Kein Wildschadensersatz bei übermäßigem Unterpflügen von Maiskolben
Die Sauen haben den frisch bestellten Acker in der Nacht umgebrochen, und der Jagdpächter kratzt sich ratlos am Kopf. Ob er auf dem Schaden sitzen bleibt oder den Landwirt ein Mitverschulden trifft, wird nicht leicht zu klären sein |
I. Die Rechtsgrundlage
„Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatze sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teile verursacht worden ist.“ § 254 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (Mitverschulden)
II. Der Sachverhalt
Im Oktober 1999 drillte Landwirt L. auf einem zuvor mit Mais bestandenen Feld etwa 40 Hektar Triticale (Getreidesorte). In der Folgezeit kam es zu erheblichen Wildschäden durch Schwarzwild, weil dieses nach den untergepflügten Bruchkolben suchte.
Nach Anmeldung des Schadens und eines Ortstermins erging ein Vorbescheid über gut 12 500 Euro. Hiergegen erhoben die Jagdpächter Klage beim zuständigen Amtsgericht.
Zur Begründung machten sie geltend, dass der Schaden ganz überwiegend auf einem Eigenverschulden des Landwirts beruhe. Dieser habe nämlich den Mais zu spät gehäckselt, so dass beim Schnitt zahlreiche Kolben gebrochen und zu Boden gefallen seien. Diese seien dann nicht eingesammelt, sondern einfach untergepflügt worden.
Ein Wildschaden durch Schwarzwild werde geradezu provoziert, wenn eine Herbstbestellung auf einer mit Bruchkolben übersäten Fläche vorgenommen werde. Der Schaden wäre nicht eingetreten, wenn die Fläche im Frühjahr mit Mais bestellt worden wäre.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen; es sei allein Sache des Landwirts, welche Frucht er auf seinen Flächen anbaue. Deshalb sei es unerheblich, ob die Bestellung mit Triticale eine „Provokation“ für Schwarzwildschäden darstelle, solange dies aus ökonomischen oder ökologischen Gründen im Rahmen ordnungsgemäßer Landwirtschaft erfolge. Die Jagdpächter gingen in die Berufung.
III. Das Urteil
Das Landgericht gab den Pächtern in vollem Umfang recht. Es änderte das amtsgerichtliche Urteil, hob den Vorbescheid auf und wies den geltend gemachten Wildschadensersatzanspruch zurück. Die Kosten beider Instanzen wurden – wie stets – dem Unterliegenden auferlegt, hier also dem Landwirt.
Die Klage sei zwar zulässig, so das Landgericht, aber in der Sache nicht begründet. Denn dem Landwirt stehe kein Anspruch auf Wildschadensersatz zu, weil ihn nach § 254 Bürgerliches Gesetzbuch ein überwiegendes Mitverschulden an der Entstehung des Schadens treffe.
– Ein solches Mitverschulden liege unter anderem vor, wenn der Geschädigte dem Schadenseintritt durch eine nicht ordnungsgemäße Landbewirtschaftung Vorschub geleistet habe. Dies sei zum Beispiel der Fall bei einem Einpflügen von Bodenfrüchten (Rüben, Kartoffeln) oder dem Unterpflügen von abgehäckseltem, nicht abgeerntetem Mais mit nachfolgender Getreideaussaat (vgl. hierzu Wiefke/Foth, Jagdrecht Mecklenburg – Vorpommern, Randnummer 1 zu § 32 BJagdG).
l Hiernach treffe den Landwirt ein Mitverschulden am Schadenseintritt, weil er trotz unverhältnismäßig hohen Kolbenbruchs bei der Maisernte diese Bruchkolben untergepflügt und anschließend das Feld mit Getreide bestellt habe. Es sei vorhersehbar gewesen, dass Schwarzwild nach den untergepflügten Kolben brechen werde.
Zwar sei bei der Maisernte ein Kolbenbruch nicht zu vermeiden; im gegebenen Falle sei aber nach den Feststellungen des Gutachters ein „unverhältnismäßig sehr hoher“ Kolbenbruch eingetreten, der auf eine sortenbedingte zu späte Ernte schließen lasse.
