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Abnorm statt Kümmerer

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Auch damals schon machten sich die Jäger Gedanken, ob man von Fegestellen auf die Stärke des Bockes schließen kann. 1920 erschien dieser Bericht von F. Bergmiller aus dem oberbayerischen Feilnbach unter dem Titel „Zum Ansprechen des Rehbocks nach den Fegezeichen“.

 

Die ganz gescheiten Jäger – und deren gibt es unter den Anfängern weit mehr als unter den alten Semestern – brauchen nur ein von den Stangen des Bockes bearbeitetes Stämmchen zu betrachten, um sofort sagen zu können: das ist ein sehr guter Bock mit weit ausgelegten, starken, knorrig geperlten Stangen. Siehst du sie dabei fragend oder gar zweifelnd an, so erklären sie dir haargenau: „Stark ist der Bock, weil er sich an so dicke Stämmchen heranmacht, weit ausgelegt sind seine Stangen, weil er das Stämmchen hineinzwängen kann, sonst wäre es nicht auf beiden Seiten zerschunden, und stark geperlt sind sie, sonst würde nicht die Rinde in Fetzen herabhängen, denn das ist die Arbeit der langen Perlen. An dem dünnen Birkenreitel aber dort, der so schwach ist wie ein Federhalter, hat ein junger Übermut von einem Spießböckchen seinen Zorn ausgelassen.“

Keine zuverlässigen Anhaltspunkte

Der alte Jäger freilich, dem die grüne Praxis vieler Jahre zur Seite steht, ist mit dem sicher Ansprechenwollen des Rehbocks nach den Fegezeichen etwas vorsichtiger und zurückhaltender geworden. Er hat mehr als einmal mit eigenen Augen gesehen, wie ein Kapitalbock ein dünnes, biegsames Gertchen durch seine Stangen zog und gleich einem Strohhalm zerknitterte, und wie im Gegensatz hierzu ein elender Knopfspießer an ein armdickes Tännlein trat, um es mit seinen Knöpfen bis auf den Splint hinein durchzuwetzen. Und wenn jene Siebengescheiten noch ein paar Jährlein praktischer Erfahrung auf den Buckel kriegen, dann werden sie’s auch mit denen halten, die da sagen: Ganz sichere Zeichen sind am Fegebäumchen nur die Höhe der durch das Gehörn entstandenen Verletzungen und die Stärke der Schalenabdrücke in den Plätzstellen, die unterm Fegebäumchen häufig fehlen. Alles andere ist eitel Trug und führt zu bitteren Enttäuschungen, wenn auch aus der Art der Fegezeichen gewisse Anhaltspunkte zum Ansprechen der Stärke des Bockes und der Güte seines Gewichtels gegeben sein mögen, aber wie gesagt, zuverlässig sind sie nicht.

Das Rätsel wird gelöst

Die meisten Rätsel und Überraschungen bringen durch ihr Fegen und Schlagen abnorme Böcke und Knopfspießer oder Kümmerer; die letzteren beiden Arten will ich übergehen und aus meiner Praxis nur zwei Beispiele von abnormen Böcken anführen. Vor etwa fünfzehn Jahren war ich in der Nähe von Stuttgart an einer kleinen Jagd beteiligt. Von den wenigen Böcken, die auf dem ausgeschundenen Jägdlein noch ihren Stand hatten, interessierte mich vor allem einer, der mit seinen offenbar sehr starken und reich geperlten Stangen an arm- bis schenkeldicken Tannen und Fichten herumarbeitete und weit umherwechselte. Mit vieler Mühe machte ich seinen Standort in einer Dickung aus, die an einen Hochwald grenzte. In diesem stellte ich mich eines Abends bei einem heftigen Gewitter an. Einem solchen Kapitalbock zuliebe konnte man seinen Nerven schon ein kleines Opfer bringen. Als das Unwetter zu Ende war, herrschte schon fast kein Büchsenlicht mehr. Da stand, vom Leuchten der Blitze grell beschienen, der Bock am Eingang seines Wechsels in die Dickung: ein lumpiges Gabelböckchen, dem die rechte Stange übers Licht herabhing – das Rätsel der vielversprechenden Fegezeichen war gelöst!

Der Bock hatte nur eine normale Stange auf

Einen ähnlichen Fall erlebte ich in diesem Jahr in meinen oberbayerischen Vorbergen. Ein der Fährte nach sehr starker Bock hatte in der „Sarleiten“ viele armdicke und stärkere Stämmchen zerschunden. Obwohl der Bock, wie es im Gebirge leider gewöhnlich der Fall ist, mit dem Fortschreiten der Jahreszeit immer höher hinaufzog, war er an der Art seines Fegens und Schlagens leicht zu erkennen und auszumachen. Sonderbarerweise war die Rinde der Fegebäumchen nicht auf den Seiten, sondern in der Mitte des Stammes am meisten zerfetzt. Ich riet auf einen starken Kümmerer, der nur Knöpfe tragen mochte. Endlich sah ich den Bock von einem Hochsitz aus. Er hatte nur eine normale Stange auf, die andere war zur Seite herabgebogen. Nun baute ich 200 Meter weiter oben einen zweiten, und später, als der Bock noch höher hinaufgezogen war, auf einem noch höher gelegenen Schlag einen dritten Hochsitz. Von diesem aus schoß ich ihn am 22. Juli. Wie aus der Abbildung ersichtlich, ist die rechte Stange über der Rose gebrochen und, herabhängend, wieder festgewachsen.

Eitle Absichten

Nach dem Bruch erlitt sie noch einige Änderungen, indem die Vordersprosse noch ein bißchen nach oben und über der Bruchfläche ein Kranz von Perlen ebenfalls nach oben wuchs. Mit diesem Perlenkranz und mit der Bruchstelle der Stange hatte der Bock am meisten gefegt; sie sind völlig blank gefegt, einige Verletzungen in der Mitte der Fegebäumchen. Es leuchtet ein, daß ein solcher Bock mit abgeknickter Stange leicht ein schenkeldickes Stämmchen zwischen sein Gewichtel hineinnehmen kann. Zweifellos hat der Bock mit dieser abnormen Stange viel mehr gefegt und geschlagen als mit der normalen, und ich nehme an, daß er dabei von der freilich eitlen Absicht geleitet war, dieses unliebsame, widersinnig gewachsene Anhängsel zu beseitigen, denn die zwischen Licht und Luser herabgehende Stange mußte ihm vor allem bei der Bewegung des rechten Lusers nach vorne sehr hinderlich sein.

 

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