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343 JVG – MITVERSCHULDEN BEI HUNDEBISSEN

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343 JVG – MITVERSCHULDEN BEI HUNDEBISSEN, Hände weg!

343 JVG

Mark G. v. Pückler

I. Die Rechtsgrundlage
1. „Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.“ § 833 BGB 2. „Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.“ § 254 Abs. 1 BGB

II. Der Sachverhalt
Frau F. ging mit ihrem kleinen Hund an der Leine spazieren. Dabei begegnete ihr Frau S. mit einem großen Hund, der ebenfalls angeleint war. Als die Hunde etwa auf gleicher Höhe waren, knurrte der kleine Hund. Daraufhin riss sich der große Hund los, stürzte sich auf den Kleinen und biss ihn mehrfach. Frau F. ging mit den Händen dazwischen und hob ihren Hund empor, um ihn zu schützen. Bei dieser Aktion wurde sie vom großen Hund in den linken Zeigefinger gebissen, sodass das Endglied des Fingers amputiert werden musste. Sie verlangte von S. Schadensersatz und ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5 000 Euro.

III. Das Urteil
Das Landgericht wies die Klage ab. Zwar stehe fest, dass der große Hund von S. zugebissen habe und dadurch der Schaden verursacht worden sei. Jedoch überwiege das Mitverschulden der F. so stark, dass ihr Anspruch in voller Höhe ausgeschlossen werde, denn Ausgangspunkt der Beißerei sei das Knurren des kleinen Hundes gewesen. Außerdem habe F. grob fahrlässig den Schaden mitverursacht, weil sie ohne Handschutz in die Beißerei eingegriffen habe. Demgegenüber trete das Losreißen und Zubeißen des provozierten großen Hundes zurück. Das Oberlandesgericht änderte das Urteil und verurteilte S. zu Schadensersatz und Schmerzensgeld unter Anrechnung eines Mitverschuldens von 50 Prozent bezüglich des Personenschadens und 25 Prozent hinsichtlich der Tierarztkosten. Bei Abwägung der sich gegenüber stehenden Tiergefahren sei auf Seiten von Frau S. zu berücksichtigen, dass sich ihr Hund losgerissen habe, auf den Hund der F. zugestürmt sei und diesen mehrfach gebissen habe. Der große Hund sei daher eindeutig als Angreifer anzusehen, auch wenn der kleine Hund durch sein Knurren den Angriff ausgelöst habe. Mit ihrem fahrlässigen Eingreifen habe F. ihr Eigentum schützen wollen. Eine gegenseitige Abwägung dieser Gesichtspunkte führe zu dem Ergebnis, dass das Mitverschulden bezüglich des Körperschadens 50 Prozent und hinsichtlich der Tierarztkosten 25 Prozent betrage. Letzteres sei geringer, weil sich das Eingreifen der F. nicht auf die Tierarztkosten ausgewirkt habe. Das Schmerzensgeld wurde auf 2 500 Euro festgesetzt (die Hälfte von 5 000 Euro). OLG Hamm, Urteil v. 17.10.2011 – I-6 U 72/11

