ANZEIGE

Zurück zum Ursprung

12877

INTERVIEW MIT JAN RIEDEL

Mitte März entschied Brandenburgs Agrar- und Umweltministerium, die Bogenjagd im Rahmen eines Modellversuchs zuzulassen. Anlass war der Antrag eines Revierpächters aus Stahnsdorf, der übermäßige Wildschäden in der Gemeinde vermeiden will (WuH 7/2019). WILD UND HUND sprach mit dem Vorsitzenden des Deutschen Bogenjagdverbandes (DBJV) Jan Riedel über das Projekt und die Bogenjagd.

Foto: Michael Woisetschläger

WuH: Sie sind Jäger mit der Büchse und dem ­Bogen. Warum ist der Einsatz des Bogens im ­urbanen Bereich, wie im Beispiel Stahnsdorf, sinnvoll?

Jan Riedel: Wildtiere, in Stahnsdorf explizit Schwarz­wild, drängen in urbane Bereiche. Da sie sich auch sehr nahe bei Häusern aufhalten, ist es für uns Jäger oftmals zu gefährlich, mit der Büchse zu schießen. Der Einsatz des Jagdbogens ist gerade in solchen Situationen ideal, weil die Hinterlandgefährdung gering ist, die Anwohner aufgrund der geringen Geräuschentwicklung nicht beunruhigt werden und die Tiere im ersten Moment den Abschuss oftmals gar nicht registrieren.

WuH: Wie ist die Gefährdung durch Pfeile für Dritte einzuschätzen? Immerhin soll ja in einem befriedeten Bereich gejagt werden.

Jan Riedel: Beim Erlegen von Wild in urbanen Bereichen muss der Jäger natürlich in erhöhtem Maße auf Sicherheit achten. Durch die geringe Reichweite des Pfeiles, der Tatsache, dass er beim Durchdringen des Wildkörpers das meiste seiner Energie verliert, er formstabil bleibt und das Stück sich tiefer als der Schütze befindet, ist die Hinterlandgefährdung recht gering. Trotzdem muss der Ort der Erlegung so gewählt werden, dass weder in Richtung befestigter Flächen, Gebäuden oder Fahrzeugen geschossen wird. Vor allem dürfen keine öffentlichen Wege in der Schussrichtung verlaufen. Der Bogen ist sehr leise, dadurch gibt es kaum Beunruhigung. Im urbanen Bereich werden Schussdistanzen von etwa 10 bis 15 Metern erwartet. Der verantwortungsbewusste Jäger mit Einzelgenehmigung wird nur dann einen Pfeil abgeben, wenn er sich absolut sicher ist.

WuH: Was ist der Unterschied zwischen der ­Bogenjagd und herkömmlichen Jagdmethoden?

Jan Riedel: Das Ziel des Einsatzes von Büchse oder Jagdbogen ist das gleiche: schnelles und sicheres Töten des Wildes. Jedoch wirken Geschoss und Jagdpfeil verschieden: Die Energie des Geschosses wird schlagartig auf das Stück abgegeben, Gewebe wird zerrissen, lebenswichtige Organe werden zerstört. Das beschossene Wild ist meist in wenigen Sekunden verendet.

Wird ein Wildtier mit einem Jagdpfeil, dessen Spitze mit mehreren rasiermesserscharfen Schneiden versehen ist, in der Kammer getroffen, geht dieser Pfeil komplett durch. Große blutführende Gefäße werden zerschnitten, die Lungen fallen zusammen. Schweißfährten sind sehr deutlich. Die Fluchten und die Zeit vom Treffer bis zum Verenden sind sehr kurz.

Heutzutage werden meist hochmoderne, präzise Jagd-
Compound-Bögen und 25 bis 30 Gramm schwere formstabile Carbonpfeile verwendet. Die jagdliche Schussdistanz beträgt maximal 25 Meter, was aus der Relation der Pfeilfluggschwindigkeit von etwa 90 m/s, der Schallgeschwindigkeit und der Reaktionsschnelligkeit eines Wildtieres resultiert. Einen Pfeil von einem Bogen abzuschießen, ist leise, aber nicht lautlos.

WuH: Stichwort Waidgerechtigkeit. Ist der Schuss mit der scharfen Klinge zeitgemäß und auch waidgerecht?

Jan Riedel: Der Tierschutzaspekt betrifft die Einstellung des Jägers zum Tier als Mitgeschöpf, dem vermeidbare Schmerzen zu ersparen sind. Die Jagdspitze hat mehrere rasiermesserscharfe Schneiden. Durch den feingeschnittenen, durchgängigen Wundkanal werden nur wenige Schmerzrezeptoren ­tangiert. Es entstehen keine Hämatome. Aufgrund der maximalen Jagddistanz von 25 Metern muss sich der Jäger sehr intensiv mit der Umwelt beschäftigen, um sich in eine Schussposi­tion zu bringen. In den meisten Fällen wird mit dem Bogen vom Ansitz aus gejagt. Ich weiß nicht, warum der Pfeil nicht waidgerecht sein sollte.