– Aus welchen Gründen die Vorfrucht Mais nicht im üblichen Umfange habe geerntet werden können, sei jedoch für die Beurteilung des Mitverschuldens unerheblich; denn dem Schadenseintritt werde allein schon dadurch Vorschub geleistet, dass Bruchkolben im Übermaß untergepflügt worden seien.
Zur Abwendung des Schadens hätte der Landwirt entweder die Bruchkolben auflesen oder, wenn dies zu aufwendig gewesen wäre, übliche Schutzvorrichtungen gegen den Eintritt von Wildschäden errichten müssen (Elektrozaun).
– Da somit dem Schadenseintritt durch eine nicht ordnungsgemäße Landbewirtschaftung Vorschub geleistet worden sei, sei das Mitverschulden des Geschädigten als ganz überwiegend anzusehen. Das habe zur Folge, dass ein Wildschadensersatzanspruch gegen die Jagdpächter vollständig ausscheide. Landgericht Schwerin, Urteil vom 8.11.2002 – 6 S 269/01 –
IV. Anmerkungen
Ein Urteil, das in jeder Hinsicht überzeugt. Denn ein so schweres Mitverschulden muss zum Verlust des Ersatzanspruchs führen. Der Grund für diesen vollständigen Ausschluss liegt vor allem darin, dass auf Seiten des Ersatzpflichtigen für das Entstehen des Wildschadensersatzanspruchs überhaupt kein Verschulden erforderlich ist. Umso gravierender wirkt sich daher ein Verschulden auf Seiten des Geschädigten aus.
Ein Mitverschulden des Geschädigten spielt im gesamten Haftungsrecht eine wichtige Rolle. Denn es kann dazu führen, dass – je nach Schwere – der Ersatzanspruch des Geschädigten entweder verringert oder ganz ausgeschlossen wird.
– Das Gesetz verlangt grundsätzlich vom Geschädigten, dass er diejenige Sorgfalt einhält, die jedem vernünftigen Menschen obliegt, um sich vor Schaden zu bewahren. Hierzu gehört auch, dass er alles ihm Zumutbare unternimmt, um einen voraussehbaren Schaden abzuwenden und den Eintritt weiterer Schäden zu verhindern.
– Das gilt prinzipiell auch, wenn ein anderer den Schaden ersetzen muss. Deshalb gilt als Faustregel: So wie man sich vernünftiger Weise vor Schäden schützen würde, die man selbst tragen muss, so muss man sich auch verhalten, wenn ein anderer für den Schaden einzutreten hat.
– Die Tatsache, dass ein anderer für den Schaden haftet, darf nicht dazu (ver-) führen, nachlässig zu sein und untätig zu bleiben, ja sogar den Schaden „sehenden Auges“ oder gar als willkommen hinzunehmen, weil ihn ein anderer ersetzen muss.
– Im vorliegenden Falle hätte sich der Landwirt mit Sicherheit anders verhalten, wenn er den Schaden selbst hätte tragen müssen. Entweder hätte er die Kolben weitgehend beseitigt oder das Feld erst im Frühjahr bestellt, wenn das Wild die herumliegende Frucht in der Zwischenzeit aufgenommenhätte.
– Richtig ist, dass es grundsätzlich Sache des Landwirts ist, wann und mit welcher Frucht er seine Felder bestellt. Aber diese Freiheit wird durch die Regeln der ordnungsgemäßen Landwirtschaft begrenzt. Sie bestimmen das richtige Verhalten sowohl gegenüber der Umwelt als auch gegenüber den Rechten anderer. Überschreitet der Landwirt diese Grenze, so handelt er auf eigenes Risiko und muss dafür einstehen.
– Im entschiedenen Falle führte das Unterpflügen eines „unverhältnismäßig sehr hohen“ Kolbenbruchs zum vollständigen Ausschluss des Ersatzanspruchs. Beim Unterpflügen eines „normalen“ Kolbenbruchs (ohne Beseitigungsmaßnahmen) dürfte nur eine angemessene Reduzierung des Anspruchs in Betracht kommen. Zwar muss der Landwirt sein Feld nicht „besenrein“ machen, ehe er es neu bestellt, aber er muss die herumliegenden Kolben wenigstens im Wesentlichen entfernen, will er ein Mitverschulden verhindern.