IV. Anmerkungen und Ergebnis
Wie gut, dass es Obergerichte gibt, die so manche Ungerechtigkeit noch ausbügeln können. Selbst die Verteilung 50 : 50 erscheint mir zu hoch, da sich der große Hund nicht hätte losreißen dürfen. Ein Mitverschulden von 25 Prozent wäre wohl gerechter gewesen. Der Fall gibt Anlass, eine Übersicht über die Haftung für den eigenen Hund zu bieten: 1. Jäger haften stets für Schäden durch ihren Hund, auch wenn sie kein Verschulden trifft, sie insbesondere nicht fahrlässig gehandelt haben (Gefährdungshaftung). Das beruht auf der „Tiergefahr“, also darauf, dass Tiere unberechenbar sind und jederzeit plötzlich andere schädigen können. Mit dem Halten des Tieres schafft der Halter die erste Ursache für diese Schäden. Nur wenn ein Mitverschulden des Geschädigten vorliegt, vermindert sich der Anspruch je nach Ausmaß bis hin zum völligen Erlöschen. 2. Förster und Berufsjäger benötigen ihren Hund zur Ausübung ihres Berufes. Sie haften im Grunde ebenso streng, können sich aber im Gegensatz zu den Jägern von der Haftung befreien, wenn sie nachweisen, dass sie nicht fahrlässig gehandelt haben oder der Schaden auch bei ordnungsgemäßen Verhalten eingetreten wäre. 3. Mitverschulden: So wie die Tiergefahr, also das Risiko einer Schädigung, die Haftung gegenüber einem anderen begründet, so ist sie auch beim Mitverschulden gegen sich selbst anzurechnen. Denn auch das eigene Tier ist eine Ursache für den eingetretenen Schaden bei sich selbst, weil ohne es die Beißerei nicht stattgefunden hätte (siehe oben). 4. Signalweste: Bei Treib- und Drückjagden in unübersichtlichem Gelände, insbesondere im Wald, Mais, Schilf und ähnlich dichtem Bewuchs, begründet das Fehlen einer Signalweste am Stöberhund ein Mitverschulden, wenn er mit Wild verwechselt und versehentlich verletzt oder getötet wird. Denn eine Signalweste ist geeignet, solche Schäden zu verhindern. Sie nicht anzulegen, stellt eine erhebliche Gefahrenerhöhung dar, die sich der Halter als Mitverschulden anrechnen lassen muss. Gelangt der Hund über die Reviergrenze, ist er mit Weste sofort als Jagdhund im Einsatz erkennbar und zu schonen. 5. Im Auto: Ein Fahrer, der seinen Hund im Wageninneren sich frei bewegen lässt, sodass ihn sein Tier ablenken oder behindern kann, handelt grob fahrlässig, wenn dadurch ein Schaden entsteht. Das musste der Halter eines neuen Geländewagens erfahren, dem sein Hund vom Rücksitz aus auf die Schulter sprang, sodass er sich erschrak und gegen die Leitplanke fuhr. Die Kaskoversicherung lehnte den Ersatz des Schadens wegen grober Fahrlässigkeit erfolgreich ab. Manche Versicherungen verzichten allerdings auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit. 6. Nachsuche: Auf einer Nachsuche schnallte der Förster seinen Hund vor einer Dickung, an deren Ende eine Bundesstraße verlief. Der Hund folgte der Fährte, die über die Straße führte, und sprang unvermittelt vor ein Fahrzeug. Der Förster haftete für den Schaden am Fahrzeug, da er die nahe Straße kannte oder kennen musste. In dieser Situation war es vorhersehbar, dass der Hund auf die Fahrbahn gelangen und einen Unfall verursachen könnte. Die Jagdhaftpflichtversicherung ersetzt solche Schäden, sofern sie die Haftung für Jagdhunde übernommen hat. 7. Verletzter Hund: Zu ersetzen sind alle notwendigen Behandlungskosten und Medikamente in voller Höhe, selbst wenn sie den Wert des Tieres übersteigen (§ 251 Abs. 2 S. 2 BGB). Bei Invalidität (jagdlich nicht mehr verwendbar) ist der Verkehrswert (Wiederbeschaffungswert eines gleichen Hundes nach Rasse, Alter, Geschlecht, Ausbildung und anderes) zu ersetzen, abzüglich eines eventuellen Restwertes. In beiden Fällen kommen mögliche Zuchtverluste hinzu. 8. Getöteter Hund: Zu ersetzen ist der Verkehrswert zuzüglich eines eventuellen Zuchtverlustes. 9. Wildernde Hunde: Außer dem oft folgenschweren Abschuss kommen als mildere Maßnahmen in Betracht: Anzeige wegen unbeaufsichtigten Laufenlassens im Jagdbezirk (Ordnungswidrigkeit); Unterlassungsklage wegen rechtswidriger Störung des Jagdausübungsrechts (§ 1004 BGB) ; Anzeige beim Ordnungsamt wegen Laufenlassens eines gefährlichen Hundes, der bereits wiederholt (also mindestens zum zweiten Mal) unkontrolliert (außerhalb der Kontrolle der Aufsichtsperson) Wild gehetzt, gebissen oder gerissen hat, die Aufsichtsperson also nicht imstande war, den Hund daran zu hindern. Diese Hunde gelten als „gefährliche Hunde“. Das Ordnungsamt kann anordnen, dass sie außerhalb des eigenen befriedeten Besitztums anzuleinen und mit einem Maulkorb zu versehen sind (Landesverordnung NRW über gefährliche Hunde).

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