„Speziell für urbane Bereiche kann die moderne Bogenjagd für deutsche Jäger eine sinnvolle Ergänzung darstellen“, so DBJV-Vorsitzender Jan Riedel. Seit 2008 besitzt er den französischen Jagdschein und den internationalen Bogenjagdschein, 2014 absolvierte er den deutschen Jagdschein. Als zertifizierter Instruktor für den internationalen Bogenjagdschein ist er seit 2015 tätig.
Foto: Michael Woisetschläger

WuH: Wie schnell verendet das Stück? Welche Fluchtstrecken sind zu erwarten?

Jan Riedel: Wissenschaftliche Berichte aus Dänemark, Schweden und Frankreich (s. dbjv.org) sowie praktische Erfahrungen belegen, dass ein von einem Jagdpfeil in der Kammer getroffenes Wildtier innerhalb von 8 bis 15 Sekunden am Boden liegt und sich wenige Sekunden danach nicht mehr rührt. Das Stück vernimmt den neben sich (nach dem Durchschuss) im Boden einschlagenden Pfeil und vielleicht auch, dass es von etwas getroffen wurde. Aufgrund der feinschneidenden Klingen macht es meist nur wenige Fluchten, verhofft, fängt an zu schwanken und bricht zusammen. Das beschossene Stück liegt in der Regel nach 5 bis 40 Metern und ist – ähnlich dem Kugeltreffer – innerhalb ­weniger Sekunden verendet.

WuH: Über welche Qualifikation müssen Schützen verfügen, um mit dem Bogen auf die Jagd gehen zu dürfen?

Jan Riedel: Grundsätzlich ist der deutsche Jagdschein
erforderlich, zudem eine Prüfung für den Einsatz von Pfeil und Bogen. Der DBJV bietet im Namen des Europäischen Bogenjagdverbandes Prüfungskurse nach internationalem Standard an. Vom Teilnehmer müssen bei sechs lebensgroßen Rehbockscheiben fünf von sechs Jagdpfeilen in die Kammer treffen. Die Entfernungen sind unbekannt und
gehen bis maximal 25 Meter. Die Prüfung muss alle fünf Jahre wiederholt werden.

Im Rahmen des Bogenjagdscheins ist eine anspruchsvolle Schießprüfung zu absolvieren.
Foto: Michael Woisetschläger

WuH: Die Ausnahmegenehmigung für die Jäger in Stahnsdorf ist erteilt. Was wäre für den DBJV der nächste Schritt?

Jan Riedel: Wichtig ist für uns neben einer erfolgreichen Jagd wissenschaftliche Begleitung. Wir wollen und müssen dokumentieren, dass in Stahnsdorf der Tierschutz beachtet wird. Es ist anzunehmen, dass 1976, als das Verbot in das Bundesjagdgesetz aufgenommen wurde, dem Gesetzgeber wenige oder gar keine wissenschaftlichen Arbeiten zur fundierten Meinungsbildung zur Verfügung standen. Die Bogenjagdtechnik war nicht auf dem heutigen Stand. Moderne Jagdpfeile und Jagdbögen ermöglichen es, selbst stärkeres Wild tierschutzgerecht zu erlegen. Für den deutschen Jäger könnte die ­moderne Bogenjagd, speziell für urbane Bereiche, eine sinnvolle Ergänzung darstellen.

WuH: Was erhoffen Sie sich für die Zukunft? Warum sollte die Bogenjagd erlaubt werden?

Jan Riedel: Die Jagd mit Pfeil und Bogen ist schon seit Jahrzehnten in 17 europäischen Staaten als zusätzliche tierschutz- und waidgerechte Jagdart integriert und ­akzeptiert. Zudem haben die Jäger dort die Wahl, ob sie Pfeil und Bogen als zusätzliches Jagdmittel wählen wollen. In Madrid in Spanien und inzwischen fünf weiteren Großstädten erlegen im Auftrag des dortigen Umweltministe­riums seit 2012 speziell dafür geprüfte Jäger Schwarzwild im ­urbanen Bereich mit Pfeil und Bogen. In Haguenau im ­Elsass erlegten Jäger in einem Bach Nutrias, nachdem die Stadt einen Schaden durch diese Neozoen in Höhe von ­einer Million Euro vermeldete und der Bürgermeister um Unterstützung bat.

Die Fragen stellte WILD UND HUND-Redakteur Michael Woisetschläger.

Soll die Bogenjagd in Deutschland legalisiert werden, wenn diese durch Jagdscheininhaber mit Bogenjagdschein durchgeführt wird?

  • Ja (77%, 960 Stimmen)
  • Nein (21%, 262 Stimmen)
  • Ich habe keine Meinung dazu. (2%, 23 Stimmen)

Abgestimmt haben: 1.245

Wird geladen ... Wird geladen ...

ANZEIGE
Aboangebot