Zum Rebhuhn in Deutschland:
Zwölf Jahre ist es nun her, dass das Rebhuhn zum (Sorgen-)Vogel des Jahres gekürt wurde. Was hat sich seit 1991 getan? Hat sich seitdem die Gesamtsituation der Hühner in Deutschland verbessert? Wohl kaum – vielerorts ist das Rebhuhn verschwunden, in anderen Gegenden nur noch in Restpopulationen anzutreffen, und wirklich gute Hühnerreviere sind kaum noch vorhanden. Zeit darüber nachzudenken, ob die Bedürfnisse des Rebhuhns langfristig überhaupt noch mit der Form unserer Landnutzung in Einklang zu bringen sind.
Von Anja Roese
Die Besatzdichten des Rebhuhns sind von diversen Parametern abhängig, die – abgesehen vom Klima – vom Menschen geschaffen oder direkt beeinflusst werden. Folgt man imaginär einem Paar oder einer Kette, so wird schnell klar, dass die Hühner im Jahreslauf zahlreiche Klippen zu umschiffen haben. Ist die Paarbildung abgeschlossen, beginnen Hahn und Henne, sich nach einem passenden Neststandort umzusehen. Geeignete Deckung ist dafür das wichtigste Kriterium. Gleichzeitig grenzen sich die Paare auch gegeneinander ab, sie benötigen Sichtschutz.
Drei Variablen bestimmen das Überleben
In dieser Zeit zunehmender Territorialität sind Deckungsstrukturen wie Hecken und ausreichend hohe Altgrasraine an Wegen, Gräben und zwischen den Feldern ausschlaggebend für die Höhe der Brutpaardichte. Als Neststandort wird ein Platz mit dichter Vegetation und einem möglichst hohen Anteil an abgestorbenem Pflanzenmaterial (Altgras) ausgewählt. Entsprechende Untersuchungen in England zeigen, dass mit einem steigenden Anteil an Altgras oder ähnlichen Strukturen in der unmittelbaren Nestumgebung die Verluste durch Beutegreifer zurückgingen. Bei Verlust des Erstgeleges weichen die Hühner häufig in die Kulturflächen aus, wo sie sich den Gefahren durch die landwirtschaftliche Nutzung aussetzen. In Wiesen, Klee- und Luzerneflächen, unter Umständen auch im Wintergetreide, werden die Gelege häufig ausgemäht. Die Konsequenzen für die Population sind schwerwiegend, da dabei nicht selten auch die Henne getötet wird. So kommt es dann nicht mehr zu einem Nachgelege, was sonst bis zu drei-, maximal viermal der Fall sein kann, sofern das vorige Gelege noch nicht länger als etwa zehn Tage bebrütet wurde.
Nach dem Schlupf Ende Juni, Anfang Juli wird die Überlebensrate der Küken vor allem von drei Variablen bestimmt: Beutegreiferdruck, Äsungsangebot (hauptsächlich Insekten und Spinnen) sowie den klimatischen Verhältnissen. Die Küken- wie auch die Gelegeverluste durch Prädatoren sind lokal stark unterschiedlich und unmittelbar von der Raubwildbejagung abhängig. Insgesamt sehen sich unsere Hühner – meist in ohnehin geringen Besätzen – einer Vielzahl von Beutegreifern gegenüber gestellt, deren Populationsdichten von Art zu Art und lebensraumabhängig zwar stark schwanken, in ihrer Gesamtzahl aber in den meisten Revieren deutlich zu hoch sind. Auch der Schutz der Rabenvögel hat zu steigenden Verlusten nicht nur beim Rebhuhn, sondern auch beim Fasan und anderen Bodenbrütern geführt.
