98er Kurzgewehr und Stutzen
Nachwuchs in der Kessler-Familie: Mit einem Kurzgewehr und einem Stutzen erweitert der niederbayerische Büchsenmacher Roland Kessler sein 98er-Programm. Michael Schmid und
Claudia Elbing testeten die zweieiigen Zwillinge.
Von Roland Kessler
Praktisch, elegant und führig, lautete das Testurteil für das in WuH 18/2001 vorgestellte lange Standardmodell der Kesslerin. Für Büchsenmachermeister Roland Kessler aus Niederbayern kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Auf ein „Neues“ war angesagt. Das Ergebnis: Ein fast schon zierliches Kurzgewehr und ein eleganter Stutzen, die jeweils gerade mal 103 Zentimeter lang und nur 2,8 Kilogramm schwer sind.
Beide Büchsen bauen auf den bewährten Merkmalen der Kesslerin auf. Hochwertige, perfekt überarbeitete 98er DWM-Systeme, Reduktion des Hülsenkopf-Durchmessers auf 32 Millimeter und eine Kürzung des Magazinschachts, durch die das Fassungsvermögen des Magazins auf drei Patronen gesenkt wurde. Kunstgriffe, die aus dem hässlichen Entlein Militärsystem ein leichtes, schlankes Schmankerl machen, das in Sachen Eleganz einer Kipplaufbüchse kaum nachsteht.
Als Vorgabe für die neuen Kurzen galt: Nicht viel länger als ein Meter. Wer solche Traummaße erreichen will, hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Bullpup-Bauweise unter Beibehaltung der Lauflänge und Zurückverlegung des Verschlusses in den Kolbenbereich oder eine einfache Kürzung des Laufes. Im ersten Fall ist das Äußere „gewöhnungsbedürftig“, im anderen sind technische Nachteile die Folge.
Roland Kessler hat sich, um das klassische Erscheinungsbild der Deggendorfer Büchsen zu erhalten, für die zweite Methode entschieden. 50 Zentimeter Lauflänge gelten sowohl für den Stutzen als auch das Kurzgewehr. Auf speziellen Kundenwunsch werden noch kürzere Läufe (bis 45 Zentimeter) angeboten. Klarer Fall, solche Maßnahmen haben Energie- und Geschwindigkeitsverluste zur Folge. Laut DEVA zwei Prozent vo-Reduktion pro fünf Zentimeter Laufkürzung. Beim Test-Kurzgewehr im Kaliber 8x57IS und bei Verwendung der 12-Gramm-Teilmantelpatrone von Geco führt diese Rechnung zu folgendem Ergebnis: Statt der ursprünglichen vo von 810 Meter pro Sekunde (Meßlauflänge 60 Zentimeter) werden theoretisch nur noch 778 Meter pro Sekunde erreicht. Diese Einbuße ist gering, trotzdem sollte man dem Umstand vor allem dann Rechnung tragen, wenn mit relativ schwacher Laborierung auf starkes Hochwild gejagt oder auf weite Entfernung geschossen wird.
Um weitere Nachteile kurzer Läufe wie extremes Mündungsfeuer oder unangenehmes Schussverhalten zu minimieren, empfiehlt Roland Kessler nur bestimmte Kaliber. Obwohl die kurzen Büchsen von der .22-250 bis zur 8x57IS angeboten werden, bieten sich die typischen Stutzenpatronen 8x57IS und 6,5×57 besonders an. Geht man unter die 50 Zentimeter Lauflänge, bleibt als Universalpatrone eigentlich nur noch die .308 Winchester übrig. Sie läßt sich im 98er, im Gegensatz zu den 57 Millimeter Hülsen zwar nicht so gut repetieren, dafür liefert sie aus kurzen Läufen die beste Energie-Ausbeute.
Dauerhafte „Freischwinger“-Qualität
Praxisorientiert ist die Ausstattung von Kurzgewehr und Stutzen. Speziell für die schmale Taille der Kesslerin gefertigte, trocken stehende Direktabzüge gewährleisten eine präzise Schussabgabe. Nach Kundenwunsch justierbar, löst das Züngel den Schlagbolzen bei einem Abzugsgewicht von wahlweise 300 bis 1400 Gramm. Beide Testbüchsen waren „gestochen scharf“ voreingestellt – für die raue Jagdpraxis eindeutig zu fein. Für Sicherheit sorgt die bereits von der Standard-Kesslerin her bekannte Zwei-Stellungs-Flügelsicherung oder alternativ eine leichtgängige von „Recknagel“ oder „Dakota“. Die Vorteile der beiden Letzteren: Sie bieten drei Rasten mit den Optionen „gesichert – Kammerstängel gesperrt“, „gesichert – Kammer läßt sich öffnen“ und „Feuer frei“, und sie lassen sich leise und komfortabel im Anschlag bedienen. Der Nachteil: Ein Aufpreis von 198 Euro. Alle drei Sicherungen wirken auf den Schlagbolzen und ermöglichen eine extrem tiefe Zielfernrohrmontage.
