Welcher Jäger träumt nicht davon, in der Brunft auf einen reifen Rothirsch jagen zu dürfen? Doch beginnt die Jagdzeit bekanntlich am 1. August – mit der Feiste. Die Jagd in dieser Zeit und die Hirsche allemal haben ihre Reize, aber auch etliche Besonderheiten.
Lange sichert der alte Feisthirsch in guter Deckung, bis er zur Äsung zieht |
von Dr. Kurt Menzel
Der Feisthirsch ist ein Waldgespenst, das du nur ahnst, doch niemals kennst!“ So lautet eine alte Jägerweisheit. Was ist dran? Was macht den Feisthirsch so geheimnisvoll?
Die Feiste (Feistzeit) bezeichnet beim Rothirsch die Zeit zwischen dem Ende des Geweihwachstums und dem Beginn der Brunft. Man kann den Beginn der Feistzeit auch mit dem Termin des Fegens der Geweihe definieren. Da aber die Hirsche in Abhängigkeit von Alter und Veranlagung recht unterschiedlich mit dem Fegen beginnen, hätte dann genau genommen jeder Hirsch seine eigene Feistzeit.
Fettpolster
Ihren Namen hat sie vom Feist. Von den Fettpolstern, die der Hirsch verstärkt im Sommer anlegt und die in der Brunft weitgehend oder vollständig aufgezehrt werden.
Ein anderer alter Jägerspruch besagt: „Wenn die Ebereschenbeeren rot sind wie Korallen, ist der Hirsch vom Feiste schwer und er kann fallen.“ Doch Vorsicht!
Denn die Vogelbeeren sind in der Regel schon im Juli rot und da wollen und dürfen wir den Geweihten noch nicht nachstellen. Entweder sind diese Vitamin-C-geladenen Baumfrüchte infolge der Erderwärmung inzwischen einige Wochen früher reif als noch zu Urgroßvaters Zeiten, oder aber – und das ist verbrieft – die Jäger hatten noch Ende des 19. Jahrhunderts keine Bedenken, den Hirsch im Bast, in der Kolbenzeit, zu erlegen.
Gottlob gibt es heute wenigstens für den Rothirsch eine im gesamten Bundesgebiet einheitlich beginnende Jagdzeit. So müssen wir – anders als bei den übrigen Hochwildarten – vor dem Schuss nicht die Jagdzeit-Verordnungen der einzelnen Länder wälzen.
Die Feistzeit dauert somit aus jagdlicher und annähernd auch aus wildbiologischer Sicht vom 1. August bis etwa Mitte September.
Waldgespenst
Die Bezeichnung „Waldgespenst“ für den Feisthirsch deutet schon an, dass es – im Gegensatz zur Brunft – sehr mühsam sein kann, ihn zu erjagen. Hierbei kommt es darauf an, um welches Revier, um welche Landschaft es sich handelt und wie es um die Wilddichte, die Äsungsmöglichkeiten, das Geschlechterverhältnis und um die Ruhe im Revier bestellt ist.
Da die Hirsche während des Geweihwachstums einen hohen Nährstoffbedarf haben, trifft man sie regelmäßig schon in den frühen Abendstunden und oft bis in den Tag hinein auf den Äsungsflächen an. Es herrscht Jagdruhe im Hochwildrevier. Und um so vertrauter ist das Wild. So sollte es jedenfalls sein.
Die Rudel der Basthirsche sind meist groß und nicht so nach dem Alter differenziert wie die Feisthirschverbände. Haben die älteren Hirsche ihr Geweihwachstum abgeschlossen und entsprechende Feistvorräte angelegt, sondern sie sich in der Regel von den Jüngeren ab und beziehen ihre Feisteinstände, die in einiger Entfernung zu den frühsommerlichen Äsungsflächen liegen können. Oft tun sich zwei annähernd gleichalte Hirsche zusammen. Doch kann ein alter Hirsch auch einen jüngeren Begleiter vorziehen.
Manche Althirsche ziehen allein ihre Fährte. Seltener bilden sich kleinere Trupps von drei oder vier alten Recken.