Da die Küken in den ersten Wochen regelmäßig gehudert werden müssen, um ihre Körpertemperatur aufrecht zu halten, fehlt ihnen bei nasskaltem Wetter diese Zeit, um ihre Äsung – bis zu 3 000 Insekten pro Tag – zu suchen. Erschwerend kommt hinzu, dass bei feuchtkalten Wetterlagen die Mobilität, und damit auch die „Entdeckbarkeit“ der Insekten stark eingeschränkt ist. Zudem muss auf insektizidbehandelten Flächen ein Vielfaches des Weges zurückgelegt werden, um eine ausreichende Zahl von Kerbtieren zu erbeuten, als es auf unbehandelten Flächen der Fall wäre. Herbizide reduzieren darüber hinaus die Anzahl der Wildkräuter und -gräser und damit einhergehend die von ihr abhängige Arthropodenvielfalt und -dichte.
“Knackpunkt“ Kükenüberlebensrate
All diese Faktoren – Klima, Beutegreifer, Äsung und Lebensraumstrukturen – bestimmen die so genannte Kükenüberlebensrate. Sie definiert den prozentualen Anteil von Küken pro erfolgreichem Brutpaar – bei einer in Deutschland meist angenommenen durchschnittlichen Schlupfgröße von 14,4 Küken pro erfolgreich bebrütetem Gelege, die bis August überleben. Von Jahr zu Jahr und revierweise unterschiedlich kann diese Zahl stark schwanken. In mehreren in Deutschland durchgeführten Untersuchungen lag die Kükenüberlebensrate im mehrjährigen Durchschnitt bei ungefähr 50 Prozent. In schlechten Jahren kann sie auf zehn bis 15 Prozent absinken. Zieht man ins Kalkül, dass immer ein gewisser Prozentsatz von Paaren überhaupt keinen Bruterfolg durch den Verlust der Gelege, aller Küken oder eines Partners während der Brut hat, dann wird klar, dass die Kükenüberlebensrate einer der „Knackpunkte“ in der Entwicklung oder Dynamik einer Rebhuhnpopulation ist.
Vielfältige Verlustursachen
Wichtige Biotopelemente in dieser Zeit sind offene, sonnenbeschienene Flächen mit naher Deckung, um sich aufzuwärmen, zu trocknen oder zu hudern. In den meisten Revieren bieten heute lediglich die Sand- und Graswege ideale Bedingungen, zumal in den dazugehörigen Rainen im Vergleich zu den angrenzenden Feldflächen ein Vielfaches an Insekten zu finden ist. Das Überackern der Raine sowie die Befestigung der Feldwege birgt einen erheblichen Verlust an Biotopqualität, zumal danach normalerweise auch ein Anstieg der Störungsfrequenz zu beobachten ist. Massive Störungen, zum Beispiel durch stöbernde Hunde, können in der Brutzeit – wenn die Wegraine mangels anderer Deckungsstrukturen als Gelegestandorte ausgewählt wurden – zum Verlassen des Nestes seitens der Henne führen. Oft ist die Qualität dieser Wege nach der Befestigung aber schon so weit gemindert, dass die Raine nicht mehr als Neststandort in Frage kommen.
Erst nach der Ernte des Wintergetreides gewinnen auch die landwirtschaftlichen Nutzflächen wieder an Bedeutung. Wenn unsere Rebhuhnkette Glück hat, kann sie, da normalerweise sehr standorttreu, mehr oder weniger an Ort und Stelle bleiben. Meist aber werden die Ketten durch Erntemaßnahmen häufig Ortsveränderungen vornehmen müssen, um auf verkrauteten, gerodeten Kartoffelschlägen, Stoppelfeldern oder aufgebrochenen Stoppeln mit aufgelaufenem Getreide Äsung zu finden.
Von September bis März betragen die Verluste durchschnittlich etwa 60 bis 70 Prozent des Gesamtbesatzes. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle „abgängigen“ Hühner ums Leben kommen. Die Verlustursachen sind vielfältig: Krankheiten, Beutegreifer, Unfälle, jagdliche Nutzung, die Abwanderung im Herbst und Frühjahr sowie Winter- und Dispersionsverluste.