Für eine hochwertige Schäftung der Kessler Büchsen stehen perfekte Handarbeit und abgelagertes, spannungsarmes Nussbaumholz. Dreifach gefalzte Bayerische Backe, leichter Schweinsrücken, eine griffige Fischhaut, Edelholzabschlüsse, Kunststoff-Systembettung und natürlich frei liegende Läufe lassen keine Wünsche offen.
Besondere Schaft-Ansprüche werden an den Stutzen gestellt. Hier sorgt eine bis über den vorderen Riemenbügel hinaus reichende Kunststoff-Einlage für dauerhafte „Freischwinger“-Qualität. Ein Magazin-Klappdeckel nach Mauser-Art, auf großer Fläche verlöteter Visiersockel, und stabil befestigte Riemenbügel runden die Ausstattung von Kurzgewehr und Stutzen ab.
Eigens entwickelte Schwenk-Flachmontage
Optimales Schießen über Zielfernrohr und offene Visierung – ein Muss für einen Vollblut-Allrounder. Erreichen lässt sich dieser hohe Anspruch nur, wenn die Optik möglichst tief auf der Hülse montiert wird und somit Visierlinie und Absehenmitte nur geringfügig auseinander liegen. Ist dies der Fall, kann die Waffe passend für beide Zieloptionen, vor allem beim Maß der Kolbensenkung, geschäftet werden. Roland Kessler erreicht diese Vorgabe mit Hilfe einer eigens entwickelten Schwenk-Flachmontage. Aus dem vollen gearbeitete Kombinationen aus Ringsockel und Montage-Oberteil und der Verzicht auf einen hoch aufbauenden Support reduzieren die Bauhöhe auf ein Minimum. Diese Art der Befestigung erfordert höchste handwerkliche Präzision, da nach dem Verschrauben und Verlöten nur noch der Verstellbereich des Zielfernrohrs für das Einschießen genutzt werden kann. Die ausschließliche Verwendung von Zielfernrohren ohne Schiene macht zudem erhöhende Adapter überflüssig und garantiert eine großflächige und äußerst stabile Verbindung von Optik und Montage.
Die mit einem Drehring verriegelnde Schwenkmontage sorgt für eine stabile Verbindung zur Waffe und für eine hohe und vor allem dauerhafte Wechselpräzision. Unser Testergebnis: Tiefer geht’s nimmer! Visierlinie und Absehenmitte liegen nur noch 1,5 Zentimeter auseinander und der Anschlag passt optimal sowohl über Zielfernrohr als auch über Kimme und Korn.
Bei winterlichen Schnneverhältnissen wird das Rotlicht blaß
Wer auf Vielseitigkeit setzt, kommt auch beim Zielfernrohr um ein Multitalent nicht herum. Seit Jahrzehnten haben sich hier variable Gläser mit 1,5- bis Sechsfacher Vergrößerung und einem Objektiv-Durchmesser von 42 Millimeter bewährt. Eigenschaften wie großes Sehfeld für die Drückjagd, genügende Lichtstärke beim Ansitz und ausreichende Vergrößerung für weite Schüsse gehören zu den markanten Eigenschaften dieser Modelle. Mit dem Habicht PV-I 1,5–6×42 setzt Swarovski neue Maßstäbe. Zusätzlich zu den universellen optischen Werten kann das Glas mit einem bei Tag und Nacht einsetzbaren Leuchtabsehen ausgestattet werden. Innovative High-Grid-Technologie mit einem extrem breiten Leuchtspektrum macht das möglich. Einfach bei Bedarf den kombinierten Regler- und Batteriespeicherturm (BE 3) auf die Höhenverstellung des Zielfernrohrs aufschrauben – fertig. Ein Potentiometer reguliert die Nuancen des Nachtabsehens. Am Ende der Drehbewegung angekommen, springt die Leuchtintensität automatisch in die höchste Tages-Beleuchtungsstufe, die sich durch zurückdrehen wieder reduzieren lässt. Unser Test-Zielfernrohr war mit dem bewährten Absehen 4 und einem Leuchtkreuz im Zentrum (4A-IK) bestückt. Beim Einsatz in der Dämmerung liefert das PV-I 1,5–6×42 für wirklich jeden Geschmack das passende Licht.
