchse im dicht bebauten Gebiet begründet sich vermutlich durch das Nahrungsangebot – mehr Abfälle, Kompost etc., weniger Kleinsäuger. Allerdings können hierbei auch Entwurmungen durch Anwohner eine Rolle spielen. Mehrere Personen führten – nach eigener Aussage – bei „ihren“ Füchsen solch eine Entwurmung durch. Das wiederum könnte einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis haben.
Der typische Allesfresser
Maßgebliche Faktoren für die Dichte (Anzahl der Tiere pro Quadratkilometer) einer Fuchspopulation sind das verfügbare Nahrungsangebot sowie mögliche Verstecke. Als Versteck werden von den Füchsen häufig Fertiggaragen und Gartenhäuser sowie alte Schuppen oder Holzlager angenommen. Eine Analyse zeigte, dass in Grünwald jeder zweite Garten einen möglichen Unterschlupf für den Fuchs bereithält. Die im Freiland typischen Erdbauten findet man in Städten und Ortschaften eher selten.
Es ist seit langem bekannt, dass Füchse Nahrungsopportunisten und -generalisten sind. Demzufolge frisst Reineke alles, was verwertbar ist und ihm ausreichend viel Energie liefert. Das heißt, dass er sowohl tierisches Eiweiß – Insekten und Regen-würmer sowie (kleinere) Säugetiere und Vögel – als auch Beeren, Obst sowie Gemüse, Aas und Küchenabfälle frisst. Beeren im Sommer und Fallobst im Herbst sind für ihn wichtige natürliche Nahrungsquellen, die in Städten und Gemeinden im Über-fluss vorhanden sind. Alles was unsere Hunde oder Katzen nicht fressen oder übrig lassen, nimmt der Fuchs. Auch das Füttern von Igeln oder Vögeln im Herbst und Winter nutzt der Fuchs für sich. Besonders üppig wird’s, wenn er absichtlich und gezielt gefüttert wird. Eine wichtige Nahrungsquelle der Stadtfüchse sind offene Komposthäufen, auf denen Küchenabfälle, Obst und Gemüse entsorgt werden.
Das Hilfsmittel „Sender“
Vom Menschen „organisierte“ Futterquellen sind in den Siedlungsbereichen für den Fuchs normalerweise reichlich vorhanden. In fast 60 Prozent der Grünwalder Gärten findet man einen Komposthaufen oder eine Igel- oder Vogel-Fütterung. Haustiere werden in zehn Prozent der Gärten gefüttert. Nur 21 Prozent der Gärten sind absolut „sauber“. In jedem zweiten Garten sind sogar mehr als zwei künstliche Nahrungsquellen für den Fuchs vorhanden. All das erklärt, warum die Rotröcke in Ortschaften häufig auf viel engerem Raum leben können als in Wald und Feld.
Um näheres über die Lebensweise, Anzahl und Gewohnheiten der Füchse zu erfahren, wurden acht in Lebendfangfallen gefangen, narkotisiert und mit einem Senderhalsband markiert. Sieben von ihnen wurden über längere Zeit telemetriert. Auf diese Weise wurden ihre Aufenthaltsorte lokalisiert und die Größe ihrer Streifgebiete (home ranges) und Territorien bestimmt. Die durchschnittliche Streifgebietsgröße in Grünwald beträgt 24,8 Hektar. Die der Rüden war mit 31,5 Hektar um etwa 10 Hektar größer als die der Fähen (20,4 Hektar). Zwei besenderte Welpen nutzten als solche einen Bereich von etwa vier Hektar. Untersuchungen im ländlichen Raum zeigten, dass im Mittel 2,3 adulte Füchse gemeinsam in einem Territorium leben. In Grünwald schwankt diese Zahl zwischen mindestens drei und sechs Füchsen.
Allgegenwärtig: Reineke
Anhand der Streifgebietsgrößen der einzelnen Tiere kann auf die Fuchsdichte im Gemeindegebiet geschlossen werden. Demzufolge ist in Grünwald von etwa 30 Territorien mit reproduktiven Fähen auszugehen, in denen zwischen 70 und 100 Füchse leben (Winterbesatz). Die jährliche Anzahl von Welpen schwankt um die Zahl 120. Im Vergleich mit den Durchschnittswerten von Fuchsprojekten in der freien Landschaft, ist die Fuchsdichte in Grünwald damit etwa zehn Mal so hoch wie im ländlichen Raum! Da die aktuelle Gemeindestruktur nicht mehr als den genannten, reproduktiven Stammbesatz trägt, wandern die meisten Jungfüchse im Herbst ab. Die Sterberate der adulten Füchse liegt in Grünwald bei etwa 20 Prozent im Jahr.