Krankheiten spielen vielen Forschungsprojekten zufolge für die Rebhuhnpopulationen in Deutschland nur eine sehr untergeordnete Rolle und sind als Mortalitätsfaktor eigentlich zu vernachlässigen, was bereits seit Jahren auch für die jagdliche Nutzung gilt. Die meisten Revierinhaber freuen sich heute über den Anblick ihrer wenigen, verbliebenen Rebhuhnketten, und die „guten alten Zeiten“ großflächig hoher Rebhuhnstrecken sind unwiederbringlich vorbei.
Doch zurück zu den von uns „begleiteten“ Rebhühnern. Fest steht, dass dauerhafte Schneelagen von mehr als 35 Zentimeter sowie verharschte Schneedecken meist schwerwiegende Folgen nach sich ziehen, da sich die Hühner dann nicht mehr bis zum Boden und damit zur Äsung durchgraben. Geringe Schneelagen sind im Winter eher positiv zu bewerten, da die Ketten in ihren Schneehöhlen dann sowohl Sicht- als auch Kälteschutz genießen.
Ist der Zug schon abgefahren?
Die Verluste durch den Straßenverkehr sind hinsichtlich der Populationsentwicklung meist von untergeordneter Bedeutung, wenn auch die Asphaltierung der Feldwege sowie der Ausbau von schnell befahrenen Straßen den Fallwildanteil lokal ansteigen lassen. Die Winterverluste durch Beutegreifer werden in den meisten Untersuchungen als sehr hoch eingeschätzt. Mit Sicherheit gibt es auch hier von Revier zu Revier sowie landschaftsabhängig sehr große Diskrepanzen. In den drei von mir untersuchten Revieren in Norddeutschland waren die Winterverluste innerhalb von vier Wintern minimal. In anderen Regionen, zum Beispiel in der Rheinebene mit einer hohen Zahl überwinternder beziehungsweise auf dem Zug befindlicher Greifvögel sind die Verluste dagegen gravierend.
Weiterhin tragen allen voran der Fuchs sowie andere vorkommende Haarraubwildarten in unterschiedlich hohem Maße zur Winter-Mortalität bei. Insgesamt gesehen können die Verluste durch Beutegreifer – speziell bei geringen Restpopulationen – zum Erlöschen der Besätze führen.
Die wichtigsten Verluste fallen in die Phase der Abwanderung im Herbst sowie in die Zeit der Dispersion. Dies ist der Zeitraum unmittelbar nach der Auflösung der Ketten am Winterende, in dem sich die Althühner ohne Partner sowie die vorjährigen Küken nach einem geeigneten Partner umsehen. Dabei werden größere Entfernungen bis zu mehreren Kilometern zurückgelegt. Die Abwanderung im Herbst ist normalerweise erntebedingt. In beiden Fällen unterliegen die wandernden Hühner einer erhöhten Mortalität. Abgesehen vom Stress, der sie unter Umständen schwächen kann, erhöht sich die Zahl der Unfallopfer sowie die Zahl der Rebhühner, die von Beutegreifern geschlagen oder gerissen werden, da sich durch die Wanderbewegungen ihre Auffälligkeit erhöht.
Von März bis Mai können weitere bis zu 20 Prozent des Märzbesatzes verschwinden. Dies sind in der Hauptsache Paare, die auf der Suche nach einem geeigneten Neststandort abwandern. Und dies ist ein weiterer „Knackpunkt“: Die Brutpaardichte steht und fällt, abgesehen von der absoluten Zahl der Hühner, mit der geeigneten Nestdeckung im Frühjahr, womit wir wieder am Anfang wären.