– Der Geschädigte (Landwirt) muss beweisen, dass die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, hier also, dass ein Wildschaden durch Schwarzwild entstanden ist, dieser rechzeitig angemeldet wurde und die geltend gemachte Höhe zutrifft.
– Der Ersatzpflichtige (Jäger) muss beweisen, dass der Anspruch ausgeschlossen ist oder nur in geringer Höhe besteht,zum Beispiel weil er verspätet angemeldet wurde, der Geschädigte Schutzvorrichtungen des Jagdausübungsberechtigten unbrauchbar gemacht oder bei Sonderkulturen unterlassen hat oder ihn ein Mitverschulden trifft.
– Um diesen Beweis führen zu können, ist es unerlässlich, Zeugen (auch Familienangehörige, aber nicht Mitpächter, da diese mithaften) die Situation vor Ort zu zeigen, und Fotos zu machen. Wurden etwa die in goßer Zahl herumliegenden Kolben fotografiert (Datum festhalten), so ist es dann grundsätzlich Sache des Geschädigten, seinerseits nachzuweisen, dass er danach die Kolben tatsächlich entfernt hat, falls er dies behaupten sollte.
– Weitere Fälle eines Mitverschuldens sind zum Beispiel,
– wenn die Ernte schuldhaft verspätet eingebracht wird, so dass die Frucht einer erhöhten und zeitlich längeren Gefahr ausgesetzt war;
– wenn ein durch seine Lage besonders gefährdetes Feld (Waldnähe), auf dem in den vergangenen Jahren wiederholt Wildschäden auftraten, frisch bestellt wird oder die Frucht das Stadium der Milchreife erlangt und dies dem (unwissenden) Pächter nicht mitgeteilt wird (WuH 16/1999, S. 54);
– wenn der Landwirt die Rotte Sauen in seinem Feld selbst gesehen hat und gleichwohl den Jagdausübungsberechtigten nicht verständigt, so dass dieser aus Unkenntnis weitere Schäden nicht verhindert hat;
– wenn der Schaden durch rechtzeitiges Nachsäen/Nachpflanzen hätte vermindert werden können;
– wenn der Landwirt zumutbare Schutzmaßnahmen verbietet (Errichtung eines Elektrozaunes, einer Ansitzmöglichkeit), obwohl ihm voller Ersatz des dadurch eintretenden Schadens zugesichert wird;
– wenn, ganz allgemein, der Landwirt eine erhöhte Gefahr für den Eintritt von Wildschäden schafft und keine geeigneten Schutzmaßnahmen ergreift.
V. Ergebnis
1. Den Landwirt trifft ein Mitverschulden, wenn er der Entstehung eines Wildschadens durch nicht ordnungsgemäße Landbewirtschaftung Vorschub geleistet hat.
2. Ein solcher Fall ist zum Beispiel gegeben, wenn Bodenfrüchte (Rüben, Kartoffeln) eingepflügt oder herumliegende Maiskolben untergepflügt werden bei nachfolgender Getreideaussaat.
3. Ein Mitverschulden führt in der Regel zu einer Reduzierung des Ersatzanspruchs, ein grobes Mitverschulden kann den Ersatzanspruch auch vollständig ausschließen.
4. Der Ersatzpflichtige (Jäger) muss das Vorliegen eines Mitverschuldens beweisen. Hierzu ist es erforderlich, Zeugen die Situation zu zeigen und Fotos anzufertigen.
Ein gefundenes Fressen für die Schwarzkittel: Der Wildschaden wird geradezu provoziert, wenn größere Mengen von Bruchkolben oder auch Kartoffeln und Rüben bei nachfolgender Getreieaussaat untergepflügt werden. Aber Achtung: Der ersatzpflichtige Jäger muss das Mitverschulden des Landwirts im Streitfall beweisen |