Bei dieser hohen Zahl von Füchsen in Grünwald ist es interessant, wie oft sie in der Gemeinde gesehen werden. Nur ein verschwindend geringer Anteil der Bevölkerung konnte bisher keine Füchse beobachten. Bei zehn Prozent der an der Untersuchung Beteiligten ist täglich ein Fuchs im Garten, fünf Prozent sehen täglich einen Fuchs in der Gemeinde. Neben der intensiveren Nutzung der Gärten durch die Bewohner, laufen ab Mai vermehrt Welpen und Jungfüchse umher. Dabei kommt es zu häufigen Sichtkontakten.
Die besonderen Verhaltensweisen
Im Laufe des Projektes zeigte sich, dass die Füchse gegenüber Menschen nicht aggressiv sind. Im Gegenteil: Sie sind sehr zutraulich, was dazu führt, dass einzelne Füchse durch offene Türen sogar in Häuser oder Wohnungen kommen. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich dabei allerdings um individuell bekannte Tiere, die bereits als Welpen gefüttert wurden.
Ein aggressives Verhalten der Rotröcke gegenüber Menschen ist bisher nur von zwei Fällen bekannt. Beide Male handelte es sich wahrscheinlich um noch relativ scheue Füchse, die sich in der konkreten Situation bedroht gefühlt hatten. Zu einem Angriff kam es bis heute nicht. Zu Konflikten mit Haustieren kommt es bislang nur mit Katzen. In der Regel verlaufen diese Zwischenfälle jedoch harmlos. Die Beobachtungen zeigen, dass die Füchse versuchen, dem Streit aus dem Wege zu gehen.
Die besenderten Füchse gehen ausnahmslos im Gemeindebereich auf Nahrungssuche. Während des Sommers hielten alle Füchse ihre Tageseinstände ebenfalls innerhalb des Ortes in verschiedenen Gärten. Bevorzugt werden Gärten mit einem hohen Anteil an Gebüschen und niedrigen Bäumen als Deckung.
Weiterhin zeigten die Beobachtungen, dass Gärten mit drei verschiedenen Nahrungsquellen signifikant häufiger frequentiert werden als solche mit nur einem oder zwei „gedeckten Tischen“. Es sei denn, der Garten wird als Durchgang zu einem interessanten Nachbargrundstück genutzt oder eine vorhandene Nahrungsquelle steht das ganze Jahr über zur Verfügung. Zwei Fähen bezogen etwa ab September tagsüber nahe im Wald gelegene Baue. Bei einer weiteren Fähe sowie einem Rüden wurden gelegentliche Wald- und Friedhofsbesuche beobachtet. Die bisher „weiteste“ Exkursion führte etwa 300 Meter in den Wald hinein.
Die Vorlieben
Für die Welpenaufzucht bevorzugen die einzelnen Fähen jeweils bestimmte Formen von Kunstbauen, wie zum Beispiel die bereits erwähnten Fertiggaragen und Gartenhäuser. In seltenen Fällen werden auch Erdbaue gegraben. Die Tiere sind offensichtlich auf eine bestimmte Bauart fixiert, denn sie nehmen in ihren Territorien keine anderen Arten von Bauen an, obwohl diese in ausreichendem Maße vorhanden sind.
Während der nächtlichen Ortungen der besenderten Rotröcke wurden auch alle Beobachtungen von „fremden“ Füchsen protokolliert. Hieraus ergibt sich ein Überblick über die Bereiche, die von den Grünwald-Füchsen bevorzugt aufgesucht beziehungsweise auf ihren Wanderungen durchquert werden. Besonders beliebte „Treffpunkte“ der Füchse sind alle Altenwohnheime und die zahlreichen Baustellen.
Welche Auskunft gibt die Losung?
Die Nahrungsanalysen anhand von Losungsproben zeigten hohe Anteile an Pflanzenresten, die sich überwiegend aus Samen und Beerenresten sowie aus Gemüse und Obstabfällen der Komposthaufen zusammensetzen. Aluminiumfolien und Einpackpapier von Wurstsemmeln und Reste der Essenbehälter von Fastfoodrestaurants wurden ebenfalls registriert.
Beim Sammeln der Fuchslosung wurden wir von einigen Bürgern tatkräftig unterstützt. Ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.
Eine Fuchsfütterung in einem Grünwalder Garten. Einige Hausbesitzer sprechen bereits von „ihren“ Füchsen. Mitunter sind ihnen die Rotröcke schon von Welpenläufen an bekannt
Unsere Städte und Gemeinden bieten dem Fuchs Nahrung im Überfluss. Von Fütterungen sollte deshalb im Interesse aller Beteiligten abgesehen werden
Kaum zu glauben, aber wahr – ruhende Füchse auf einem Baugerüst. Man darf
gespannt sein, welche Überraschungen
Reineke noch für uns bereithält
Eine Fuchsfütterung in einem Grünwalder Garten. Einige Hausbesitzer sprechen bereits von “ihren” Füchsen. Mitunter sind ihnen die Rotröcke schon von Welpenläufen bekannt |