Trotz der Ernennung zum „Vogel des Jahres 1991“ sowie der (zumindest) lokalen Bemühungen der Jägerschaften, biotopverbessernde Maßnahmen durchzuführen, die vielleicht nicht immer dem Rebhuhn, so doch aber mit Sicherheit einigen anderen Niederwildarten und Faunenelementen geholfen haben, ist das Rebhuhn leider weiter auf dem Rückzug. Und man muss sich fragen, ob wir nicht einem längst abgefahrenen Zug hinterherlaufen. Die Lebensraumverluste durch zunehmende Verbauung schreiten fort und die Störfrequenz durch die moderne Art der Freizeitgestaltung wächst. Kleinere landwirtschaftliche Betriebe, die noch kleinflächig und zum Teil extensiv „geackert“ haben, sterben weiter. Die Flächen werden von großen industriemäßig wirtschaftenden Betrieben übernommen, viele kleine Flächen werden zu wenigen großen, um darauf kosten- und zeitsparend preiswerte (Super-)Marktprodukte anzubauen.
Ein Anlass zum Nachdenken
Die Biotopqualität, die sich im Falle vieler Niederwildarten in erheblichem Maße über den Grenzlinienanteil definiert, verschlechtert sich schlagartig. Der viel gepriesene „Biotop der kurzen Wege“, wo unter Zurücklegung geringer Strecken alle Lebensbedürfnisse wie Deckung, Äsung, Trocknen und Hudern erfüllt werden können, ist in weite Ferne gerückt. Eine Rückkehr zur Dreifelderwirtschaft ist nicht mehr möglich. Dazu kommen die direkten Verluste durch große Maschinen, die hohe Zahl der Beutegreifer sowie durch die mittlerweile spürbar veränderten klimatischen Verhältnisse. Viele weitere Arten von Säugetieren und Vögeln bis hin zu den Insekten folgen dem Rückgang der Rebhühner.
Ein Anlass zum Nachdenken. Ist es angemessen, in Anbetracht der vielen Probleme, die wir in Deutschland und Europa haben, mit erheblichem Aufwand und teilweise bedeutenden finanziellen Mitteln Biotope zu erhalten oder wieder herzustellen, deren Schicksal besiegelt wäre, wenn man den Dingen ihren Lauf ließe – inklusive aller davon und darin lebenden Tier- und Pflanzenarten? Darüber kann man sicher diskutieren. Doch wäre es nicht unglaublich schade, wenn man in unserer Feldlandschaft nicht ab und zu das Rufen eines Reb- oder Wachtelhahnes, den Gesang der Feldlerche und anderer Singvogelarten hören könnte oder einen Hasen beobachten oder aber Schmetterlinge? Dies ist in meinen Augen ein großes Stück Lebensqualität, die wir – wenn schon nicht überall – so doch lokal auch für unsere Kinder erhalten müssen. Wir sollten deshalb nicht müde werden und es als Verpflichtung ansehen, das Rebhuhn und mit ihm viele andere Arten der freien Kulturlandschaft zu erhalten.
Mit wenig Aufwand viel erreichen
Einen kleinen Hoffnungschimmer bieten hier neben allen lobenswerten lokalen Bemühungen der Jäger und anderer Naturschützer zum Beispiel die Flächenstilllegungen im Rahmen des EU-Agrarmarktes. Doch auch hier müsste – zumindest unter Natur- und Artenschutzgesichtspunkten – einiges passieren. Das Umbrechen, Mähen oder Mulchen der Flächen muss zeitlich zielgerichtet gesteuert werden. Weiterhin sollten regelmäßig mehr oder minder breite Streifen zur Erhöhung des Grenzlinienanteils und der Artenvielfalt gemäht oder umgebrochen werden. Mehrjährige Brachen sind zwar abhängig vom Standort und der Vorkultur, meist schon nach wenigen Jahren pflanzenartenmäßig völlig verarmt und für zahlreiche Wildtiere nur wenig attraktiv, doch ließe sich dort mit vergleichsweise wenig Aufwand einiges für Rebhuhn & Co. erreichen. Im Verbund mit einer flächendeckend intensiven Bejagung der Beutegreifer schon allemal. Also, auf geht’s – die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt!
Flächen mit naher Deckung, auf denen die Feldhühner hudern, sich aufwärmen und trocknen können, sind in unseren Revieren Mangelware geworden |