Solche „Männerfreundschaften“ können – bis dass der Tod sie scheidet – über mehrere Jahre Bestand haben. Voraussetzung ist vermutlich, dass diese alten Hirsche ihre Brunftplätze weit voneinander getrennt haben, so dass sie nicht miteinander in nachwirkende Rangordnungskämpfe verwickelt werden.
Mit alten Freunden kämpft man nicht
Ich hatte über einige Jahre zwei reife Kronenhirsche beobachtet, die während der Feiste zusammen in einem kleinen Fichtenhorst am Rande des Reviers standen und auch im Winter gemeinsam eine Fütterung besuchten.
Eines Winters kam nur noch einer an den gewohnten Futterplatz. Der andere stand weit weg in einem anderen Forstort an den Futterraufen. Ich konnte mir diesen Wandel nur dadurch erklären, dass sie sich während der Brunft ein heftiges Duell geliefert hatten und der Unterlegene nunmehr dem Sieger aus dem Wege ging.
Bei einem anderen Duo alter Hirsche hatte ich wiederholt beobachtet, dass sie gut fünf Kilometer Luftlinie voneinander entfernt brunfteten. So konnten sie der Minne wegen nicht aneinander geraten und brauchten untereinander keine Rangordnungskämpfe auszutragen.
Auf einen der beiden, einen ungeraden 16-Ender, den 12. Kopf überschritten, ließ ich Anfang August einen Jagdgast waidwerken. Unweit ihres Einstandes gab es eine Suhle, die die Hirsche vor dem Austritt zur Äsung regelmäßig aufsuchten, um sich von der Sommerhitze ein wenig Kühlung zu verschaffen. Das Schicksal ereilte den reifen Hirsch schon beim zweiten Abendansitz.
Auf seinen ständigen Begleiter, einen ungeraden 12-Ender und nicht minder alt, führte ich Wochen später einen anderen Jagdgast. Der Hirsch hatte wieder seinen altbekannten Brunftplatz mitten in der Heide bezogen und wurde so zur leichten Beute.
Feist- oder Brunfthirsch?
Die Jagd auf den Feisthirsch ist etwas völlig anderes als das Waidwerk während der Brunft. Trotzdem hat auch sie ihre besonderen Reize. Der Jäger, der auf einen besseren Hirsch zur Feistzeit jagt oder in der Feiste einen solchen frei hat, sollte sich aber schon darüber im Klaren sein, dass er auf den Zauber der Brunftjagd verzichtet.
Die Tage sind im August noch lang. So heißt es, schon sehr früh, nach nur „einer Mütze Schlaf“ seinen Stand zu beziehen. Sei es an einer von dem Hirsch gern genutzten Äsungsfläche, sei es – noch besser – an einem bekannten Wechsel.
Denn die Hirsche verlassen oft schon im ersten Büchsenlicht die Felder oder Wiesen, die sie nachts zur Äsung aufgesucht hatten. Abends ist es nicht anders. Es wird meist spät, bis die feisten Gesellen aus der Deckung auf die Freiflächen austreten.
Früher bestätigte der Rotwildjäger den Feisthirsch, indem er tagsüber nach Fährten des Hirsches zwischen Einstand und Äsungsflächen suchte. Solches Abfährten ist in heutiger Zeit durch den Gebrauch von Geländewagen und bei begrünten oder befestigten Waldwegen aber kaum noch üblich.
Man muss es erlebt haben, wie lange alte Hirsche in guter Deckung am Bestandesrand mitunter sichern, ehe sie den Schritt ins Offene wagen. Dies, obwohl jüngere Hirsche oder Kahlwild längst auf der Äsungsfläche stehen. Es scheint so, als würden die Hirsche mit dem Fegen ihrer Geweihe ihre Unbekümmertheit verlieren und heimlich werden.
Dass man ältere Feisthirsche bei gutem Licht kaum in Anblick bekommt, hat sicher zwei Gründe: Zum einen sind sie vorsichtiger, erfahrener und gewitzter als junge Hirsche, zum anderen sind sie durch die angelegten Feistreserven faul und träge geworden und versuchen diese Reserven durch möglichst wenig Energieverlust bis zur Brunft zu erhalten.
Doch lassen sich auch Feisthirsche nicht nur früh morgens oder spät abends erjagen. In den späten Vormittagsstunden, wenn der Hirsch für kurze Zeit seinen Einstand verlässt, um Äsung aufzunehmen, hat der Jäger ebenfalls seine Chance. Die Aussichten sind besonders nach Gewitterregen oder bei bedecktem Himmel in lang anhaltenden Trockenperioden besonders gut.