Auch das Tages-Leuchtabsehen zeigt, egal ob Wolken oder Sonne, vor dunklem Hintergrund deutlich, wo die Kugel hingehen soll. Nur bei sehr heller Kulisse, wie z. B. bei winterlichen Schneeverhältnissen, wird das Rotlicht blaß. Als Stromlieferant dient eine 3V, CR 2032, Fotozelle. Die Energie reicht bei intensivem Tageseinsatz für 30, im sparsamen Nachtmodus für bis zu 800 Betriebsstunden. Ohne „Leuchtturm“ schießt man über ein ganz normales 4er Absehen, allerdings mit einem kleinen, milchig-durchsichtigen Kreuz in der Mitte. Dieser Tribut an die High-Grid-Technik ist vor allem bei Präzisionsschüssen gewöhnungsbedürftig. Weitere starke Seiten des Swarovski-Allrounders sind die kratzfeste, anodisierte Oberfläche, die hochwertige Beschichtung der Linsen und eine weitgehende Unempfindlichkeit gegen Temperaturschwankungen, Niederschläge und Erschütterungen. Passend zur den führigen Kessler Büchsen wartet das Glas mit einer relativ kurzen Baulänge von 330 Millimetern und einem Gewicht von nur 460 Gramm (ohne Schiene) auf.
Leichtgewichte hoch im Kurs
Dass auch kurze Läufe eine präzise Schussleistung erbringen können, beweist das Kessler Kurzgewehr im Kaliber 8x57IS. Vier Schüsse in Folge (Magazinkapazität 3 plus 1) erbrachten sowohl mit der Geco 12-Gramm-Teilmantel als auch mit dem 12,7-Gramm-Oryx von Norma Streukreise von unter drei Zentimetern. Der frei schwingende, dickwandige Lauf und eine präzise Systembettung machen es möglich. Kein Springen und kein Kicken – trotz geringem Gesamtgewicht von nur 3,5 Kilogramm einschließlich Zielfernrohr schießt sich das Kurzgewehr erstaunlich angenehm.
Der Teststutzen im Kaliber 6,5×57 stand leider nur „oben ohne“ zur Verfügung. Also schossen wir die Waffe über die offene Visierung. Über die V-förmige Fluchtkimme in Verbindung mit dem roten Kunststoff-Leuchtbalkenkorn ließ sich ein Bierfilz auf 100 Meter problemlos treffen und auch auf den „laufenden Keiler“ hagelte es Blattschüsse.
Sowohl das Swarovski PV-I 1,5–6×42 als auch die Offene Visierung kamen bei der Maisjagd zum Einsatz. Die optimale Schäftung und der geringe Abstand von Visierlinie und Absehenmitte lassen im flinken Anschlag keine Zweifel aufkommen – die Waffe passt auf Anhieb für beide Zieloptionen und schwingt wie eine gute Flinte. Übrigens, mit dem hellen Swarovski Tages-Leuchtkreuz ist man auch in kritischen Situationen schnell und sicher drauf. In der Dämmerung ist das fein justierbare Leuchtabsehen in seinem Element. Erstaunlich, trotz kurzer Lauflänge hielt sich das Mündungsfeuer zumindest bei der 8x57IS in praxistauglichen Grenzen.
Gebirgsjagd oder Nachsuche, immer dort wo genügend Puste gefragt ist, stehen Leichtgewichte hoch im Kurs – ein Heimspiel für die nur 2,8 Kilogramm wiegenden Kurzen von Kessler. Für Stabilität und Robustheit steht allein schon das System 98, aber auch die zierlichen Schäfte geben keine Grund zur Klage. Außer Kratzern waren im Testzeitraum keine „Verletzungen“ zu verzeichnen. Eine praktische Idee: Für das empfindliche Kunststoffkorn steht ein aufschiebbarer Kornschutz zur Verfügung, den man Dank unterbrochener Nut nicht mehr verlieren kann.
Keine offenen Wünsche mehr
Sind sie auf der Suche nach einer Büchse fürs Leben, favorisieren das System 98 und haben keine Lust, ständig neuen Trends nachzulaufen? Dann liegen Sie mit den Kurzen von Kessler und dem Habicht PV-I 1,5–6×42 goldrichtig. Die Kombination lässt eigentlich keine Wünsche mehr offen und bietet zeitlose Eleganz.
Traditionell nach Mauser-Art ist der Magazin-Klappdeckel. Der Magazinschacht aber wurde verkürzt und der Abzug ausgetauscht |