Wie vorsichtig dabei alte Hirsch vorgehen, konnte ich im vergangenen Jahr am Rande einer kleinen Waldwiese beobachten. Etwa eine Stunde lang hatte ich einen etwa zwölfjährigen Kronenzwölfer vor mir. Er bewegte sich während dieser Zeit nicht mehr als zwanzig Meter vorwärts. Stets blieb er im Schatten des angrenzenden Fichtenstangenholzes stehen und sicherte in kurzen Zeitabständen ausgiebig. Ich hatte schließlich zwei Aufnahmen von ihm im Kasten, als er das Klicken der Kamera vernahm und sich umgehend verdrückte.
Altersansprache in der Feistzeit
Die Altersansprache der Rothirsche ist in der Feistzeit noch schwerer als zur Brunft. Das liegt insbesondere daran, dass der Träger des alten Hirsches schlanker erscheint, da die Brunftmähne noch nicht gebildet ist. Zum anderen kann der pralle „Hängebauch“ der Feisthirsche leicht ein höheres Alter vortäuschen. Für mich ist insbesondere der mürrische, argwöhnische Gesichtsausdruck alter Hirsche ein sicheres Altersmerkmal, das bei dem kurzen Sommerhaar noch deutlicher zum Ausdruck kommt.
Bei den jungen Hirschen sollte man beim Sommerabschuss auch bei schlechten Lichtverhältnissen stets darauf achten, dass das Geweih komplett verfegt ist. Kaum etwas auf der Jagd ist unerfreulicher, als einen Basthirsch auf der Strecke zu haben.
Wann jagen? Im Zweifel zum Ende der Brunft
Feisthirsche wird insbesondere der Jäger bejagen, der es jedes Jahr erleben muss, dass mit Beginn der Brunft die Geweihträger sein Revier verlassen. Auch wer in der Hirschbrunft frei sein möchte für die Führung von Jagdgästen, wird schon ab dem 1. August die Chance suchen, „seinen“ Hirsch zur Strecke zu bringen.
Das gilt sicher auch für den Fall, dass man einen ganz bestimmten, reifen und lang gehegten Hirsch auf der Abschussliste hat, der in einem anderen Revier brunftet.
Größere Jagdverwaltungen, seien sie in privatem oder staatlichem Besitz, werden bei einer hohen Zahl von Jagdgästen nicht umhinkommen, die Feistzeit zur Führung von Jagdgästen zu nutzen, um so den Jagddruck während der Brunft zu entzerren und das Führungspersonal zu entlasten.
Ansonsten halte ich nicht viel von einer übermäßigen Bejagung alter Hirsche vor der Brunft. Wir haben nun einmal in unseren Revieren in der Regel keinen Überhang an alten Hirschen. Im Gegenteil – es besteht ein erheblicher Mangel.
Mit einem vorzeitigen Abschuss der wenigen reifen Hirsche verschlechtern wir die Sozial- und Altersstruktur noch mehr.
Wir wissen längst, dass nur reife Hirsche einen artgemäßen, biologisch sinnvollen Ablauf der Brunft gewährleisten und sollten daher den alten Recken erst zum Ende der Brunft, wenn sie natürlicherweise von jüngeren Hirschen abgelöst werden, ein Ende bereiten.
Während der Feiste den einen oder anderen jüngeren Abschusshirsch zu erlegen, schadet der Bestandsstruktur weit weniger. Hier gilt es aber abzuwägen, ob die Bejagung der Jugendklasse während der Feistzeit mehr Vorteile durch eine vorzeitige Abschusserfüllung bietet oder aber dem Wild durch die weitere Beunruhigung des Revieres Nachteile entstehen.
Zum Schluss noch etwas fürs Gemüt. Der Autor dieser Zeilen ist mir leider unbekannt:
„Bald schlägt der Rothirsch das Geweih, am Stamme sich vom Baste frei.
Das dringt durchs Holz mit lautem Schall und weckt den frohen Widerhall.
Im Waidmannsherzen, das sich freut, aufs Jagen in des Herbstes Zeit.“